Mit der Ablehnung von Teilen des Haushalts der Bundesrepublik befindet sich die Regierung in einer noch schwierigeren Situation als zuvor, die Lösung, die medial diskutiert werden, hält der Wirtschaftsexperte Partrick Kaczmarczyk größtenteils für kurzsichtig und unsozial.
Die Freiheitsliebe: Vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht einem Teil des Haushalts der Bundesregierung eine Absage erteilt, was ist genau geschehen?
Patrick Kaczmarczyk: Es wurden Kreditermächtigungen, die ursprünglich für die Bekämpfung der Coronakrise vorgesehen in einen Klimafonds umgewidmet. Das hat das Verfassungsgericht für nichtig erklärt. Es betrifft zwar nicht nur den Klima- und Transformationsfonds, er steht im Zentrum der Debatte. Mit der Entscheidung steht deswegen der gesamte Bundeshaushalt 2024 auf der Kippe. Und nicht nur der, auch auf Länderebene gibt es viele Fragezeichnen. Mehrere Landesregierungen, inklusive einige unter CDU Führung, haben auf Sondervermögen zurückgegriffen, um die Engpässe der Schuldenbremse zu umgehen. Das zeigt, wie eng das fiskalische Korsett geschnürt wurde. Wie man mit einem solchen finanzpolitischen Rahmen die Klimaneutralität 2045 erreichen soll, die ebenfalls durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts rechtlich bindend ist, ist mir schleierhaft.
Die Freiheitsliebe: In den letzten Tagen gab es vermehrt Stimmen aus der Regierung, die die Abschaffung oder zumindest Aussetzung der Schuldenbremse gefordert haben, wäre das der richtige Weg?
Patrick Kaczmarczyk: Definitiv. Für 2023 wurde das bereits getan, um Kredite, die man bereits genutzt hat, rechtlich abzusichern. Für 2024 sollte man meines Erachtens ebenfalls die Notlage ausrufen. Was ich aus rechtlicher Sicht nicht einschätzen kann, ist, inwiefern das ohne Probleme durchginge. Ökonomisch ist die Sache eindeutig: wir spüren derzeit die Folgen der Krise, daran besteht kein Zweifel. Neben den rechtlichen Fragezeichen kommt für 2024 allerdings ein weiteres Problem hinzu, nämlich, dass die FDP ein erneutes Aussetzen nicht mitmachen will. In der Partei und der Fraktion rumort es bei den Liberalen gewaltig, von daher müsste man erstmal schauen, wie man Mehrheiten findet und der FDP einen gesichtswahrenden Ausweg bietet. Im Prinzip scheint es so, als würde die FDP dafür auf Kürzungen im sozialen Bereich bestehen, wie beispielsweise bei der Kindergrundsicherung oder beim Bürgergeld. Da stellt sich dann aber für die Grünen und die SPD die Frage, ob das tragbar wäre. Das könnte bei den Grünen und der SPD die Fliehkräfte verstärken, es wäre somit ein Kompromiss mit dem keine Seite wirklich zufrieden ist.
Die Freiheitsliebe: Die anderen Optionen, wenn dies nicht gelingt, wären Kürzungen, wie es von einigen Medien forciert wird, oder andererseits Steuererhöhungen?
Patrick Kaczmarczyk: Allen, die noch halbwegs rational denken können, dürfte klar sein, dass wir keine Kürzungen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe machen können, ohne die derzeit sehr fragile Wirtschaft weiter zu schwächen. Die Beschäftigungszahlen sind bisher zwar relativ stabil, doch so langsam zeigen sich erste Risse im Arbeitsmarkt. Würde die Finanz- und Haushaltspolitik der Ampel diesen Abschwung verstärken, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Entwicklungen jedoch voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Kurzfristig mögen Unternehmen ihre Leute noch halten wollen, da sie merken, dass einmal verloren gegangene Arbeitskräfte nicht so leicht wieder zurückkommen. Reicht die Nachfrage jedoch nicht aus, um die Kosten zu decken, wird die Produktion nach unten angepasst – und das bedeutet zunächst Entlassungen. Dies würde übrigens weiteren Druck auf die Staatsfinanzen ausüben, denn die Sozialausgaben zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit werden steigen, während die Steuereinnahmen aus einer dynamischen Wirtschaft wegfallen.
