Die Linke: Es bleibt kompliziert, aber es gibt eine echte Chance

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Vom 18. bis 20. Oktober hielt Die Linke in Halle ihren Parteitag ab. Nicht wenige waren im Vorfeld skeptisch, ob er noch etwas an der schwierigen Lage der Partei ändern könnte. Groß war auch die Sorge vor Eskalationen bei strittigen Fragen wie dem Bedingungslosem Grundeinkommen (BGE) oder dem Nahost-Konflikt. Um so erstaunlicher ist daher das Ergebnis. Denn der Partei gelang in zentralen Fragen ein solidarischer Austausch. Nicht in allen Fällen führte dies auch zu politischer Klärung. Mut machte aber die Leidenschaft, mit der um das sozial- und friedenspolitische Profil der Partei gerungen wurde. Hier zeigte sich: Die Linke ist noch immer eine lebendige Partei. Diese Diskussion wird die Debatten auch im neuen Parteivorstand maßgeblich mitbestimmen. Vor diesem Hintergrund bietet die personelle Neuaufstellung die Chance, vielleicht nicht alles besser, aber einiges anders zu machen. Die Hoffnungen, dass es der Linken doch noch gelingen könnte, aus ihrer Krise herauszufinden, sind nach Halle jedenfalls wieder größer.

Widersprüchliche Erneuerung

Die Linke hat in Halle einen Erneuerungsprozess eingeleitet. Die Partei vermied die Eskalation, stritt aber trotzdem über die unterschiedlichen politischen Einschätzungen, entwickelte einen klugen Umgang mit polarisierenden Fragen, fasste gemeinsame Beschlüsse nach schwierigen Debatten und brachte auch einen personellen Neuanfang auf den Weg. Das alles blieb natürlich im Rahmen der Möglichkeiten, die dieser Parteitag bot, und es war versehen mit unzähligen Widersprüchen. Denn egal ob Waffenlieferungen an die Ukraine, der Blick auf den Nahost-Konflikt oder das Bedingungslose Grundeinkommen – in der Parteitagsdebatte wurde stets ein Spektrum an Positionen vorgetragen. Die ganze Widersprüchlichkeit des Parteitages, aber auch seine Hoffnung auf einen Aufbruch fasste die Wochenzeitung „Unsere Zeit“ am Ende ihres Live-Tickers zusammen: So habe es einerseits einen Leitantrag gegeben, „der die Schritte Richtung NATO beschleunigt,“ außerdem „keine klare Haltung gegen den Völkermord in Gaza.“ Aber dennoch die „Absage an den Versuch des Parteivorstandes, den deutschen Militarismus zu verharmlosen, ein klares Bekenntnis gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland, und eine Handvoll hoffnungsvoller Kämpferinnen und Kämpfer für den Frieden im neu gewählten Parteivorstand“.1

Immer wieder wurde deutlich: Der Parteitag spiegelte ein widersprüchliches Kräfteverhältnis wider, das vor allem eines zeigte: Die Linke ringt in der größten strukturellen Krise des Kapitalismus um Orientierung und Handlungsfähigkeit. Dass der Parteivorstand auf eine politische Orientierung verzichtet hatte und einen 13-seitigen Leitantrag vorlegte, der viele politische Glaubensbekenntnisse und zu wenig gesellschaftliche Analyse enthielt, unterstützte die Suche nach Orientierung nicht, sondern behinderte diese eher. Dass die Partei sich damit jedoch nicht abfinden wollte, zeigte sich allein an den über 200 Änderungsanträge aus allen Gliederungen der Partei. Dabei zeigte sich, wie schwierig Debatten über orientierende Positionen verlaufen, wenn sich die Führung mit Orientierungsangeboten weitestgehend zurückhält.

