SPD-Bundesparteitag: (k)eine #Neue Zeit!?

Auf der Suche nach ihrer alten Strahlkraft - die "alte Dame SPD". Foto: SPD Schleswig-Holstein, CC-BY 2.0, SPD

Der SPD-Parteitag stand unter dem Motto Neue Zeit. Eigentlich passend. Das Land befindet sich auf der Zielgeraden der schläfrigen Merkel-Ära. Das vorletzte Jahr der Groko ist dominiert von einer schwer greifbaren Unzufriedenheit, die den Wunsch nach Veränderung ausdrückt. Die Volksparteien schlittern gefühlt von einer Niederlage zur Nächsten. Besonders die alte Dame SPD ist von den WählerInnen gerupft worden wie ein Huhn. Eine große Urwahl sollte der Partei wieder Leben einhauchen und es tat sich etwas: Mit der Wahl der Groko-Kritiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bekam das langjährige SPD-Establishment eine gewaltige Klatsche eingeschenkt.

Welche Richtungsentscheidungen hat die SPD in dieser politisch so heiklen Situation getroffen? Seit der Verkündung der Urwahlergebnisse letzte Woche hatten die Gremien getagt und fieberhaft bis tief in die Nacht zum Freitag über dem Leitantrag und Personalvorschlägen gesessen.

Die erste große Ernüchterung

Mit großer Spannung wurden daher die Reden der UrwahlgewinnerInnen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erwartet. Saskia Esken redete zuerst. Sie hielt eine inhaltlich linke Rede, die das Publikum aber wenig mitriss. Ihrem Ko-Vorsitzenden Nowabo war es vorbehalten die großen Fragen zu klären. Etwas überraschend stellte er die internationale Politik mit scharfer Kritik an der Aufrüstung in den Mittelpunkt seiner Rede. Zum Ende seiner Rede verkündete er, dass in den Hinterzimmern ein gemeinsamer Leitantrag und Personalvorschlag ausgedealt wurde. Damit war die große Linkswende der SPD schon abgesagt, bevor sie begonnen hatte.

Vor allem das Duell des linken Kevin Kühnert gegen den Establishmentkandidaten Hubertus Heil elektrisierte im Vorfeld. Der Vorschlag der neuen Vorsitzenden sah jedoch eine Erweiterung auf fünf Stellvertreterplätze vor. Damit fielen die Kampfkandidaturen aus. Drei Parteirechte, unter anderem Klara Geywitz, Anke Rehlinger und Hubertus Heil sowie zwei Parteilinke Kevin Kühnert und Serpil Midyatli sollten Stellvertreter werden. Die restlichen vorderen Plätze blieben unverändert. Sie alle bekamen, wie die Vorsitzenden, ordentliche Ergebnisse.

Das Ende der Groko?

Die neuen Vorsitzenden sahen sich nach ihrer Nominierung einem teils absurden Dauerfeuer aus den Medien ausgesetzt. Der Spiegel verdammte die Urwahl-Entscheidung der SPD-Mitglieder als Populismus. Weithin wurden Saskia Esken und Nowabo als chancenlos und unfähig beschrieben. Dabei gehören die neuen Vorsitzenden eher zum wenig radikalen Mitte-Links-Lager ihrer Partei an. Diese Berichterstattung sagt mehr über den politischen Zustand der Medien aus als das neue Vorsitzendenduo. Doch das neue Duo steht tatsächlich vor einer Herkulesaufgabe: die Bundestagsfraktion, der Apparat und viele Landesverbände stehen gegen sie – auch wenn das nach der langen Urwahl niemand öffentlich sagen wollte. Doch der interne Druck auf die neuen Vorsitzenden und Kevin Kühnert war riesig. Daher standen Esken/Nowabo vor dem Parteitag vor der Entscheidung: 1. Linkswende, Kampfansage und Abschied aus der Groko oder 2. Kompromiss, Einbindung der Gegenseite und Verbleib in der Groko.

Unter dem gewaltigen Druck haben sie sich für den Kompromiss mit dem alten Parteiestablishment entschieden. Bei kritischen Tönen gegenüber der Groko bekannten sich beide zum Verbleib in der Groko. Ein entsprechender Gegenantrag des linken Flügels zum Ausstieg aus der Groko fand bei weitem keine Mehrheit. Dabei war das Duo Esken/Nowabo auch wegen seiner Groko-kritischen Töne gewählt worden. Deswegen enthielt der Leitantrag den Auftrag nochmal mit der CDU nachzuverhandeln bei Rente, Digitalisierung und Investitionen. Dieser Kompromiss fand eine große Mehrheit. Wie ernst diese Forderungen gemeint sind, bleibt abzuwarten. Bekanntlich ist Papier geduldig. Der Ausstieg aus der Groko ist damit zwar nicht vom Tisch, aber sehr unwahrscheinlich geworden.

