Das Überleben von Israelis und Palästinensern hängt zusammen: Waffenstillstand jetzt!

Gaza - Bild Motaz Azaiza

Deutsche Politiker erklären, es sei zu früh für einen Waffenstillstand im Nahen Osten, und deutsche Journalisten schreiben Artikel mit Titeln wie „Für ein Ende des Krieges ist es viel zu früh“. Vom Sofa in Deutschland aus lässt sich so etwas leicht sagen, für jemanden wie mich, der Familie in Israel und Palästina hat, sind diese Worte ein Schlag in die Magengrube, der die tagtägliche Angst um unsere Liebsten nur weiter verstärkt.

Gewalt bestimmt seit Jahrzehnten das Schicksal der Menschen im Nahen Osten, der Anschlag vom 7. Oktober, der 1200 Israelis das Leben kostete, und der auf ihn folgende nun stattfindende Krieg stellen den traurigen Höhepunkt der Gewalt dar. Zwei Monate, in denen bisher mehr als 15.000 Palästinenser und mehr als 1400 Israelis das Leben verloren, auf beiden Seiten die große Mehrheit der Betroffenen: Zivilisten. Auf palästinensischer Seite sind fast die Hälfte der Getöteten Kinder, junge Menschen, die nichts mit der Gewalt am 7.10. zu tun hatten, nichts mit der Hamas, sondern einfach nur das Pech hatten, in einem Land geboren zu werden, in dem es keine Möglichkeiten zur Flucht gibt und keine Orte der Sicherheit.

Man darf Israel nicht mit der Rechtsaußen-Regierung gleichsetzen

Die Angst, noch mehr Menschen in diesem Krieg zu verlieren, teilen Israelis und Palästinenser, wie auch die Sorge, dass dieser Zustand der Gewalt sich immer weiter verlängert. Wer also meint, es könne noch keinen Waffenstillstand geben, der mag suggerieren, dass er damit im Interesse Israels spricht – und wenn man Israel mit seiner Rechtsaußen-Regierung gleichsetzt, könnte er damit sogar recht haben. Doch für die vielen Israelis, die sich Frieden, Freiheit und Sicherheit wünschen, spricht er nicht. Dies verdeutlicht unter anderem Noy Katsman, dessen Bruder, der israelische Friedensaktivist Haim, am 7. Oktober von der Hamas umgebracht wurde: „Das Wichtigste für mich und auch für meinen Bruder wäre, dass sein Tod nicht als Rechtfertigung für die Tötung unschuldiger Palästinenser genutzt wird. Das Töten von Palästinensern wird keine Sicherheit bringen.“

Deutlich werden auch die 35 jüdisch-israelischen und palästinensischen Organisationen, die einen sofortigen Waffenstillstand fordern und schreiben: „Die Besatzung, die Belagerung, die Kriege, der Terrorismus, die Unterdrückung, der Rassismus und die Gewalt, die Verletzung der Demokratie und der Menschenrechte – all dies hat die beiden Völker, die zwischen dem Meer und dem Jordan leben, in eine unvorstellbare Katastrophe geführt, die kein Maß kennt. Gerade in diesen schrecklichen Tagen wird die einfache Wahrheit deutlicher denn je: Freiheit, Sicherheit und Leben aller Menschen in diesem Land hängen voneinander ab.“

Wer gegen Waffenstillstand ist, ist nicht für Israel

Diese einfache Wahrheit, dass die Sicherheit von Israelis und Palästinensern von der der jeweils anderen abhängt, scheinen deutsche Politiker und Journalisten zu vergessen, wenn sie den Worten Netanyahus, eines erklärten Gegners einer friedlichen Zwei-Staaten-Lösung, glauben, dass es Sicherheit nur geben kann durch einen militärischen Sieg. Sie ignorieren dabei auch, dass jede Bombe, die auf Gaza geworfen wird und Menschen tötet, bei den Palästinensern nicht dazu führen wird, dass jene Kräfte stärker werden, die sich Frieden und Aussöhnung wünschen, sondern dass diese Kräfte in die Defensive geraten. Der Krieg stärkt auf beiden Seiten die Kräfte, die sich keinen Frieden wünschen und kein Ende der Gewalt.

