„Die Linke“ und die Autoindustrie: Erfreuliche neue Töne

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Weitgehend unbemerkt (auch von der linken) Öffentlichkeit hat die Partei „die Linke“ auf ihrem Bundesparteitag am 20.10.2024 zum Thema Krise in der Autoindustrie einen Beschluss erlassen, der sich sehr positiv von früheren Positionierungen abhebt, wie denen des früheren Vorsitzenden, Klaus Ernst.

Zur aktuellen Lage der Autoindustrie heißt es da:

Das Gespenst der Deindustrialisierung geht um, hunderttausende Jobs sind bedroht. Ursächlich für diese Krise sind die Fehlplanungen und die falsche Produktstrategie der Manager, der rückläufige Autoabsatz – allein in Europa minus zwei Millionen pro Jahr – sowie die Weigerung von Autoindustrie und der Regierung, die Weichen Richtung Verkehrswende zu stellen. Während VW, Mercedes und BMW mit immer größeren und teureren Autos hohe Gewinne machen, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter um ihre Zukunft bangen.“

VW ist das beste Beispiel dafür, wie die Autokonzerne versuchen, ihre Profite zu sichern.. Während 5 Milliarden bei den Beschäftigten eingespart werden sollen, hat VW dieses Jahr 4,5 Milliarden an Dividenden ausgeschüttet.

Weder Elektroautohype noch Verbrenner Roll-Back

Die Linke lehnt die momentan im Raum stehenden Forderungen ab, die eine Fortschreibung ja Intensivierung des Modells „Antriebswende“ propagieren:

Jetzt fordert VW neue staatliche Kaufprämien für Elektroautos, andere fordern eine Abwrackprämie. Mit solchen Lösungen wollen die VW-Bosse ihre Marktanteile gegenüber der Konkurrenz behaupten: Das Ergebnis sind globale Überkapazitäten zu Lasten von Beschäftigten und der Umwelt. Zudem sind Kaufprämien für E-SUVs Steuergeschenke für Spitzenverdiener. Subventionen dieser Art sind nur ein Strohfeuer, können kurzfristig den Absatz erhöhen und können angesichts der strukturellen Probleme der Automobilindustrie keine Abhilfe schaffen.“

Und sie bezieht eindeutig Position gegen jene, die ein Roll-Back zurück zum Verbrenner wollen.

CDU, BSW und FDP stellen das Verbrenner-Aus infrage und wollen energieintensive und teure synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) etablieren, die Extremisten der AfD sind „stolz auf den deutschen Diesel“, Grüne und SPD begnügen sich mit dem Antriebswechsel – aber niemand setzt sich wirklich für die Beschäftigten ein. Stattdessen dreht sich die Diskussion vor allem darum, dass wir uns zwischen Verbrenner-SUVs und E-SUVs entscheiden sollen. Beide sind keine Lösung. Beide sind kein Beitrag zum Klimaschutz, verbrauchen zu viele Ressourcen und sind für viele Menschen unbezahlbar.“

Für Verkehrswende und sozial-ökologischen Umbau

In den neuen Text vertritt die Linke zum ersten Mal eindeutig und unmissverständlich dass die Alternative und der Ausweg aus der aktuellen Krise der Autoindustrie eine Verkehrswende und ein sozial-ökologischer Umbau der Autoindustrie ist:

Anstatt an alter Technik festzuhalten, damit die Konzerne noch weiter Profite machen können, müssen wir unsere Industrie umbauen, um gute Arbeit zu sichern und zu schaffen.“… Es geht, so die Linkspartei, darum „Industriearbeitsplätze mit Zukunft schaffen: Statt immer mehr (E-)SUVs brauchen wir nicht nur kleine und bezahlbare E-Autos, sondern auch neue Züge, Straßenbahnen und Busse.“…Die Verkehrswende muss mehr als eine Antriebswende sein. Die Mobilität der Zukunft sind moderne und bequeme Busse und Bahnen für mehr öffentlichen Nah- und Fernverkehr.“

Die Linke spricht nicht prinzipiell gegen den Bau von Elektroautos aus:

