Antisemitismusresolution gefährdet die Wissenschaftsfreiheit – Im Gespräch mit Ilyas Saliba

Ilyas Saliba

Vor zwei Wochen beschloss der Bundestag eine Resolution gegen Antisemitismus, die nicht nur in Deutschland massiv kritisiert wurde, sondern auch von israelischen Menschenrechtsorganisationen. Statt die Kritik ernst zu nehmen, will die Ampel gemeinsam mit der Union einen Antrag zu Antisemitismus in Bildung und Wissenschaft verabschieden, der ebenfalls droht, die Meinungs- und Forschungsfreiheit zu beschneiden. Wir haben darüber mit Dr. Ilyas Saliba gesprochen.

Etos Media: In der vergangenen Woche hat der Bundestag eine neue Resolution gegen Antisemitismus beschlossen. Israelische Menschenrechtsorganisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußerten deutliche Kritik an der Resolution. Warum sorgt eine Resolution gegen Antisemitismus für solche Empörung? Im Fokus der Kritik steht auch die IHRA-Definition von Antisemitismus. Was ist das Problem der Resolution, und welche Alternativen gäbe es?

Dr. Ilyas Saliba: An der Resolution gibt es eine Reihe von Kritikpunkten. Erstens kritisieren israelische Menschenrechtsorganisationen, dass sie aufgrund ihrer Kritik an der Regierungspolitik in Israel sowie der illegalen Besatzung palästinensischer Gebiete durch die Resolution als antisemitisch gebrandmarkt werden könnten und somit den Zugang zu deutschem Funding, zum Beispiel vom Außen- oder Entwicklungsministerium, verlieren könnten.

Zweitens ist zu befürchten, dass die Resolution zu weiteren Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Assoziationsfreiheit in Deutschland führt. Denn die IHRA-Definition von Antisemitismus, die laut der Resolution als maßgeblich herangezogen werden soll, kann so ausgelegt werden, dass auch Kritik an der israelischen Regierungspolitik als Antisemitismus gelten kann. Auf diese Weise ebnet die Resolution staatlichen Eingriffen in eben diese Rechte und öffnet dem politischen Missbrauch Tür und Tor. Sogar Kenneth Stern, einer der Mitverfasser der IHRA-Definition, sagte öffentlich, dass diese als politisches Regulierungsinstrument ungeeignet sei. Die IHRA-Referenz in der Resolution hätte mindestens um die Jerusalem-Deklaration zu Antisemitismus ergänzt werden müssen. Anstatt der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft eine Antisemitismus-Definition vorzuschreiben, sollte die Politik bei der Identifizierung von Antisemitismus auf die Selbstregulierungsmechanismen von Kultur, Wissenschaft und Bildung setzen und diese stärken.

Drittens regt sich deutliche Kritik an der Art und Weise, wie diese Resolution verhandelt wurde, nämlich großenteils hinter verschlossenen Türen in einem kleinen Kreis von Abgeordneten aus der Fraktionsspitze der Ampel- und Unionsfraktionen. Anstatt zu diesem wichtigen Thema den gesellschaftlichen Diskurs oder den wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Austausch zu suchen, entschloss sich die Politik – um ein Symbol der Einigkeit zu senden – dazu, die Diskussion um die Resolution und damit um den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland hinter verschlossenen Türen zu führen. Dies ist einer offenen und demokratischen Gesellschaft unwürdig. Trotz zahlreicher Kritik, Gesprächsangebote und Alternativvorschläge aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft an die Verhandler:innen der Resolution im Bundestag zogen es die Verhandler:innen vor, die Resolution im stillen Kämmerlein unter sich zu einigen, um einen offenen Diskurs zu vermeiden, der Differenzen zwischen den Fraktionen zutage gefördert hätte.

Etos Media: Obwohl selbst konservative Medien Kritik an der Resolution von Ampel und Union äußerten, soll bald schon der nächste Antrag zu Antisemitismus im Bildungssystem und in der Wissenschaft beschlossen werden. Haben die Parteien aus der Kritik an der Resolution gelernt und einen Antrag formuliert, der Kritik an Israel nicht des Antisemitismus verdächtigt?