Die Friedensfrage

Vor allem in der Debatte über die Friedensanträge wurde deutlich, dass Die Linke in den kommenden Monaten einen besonderen Fokus auf die geopolitische Analyse globaler und gesellschaftlicher Entwicklungen legen muss. Die Partei wird nur dann ein stabilisierender Pfeiler friedenspolitischer Initiativen in der Gesellschaft sein, wenn sie sowohl den Nahostkonflikt als auch den Krieg in der Ukraine als auch die Spannungen im südchinesischen Meer geopolitisch verorten kann. Die Debatte auf dem Parteitag zeigte deutlich, dass es nicht mehr reicht, nur allgemein für Frieden zu sein. In einer Zeit, in der die Bundesregierung versucht, Deutschland trotz der schweren Hypothek aus zwei Weltkriegen zu neuer Führungsstärke in der Welt zu verhelfen, braucht eine sozialistische Partei vor allem politische Klarheit. Es ist beschämend, dass es mit SPD und Grünen ausgerechnet zwei Parteien sind, die ihre Wurzeln in der Friedensbewegung haben und jetzt peinlichst darauf bedacht sind, dass die aktuelle Militarisierung nicht in die furchtbare Tradition des deutschen Militarismus gestellt wird. Sie betonen stattdessen, dass die Aufrüstung für die Verteidigung des Völkerrechts und für den Kampf um die Demokratie notwendig seien. Es ist ein Narrativ, dem der Autoritarismus in Russland, China, Ungarn oder dem Iran als Kontrapunkt gegenübergestellt wird, um die wahren Absichten der deutschen imperialistischen Politik zu verschleiern. Die Linke braucht hier einen gemeinsame Einschätzung zu den geopolitischen Veränderungen, um in der Auseinandersetzung mit der Zeitenwende handlungsfähig zu sein.

Der Parteivorstand erwies sich bereits im Vorfeld als nicht in der Lage, eine gemeinsame geopolitische Einordnung zu formulieren und diese den Delegierten zur gemeinsamen Beratung vorzulegen. Stattdessen war das Gegenteil der Fall: Die friedenspolitischen Anträge der um Orientierung ringenden Delegierten wurden vom Parteivorstand systematisch entkernt. So hieß es beispielsweise in dem Antrag „Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik“, den die Kommunistische Plattform zusammen mit Cuba Si und der BAG Behindertenpolitik eingebracht hatte: „Der deutsche Faschismus machte den deutschen Militarismus zu einer unfassbar grausamen, chauvinistischen Ausgeburt des Völkerhasses und des Völkermords.“ Ein Passus, der auf Initiative des Parteivorstandes zusammen mit dem Verweis auf 27 Millionen tote Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion durch den simplifizierenden Satz ersetzt werden sollte: „Zwei Weltkriege haben im zwanzigsten Jahrhundert Millionen Leben gekostet.“ Hinzu kam, dass ganze Passagen mit Kritik an der NATO und an der Aufrüstung des Westens gestrichen werden sollten. Nicht nur die Europa-Abgeordnete Özlem Alev Demirel kritisierte, dass die Strategie des Parteivorstandes, „Ersetzungsanträge, getarnt als Änderungsanträge“ zu stellen, dem Begehren der Antragsteller nicht gerecht werde und die Partei desorientiere. Und so waren auch die Abstimmungsergebnisse von einer großen Widersprüchlichkeit geprägt. Die Delegierten stimmten nicht durchgehend für oder gegen den Parteivorstand, sondern wirkten vielfach unentschlossen ob der desorientierenden Debatte.

Bedingungsloses Grundeinkommen

Ein wirklicher Lichtblick dagegen war die Debatte über das Bedingungslose Grundeinkommen. 2015 hatte Die Linke auf ihrem Bielefelder Parteitag eine intensive Diskussion geführt und im Anschluss gemeinsam verabredet, keine Entscheidung für oder gegen das BGE zu fällen. Vielmehr sollte die Diskussion offengehalten und unter dem Dach der Partei solidarisch fortgeführt werden. Diese Verabredung hielt bis Sommer 2020, als die BAG Grundeinkommen versuchte, eine Entscheidung mit einem Mitgliederentscheid zu erzwingen. An diesem Entscheid beteiligte sich nur eine Minderheit der Mitglieder, doch die Mehrheit von ihnen stimmte der Forderung nach Aufnahme der Position ins Parteiprogramm zu. Erst in der Folge zeigte sich, wie klug der Kompromiss von Bielefeld gewesen war, denn er hatte die Partei trotz divergierender Positionen zusammengehalten. Nicht zufällig also folgten auf den Mitgliederentscheid Austritte vor allem aus dem gewerkschaftlichen Lager. Zu den prominentesten Köpfen gehörte sicherlich WASG-Gründungsmitglied Ralf Krämer.

