Die Proteste im Iran und das falsche Spiel von Trump und Netanjahu

Das Motto für diejenigen, die sich einen demokratischen Iran wünschen, der von der Isolation an seinen rechtmäßigen Platz auf der Weltbühne zurückkehrt, sollte lauten: Hände weg. Lasst die Iraner ihr Land selbst in Ordnung bringen. Die Einmischung von außenstehenden Kräften geschah nie zum Nutzen von Regimekritikern im Innern, die echte Veränderungen anstrebten. – schreibt Richard Silverstein.

Während sowohl die iranische Führung als auch die internationale Gemeinschaft durch den plötzlichen Ausbruch der Proteste in Maschhad, Qom und anderen Provinzstädten gegen die düsteren wirtschaftlichen Zustände weitestgehend überrascht wurden, nahmen US-Präsident Donald Trump und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die Nachrichten mit besonderem Stil auf.

Umgehend heizten sie ihre Tastaturen und Videokameras hoch und twitterten ihre enthusiastische Unterstützung für die Unruhen. Durch ihre Formulierungen stellten sie unmissverständlich klar, dass sie nicht nur Reformen des Systems zur Verbesserung der Lebensbedingungen der durchschnittlichen Iraner unterstützen, sondern dass sie einen Regime Change in Teheran befürworten.

Gefährliches Territorium

Netanjahu bereitete ein Facebook-Video vor, in dem er auf das klerikale Establishment losging:

„Ich wünsche dem iranischen Volk Erfolg in seinem edlen Streben nach Freiheit. Mutige Iraner strömen auf die Straßen. Sie suchen nach Freiheit. Sie suchen nach Gerechtigkeit. Sie suchen nach grundlegenden Rechten, die ihnen jahrzehntelang verweigert wurden. Das grausame Regime Irans verschwendet Zig Milliarden Dollar, um Hass zu säen… Wenn dieses Regime endlich fällt, und eines Tages wird es fallen, werden Iraner und Israelis endlich wieder gute Freunde sein.“

Das letzte Mal, dass Israel und der Iran Freunde waren, war zu Zeiten des Schahs. Schlussendlich fordert Netanyahu die Rückkehr der diskreditierten monarchistischen Elite des Iran an die Macht. Buchstäblich niemand im Iran will das. Als US-Vizepräsident Mike Pence die iranische Regierung angriff, gebar er sich als ein noch größerer Hardliner als sein Chef:

Während dies gewiss die Gefühle einiger der iranischen Demonstranten widerspiegelt, die Parolen gegen Großayatollah Ali Khamenei und das gesamte klerikale Establishment skandierten, treten derartige Statements in gefährliche Gefilde bezüglich der iranischen Regierung ein. Es ist eine Sache, sich als Reformer auszudrücken, der das System von innen heraus verändern will. Es ist eine ganz andere, einen Regime Change zu fordern.

An diesem Punkt wird man zum Staatsfeind, der den legitimen Widerstand auf der Straße letztlich brutal und vollständig ausmerzen wird. Aus diesem Grund begannen die Sicherheitskräfte ihren Gegenangriff auf die tapferen Männer und Frauen, die auf die Straße gegangen sind. Fünfhundert wurden verhaftet. Ich würde erwarten, dass es in den kommenden Monaten Schauprozesse gegen diese Gefangenen geben wird – wie es auch nach den Demonstrationen von 2009 geschehen ist.

Obwohl der Führer der Revolutionsgarden verkündete, dass der „Aufstand“ aufgelöst worden sei, gingen zum Zeitpunkt, als diese Story in Druck ging, die Proteste in mehreren Städten weiter.

Indem sich Trump und Netanjahu mit den extremsten Elementen der Protestierenden verbündeten, haben sie die Aufgabe der Sicherheitskräfte wesentlich erleichtert. Die Standardantwort auf solche Unruhen war stets, die Verantwortung auszulagern und den Fokus auf „ausländische Elemente“ zu richten, die versuchten, die Nation zu destabilisieren.

Einer der Eckpfeiler autoritärer Regime ist die Forderung, die Bevölkerung gegen ausländische Feinde zu mobilisieren. Sowohl Trump als auch Netanjahu geben für die iranischen Hardliner die perfekten Cartoon-Bösewichte ab.

Eine weise Antwort

Eine weise und umsichtige diplomatische Antwort wäre gewesen, sich zurückzulehnen und zu beobachten, was im Iran passiert ist. Das ist mehr oder weniger das, was Präsident Barack Obama während der Wahlproteste 2009 getan hat. Aber die derzeitigen Regierungen in Washington und Tel Aviv betrachten den Iran als die Inkarnation des Bösen. Sie finden es daher mehr als schwierig, sich zurückzulehnen und aus dem Kampf herauszuhalten.

US-Präsident Trump und Israels Ministerpräsident Netanjahu: Die Speerspitze der globalen Iranophobie. Im Israel Museum, Jerusalem im Mai 2017. By U.S. Embassy Tel Aviv, Wikimedia Commons, published under public domain.

Eine der grundlegenden Regeln der Politik ist es zu schweigen, wenn dein Gegner taumelt. Lenke nicht von seinen Problemen ab, indem du dich selbst ins Getümmel wirfst. Denn du willst, dass sich die Öffentlichkeit in seiner Stunde der Not auf ihn konzentriert und nicht auf dich

Israel und die USA haben diese grundlegende Regel der Politik verletzt. Dies könnte den Gegnern der iranischen Regierung ihre ganze Bewegung kosten, wenn nicht gar ihre Freiheit oder ihr Leben. Doch in Wahrheit scheren sich weder Trump noch Netanyahu tatsächlich um Iran und seine Bevölkerung.

