Rosa Luxemburg wurde als Jüdin in Polen geboren, über eine Scheinehe an die deutsche Staatsbürgerschaft gekommen, wurde innerhalb kürzester Zeit als junge Frau in einer männerdominierten Partei zur Anführerin ihres linken Flügels. Sie war eine brillante Rednerin und Ökonomin, liebte junge Männer und kehrte sich nicht um die Konventionen ihrer Zeit.
Schon früh kritisierte sie – fast allein auf weiter Flur – all die Tendenzen der Sozialdemokratie, die in ihrem epochalen Verrat 1914 gipfeln sollten. – Über Rosa Luxemburg gibt es vieles zu sagen. Doch heute ist Rosa Luxemburg vor allem als Theoretikerin und Märtyrerin der sozialistischen Bewegung bekannt, ihr Rolle als Politikerin geht dabei nicht selten unter.
Die junge Luxemburg – frühe Kämpferin
Wer Luxemburg als Politikerin verstehen will, muss verstehen, wie sie zu der großen Frau wurde. Für Mädchen ihrer Zeit ungewöhnlich, fing Luxemburg schon in der Schule an sich politisch zu engagieren. Sie war hier, wie später auch, fast nur von Männern umgeben und musste lernen sich durchzusetzen. Ihre Bildung musste sie sich förmlich erkämpfen. Als eine von ganz wenigen jüdischen Mädchen durfte sie das Frauengymnasium in Warschau besuchen und weil Frauen damals im Russland und Deutschland nicht studieren durften, ging sie eben in die Schweiz, um dort ein Studium aufzunehmen. Dieser unbedingte Wille sich allein gegen große Widerstände durchzusetzen, sollte sie immer wieder auszeichnen.
Anfänge in der polnischen Sozialdemokratie
Anfangs war Rosa Luxemburg in der polnischen Sozialdemokratie aktiv und hier begann ihr Weg als große linke Politikerin. Sie schulte früh als Delegierte in den komplizierten Auseinandersetzungen der zersplitterten polnischen Linken ihr Talent zu reden und zu schreiben. In diesen Richtungsauseinandersetzungen machte sie sich als kämpferische Frau international einen Namen. Ihr Interesse wandte sich aber schnell der großen SPD – dem Leitstern der damaligen Linken – zu. In der SPD wollte sie mitwirken und schnell hoch hinaus, wie sie an ihren Lebensgefährten Leo Jogiches schon Mitte der 1890er schrieb.
Als polnische Jüdin konnte sie aber nicht ohne weiteres nach Deutschland. Also arrangierte sie eine Scheinehe mit dem Schlosser Gustav Lübeck um an die deutsche Staatsbürgerschaft zu kommen. In Deutschland angekommen, legte sie schnell los.
Wortführerin des linken Flügels
Ende der 1890er tobte der berühmte Streit um Reform oder Revolution in der SPD. Kein geringerer als Eduard Bernstein – einer ihrer wichtigsten Theoretiker – versuchte einen Weg zum Sozialismus über soziale Reformen zu skizzieren und stellte damit die Programmatik der SPD infrage. Rosa Luxemburg sah darin eine Chance und schrieb, in einer glänzend geschriebenen Artikelserie, eine Antwort an Bernstein. Sie war kurze Zeit vorher zur Chefredakteurin der Sächsischen Arbeiterzeitung aufgestiegen und machte sich mit ihren Angriffen auf Bernstein schlagartig bekannt. Ihre Artikelserie goss sie nach kurzer Zeit in das Buch „Reform oder Revolution“.
Auf den Parteitagen machte sie durch ihre Redekunst auf sich aufmerksam. Ihre Reden waren messerscharf, pointiert und gut argumentiert, mit zahlreichen Witzen und schneidenden Polemiken versehen. In der Protokollvermerken der Parteitage sind bei Luxemburgs Reden häufig „großer Beifall,“ „Zuspruch“ oder „Gelächter“ als Reaktionen vermerkt. Luxemburg avancierte aufgrund ihres Redetalents schnell zur beliebten Wahlkampfrednerin und erlangte dadurch zusätzliche Bekanntheit. All das sind keine Selbstverständlichkeiten – als ausländischer Frau mit jüdischer Herkunft bekam sie auch so manche ablehnende Reaktion zu spüren.
