In ganz Europa erfahren rechte, rassistische Kräfte seit einigen Jahren Aufwind und gewinnen Wählerstimmen für sich. Warum es starke gesellschaftliche Bündnisse gegen diesen Trend braucht, wo dabei die Schwierigkeiten liegen, und warum Antirassismus in der Linken eben kein akademisches „Luxushobby“ ist, erklärt Adam Cochrane von Stand up to Racism UK.
Die Freiheitsliebe: Zu allererst: wie bist du zu Stand up to Racism (SutR) gekommen, was ist der Hintergrund?
Adam Cochrane: Ich bin schon seit vielen Jahren Antirassismus-Aktivist. Bevor ich angefangen habe, mich bei Stand up to Racism zu engagieren, war ich aktiv für Unite Against Fascism sowie Stand up to UKIP. Bei Stand up to Racism bin ich seit 2014. Ich habe damals einen Bus aus meiner Stadt zur ersten Demonstration des Bündnisses am UN-Tag gegen Rassismus organisiert.
Die Freiheitsliebe: Was war bisher deine beeindruckendste Erfahrung mit SutR? Es kann ein kleiner Moment sein, oder auch eine Großveranstaltung… ganz egal.
Adam Cochrane: Das war wohl der erste Konvoi zum „Jungle“-Flüchtlingscamp in Calais, den wir organisiert haben, im Oktober 2015. Das war eines dieser Ereignisse, bei dem man daran erinnert wird, dass ganz normale Menschen instinktiv großherzig und warm gegenüber anderen Rassen sind – Rassismus ist ein Gift, das von der Spitze der Gesellschaft kommt. Der erste Konvoi fand statt kurz nachdem das berüchtigte Foto von Alan Kurdî öffentlich wurde. Das hat unserem Hilfskonvoi einen großen Schub gegeben. Wir haben so viele Spenden bekommen, dass wir einen Lagerraum auftreiben mussten, und hatten unsere liebe Not, einen Transporter zu finden, der groß genug war. Letzten Endes haben wir einen großen Transporter und einen Minibus für den Konvoi genommen. Aus unserer Stadt sind insgesamt 20 Leute mitgekommen. Bilder davon gibt es auf der SutR-Seite von Harlow. Am ganzen Konvoi waren über 500 Leute aus dem ganzen Land beteiligt. Sie haben Essen, Kleidung und Geld mitgebracht, es war großartig. Die Polizei hat versucht, uns am Channel Tunnel aufzuhalten. Dabei entstand eine etwas surreale Situation, der Dienstbereich der Passage sah aus wie eine landesweite Antirassismuskonferenz.
Die Freiheitsliebe: Welche Hindernisse sind dir bisher bei der Organisierung für SutR begegnet, was war für dich das Kniffligste?
Adam Cochrane: Stand up to Racism ist absolut eine Dachbewegung, das heißt dass man sich über sehr viele Sachen streitet. Zum Beispiel gehen wir Islamhass und Antisemitismus offensiv an, wir setzen uns dagegen ein, dass Migrant*innen zu Sündenböcken gemacht werden, und wir sind solidarisch mit Geflüchteten. Das bedeutet, dass wir mit einer großen Bandbreite an Menschen und Organisationen arbeiten, die oftmals unterschiedliche politische Linien verfolgen. Es ist tatsächlich eine Einheitsfront. Sprich – es gibt politische Spannungen und wir müssen innerhalb dieser Einheitsfront um unsere Position kämpfen. Es gibt zum Beispiel eher liberale Teile der Bewegung, die Politik lieber aus der Geflüchtetensolidarität heraus halten würden. Wir mussten gegen diese Position sehr hart argumentieren. Wir mussten dafür kämpfen, dass wir nicht zu einer reinen Hilfsorganisation mutieren. Unsere Konvois waren ausdrücklich dazu gedacht, die Grenzen infrage zu stellen, die die Geflüchteten überhaupt erst in eine solche Lage gebracht haben. Wir wollten anders sein als Diejenigen, die ein paar Decken bringen, ein paar Fotos machen, dafür mit sich selbst zufrieden sind und dann die Geflüchteten in Calais zurücklassen. Wir wollen nicht dass die Geflüchteten in Calais bleiben, wir wollen dass sie nach Großbritannien dürfen.