Aber viele Menschen werden z.B. auf dem Land über längere Zeit auch auf ein Auto angewiesen sein. Dafür müssen kleine und kostengünstige E-Autos produziert werden, Kleinbusse, die flexibel im ÖPNV eingesetzt werden können, keine SUVs und Luxuskarossen.“

Das trägt der aktuellen Lage Rechnung. Denn tatsächlich bleibt angesichts eines völlig desolaten Zustands des ÖPNV auf dem Land den Leuten oft gar keine Alternative zum Auto. Selbst in der anderen Gesellschaft, die uns vorschwebt, wird es Autos geben: Servicetechniker, Rettungsdienste, mobile Hilfen, Postzusteller*innen brauchen selbstverständlich ein Auto. Selbstverständlich sollte das ein Elektroautoauto sein. Was aktuell die Produktion von Autos angeht, wäre schon etwas damit gewonnen, wenn es kleine, wenig Ressourcen verbrauchende Kleinwagen wären und keine fetten Karossen aus dem Premium-Segment. Ein grundsätzlicher Modellwechsel von Groß auf Klein wäre nicht der Weisheit letzter Schluss. Grundsätzlich gilt: Deutlich weniger Pkws, dafür viel mehr Bahnen, Bahninfrastruktur, Busse und Fahrräder. Wenn aber die noch benötigten Autos batteriegetriebene, erschwingliche Kleinwagen wären, würden wohl kaum Befürworter*innen einer Verkehrswende und eines sozial-ökologischen Umbau „aus prinzipiellen Gründen“ Anstoß nehmen. Viele der Beschäftigten der Autoindustrie würden das befürworten, weil es ihnen „realistischer“ und weniger „utopisch“ vorkommt als ein grundlegender Umbau der Fabriken. Insofern könnte diese Forderung eine gewisse Scharnierfunktion zwischen den in den Belegschaften weit verbreiteten Vorstellungen und den Ansichten jener, die Umbaumaßnahmen für notwendig halten.

Keine Entlassungen, Recht auf Weiterbildung ohne Lohnabschläge, radikale Arbeitszeitverkürzung

Es darf nicht sein, dass diejenigen, die täglich harte und qualifizierte Arbeit leisten, die Leidtragenden sind, während gleichzeitig riesige Gewinne an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Es dürfen keine Standorte geschlossen werden! Niemand darf entlassen werden! Wir fordern eine staatliche Weiterbildungsgarantie: Wer sich weiterbilden will, muss dies auch tun können, egal ob innerhalb oder außerhalb des bisherigen Berufsfeldes, egal ob die Unternehmensleitung dies will oder nicht. –

Das sehen die Autor*innen des Papiers „Umbau starten, Jobs retten“ genauso

“ …„Wir brauchen eine Jobgarantie, eine Einkommensgarantie und eine Weiterbildungsgarantie für die Beschäftigten in der Autoindustrie. Sie brauchen gute und verlässliche Perspektiven in einer Industrie mit Zukunft, mit guten Löhnen, Tarifverträgen und sicheren Arbeitsplätzen. Insbesondere die jungen Kolleg*innen und Auszubildenden wollen ihre Zukunft planen können.“.

Das gilt auf Betriebsebene und auf Branchenebene.

Eine Jobgarantie in allen Branchen, die vom Umbau betroffen sind (Autoindustrie, Schienenfahrzeugindustrie, Stahl, Kohle, Chemie, Zement etc.): Niemand darf durch und nach dem Umbau der Industrie sozial abstürzen – das machen die Beschäftigten, die sich jahrelang den Rücken krumm gemacht haben, zu Recht nicht mit. Insbesondere für Beschäftigte in den kleinteiligen Zulieferer-Werken brauchen wir zudem eine staatliche Weiterbildungsgarantie: Alle, die sich fortbilden wollen, müssen das tun können, egal ob es sich um Weiterbildungen innerhalb oder außerhalb des aktuellen Berufsfelds handelt, egal ob die Unternehmensleitung das will oder nicht.“