Bündnis mit dem Zentrum – Wortführerin, nicht Organisatorin
Den Aufstieg in die Führungsreihen der Partei hatte sie aber nicht nur ihren Talenten zu verdanken. Im Streit mit Bernstein und dem rechten Parteiflügel suchte Luxemburg ein inhaltliches Bündnis mit dem marxistischen Zentrum der Partei: vor allem August Bebel, dem unangefochtenen Parteichef und „Arbeiterkaiser“ sowie dem Cheftheoretiker der SPD Karl Kautsky. Mit diesem Bündnis gelang es ihr die reformistischen und revisionistischen Thesen Bernsteins und seiner Anhänger auf den Parteitagen niederzuringen.
Für 10 Jahre sollte Luxemburg von da an mit der engsten Parteiführung verkehren, obwohl sie keine offiziellen Parteiämter bekleidete. Sie war lediglich Redakteurin, Delegierte zu Konferenzen und Parteitagen und später Lehrerin an der Parteischule. Ein Amt brauchte sie nicht, denn sie war von da an die Wortführerin des linken Flügels der Partei. Als Organisatorin betätigte sich Luxemburg allerdings nie – Finanzen, Basis- und Parteiorganisation waren ihre Sache nicht. Luxemburg beschäftigte sich eher mit den großen Ideen und Bewegungen – als Theoretikerin und Redakteurin.
Russland und der Massenstreik
Als 1905 die Revolution in Russland ausbrach, beschäftigte Luxemburg dieses Ereignis fieberhaft – nicht zuletzt, weil von der Revolution natürlich auch ihre Heimat in Russisch-Polen betroffen war. Luxemburg versuchte so viele Informationen wie möglich über die Revolution zusammenzutragen und begleitete die revolutionären Ereignisse mit ihren Texten. Das allein reichte ihr schnell nicht mehr aus, sie wollte näher an die Erreignisse. Sie versuchte selbst ins Russische Reich einzureisen, was ihr Ende 1905 auch gelang.
Sie bekam die Revolution hautnah mit, obwohl sie bereits nach einigen Monaten verhaftet wurde. Das machte ihr nichts, denn sie saß vorher schon einmal im Gefängnis. Im Gegenteil, die revolutionären Ereignisse beflügelten ihr Denken und Handeln. Die Revolution veranlasste Luxemburg über die Fragen von Organisation und Bewegung nochmal ganz neu nachzudenken. Als relativ orthodoxe Marxistin hielt sie die Partei sehr hoch. Die Erfahrungen der russischen Revolution zeigten aber, dass die Bewegungen der Massen das zentrale Element der Russischen Revolution waren. Elektrisiert von den Ereignissen stürzte sie sich als Vertreterin des linken Flügels der SPD in die neuen Auseinandersetzungen. Das war auch nötig, denn die große internationale Vorzeigepartei SPD ging mehr und mehr von der Bewegung ab.
Verfechterin der Bewegung gegen die Verknöcherung
Die SPD und die Gewerkschaften hatten sich ab der Jahrhundertwende langsam etabliert. Die Mitgliederzahlen wuchsen rapide an. Von der herrschenden Politik und den Unternehmen wurden sie zwar immer noch scharf bekämpft, doch hatten sie einige Erfolge vorzuweisen und wurden als Gegner zumindest ernst genommen. Die Ressourcen der SPD und der Gewerkschaften reichten nun um einen mächtigen Apparat aus hauptamtlichen MitarbeiterInnen aufzubauen: Die SPD hatte unzählige Zeitungen und Redaktionen. Die Gewerkschaften konnten sich jetzt ganze Gewerkschaftshäuser leisten.
Eine zentrale Rolle im Umbau der SPD spielte der spätere Reichspräsident Friedrich Ebert. 1905 wurde er auf die neu geschaffene Stelle des Parteisekretärs gewählt. Er zog von da an organisatorisch die Strippen (unter anderem als Kontaktmann zu den Gewerkschaften). Auch realpolitisch änderte sich einiges: In den Landtagen Süddeutschlands und auf kommunaler Ebene gingen viele SPDlerInnen von der Fundamentalopposition ab und versuchten parlamentarisch mitzuarbeiten. Der verringerte politische Druck auf die SPD in manchen Landesteilen und Gesellschaftsbereichen ließ einen Teil der Partei von der grundsätzlichen Opposition abrücken.
