Deutschland: Palästinenser zwischen Ausgrenzung und Einsamkeit

Palästina Foto: Felix Jaschick

Die Gewalt im Nahen Osten findet kein Ende, die aktuelle kurzzeitige Feuerpause sorgt zwar für die Möglichkeit Luft zu holen, doch droht ihr baldiges Ende. Für Palästinenser in Deutschland bedeutet dies die Rückkehr von Angst und Sorge, sowie weitere Ausgrenzung und Einsamkeit.

Der schreckliche Angriff der Hamas am 07. Oktober, der mehr als 1.200 Menschen das Leben kostete, und bei dem mehr als 250 Israelis entführt wurden, hat vieles verändert. Seitdem herrscht in Israel und Palästina ein weiterer blutiger Krieg.  Jeden Tag sterben hunderte Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza, denn die israelischen Bomben töten vor allem die Zivilbevölkerung. Während palästinensische Kinder und Rentner nebeneinander sterben, hat auch die israelische Bevölkerung Angst –  vor einer Wiederholung der Gewalt wie auch vor den Raketen der Hamas.  In Gaza mangelt es aufgrund der israelischen Blockade inzwischen an allem: Wasser, Lebensmittel, Medizin und  Treibstoff, um die Generatoren zu betreiben, mit denen auch die Krankenhäuser am Laufen gehalten wurden. Inzwischen sind die meisten Generatoren aus und mit ihrem Ende stirbt die Hoffnung vieler Menschen auf ein Überleben noch weiter.

Die Sorge um das Überleben der Menschen in Gaza, im Westjordanland, wo die Siedler immer brutaler agieren, und in Israel ist für mich keine abstrakte Sorge um Menschen, die ich nicht kenne, es ist die Sorge eines Menschen mit palästinensischen Wurzeln und israelischem Pass, somit Familie und Freunden in Israel und Palästina. Es ist die Sorge um Familie und Freunde, eine Sorge, die sich leider immer wieder bestätigt. Für viele Palästinenserinnen und Palästinenser bedeutet ein Blick in die Nachrichten aktuell traurige Gewissheit darüber zu erhalten, wieder ein Mitglied der eigenen Familie verloren zu haben –  in einem Krieg, gegen den man in Deutschland viel zu wenig tun kann. Und mehr noch: in einem Krieg, der von der Regierung unterstützt wird, während meine und unsere Sorgen als Palästinenserinnen und Palästinenser in diesem Land ignoriert und beiseite gewischt werden.

Deutschland ist meine Heimat, das Land, in dem ich geboren bin, in dem ich mein ganzes Leben verbracht habe, in dem ich aufwuchs, zur Schule ging, studierte und arbeite. Während die Politik, vollkommen richtigerweise ihr Mitgefühl und ihre Trauer für die am 7. Oktober getöteten Israelis offenbarte, kommen den meisten Politikerinnen und Politikern keine Worte der Empathie für die leidenden Menschen in Gaza über die Lippen. Deutlich zeigen dies die Reden des Bundeskanzlers, der voller Empathie über die Getöteten in Israel spricht, bei Gaza andererseits aber darauf beharrt das Israel im Sinne des Völkerrechts agiert, eine Betonung, die einhergeht mit wenigen Worten für die getöteten Palästinensern. Eine Empathielosigkeit, die ihren bildlichen Ausdruck in dem Austreten der Kerzen für verstorbene Palästinenser in der zweiten Woche in Berlin Neukölln fand.

Die Konsequenz dieser einseitigen deutschen Anteilnahme ist die Unterstützung der israelischen Bombardierungen und die Ablehnung eines Waffenstillstands, der vielen Menschen das Leben gerettet hätte und es noch immer tun würde. Begründet wird diese Politik mit Verweis auf die Sicherheitsinteressen Israels. Dabei ist es in weiten Teilen der Welt Konsens, dass Israel nur dann sicher ist, wenn es eine langfristige Friedenslösung gibt, die Israelis und Palästinensern ein Leben in Würde, Frieden und Sicherheit gewährleistet.  In Deutschland dagegen wird die Frage nach Sicherheit genauso beantwortet wie von der rechten Netanyahu-Regierung: Sie entsteht durch militärischen Sieg.

Doch die Geschichte des Nahen Ostens, wie auch der Konfliktforschung insgesamt verdeutlicht, dass ein militärischer Sieg keine langfristige Sicherheit bieten wird. Denn jede Bombe, die auf Gaza fällt, schafft einen weiteren Nährboden für gewaltvolle statt friedliche Alternativen. Die israelische Friedensbewegung hat das schon lange erkannt und fordert die Welt auf, sich für einen Waffenstillstand und eine gerechte Lösung für beide Völker einzusetzen. Teilen der Regierung Netanyahus schwebt hingegen eine Lösung vor, die in der Besetzung Gazas und der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung endet. Verdeutlicht wird dies durch die wiederholten Vorstöße von Politikern aller Parteien der israelischen Regierung, die fordern die Palästinenser sollten von anderen arabischen Ländern aufgenommen werden und dort langfristig bleiben, wie es erst vor kurzem die Minister Smotrich und Gamliel vorschlugen.