Während die Ablehnung eines Waffenstillstands vermeintlich eine Parteinahme für die Menschen in Israel suggerieren soll, wird in all diesen Äußerungen deutlich, dass nicht jedes menschliche Leben gleich viel wert ist. Denn der Schutz von palästinensischen Leben, ein Ende der Bombardierungen Gazas und der Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza spielen in ihnen kaum eine Rolle. Palästinensische Tote sind ebenso wenig wie israelische Tote Nummern oder Zahlen, es sind menschliche Leben, die in einem Krieg beendet wurden, für den die meisten der Getöteten absolut nichts können.

Es ist Gewalt, die nicht an den Grenzen Gazas endet, sondern die tagtäglich auch im palästinensischen Westjordanland stattfindet. Dort sind schon vor dem 7. Oktober mehr als 250 Palästinenser durch israelische Soldaten oder Siedler getötet worden und in den zwei Monaten danach noch einmal so viele. Unter den Getöteten in Gaza wie auch im Westjordanland sind viele, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten, wie der neunjährige Adam al Ghoul, der am 29. November von einem israelischen Scharfschützen in Jenin erschossen wurde, oder die Schülerin Habiba Jarada, die zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester durch eine israelische Bombe getötet wurde. Sie und die mehr als 5000 getöteten palästinensischen Kinder und Jugendlichen spielen bei all jenen, die sich gegen einen Waffenstillstand stellen, keine Rolle.

Diese ungleiche Gewichtung menschlichen Lebens verstärkt einmal mehr den Eindruck, dass es in Teilen der deutschen Politik nicht um eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik geht, die jedes menschliche Leben gleichermaßen schützen will. Wer aber eine feministische und humanistische Außenpolitik zum Regierungsprogramm erhebt, der muss palästinensische und israelische Zivilisten gleichermaßen schützen wollen, der muss nicht nur die Raketen aus Gaza auf Israel ablehnen, sondern auch die israelischen Bomben auf Gaza, die Siedlergewalt und den Siedlungsbau im Westjordanland und die Blockade des Gazastreifens. Und selbst wem die Sicherheit von Menschen in Israel wichtiger ist als die Sicherheit der Menschen in Palästina, der muss sich ebenfalls für ein sofortiges Ende der Gewalt einsetzen, einen Waffenstillstand, denn die Geschichte des Nahen Ostens hat uns mehr als einmal gelehrt, dass Sicherheit nur möglich wird, wenn es Hoffnung auf Frieden und Sicherheit für alle Menschen in der Region gibt. Sicherheit und Freiheit nur für eine Gruppe wird langfristig dagegen nicht möglich sein, denn die Leben von Israelis und Palästinensern hängen zusammen.

Der Artikel erschien zuerst in der Berliner Zeitung

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Eine Antwort

  1. Anlässlich des israelischen Gazakrieges hat der diesjährige jüdische Gemeindetag, der letzte Woche unter der Regie des Zentralrats der Juden in Deutschlands in Berlin tagte, nichts besseres zu tun, als den ehemaligen Sprecher der israelischen Armee, den (nach eigener Beschreibung!) Ex-Kleinkriminellen Arye Sharuz Shalicar einzuladen, der tatsächlich in der Uniform eines israelischen Majors zu den Delegierten über die Notwendigkeit der Bombardierungen Gazas sprechen konnte. Und die anwesende Bundesaußenministerin Baerbock hat es sich nicht nehmen lassen, ihm nach seiner Rede herzlichst zu danken und ihn fast zu umarmen. Man stelle sich vor, ein Landesverband der AfD (der ich politisch nicht nahe stehe!) hätte einen hohen Offizier der russischen Armee nach Deutschland eingeladen, der dann in Uniform vor einem deutschen Publikum für den Krieg gegen die Ukraine geworben hätte: was wäre passiert? Ich wette, innerhalb weniger Minuten wäre die Polizei erschienen und hätte nicht nur die Veranstaltung aufgelöst, sondern auch den Redner sofort in Untersuchungshaft genommen. Das ist die Realität in unserem Land: doppelte Massstäbe allüberall und Heuchelei in jeglicher Hinsicht. Aber sich dann darüber empören, dass immer mehr Bürger sich über diese Art von einseitiger Politik empören.

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