Luxemburg bekämpfte diese Erscheinungen als Anpassung an das System scharf. Mit unglaublicher Energie thematisierte sie die Anpassungstendenzen der Partei mit Anträgen und Reden. Vor dem Hintergrund der Russischen Revolution mahnte sie eine stärkere Bewegungsorientierung der Partei gegen die Abwartungshaltung und Bürokratisierung an. 1905/06 erhielt sie eine gute Gelegenheit um in die Debatte zu gehen: die SPD und die Gewerkschaften stritten sich um die Frage des Generalstreiks. Luxemburg griff mit ihrer Schrift Massenstreik, Partei und Gewerkschaften in die Debatte ein und versuchte den politischen Streik vor dem Hintergrund der Russischen Revolution in Deutschland populärer zu machen. Sie traf dabei auf scharfen Widerstand in den Gewerkschaften und unterlag ihnen letztlich auf dem Mannheimer Parteitag. Die Gewerkschaften wollten ihre erkämpften Organisationen nicht gefährden. Nach dieser Niederlage widmete sich Luxemburg einige Jahren ihren ökonomischen Arbeiten und der Bildungsarbeit in der Partei.
Bruch mit Kautsky und innerparteiliche Isolation
Stärker politisch aktiv wurde sie erst wieder mit der großen Demonstration für ein Allgemeines Wahlrecht in Berlin. 1910 demonstrierten 50.000 Menschen gegen das ungerechte Drei-Klassenwahlrecht in Preußen. Der preußische Landtag war das mit Abstand wichtigste Parlament im Deutschen Reich und daher sollte das Volk hier nicht zu viel mitbestimmen. Das Wahlrecht bevorzugte die Stimmen der Reichen: Die SPD erhielt bei der Wahl 1913 etwa 28,4% der Stimmen, aber nur 2,3% der Sitze.
Diese Ungerechtigkeit führte immer wieder zur Empörung in der Bevölkerung. Luxemburg forderte die SPD-Führung daher auf, eine Wahlrechtskampagne zu machen, statt große Aktionen und Kampagnen nur auf die regulären Parlamentswahlen zu beschränken. Luxemburg schwebte eine kämpferische Partei vor, die die Eliten vor sich hertreibt, statt sich mit den wenigen Möglichkeiten der Mitbestimmung abzufinden. Doch die SPD hatte sich verändert, der Reformerflügel hatte deutlich an Land gewonnen und diesmal sollten August Bebel und Karl Kautsky Luxemburg nicht beispringen. Die Mehrheit in der SPD wollte die Errungenschaften der Organisation nicht durch ein zu aggressives Auftreten aufs Spiel setzen. Luxemburg reagierte verständnislos und mit scharfer Kritik. Ihr waren solche Überlegungen fremd. Sie nahm bei ihrer Kritik an den Zuständen kein Blatt vor den Mund – was ihr schon vor dem 1. Weltkrieg mehrere Gefängnisaufenthalte einbrachte.
Luxemburg war zwar in der Partei durchaus populär; nach dem Bruch mit Kautsky stand sie jedoch relativ vereinzelt da. Der linke Flügel war kaum organisiert und – wie Luxemburg im Briefwechsel mit dem Parteilinken Franz Mehring konstatierte – hatten die Reformer um Ebert die meisten Schlüsselstellen in der Partei besetzt. Der linke Flügel hingegen hatte sich – wie Luxemburg – eher um die Ideen und die Texte, aber zu wenig um die Parteiorganisation gekümmert.
Luxemburg kritisierte in den nächsten Jahren tapfer die Missstände in der Partei und mahnte eine kämpferische bewegungsorientierte Haltung an – nur hatten die Parteilinken immer weniger Möglichkeiten ihre Vorschläge und Kritiken in der Parteipresse und auf Versammlungen zu platzieren. Die entscheidenden Redakteursstellen waren von ReformerInnen oder dem Zentrum besetzt. Luxemburg setzte sich daher fortan verstärkt gegen die verkrustete, zunehmend undemokratische Parteistruktur, für offene Debatten und die Möglichkeit der Kritik ein. Mit dieser bewegungsorientierten, demokratisch-sozialistischen Einstellung wurde sie zur Vorreiterin linkssozialistischer Parteien und linkssozialistischer Oppositionsgruppen in den großen linken Parteien des kommenden Jahrhunderts.