Die Eigentümer und Manager der Autoindustrie fahren den Laden gerade gegen die Wand. Es ist angesichts dieses Versagens nicht mehr hinnehmbar, dass eine winzige Minderheit darüber entscheidet, was produziert wird. Die Unternehmen der Automobilindustrie sollten gesetzlich das Ziel eines sozial-ökologischen Umbaus verpflichtet werden. Damit ist der share-holder-Value nicht mehr das alleinige und bestimmende Unternehmensziel.“

Etwas seltsam mutet allerdings an, dass im Positionspapier der „Linken“ mit keinem Wort davon die Rede ist, dass die vorhandene Arbeit durch eine kräftige Arbeitszeitverkürzung auf alle Schultern verteilt werden muss.

Die Konzern-Bosse in die Pflicht nehmen!

In dem Papier wird die Untätigkeit und Passivität von bürgerlichen Politikern und Unternehmern weitgehend zutreffend beschrieben.

Die Regierung tut nichts, um die Autoindustrie unter Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Ingenieurinnen und Ingenieure auf sinnvolle, zukunftsfähige Produktion umzustellen. Mit dem Festhalten an der Schuldenbremse und der Weigerung hohe Vermögen und Superreiche zu besteuern, blockiert sie die dringend notwendigen Investitionen in die sozial-ökologische Transformation.“

Die Eigentümer und Manager der Autoindustrie fahren den Laden gerade gegen die Wand. Es ist angesichts dieses Versagens nicht mehr hinnehmbar, dass eine winzige Minderheit darüber entscheidet, was produziert wird. Die Unternehmen der Automobilindustrie sollten gesetzlich das Ziel eines sozial-ökologischen Umbaus verpflichtet werden. Damit ist der share-holder-Value nicht mehr das alleinige und bestimmende Unternehmensziel.“

Mehr Mitbestimmung?

Was aber muss passieren, damit sich das ändert? Die Antwort des Papiers ist sozusagen gewerkschaftlicher Standard: Mehr Mitbestimmung! Das sehen wohl auch viele fortschrittliche Gewerkschafter*innen so ähnlich. In der Regel ist damit gemeint, dass es in wirtschaftlichen Angelegenheiten Mitbestimmung geben muss. Nun wäre es sicherlich schön, wenn es diese Art von weitreichender Mitbestimmung gäbe. Fakt ist aber: Es gibt sie nicht. Im Moment ist das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit nicht so, dass es Aussicht auf Besserung gibt. Im Gegenteil. Eher ist es so, dass das Unternehmerlager Oberwasser hat. Kapitalnahe Kreise denken laut darüber nach, die aus dem VW Gesetz herrührende besonderen Elemente der Mitbestimmung abzuschaffen. VW soll ein „normales Unternehmen“ werden, wo im Streitfall der aus dem Lager der Kapitaleigner kommende Vorsitzende des Aufsichtsrats durch sein doppeltes Stimmrecht dafür sorgt, dass diejenigen Recht bekommen, die das Geld und die Macht haben.

Forderungen nach mehr Mitbestimmung sind im Kontext der extrem verrechtlichten Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit in Deutschland zu sehen. Von den Gewerkschaftsspitzen wird gerne der vermeintlich große Spielraum herausgestellt, den die Mitbestimmung Gewerkschaften und Betriebsräten eröffnet. Kein Wort wird über die Schattenseiten der Mitbestimmung verloren: Den weitgehenden Zwang zur „Friedenspflicht“ im Betrieb oder den Ausschluss von politischen Streiks.

Typisch für die DGB- Gewerkschaften ist das Bestreben, ausschließlich darauf zu orientieren, die nötigen Veränderungen nicht in harten Auseinandersetzungen mit dem Klassengegner, sondern letztendlich einvernehmlich, ordentlich geregelt, auf legalem Weg erreichen zu können. Ein Stück weit schwingt hier wohl jene typisch deutsche Mentalität mit, über die sich Lenin schon während der Novemberrevolution 1919 süffisant geäußert hat: „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“.