Linkswende beim neuen Vorstand?

Vor allem die nominelle Parteilinke um die Jusos und Kevin Kühnert sowie die Parlamentarische Linke, die linkeste der drei Lager in der SPD-Bundestagsfraktion, warben auf dem Parteitag für die Fortsetzung der Groko. Das schien Teil des Kompromisses zu sein. Beim Personal blieb weitgehend alles beim Alten – auch wenn es hier einige Aufregung gab. Die Parlamentarische Linke bekam einige Plätze, die sie aber vorher schon hatte. Lediglich einige Rechtsausleger wie Heiko Maas oder der Berliner Bürgermeister Michael Müller wurden abgestraft.* Eine klare Linie gegen die Regierenden gab es aber nicht. Im Gegenteil: Die Parteilinken, die sich gegen die Groko ausgesprochen haben um DL21, etwa die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, einige linke Jusos wurden genauso abgestraft wie die Wahlvorschläge der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen.** Das Pro-Groko-Lager hat damit eine überwältigende Mehrheit im Vorstand. Während die aufrechten Linken, die auch um Bundestag mal wieder gegen ihre Fraktion gestimmt haben schwach blieb, kann sich die moderate Parteilinke gegenüber den rechten Seeheimern gestärkt sehen.***

Linkswende, aber kein Abschied von Hartz IV

In vielen Wortbeiträgen der Delegierten gab es ein großes Bedürfnis nach Klarheit und Selbstvergewisserung. Die SPD ist augenblicklich eine tief verunsicherte Partei. Immer wieder wurde die linke Vergangenheit beschworen. Folglich korrigierte die SPD noch einige ihrer Positionen.  Hartz IV soll künftig Bürgergeld heißen und einige der schlimmsten Regelungen sollen entschärft werden, etwa die Vollsanktionen für unter 25-jährige (Vollsanktion bedeutet Komplett der Unterstützung von Geld bis Miete). Am Hartz-System hält die SPD aber weiter fest, trotz der Namensänderung. Die Hartz IV-Sanktionen im Rahmen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts bis zu 30% möglich bleiben – auch andere Maßnahmen wie beim Arbeitslosengeld werden verbessert. Eine komplette Kehrtwende ist das nicht, aber ein Anfang. Die Abkehr vom neoliberalen Kurs setzte die SPD in punkto schwarze Null genauso fort wie bei der Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel. Bislang bleiben das aber nur kleine Korrekturen. Ein komplett neuer Kurs ist das noch nicht, darf gab es zu viel Formelkompromisse. Unklar bleibt nämlich wie die guten Vorschläge in der Groko umgesetzt werden sollen. 

Wie weiter?

Der große Aufstand gegen die Groko ist erstmal abgeblasen. Wahrscheinlich werden die Beschlüsse zu einigem Knirschen im Gebälk der Groko. Die Delegierten haben sich zumindest ein wenig von der Agenda2010-Generation in der Regierung emanzipiert. Zu mehr reichte es noch nicht. Das zeigt die Stärkung gerade der linken Flügelleute. Die SPD ist noch immer nicht bereit sich von den Fehlern der Vergangenheit wie Hartz IV loszusagen oder mutig in die „Neue Zeit“ zu gegen. Euphorie wird dieser Parteitag unter den Mitgliedern wahrscheinlich kaum entfachen. Dazu blieb der Aufbruch zu früh im Hinterzimmer stecken, aber vielleicht ist die Führung noch für eine Überraschung gut. Die Kompromisse dürften jedenfalls nicht ewig halten.

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* Heiko Maas wurden erst im zweiten Wahlgang gewählt. Ralf Stegner, der vormalige Stellvertretende Parteivorsitzende bekam ein derart schlechtes Ergebnis, dass er nicht mehr antrat.

** Bei der SPD müssen KandidatInnen für den Parteivorstand von großen Gliederungen nominiert. Die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) ist sehr groß, vergleichsweise links und sammelt viele aktive Beschäftigte. Sie hatten Klaus Barthel und Cansel Kiziltepe nominiert.

*** Das wurde bei den guten Ergebnisse der Parlamentarische Linke-Leuten, allen voran ihrem Sprecher Matthias Miersch deutlich.

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