Almeria gilt als das Gewächshaus Europas und ist direkt mit der deutschen Wirtschaft verbunden. Trotz der großen Bedeutung für die europäische Lebensmittelproduktion, werden die Arbeitskämpfe vor Ort ignoriert. Die Interbrigadas waren vor Ort und haben eine Broschüre über die Situation veröffentlicht, wir haben mit Matthias Grüber von den Interbrigadas über die Situation vor Ort gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Ihr habt vor kurzem eine Broschüre über Lieferketten zwischen Almeria und Deutschland veröffentlicht. Wie sieht diese Lieferkette aus und warum der Fokus auf Almeria ?
Matthias Grüber (Interbrigadas e.V.): In den Gewächshausern von Almería, aus dem ein großer Teil von unserem Gemüse kommt, trifft man jeden Tag auf offensichtliche und unwürdige Formen der Ausbeutung, aber auch auf inspirierende politische Kämpfe der migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter. Unsere Broschüre „Vom Anfang und Ende der Lieferkette“ spiegelt unsere Erfahrungen der letzten fünf Jahre im Kampf gegen Agrobusiness und Supermarktmacht wider.
Die Lieferkette ist eigentlich relativ simpel, da es sich nicht um eine komplexe wirtschaftliche Produktionskette handelt. Das Gemüse wird vor Ort angebaut, unter Umständen noch einmal weiterverarbeitet, verpackt, nach ganz Europa versendet und von Supermärkten verkauft. Und da kommen wir schon zur Erklärung, weshalb wir uns auf Almería fokussieren. Hier findet sich in einem einmaligen Mikroklima die größte Konzentration an Gewächshäusern der Welt und wir in Deutschland sind die größten Abnehmer dieser Waren. Das ist einerseits eine reale Verbindung und andererseits ein Ansatzpunkt für politisches Handeln. Es gilt nicht nur Verbraucherinnen und Verbrauer aufzuklären, Supermarktketten unter Druck zu setzen, sondern auch umgekehrt die Kämpfe der überwiegend migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter zu unterstützen. Die Produkte dieser Ausbeutung landen täglich auf unserem Teller, während die CEOs und Anteilseigner der Supermarktketten die Profite einstreichen.
Die Freiheitsliebe: Almeria gilt als Gewächshaus Spaniens, profitieren die Menschen vor Ort nicht von der Produktivität?
Matthias Grüber (Interbrigadas e.V.): Almerías Agrarwirtschaft gilt in Andalusien für viele als beispielhaftes Modell, in einer ansonsten von Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Region. Klar bringt das Arbeit für viele Menschen. Oft wird dabei jedoch nur auf die Umsätze und die Produktionszahlen geschaut. Die Menschen, die die tägliche Arbeit verrichten und den Mehrwert der Waren erzeugen, werden dabei nicht gesehen. Der Großteil der Arbeiterinnen und Arbeiter sind Migrantinnen und Migranten aus Afrika, der größte Teil aus Marokko. Der Profit des Geschäftes wandert nicht in ihre Taschen. Sie müssen oft unterhalb des Mindestlohnes schuften, ohne Schutzkleidung, als Tagelöhnerinnen und Tagelöhner ohne Rechte und ohne würdige Unterkünfte. Es gibt Slums rund um die Gewächshäuser aus Plastikplanen ohne Wasser und Strom, tausende müssen dort leben. Sie leiden unter Rassismus und Ausgrenzung. Die rechtsextreme Partei VOX hat in der Region die höchsten Zustimmungsraten in ganz Spanien. Ein Teil der VOX-Wählerinnen und Wähler betrachtet die wachsende Zahl entrechteter, Arbeiterinnen und Arbeiter afrikanischer Herkunft als eine Bedrohung, obwohl manche von ihnen direkt oder indirekt von ebenjener Entrechtung profitieren.
Heute sind die Migrantinnen und Migranten viel leichter auszubeuten und auch ein gefundenes Fressen für die Unternehmerinnen und Unternehmer, die teilweise in den Herkunftsländern Menschen aussuchen, um sie temporär anzustellen. Migrantinnen und Migranten ohne Papiere versuchen darüber hinaus die europaweit einmalige Chance zu nutzen eine Aufenthaltsgenehmingung zu erhaschen. Wenn sie nachweisen, dass sie über zwei Jahre lang vor Ort gearbeitet haben, haben sie darauf einen Anspruch. Doch im Umkehrschluss heißt das, dass sie zwei Jahre lang der Willkür ihrer Chefs ausgesetzt sind und sich etwa gegen Löhne weit unter dem Mindestlohn kaum zur Wehr setzen können. Kritisiert man das Modell Almería, weisen die Verantwortlichen oft die Schuld von sich und zeigen auf die Supermärkte, die die Preise diktieren und sie erpressen würden. Hier wird deutlich, dass die wirtschaftliche Konkurrenzsituation diese Zustände befördert.