Als der Parteivorstand an einer Formulierung laborierte, die er dem Parteitag zur Abstimmung über die Aufnahme ins Parteiprogramm vorlegen wollte, formierte sich in den Reihen des gewerkschaftlichen Spektrums Widerstand. Die Sozialistische Linke (SL) brachte einen Alternativantrag ein, der ausdrücklich forderte, dass Die Linke sich gegen das BGE aussprechen solle. Die jungen Genossen der SL setzten begleitend dazu eine sympathische und humorvoll inszenierte Social-Media-Kampagne auf. Unterstützt wurde der Antrag zudem von der BAG Betrieb & Gewerkschaft, die sich schließlich dafür stark machte, dass die Diskussion über das BGE mit Pro- und Contra-Argumenten den nötigen Raum bekam. An deren Ende lehnte der Parteitag den Formulierungsvorschlag des Parteivorstandes mit sehr deutlicher Mehrheit ab. Und als daraufhin die SL ihren Antrag zurückzog, war der Status Quo von Bielefeld wieder hergestellt. Ein großer Erfolg für die Profilierung der Linken als soziale und an einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften interessierten Partei. Denn in einer Zeit, in der die Bundesregierung in der Nationalen Sicherheitsstrategie festschreibt, dass die Zeitenwende über Einsparungen beim Sozialstaat finanziert werden soll und die Union die Agenda 2030 ankündigt, muss sich Die Linke im Bündnis mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Kirchen auf die anstehenden Sozialkürzungen nach der Bundestagswahl 2025 vorbereiten und als diejenige Kraft etablieren, die den Kampf um den Erhalt des Sozialstaates führt. Der Beschluss auf dem Parteitag in Halle war ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Personelle Neuaufstellung

Nicht unwesentlich für die Zukunft der Partei dürfte die personelle Neuaufstellung sein. Mit Ines Schwerdtner und Jan van Aken bekommt die Friedensfrage an der Parteispitze mehr Gewicht als sie es mit der vorhergehenden Parteiführung hatte. „Die Linke bleibe eine Partei des Friedens“, versprach van Aken am Sonntag Nachmittag in seiner ersten Rede als frisch gebackener Parteivorsitzender. Auch Schwerdtner machte dies mehrfach deutlich. Und dass der Initiativantrag, den Berliner Appell gegen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen zu unterstützen, mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, zeigt die Sehnsucht der Partei, die Friedensfrage nicht länger dem BSW zu überlassen.

Auch die weiteren Wahlen zum Parteivorstand machten deutlich: Das Ringen um ein friedenspolitisches Profil wird im neuen Parteivorstand Rückenwind bekommen. So hatten sich gleich mehrere Kandidaten mit sehr klaren Antikriegs-Positionen durchgesetzt, darunter Naisan Raji und Theo Glauch. Gleichzeitig bekam mit Wulf Gallert einer der größten Kritiker des antimilitaristischen Flügels das beste Stimmenergebnis. Für Rückenwind dürfte auch die große Zahl von Parteivorstandsmitgliedern mit gewerkschaftspolitischem Profil sorgen: Neben den beiden Bundessprechern der BAG Betrieb & Gewerkschaft, Ines Schwerdtner und Ulrike Eifler, vertreten auch die Hamburgerin Olga Fritzsche und der Baden-Württemberger Alexander Kauz, aber auch Thies Gleis und Naisan Raji verlässliche gewerkschaftliche Positionen. In der Vergangenheit waren es vor allem der Gewerkschaftsflügel in der Partei, der klare Positionen zu Krieg und Frieden einforderte. Die Zeitenwende sei eine Klassenfrage und gehe mit Angriffen auf die Interessen der Lohnabhängigen einher, wurde dabei stets argumentiert. Auch die Initiative für die Gewerkschaftskonferenz für den Frieden, die erstmals in Hanau und im darauffolgenden Jahr in Stuttgart stattgefunden hatte, kam aus der BAG Betrieb & Gewerkschaft.