Statt das in Deutschland zu reflektieren, wird die Position der israelischen rechten Regierung unkritisch übernommen. Das geht einher mit einer bewussten Abkehr der deutschen Politik von palästinensischstämmigen Menschen in Deutschland.  Es werden etliche Forderungen an uns gestellt oder wir werden direkt zu Sympathisanten der Hamas erklärt. Besuche bei palästinensischen Organisationen, Vereinen oder Familien in Deutschland durch führende Politikerinnen und Politiker bleiben dagegen aus, denn diese würden ihre harten Worte mit unserer traurigen Realität konfrontieren. Dabei gelingen diese Besuche in fast allen Ländern dieser Welt – selbst in den USA, wo sich Mitglieder der Biden-Regierung nicht nur mit israelischen Organisationen, sondern auch mit palästinensischen getroffen haben.

Einseitige Politik und offener Hass

Die Einseitigkeit in der Politik geht einher mit tausenden Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken. Menschen ohne jeden Bezug zum Nahen Osten wünschen sich  die Zerstörung Gazas, die Vertreibung aller Palästinenser oder gar ihre Ermordung. Jeder dieser Kommentare gleicht einem kleinen Stich ins Herz, denn sie nähren die Angst, dass man nicht nur möglicherweise im Nahen Osten keine Heimat mehr hat, sondern auch in Deutschland zum Fremden wird. Gepaart sind Äußerungen in den Sozialen Medien und in der Politik nicht nur mit mangelnder Empathie und Befürwortung von Gewalt, sondern erschreckend oft auch mit antimuslimischen und antipalästinensischem Rassismus.

Es sind dabei nicht nur die Debatten in sozialen Medien, die Trauer aufkommen lassen, es sind auch die Talkshows, Nachrichtensendungen und Zeitungsartikel in deutschen Medien, in denen Empathie für Palästinenserinnen und Palästinenser meist ebenso fehlt wie unsere Repräsentation. Der fehlende Raum für palästinensische Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit ist dabei, wie auch die fehlende Empathie, ein weltweit nahezu einmaliges Phänomen. Selbst in britischen und US-amerikanischen Medien gibt es kritische Debatten, zu denen nicht nur Mitglieder der israelischen Friedensbewegung eingeladen werden, sondern auch palästinensische Aktivistinnen und Aktivisten.

Die Folge dieser Einseitigkeit in Politik, Medien und Sozialen Netzwerken ist ein Gefühl der Einsamkeit, das fast alle Palästinenserinnen und Palästinenser in Deutschland aktuell verspüren. Das resultiert nicht nur einem Vertrauensverlust in die Politik und Parteien, sondern auch einem Vertrauensverlust in deutsche Medien. Aktuell gibt es kaum Palästinenserinnen und Palästinenser, die deutsche Medien konsumieren. Stattdessen schauen sie Al Jazeera oder Al Arabiya,lesenlinksliberale israelische Zeitungen wie Haaretz oder informieren sich durch Videos und Bilder von Menschen, die live aus Gaza berichten – weil dort unsere Stimmen und unsere Perspektive zumindest gehört werden.

Der Empathielosigkeit von offizieller Seite und in sozialen Medien steht oftmals eine gegenteilige Erfahrung im Alltag gegenüber. Immer mehr Menschen artikulieren ihr Mitgefühl für Palästinenserinnen und Palästinensern und gehen auf die Straße gegen Krieg und Gewalt, für Waffenstillstand, für die Freilassung der Geiseln und der gefangenen palästinensischen Kinder genauso wie für ein Ende der Blockade Gazas. Deutlich wird dieses Mitgefühl nicht nur bei Menschen mit arabischen Wurzeln oder islamischer Religionszugehörigkeit, sondern auch bei Menschen ohne jegliche Migrationsgeschichte, die das Leid  in Gaza nicht mehr schweigend mitansehen wollen.

Jüdisch-palästinensische Solidaritäten

Die besten Verbündeten und die größte Solidarität aber bekommen wir von jenen, die von diesem Krieg ebenso betroffen sind wie wir: progressive Israelis,  Jüdinnen und Juden. Menschen, die ebenfalls Familie in der Region haben, die geschockt sind von der Gewalt des 7. Oktober und von den hohen Todeszahlen unter der palästinensischen Zivilbevölkerung. Denn während die Regierungen in der Region kaum Interesse an Frieden haben, so wissen viele von uns doch, dass Perspektiven für alle Menschen im Nahen Osten geschaffen werden müssen. Es braucht eine politische Lösung, die Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit für alle Menschen schafft.

Es sind insbesondere die Worte von jüdischen und israelischen Bekannten, Freundinnen und Freunden, die mich besonders berühren.  In einer Situation der Angst schafft es gegenseitiges Mitgefühl und Empathie zumindest ein wenig unsere Trauer zu lindern. Eine jüdische Freundin mit Familie in Israel schrieb mir vor wenigen Tagen: »Ich hab heute Nacht geträumt, du und ich würden zusammen vor einer Menschenmenge stehen gegen Krieg und für Frieden. Das war ein schöner Gedanke!« Dieser Traum ist einer, der es verdient, zum Leben erweckt zu werden. Ich würde mir wünschen, ihn wahrzumachen –  und dass deutsche Politikerinnen und Politiker genauso wie Medienschaffende dabei an unserer Seite stehen.

Der Artikel erschien zuerst im JacobinMag

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