Die Freiheitsliebe: In eurer Broschüre wie auch in vielen Medienberichten wird über das Plastikmeer in Almeria berichtet, was hat es damit auf sich?
Matthias Grüber (Interbrigadas e.V.): Wenn du nach El Ejido über die Autobahn an der Küste in die Stadt fährst, kannst du das Plastikmeer sehen. Es ist nicht etwa das Plastik, das im Meer herumschwimmt, sondern es ist ein Meer aus Plastikplanen, das die Gewächshäuser überspannt. Es ist gleißend hell, blendet dich und erstreckt sich so weit, dass es aus dem Weltraum zu erkennen ist. Es wächst die Hänge hinauf zur Bergkette, es frisst sich in die letzten freien Ebenen der Region und noch weiter. Dabei vergisst man auf den ersten Blick, das unter diesen Planen Menschen arbeiten, bei 50 Grad Celsius und mehr, Pestizide versprühen und unsere Tomaten pflücken. Der Begriff und auch die Zustände sind durch die Medienberichte eigentlich heute weitgehend bekannt. Die Medien, selbst gefangen im Kampf um Aufmerksamkeit, schlachten das Thema seit mehr als 15 Jahren aus. Immer mal wieder wird ein neuer Skandal öffentlich, eine Doku gedreht, oder ein Artikel veröffentlicht, aber verbessert hat sich dadurch selten etwas. Nur bei gezielten Kampagnen und zur Unterstützung von Arbeitskämpfen machen die Medien für unsere Arbeit Sinn.
Die Freiheitsliebe: Eine große Rolle in eurer Broschüre spielen auch gewerkschaftliche Kämpfe und Aktionen, welche Gewerkschaften sind vor Ort aktiv und was sind ihre Ziele?
Matthias Grüber (Interbrigadas e.V.): Es gibt im Prinzip nur eine Gewerkschaft vor Ort, die die migrantischen Arbeitskräfte unterstützt, organisiert und sich gegen die Argarlobby stemmt, das ist unser Kooperationspartner, die SOC-SAT Almería, die zur Andalusischen Arbeiterinnengewerkschaft SAT gehört. Die klassischen Gewerkschaften, wie z.B. die C.C.O.O. (Comisiones Obreras), sind auf dem Papier auch gegen diese Zustände, organisieren aber meist die Spanierinnen und Spanier im Sektor, da sie nicht in den härtesten Jobs eingesetzt werden und auch eher Gewerkschaftsbeiträge zahlen können, als die Prekärsten der Prekären. Die Ziele der Gewerkschaft sind ein Thema für sich, das bedarf einer längeren Ausführung, aber an und für sich ist die Gewerkschaft verwurzelt in der Landarbeiterinnenbewegung Andalusiens, die schon lange gefordert hat: „Das Land denen, die es bearbeiten!“. Darüber hinaus ist sie auch Mitglied der transnationalen Organisation Via Campesina, die weltweit Landlose und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vernetzt und organisiert.
Die Freiheitsliebe: Die SAT gilt als eine der radikalsten Gewerkschaften Europas, wie wirkt sich dies aus?
Matthias Grüber (Interbrigadas e.V.): Radikal sind sie, aber das heißt nichts weiter, als dass sie an die Wurzel der Probleme gehen. Und das finden wir auch vernünftig. Denn nicht nur die Profite sind ungleich verteilt, wie ich schon erwähnt habe, sondern auch der Zugang zum Land und die Aussichten auf ein würdiges Leben. Die Eigentumsfrage, die zu diesen Zuständen führt, spielt demzufolge eine große Rolle. Dieses Selbstverständnis der Landarbeiterinnen und Landarbeiter ist immer zu spüren, sei es bei den berühmten Besetzungen von leerstehenden Ländereien oder auf den vielfältigen solidarischen Kooperativen, die die Gewerkschaft seit Jahrzehnten betreibt. Sie berufen sich auf ihr Grundrecht, das Land kollektiv zu bewirtschaften und wollen es den Großgrundbesitzern streitig machen, die es einst an sich rissen, einzäunten und dann oft unbewirtschaftet ließen. Auch andere Wirtschaftsbereiche in der Dienstleistung und Industrie werden zum Aktionsfeld der Gewerkschaft.
Die SAT ist dabei nicht auf eine Sozialpartnerschaft aus, sondern ist klassenkämpferisch, sie lässt sich nicht einlullen und setzt auf direkte Aktionen, die in der Bevölkerung viel Rückhalt finden und immer wieder für Aufsehen sorgen. So haben sie in Vergangenheit z.B. große Supermärkte überfallen und Schulmaterial für die armen Kinder der Region umverteilt. Dafür bezahlt die SAT einen großen Preis. Sie ist oftmals Ziel staatlicher Repression: Die aufsummierten Bußgeldstrafen gehen in den siebenstelligen Bereich und immer wieder werden Aktivistinnen und Aktivisten zu Haftstrafen verurteilt. Die SAT ist deshalb nicht nur eine der radikalsten Gewerkschaften Europas, sondern auch die am meisten verschuldete Gewerkschaft und auf Solidarität angewiesen.