Steuererhöhungen bei den wohlhabendsten Haushalten könnte man machen, denn das würde der Wirtschaft nicht schaden, da die Reichen ohnehin den größten Teil ihres Einkommens beiseitelegen. Steuererhöhungen hat die FDP aber kategorisch ausgeschlossen – und wenn sie dies täte, würde sie alles daransetzen, ihre wohlhabende Klientel zu schützen. Erinnern wir uns an den Aufschrei, als bei den wenigen Top-Prozent der deutschen Haushalte das Elterngeld entfallen sollte.
Die Freiheitsliebe: Das heißt die Regierung befindet sich in einer Zwickmühle, welche Optionen gibt es?
Patrick Kaczmarczyk: Das ist die hundert Milliarden Euro Frage. Das Einfachste wäre, nach der Notlage für 2023 auch die Notlage für 2024 auszurufen, damit man die Haushalte 23 und 24 zeitnah und verfassungskonform beschließen kann. Kurzfristig wäre das für die Stabilisierung der fragilen Lage enorm wichtig, da wir uns derzeit in einem synchronisierten Abschwung in der Breite der Wirtschaft befinden. Langfristig wird das aber kein Problem lösen, denn bei der Frage der Zukunftsinvestitionen geht es nicht weniger als um die Transformation eines Kapitalstocks, der über mehrere hundert Jahre auf Basis fossiler Energien gewachsen ist. Das ist nicht in zwei Jahren möglich, sondern erfordert jahrzehntelange Investitionen. Dafür ist eine grundlegende Reform der Schuldenbremse unumgänglich.
Die Freiheitsliebe: Kurzfristig läuft die Debatte medial vor allem auf Kürzungen im Sozialbereich hinaus, sind diese überhaupt möglich?
Patrick Kaczmarczyk: Wir tun so, als seien dort große Kürzung einfach möglich. Das ist falsch. Die Erhöhung des Bürgergeldes beispielsweise ist auch eine Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Die deutsche Verfassung verlangt eine soziale Grundsicherung, die Teilhabe ermöglicht, sodass die Erhöhung des Bürgergelds nicht aus Wohltätigkeit geschah, wie es der Ampel und insbesondere der SPD oft vorgeworfen wird. Dass das Bürgergeld negative Effekte auf die Beschäftigungsanreize hätte, sehen wir nicht. Die Zugänge aus dem regulären Arbeitsmarkt ins Bürgergeld waren in den letzten 10 Jahren noch nie so niedrig, während wir bei den Zugängen aus der Arbeitslosigkeit in den regulären Arbeitsmarkt ebenfalls keinen „Bürgergeld-Effekt“ erkennen können. m der Beschäftigung am Abgangsquote aus Die mediale Debatte, die so tut, als würde sich Arbeit durch das Bürgergeld nicht mehr lohnen, hat mit der Realität nichts gemein. Ein anderer Bereich, der ins Spiel für Kürzungen gebracht wird, ist die Rente. Wenn man sich nicht an die verhältnismäßig wenigen, wohlhabenden Rentner traut, so frage ich mich, wo man da noch etwas kürzen will. Derzeit müssen bereits 5 Millionen Rentner mit weniger als 1000 Euro auskommen und an die 700.000 sind auf Grundsicherung angewiesen. Auch politisch ist es riskant, denn für die Parteien werden Rentner als Wähler immer wichtiger. Wie man es dreht und wendet, die Debatte im politischen Berlin wird leider viel vom Populismus und von der Kurzsichtigkeit getrieben.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.