Dr. Ilyas Saliba: Die Resolution für den Hochschulbereich sehen viele Wissenschaftler:innen ähnlich kritisch wie die bereits verabschiedete Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens. Die Hochschulresolution blendet die Diskriminierung anderer Gruppen aufgrund von Rassismus, Klassismus, Sexismus oder Ableismus an Hochschulen komplett aus. Viele Antidiskriminierungsbeauftragte an Universitäten und Wissenschaftler:innen kritisieren daher den fehlenden intersektionalen Zugang zur Antidiskriminierungsarbeit an Hochschulen. Die Versicherheitlichung von Universitäten, die aus der Aufforderung zur engeren Zusammenarbeit von Universitäten mit den Sicherheitsbehörden in der Hochschulresolution folgt, wird ebenfalls von vielen Wissenschaftler:innen kritisch gesehen. Letztlich wird durch die Hochschulresolution auch die Praxis einer politisch verordneten „Gesinnungsprüfung“ von Fördergeldempfängern normalisiert, wie sie in der Wissenschaft vor einigen Monaten im Kontext der Fördergeldaffäre der Ministerin a. D. Bettina Stark-Watzinger noch von allen Fraktionen mit Ausnahme der FDP heftig kritisiert wurde.

Etos Media: Du gehörst zu den Unterzeichnenden eines Briefes gegen den Antrag. In eurem Brief schreibt ihr: „Palästinenserinnen kommen als mögliches Thema von Forschungen oder der Wissensvermittlung an Schulen oder Hochschulen nicht vor, sondern werden nur an einer Stelle im Zusammenhang mit dem Terrorismus der Hamas (Abschnitt I) angeführt.“ Der Nahostkonflikt wird ebenfalls kaum behandelt; in Schulen soll nur Israel behandelt werden, ohne jedoch die Nakba oder die anhaltende Unterdrückung der Palästinenser zu erwähnen. Inwiefern entspricht eine solche Einseitigkeit im Bildungssystem dem Anspruch einer ausgewogenen Behandlung des Themas?

Dr. Ilyas Saliba: Von Wissenschaftler:innen, insbesondere aus den Sozial-, Geschichts- und Regionalwissenschaften sowie den Genozid- und Konfliktstudien, wird vor allem kritisiert, dass in dem Antrag eine Verengung der Förderung von Forschung zum Nahostkonflikt auf die Geschichte Israels erfolgt, während der Nahostkonflikt sowie die Geschichte anderer Länder in der Region oder die politikwissenschaftlichen und soziologischen Perspektiven der Gegenwart unerwähnt bleiben. Dies insinuiert, dass es an deutschen Universitäten ausreichend Forschung zu den anderen Ländern der Region gebe. Doch das ist nicht der Fall. Es braucht definitiv mehr Forschung zu Israel und seiner Geschichte sowie zu den verschiedenen Ausprägungen von Antisemitismus. Gleichzeitig braucht es aber auch mehr Forschung zur aktuellen Politik Israels, zu den gesellschaftlichen Entwicklungen in Israel, zu den kriegerischen Auseinandersetzungen, zur israelischen Besatzungspolitik und zur Nakba. Der einseitige Fokus der Resolution auf die Förderung Israel-bezogener Forschung stellt aus meiner Sicht ein problematisches Ungleichgewicht dar. Im internationalen Vergleich sind in Deutschland Regionalforschung zu der sogenannten arabischen Welt an Universitäten und Forschungsinstitutionen unterrepräsentiert und unterfinanziert. Dies gilt sowohl für die Forschung zu Israel als auch zu den anderen Ländern in der Region. Daher täte der Bundestag gut daran, sich nicht lediglich auf Antisemitismus und historische Israelstudien zu beschränken, sondern die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Region und den dortigen Politischen Systemen und Entwicklungen sowie Gesellschaften und Konflikten insgesamt in den Blick zu nehmen

Etos Media: In eurer Erklärung wird auch deutlich, dass es eine Vermengung des Sicherheitsdiskurses mit der Wissenschaftsfreiheit gibt. Wie würde sich eine solche Vermengung in der Praxis auswirken, und wie könnten Sicherheit und Wissenschaftsfreiheit tatsächlich gestaltet werden?