Aufstieg zur Ikone
Mit ihrer Parteipraxis ist Luxemburg zum Rollenmodel vieler Linker im 20. und 21. Jahrhundert geworden. Zur linken Ikone wurde Luxemburg aber erst durch ihre Haltung im und nachdem Weltkrieg. Im August 1914 stimmte die SPD-Fraktion unter dem Druck des Parteivorsitzenden Friedrich Ebert den Kriegskrediten zu. Luxemburg hatte schon lange vor dem Krieg, gegen die Kriegstreiberei gewettert und angearbeitet. Als eine von wenigen sollte sie diese Meinung 1914 nicht über Bord werfen. Die Entscheidung der Parteiführung war für Luxemburg erst einmal ein Schock. Sie brauchte Monate um sich zu sammeln, als es soweit war, musste sie ins Gefängnis und blieb dort fast den ganzen Krieg.
Im Gefängnis war sie aber nicht untätig: Mit der, aus dem Gefängnis geschmuggelten Junius-Broschüre, sollte sie auf famose und brillante Weise das Umfallen der SPD 1914 analysieren und die Kriegstreiberei, ja den Verrat der Sozialdemokratie, mit der Feder aufspießen. Die Schrift zählt heute zu den wichtigsten Werken Dokumenten der Zeit – eine ganz und gar ehrliche, meisterhafte Anklageschrift.
Als Politikerin zog Luxemburg aus dem Verrat der Parteiführung einen radikalen Schluss: sie forderte nicht nur einen Bruch mit der gesamten Parteiführung, sondern stellte auch die gesamte Praxis der SPD vor 1914 auf den Prüfstand. Kompromisslos kritisierte sie die Kriegstreiberei. Nach einiger Zeit gründete sie mit anderen Linken die Spartakusgruppe. Als sich 1916 ein Gutteil der SPD, mit der USPD, abspaltete, schloss sich Luxemburg dieser nur unter Vorbehalt und viel Kritik an, denn in der USPD fand sie mit Kautsky, Bernstein und vielen Anderen gerade die wieder, die sie für das Unglück für mitverantwortlich hielt.
Die Spartakusgruppe blieb unterdes eine kleine Organisation. Als im November 1918 plötzlich die Revolution ausbrach, war die Spartakusgruppe kaum handlungsfähig. Die Gruppe zwar sehr bekannt, hatte aber wenig Verankerung unter den Soldaten und in den Betrieben. Das Forderungsprogramm der Spartakusgruppe war zwar Gold richtig und die Gründung der KPD um den Silvester 1918/19 ein wichtiger Schritt. Doch schon der Januaraufstand sollte die organisatorische Schwäche und den mangelnden Massenanhang der jungen Partei brutal aufzeigen.
Luxemburg hielt nicht viel von diesem Aufstand, der nicht von der Spartakusgruppe ausging, schloss sich ihm aber an. Wenige Tage später wurde sie von Freikorps – mindestens mit der Duldung – ihres alten Kontrahenten Friedrich Ebert, der nun der Regierung vorstand, ermordet.
Ende und Anfang
Als Politikerin war sie eine bestechende, charismatische Rednerin und Schreiberin. Sie war voller Mut und war hellsichtig genug viele Probleme der Linken des 20. Jahrhunderts frühzeitig zu erahnen, nur die Macht die Dinge zu verändern, hatte sie eben nicht. Sie brillierte als Denkerin und Wortführerin, doch praktisch musste sie an die „Ideale“ appellieren – was angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und tüchtiger Praktiker auf der anderen Seite zu wenig war.
Die alte SPD wollte sie als gefährliche Denkerin und Politikerin aus dem Weg schaffen. Nur erreichten Ebert und Co das glatte Gegenteil. Der Mord machte Rosa Luxemburg, ihr Denken und Wirken, unsterblich. Prophetisch endete Luxemburg in ihrem allerletzten Text am 14. Januar, einen Tag vor ihrer Ermordung, mit diesen Zeilen:
„Die Führung hat versagt. Aber die Führung kann und muß von diesen Massen und aus den Massen heraus geschaffen werden. Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. Die Massen waren auf der Höhe, sie haben „diese“ Niederlage zu einem Glied jener historischen Niederlagen gestaltet, die Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus sind. Und darum wird aus dieser Niederlage der künftige Sieg erblühen.
„Ordnung herrscht in Berlin!“ Ihr stumpfen Schergen. Eure „Ordnung“ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon rasselnd wieder in die Höh‘ richten und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden:
Ich war, ich bin, ich werde sein![i]“
[i] Der Schluss des Artikels in der Roten Fahne vom 14. Januar 1919. In: Rosa Luxemburg Gesammelt Werke (2000): Die Ordnung herrscht in Berlin. Bd. 4. S. 536. Berlin. Karl Dietz Verlag,
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