Die Freiheitsliebe: Ihr schreibt das Bio und Fairtrade keine Veränderungen bringen, welche Möglichkeiten haben die Menschen in Deutschland um die Situation und die Kämpfe in Almeria zu unterstützen
Matthias Grüber (Interbrigadas e.V.):Wir haben nun schon ein paar Jahre Erfahrung mit den Labels der Supermärkte und auch den feinsten Bio-Labels. Selbst Naturland und Demeter sind von Skandalen nicht verschont geblieben, wie unsere Aktuelle Kampagne gegen das Unternehmen Haciendas Bio zeigt. Dazu haben wir auch ein kurzes Video veröffentlicht, in dem Arbeiterinnen und Arbeiter über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen sprechen. Die Labels unterliegen einem hohen Vermarktungsdruck und sind deshalb nicht authentisch. Sie werden von Zertifizierungsunternehmen ausgestellt, nicht etwa von selbstlosen Weltverbesserinnen und Weltverbessern, oder soetwas. Diese Zertifizierungsunternehmen sind z.B. in Almería von Agrarunternehmen mitgegründet worden und beziehen von der gleichen Bank ihre Kredite. Sie stecken unter einer Decke, deshalb können wir diesen Mechanismen nicht trauen. Sie sollen uns zum sorgenlosen Konsum verleiten, aber wir sind darüber hinaus der Meinung, dass eine Konsumentscheidung allein nicht die Probleme lösen kann.
Man muss schon ein wenig weiter denken, und einsehen, dass diese Produktionsbedingungen nicht einfach durch „böse“ Chefs, oder habgierige Menschen erzeugt werden, die man besser kontrollieren muss. Solche Zustände können überall entstehen, wo Arbeiterinnen und Arbeiter und ihre Unternehmen miteinander in Konkurrenz gesetzt und gegeneinander ausgespielt werden. Sie handeln im wirtschaftlichen Sinne „rational“, aber das heißt eben auch, dass dabei Arbeiterinnenrechte und auch die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten unter die Räder kommen. Gesellschaftlich rational zu handeln, das ist, was wir von Menschen fordern.
Wir können hier keine einfachen Lösungen geben, aber erste Schritte in diese Richtung sind: Die Supermärkte über ein Lieferkettengesetz stärker unter Druck zu setzen, um sie tatsächlich für diese Arbeitsbedingungen haftbar machen zu können. Freiwillige Selbstverpflichtungen ändern nichts, sie müssen es in ihrem Geldbeutel spüren. Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) muss geändert werden, damit Agrarsubventionen für die Landwirtschaft an soziale Standards und die Einhaltung von Arbeiterinnenrechten gebunden werden. Die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern müssen geschützt, die zunehmende Monopolisierung gestoppt werden. Die Überproduktion und der Massenexport, welche die Lebensgrundlage der Bäuerinnen und Bauern im globalen Süden zerstören, müssen verringert werden. Das bedeutet auch eine Abkehr von der neoliberalen Handelspolitik, sowohl innerhalb der EU als auch weltweit. Das sind nur ein paar allgemeine Forderungen, die von Betroffenen, Bäuerinnen, Bauern und besorgten Konsumentinnen und Konsumenten gestellt werden.
Darüber hinaus können wir alle versuchen, die Menschen in ihrem Kampf gegen die Ausbeutung praktisch zu unterstützen, etwa indem wir die Supermärkte, bei denen wir einkaufen, auf die Missstände in der Produktion hinweisen und verantwortliches Handeln einfordern. Um die Arbeiterinnen und Arbeiter direkt zu unterstützen, kann man außerdem solidarische Produkte der Gewerkschaft kaufen, um die Streikkassen zu füllen, wie z.B. das berühmte Olivenöl der SAT-Kooperativen.
Wir können so viel mehr tun, anstatt einfach weiter den trügerischen Labels auf den Waren aus Almería und anderswo zu vertrauen. Wer sich dazu weiter auf dem laufenden halten möchte, kann sich gerne in unseren Newsletter eintragen. Ob unsere nächste Brigade nach Almería im September wie geplant starten kann, ist aufgrund von Corona gerade ungewiss. Aber wir sind im regelmäßigen Kontakt mit der Gewerkschaft vor Ort und werden den Kampf gegen Ausbeutung nicht aufgeben.
Die Freiheitsliebe: Danke für das Gespräch
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