Eine weitere Sache ist, dass wir die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kämpfe verallgemeinern und betonen müssen. Manchmal hat man zum Beispiel osteuropäische Migrant*innen, die uns mit Freude unterstützen, wenn wir sie verteidigen (so wie bei der Mahnwache für Zusammenhalt oder der „Love Harlow, hate racism“-Demonstration), aber dann Trumps Einreiseverbot für Muslime in Schutz nehmen wollen. Wir müssen ganz klar machen, dass wir gegen jede Art von Rassismus oder Sündenbock-Denkweisen sind, und erklären, dass all das von Denjenigen kommt, die an der Spitze der Gesellschaft stehen, und von den Problemen ablenken wollen, die sie verursacht haben.
Die Freiheitsliebe: Was sind deiner Erfahrung nach die wichtigsten Lektionen, die du Menschen mitgeben würdest, die ein ähnliches Bündnis außerhalb Großbritanniens aufbauen wollen?
Adam Cochrane: Das überschneidet sich jetzt ein bisschen mit der letzten Antwort, aber… vermeidet Sektierertum und ultralinkes Denken. Setzt die Messlatte für Leute, die mit euch arbeiten wollen nicht zu hoch an. Sie müssen nicht exakt mit euch einer Meinung sein, zum Beispiel was die Ablehnung von Grenzen oder die revolutionären Überwindung des Kapitalismus angeht. Das Entscheidende ist doch, dass sie gegen Rassismus sind, und etwas dagegen tun wollen. Das heißt nicht, dass es keine freundschaftlichen Diskussionen über Politik und Taktik innerhalb der Bewegung geben soll. Aber wenn man nicht willens ist, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht 100 Prozent der eigenen Meinung sind, dann wird das nichts mit einer Einheitsfront.
Die Freiheitsliebe: In der Linken hört man immer wieder die Argumentation, dass es Angehörige der Arbeiterklasse, die sich vernachlässigt und von der Gesellschaft abgehängt fühlen, abschrecken würde, wenn man Antirassismus zur Priorität macht. Warst du mit dieser Denkweise schon konfrontiert – und was sagst du dazu?
Adam Cochrane: Diese Argumentation gibt es schon lange. Sie ist im Grunde nationalökonomisch. Wenn du mich fragst, ist es ein falscher Gegensatz. Der Kampf gegen Rassismus und der Kampf gegen Sozialabbau schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Regierung nutzt vielmehr Rassismus dazu, Ablenkungsmanöver für ihre Kürzungsmaßnahmen zu inszenieren. Wenn wir Menschen nicht davon überzeugen können, dass es der Sozialabbau ist, der ihr Leben zerstört, und nicht Einwanderung, wie sollen wir sie dazu bewegen, gegen Sozialabbau zu kämpfen? Ein Musterbeispiel dafür kommt aus England. Der staatliche Gesundheitsdienst, NHS, war vor Kurzem in so großen Schwierigkeiten, dass das britische Rote Kreuz intervenieren musste. Und wie hat die Regierung reagiert? Es gab Nachrichtenstories über Gesundheitstourismus und die Notwendigkeit von Passkontrollen in Krankenhäusern. Rassismus ist heute Bestandteil jedes Themas, um das wir kämpfen. Antirassismus zur Priorität zu machen heißt nicht, dass andere Kampagnen fallen gelassen werden – es heißt, dass man in jeder Kampagne, in der man sich engagiert, antirassistische Argumente stark machen muss. Rassismus ist der Kampf unserer Generation.
Das Interview wurde geführt und aus dem Englischen übersetzt von Marion Wegscheider.
Am kommenden Wochenende (10. und 11. März 2017) findet in Bochum die Konferenz „Gemeinsam gegen die AfD“ des deutschen Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus statt. Neben einem Auftaktpodium zu Inhalten und Botschaften der rechten Bewegungen mit verschiedenen Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen werden dort verschiedene Workshops dazu angeboten, wie eine Gegenbewegung konkret vorgehen und gesellschaftliches Bewusstsein erzeugen kann.
Eine Antwort
Mir gefällt Adam Cochranes Position sehr. Ein guter Anstoß über vieles nachzudenken, finde ich…. Jeder Nationalismus, Nationalstolz hat seinen rassistischen Kern.