Strategische Neuaufstellung

Wichtig wird es sein, die personelle Neuaufstellung mit einem strategischen Neuanfang zu verbinden. Dabei muss die Schwerpunktsetzung der Analyse folgen. Und ehe die Verstaatlichung der Waffenindustrie gefordert wird, sollte überlegt werden, ob dies die richtige Antwort auf die zunehmende Militarisierung sein kann. Und ehe ein Nichtangriffspakt der EU mit Russland gefordert wird, sollte zumindest hinterfragt werden, ob eine solche Forderung nicht eher den bürgerlichen Diskurs von der russischen Gefahr bedient und zum weiteren Aufstieg des deutschen Militarismus beiträgt.

Aber auch an anderen Stellen der Debatte zeigten sich die Schwachstellen einer Partei, die versucht, sich in einer komplexen gesellschaftlichen Krisensituation zurechtzufinden. Eine dieser Schwachstellen war beispielsweise, dass die Parteiführung es bislang versäumt hat, das Verhältnis zum BSW zu klären. So gab es in der Diskussion statt einer Konzentration auf die eigenen Defizite immer wieder ein Nachtreten gegen die ehemaligen Genossen, die mit Wagenknecht die Partei verlassen hatten. Dabei hatten sich nicht wenige von ihnen in ihren Stadtvierteln zum Public Viewing im überschaubaren Rahmen getroffen, dort mit ihrer ehemaligen Partei mitgefiebert und nach den Vorstandswahlen so manchem Kandidaten Glückwünsche geschickt, verbunden mit der Hoffnung, dass die Partei „vielleicht ja doch noch die Kurve kriegen“ würde. Der neue Parteivorstand wäre gut beraten, ein professionelles Verhältnis zum BSW als Orientierung in die Partei zu geben und auf diese Weise die Türen für diejenigen offen zu halten, denen Wagenknecht mit ihren Positionen in der Migrationsfrage oder gegen Bürgergeldempfänger zu weit geht.

Fazit

Halle hat gezeigt: Die Linke hat sich auf den Weg gemacht – allen internen Widersprüchen und strukturellen Hürden zum Trotz ist ein Pfad beschrieben worden, wie die Partei diese Widersprüche besser miteinander aushalten kann. Insbesondere die Verhandlungen um eine Positionierung zum Nahostkonflikt haben zu solidarischen Kompromissen geführt und den Eklat verhindert, den sicherlich einige der anwesenden Medienvertreter gern gesehen hätten. Ines Schwerdtner und Jan van Aken hatten bereits hier gezeigt, was sie anders machen wollten. So bemühte sich van Aken in den Verhandlungen über die Resolution zum Nahostkonflikt darum, die Kritiker auf beiden Seiten mitzunehmen. Und Ines Schwerdtner, die sich der BGE-Frage annahm, griff geschickt in die Parteitagsdebatte ein. Manch einer warf ihr vor, sie würde sich einseitig positionieren. Doch am Ende war es ihr Votum, das den Status Quo von Bielefeld wieder herstellte und die Diskussion auf Augenhöhe neu öffnete.

Die Chance der Linken besteht vor allem darin, dass der neue Parteivorstand diverser zusammengesetzt ist, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Verschiedene Strömungen haben ihren Platz in dem neuen Gremium eingenommen, darunter ein nicht unerheblicher Teil meinungsstarker, auf eine friedenspolitische Positionierung der Partei drängender Genossen. Diese Zusammensetzung bietet der Partei die Chance, ihre politische Schwerpunktsetzung nicht voluntaristisch, sondern aus den realen Zeitenwende-Widersprüchen zu entwickeln und die unterschiedlichen Perspektiven darauf miteinander zu diskutieren. Im Zentrum darf nicht die Fortsetzung machtpolitischer Flügelauseinandersetzungen stehen, sondern die gemeinsame Herstellung politischer Handlungsfähigkeit. Mit Ines Schwerdtner und Jan van Aken stehen kluge politische Köpfe mit hohen moderativen Fähigkeiten an der Spitze der Partei. Dies zeigten sie bereits in den ersten Stunden ihrer Amtszeit. Wenn sie es schaffen, das politische Führungsgremium als strategisches Zentrum zu etablieren und als solches zu führen, dann hat die Partei trotz aller Widersprüchlichkeit eine reale Chance. Hinzu kommt: Der friedenspolitische Schwung des Parteitages in Halle wird der Partei gut tun und die Diskussionen im neuen Parteivorstand verändern.

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