Dr. Ilyas Saliba: Die Hochschulresolution des Bundestags fordert Universitäten dazu auf, stärker mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Dies leistet einer gefährlichen Versicherheitlichung Vorschub. Denn es entsteht der Eindruck, als würden Hochschulleitungen aufgefordert, die Überwachung ihrer eigenen Angehörigen durch die Sicherheitsbehörden zu unterstützen. Dies widerspricht dem Selbstbild von Hochschulen in einer liberalen Demokratie. In Ausnahmefällen kann es zwar nötig sein, die Polizei auf den Campus zu rufen, um Vandalismus oder gar Angriffe auf Mitarbeiter:innen zu verhindern. Für die überwiegend friedlichen Protestaktionen durch Studierende an deutschen Universitäten ist es jedoch ein überzogenes Mittel. Statt durch eine vertiefte Kooperation zwischen Universitäten und Sicherheitsbehörden Vertrauensverhältnisse zwischen Universitätsangehörigen zu schwächen, sollten Lehrende befähigt werden, auf Dialog zu setzen und zwischen Demonstrierenden und Uni-Leitungen zu vermitteln. Ich glaube kaum, dass mehr Polizeipräsenz auf deutschen Campi zu mehr Sicherheit führt.

Etos Media: Im Antrag heißt es, dass gegen „BDS und ähnliche Bewegungen“ vorgegangen werden soll. Ihr äußert die Befürchtung, dass dies dazu führt, dass z. B. israelische Wissenschaftlerinnen, die sich für einen Boykott einsetzen, in Zukunft in Deutschland nicht mehr gefördert werden können. Mit Blick auf Israels Siedlungs- und Besatzungspolitik steht die Formulierung auch im Widerspruch zum Gutachten des IGHs, der Sanktionen gegen Unternehmen, die mit Siedlungen Geld verdienen, explizit empfiehlt. Unterscheidet der Antrag zwischen Siedlungs- und Besatzungsgebieten und Israels Staatsgebiet? Welche Auswirkungen hätte diese Formulierung für kritische Forschende?

Dr. Ilyas Saliba: Der Antrag unterscheidet eben nicht zwischen israelischem Staatsgebiet und den besetzten palästinensischen Gebieten. Er erwähnt zwar die Zweistaatenlösung. Fordert jedoch auch, Boykottforderungen entgegenzutreten, und legt fest, dass solche an deutschen Universitäten keinen Platz haben sollen. Dies steht allerdings im Widerspruch zum Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, der Staaten eben dazu auffordert, zu überprüfen, inwiefern z. B. institutionelle oder Wirtschaftsbeziehungen zu Israel zu den Kriegsverbrechen in Gaza beitragen und diese ggfs. auch einzuschränken.

Die Resolution wird sich auf die Wahl von Forschungsthemen, ‐zugängen und Kooperationspartner:innen auswirken. Ist ein Forschungsprojekt zu den Auswirkungen der Zerstörung aller Universitäten in Gaza durch die IDF mit deutschen Fördermitteln laut der Resolution in Deutschland noch möglich? Können in Anträgen mit Fallstudien zur Situation in Israel / Palästina etablierte Konzepte der Konflikt- und Völkerrechtsforschung wie Apartheid oder Genozid verwendet werden – oder gilt dies schon als israelfeindlich? Können deutsche Medienwissenschaftler:innen noch israelische Autor:innen, Journalist:innen oder Filmemacher:innen an ihre Universitäten einladen, wenn diese einen offenen Brief zum Stopp von Waffenlieferungen an Israel unterzeichnet haben? Was ist mit Akademiker:innen aus anderen Ländern die Boykottaufrufe gegen Israel unterzeichnet haben? Können diese nun überhaupt noch nach Deutschland eingeladen werden, bzw. können deutsche Hochschulen noch mit diesen zusammenarbeiten?

Im Übrigen hat die spanische Hochschulrektorenkonferenz schon vor Monaten einen akademischen Boykott gegenüber israelischen Hochschulen beschlossen. Daraus ergibt sich für mich die Frage: können deutsche Hochschulen überhaupt noch mit spanischen Hochschulen zusammenarbeiten? Ich habe diese Frage auch den Politiker:innen des Wissenschaftsausschusses sowie der HRK und dem DAAD gestellt und bisher keine Antwort erhalten. Die Auswirkungen der Resolution auf die internationale Forschungszusammenarbeit sind daher nur schwer absehbar.

Etos Media: Danke dir für das Gespräch.

Der offene Brief:

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