Die deutsche Mitbestimmung ist so ausgestaltet, dass die Unternehmer am längeren Hebel sitzen. Sie gibt den Belegschaften und Gewerkschaften keine Handhabe, die Durchsetzung der Pläne der VW Manager zu verhindern.

Selbstermächtigung und sozialer Ungehorsam statt Warten auf bessere Mitbestimmung

Wenn die Lohnabhängigen gegen die Unternehmermacht etwas erreichen wollen, müssen sie in die Lage kommen, Gegendruck auszuüben. Auseinandersetzungen zwischen kämpferischen Belegschaften und Kapitalisten zeigen, dass es durchaus Möglichkeiten der Gegenwehr gibt.

Ein Beispiel sind die Streiks bei Opel Bochum im Jahr 2004. Am 14. Oktober 2004 ging eine Nachricht durch die Presse, wie sie in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik eher selten zu lesen ist: 3000 Arbeiter der Spätschicht des Bochumer Opel-Werkes waren spontan in den Ausstand getreten, um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen. Sie taten dies selbstständig auf Initiative mehrerer Vertrauensleute im Betrieb, jedoch ohne einen Streikaufruf der Gewerkschaft. Sie handelten nach dem Motto: „Um uns selber müssen wir uns schon selber kümmern.“ Aufgrund der im deutschen Streikrecht vorgesehenen Friedenspflicht agierten die Opelaner an der Grenze zur Illegalität. Das konnte sie jedoch nicht schrecken. Von einem Tag auf den anderen ging es für sie um alles. Mit ihrem Streik verhinderten die Kolleginnen und Kollegen die Schließung der Fahrzeugproduktion für zehn Jahre.

Auch ein paar Stufen darunter gibt es wirksame Formen der Gegenwehr, die beim Management durchaus Eindruck machen und geeignet sind, das eigene Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Rahmen einer Auseinandersetzung im Daimler-Chrysler Werk Untertürkheim machten im Juli 2004 2000 Beschäftigte des Werksteils Mettingen eine spektakuläre Aktion Sie nahmen die vielbefahrene B10 als Weg von Mettingen zur Protestkundgebung am Untertürkheimer Werk und legten dabei für eine Stunde die vielbefahrene Bundesstraße lahm.

Ansonsten gibt es z.B. die Möglichkeit, das zu tun, wovon die IG Metall Esslingen am 17.12.2007 berichtete: „Über 500 Beschäftigte des Mercedes-Benz Werk Untertürkheim haben heute Nachmittag um 13 Uhr an einer Sprechstunde des Betriebsrats teilgenommen. Der Betriebsrat hat zu der Sprechstunde im Werksteil Mettingen am Tor 1 eingeladen, weil die Belegschaft verunsichert ist: Das Unternehmen weigert sich nach wie vor, die 52 befristet Beschäftigten im Gastronomiebereich fest zu übernehmen.“

Den „Werkzeugkasten“ auspacken!

Es gibt in den Betrieben durchaus viele Möglichkeiten, wie Belegschaften Maßnahmen des „zivilen Ungehorsam“ praktizieren können, die der Firma ins Geld gehen. Erfahrene Gewerkschafter*innen, die ihren Laden gut kennen, wissen, was welche Wirkung haben kann und wenn sie wollen können sie so einiges anstellen, was dem Management Kopfzerbrechen bereiten könnte.. Ein ZF Kollege sagte, man müsse „den kompletten Werkzeugkasten des Betriebsrats ausnutzen“. Gewerkschaftlich Aktive in der Autoindustrie täten gut daran zu prüfen, welche „Werkzeuge“ jetzt nützlich wären…

In der aktuellen Lage im VW Konzern macht es erheblich mehr Sinn über solche Handlungsoptionen nachzudenken als sich in abgehobenen Denkspielen über erweiterte Mitbestimmung zu ergehen.

Natürlich weiß man vorher nicht, ob das im Endeffekt erfolgreich ist oder nicht.

Aber wie heißt es doch.

Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft hat schon verloren.

Ein Beitrag von Paul Michel (Netzwerk Ökosozialismus)

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