Wie Trita Parsi geschrieben hat, ist ihr Enthusiasmus keinem anderen als ihrer politischen Basis zuhause gewidmet – nicht einem iranischen Publikum. Und mit ihrer Missachtung zeigen sie den Gipfel ihres Zynismus auf.

Trumps Hardcore-Anhänger sind durch und durch islamfeindlich und sehen den Iran als den Teufel höchstpersönlich. Als Kriegsfalken sind sie auch empfänglich für die Idee, Amerika müsse Gewalt anwenden, um der Welt seinen Willen aufzuzwingen.

Netanjahus Basis ist ultranationalistisch und sieht den Iran als einen existenziellen Feind, der bereit ist, Israel auszulöschen.

Diese monochromatischen Sichtweisen erlauben keinerlei Grautöne und könnten so unweigerlich in den Krieg führen.

Auch die üblichen Verdächtigen in den Medien überschlugen sich mit ihren Kommentaren und applaudierten der Protestbewegung. Der ehemalige Iran-Experte der Obama-Regierung, Ray Takeyh, veröffentlichte auf Politico seine Hardliner-Breitseite gegen das Regime: Die Islamische Republik Iran ist zum Scheitern verurteilt.

Dabei unterscheidet er nicht zwischen pragmatischen Figuren wie dem iranischen Präsidenten Hassan Rouhani, den er als „langjährigen Funktionär des Regimes“ bezeichnet, und den extremsten Hardlinern des Klerus. Aus Takeyhs starrer, apokalyptischer Perspektive ist der eine so verdorben wie der andere.

Ohne Zweifel (obwohl er es nicht ausdrücklich sagt) ist der einzige Weg, die Welt von solch einem Unheil zu befreien, ein Aufstand gepaart mit einer Intervention von außen. Und genau das ist es, was jene Iraner, die nach einer echten Veränderung in ihrem Land streben, nicht gebrauchen können.

Zu früh

Schnell kam es vielerorts zu – wahrscheinlich vom Regime orchestrierten – pro-Regierungsdemonstrationen. By Mohammed Ranjbar, TasnimNews.

In Jerusalem versammelte sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe iranisch-jüdischer Monarchisten und demonstrierte für das Ancien Regime. Deren Anführerin verkündete die unsterbliche Zuneigung des iranischen Volkes für Israels Ministerpräsidenten Netanjahu. Woher sie das aus dem israelischen Exil heraus wohl wissen mochte, war unklar. „Die Leute im Iran mögen das israelische Volk sehr,“ sagte sie. „Sie mögen die israelische Regierung – und besonders Bibi Netanjahu. Viele Iraner trugen mir auf, ich solle Bibi sagen, dass wir ihn lieben.“

Ein anderer Demonstrant war Zvika Cohen, der fließend Farsi spricht und mit seinen Eltern von Shiraz aus nach Israel kam. Er sagte, die Menschen im Iran warten auf den Zusammenbruch des Regimes.

„Die Menschen dort leiden unter Armut und Hunger. Das Regime nimmt Geld von Menschen, die nichts zu essen haben,“ sagte er. „Wo sind die europäischen Führer? Warum helfen sie nicht den armen Leuten im Iran? Interessieren sie sich nur für ihre eigenen Interessen?“

Das Motto für diejenigen, die sich einen demokratischen Iran wünschen, der von der Isolation an seinen rechtmäßigen Platz auf der Weltbühne zurückkehrt, sollte lauten: Hände weg. Lasst die Iraner ihr Land selbst in Ordnung bringen. Die Einmischung von außenstehenden Kräften geschah nie zum Nutzen von Regimekritikern im Innern, die echte Veränderungen anstrebten.

Es ist zu früh, um zu sagen, was das Ergebnis dieser Runde ziviler Unruhen sein wird. Wie Parsi schrieb, sind die heutigen Demonstranten völlig anders aufgestellt als jene der Grünen Revolution von 2009. Erstere sind weitgehend führerlos, unzufrieden und unpolitisch (bisher).

Ihre Forderungen sind weitreichend und widersprüchlich. Wir wissen einfach nicht, wohin sie gehen. Aus diesem Grund sind die aktuellen Proteste, obwohl kleiner als 2009, vielleicht gefährlicher.

Sie könnten wie ein Winterregen in einem Wüstental sein: beginnend mit einem Rinnsal verwandelt er sich schnell in eine Flut, die alles mit sich reißt, was ihr in die Quere kommt. Oder sie verpuffen so schnell und plötzlich, wie sie begonnen haben.

Der Iran braucht Frieden und Stabilität. By Hamed Saber, Flickr, licensed under CC BY 2.0.

Dieser Artikel von Richard Silverstein erschien zuerst auf Middle East Eye und wurde von Jakob Reimann für Die Freiheitsliebe übersetzt.

Richard Silverstein ist ein US-amerikanischer Investigativjournalist mit jüdisch-israelischen Roots. Auf seinem berühmtberüchtigten Blog Tikun Olam befasst sich Richard seit 2003 mit der Aufdeckung von Skandalen rund um den israelischen Sicherheitsapparat. Seine Arbeit erschien in Haaretz, Forward, Al Jazeera, The Huffington Post, The Guardian, Seattle Times, Middle East Eye oder The New Arab, sowie in diversen Essay-Sammlungen.

Die Freiheitsliebe sends the best wishes to the States to Richard Silverstein and to the Middle East Eye staff to London and says THANK YOU! to everyone involved for their great job – connect critical journalism worldwide!

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