Regime change in Nikaragua?

Seit dem 19. April 2018 ist Nikaragua der Schauplatz einer gewaltigen und gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen einer von der rechten Opposition lancierten Aufstandsbewegung, die das Ende der linken Regierung fordert. Das Drehbuch ähnelt dem von Venezuela im vergangenen Jahr oder denen der verschiedenen „farbigen“ Revolutionen wie z.B. in der Ukraine. Diesmal ist die Hand der USA deutlich sichtbar, die die Geschehnisse lenkt. Es ist Teil jener Strategie, die schon unter Obama begann, um sich den „Hinterhof“ zurückzuholen. Dies ist insbesondere jetzt akut, wegen der Debatte über den alternativen Kanalbau, der dem von den USA kontrollierten Panamakanal Konkurrenz machen würde. Gefördert wird dieser Kanalbau durch China und Rußland, und beide Länder bauen ihren Einfluss zuungunsten des US-Imperialismus in Lateinamerika immer stärker aus. Nikaragua ist aber auch Schauplatz einer weltumspannenden geopolitischen Auseinandersetzung, die zwischen den imperialistischen Mächten USA und EU einerseits und Russland und China im Verein mit den übrigen BRICS-Staaten andererseits stattfindet. Es geht dem Imperialismus vor allem darum, zwei Mächte zu bekämpfen, die sich nicht der neolibralen Weltordnung unterwerfen.

Als Revolutionäre und Marxisten oder, besser gesagt, revolutionäre Marxistinnen und Marxisten wissen wir, dass eine Konterrevolution nur dann gesellschaftliche Hegemonie erlangen kann, wenn es dafür Anlässe gibt. Der Anlass in Nikaragua war die fehlerhafte Rentenkürzung, die seitens des IWF geforderte Bedingung für die Gewährung frischer Kredite an Nikaragua. Anders als Venezuela verfügt Nikaragua nicht über reiche Ölvorkommen, die das Land im gewissen maße vom IWF unabhängig machen würden. Das Eingehen auf diese Bedingung war ein schwerer Fehler der Sandinisten. In Nikaragua ist die Gesellschaft auch 30 Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges immer noch sehr stark polarisiert. In ihr leben zwei Bevölkerungsgruppen, die in sich festgefügt sind, und beide machen jeweils etwa 40 Prozent der Einwohnerschaft aus. Dazwischen gibt es eine Gruppe von Unentschiedenen, die jeweils für das eine oder das andere Lager gewonnen werden können. Bisher konnten die Sandinisten dieses Lager für sich gewinnen. Daniel Ortega wurde 2016 mit über 60 Prozent wieder zum Präsidenten gewählt. Der Sandinismus hat eine Massenbasis in den ärmeren Bevölkerungsgruppen, aber nicht in den Mittelschichten und in der Bourgeoisie. Beide Gruppen hatten einen langjährigen Bürgerkrieg hinter sich. Nachdem die Sandinisten am 19 Juli 1979 über die Somoza-Diktatur gesiegt hatten, sah sich Nikaragua mit einem von den USA finanzierten und mit allen Mitteln0 unterstützten Abnutzungskrieg aus Honduras heraus konfrontiert. Die gleichen Kreise, aus denen sich auch heute die sogenannten Contras rekrutieren, bekämpften schon damals den Sandinismus militärisch. Nikaragua wurde ausgeblutet, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des sozialistischen Lagers konnten die Sandinisten den Kampf nicht fortführen.

Dieser Krieg wurde durch Verhandlungen beendet. Die Contra-Opposition gab Garantien ab, so dass Vieles von den Fortschritten der Sandinistischen Revolution erhalten werden konnte. Nach 16 Jahren konnten die Sandinisten in Folge ihres Wahlsieges im Jahr 2006 wieder an die Macht zurückkehren, aber nur, indem sie Garantien an die Oligarchie und die Kirche abgaben, dass es keine Rückkehr zu einer sozialistischen Politik geben würde. Der Kirche versprachen sie, kein Recht auf Schwangerschaftsunterbrechung zuzulassen. Das kann man für gut oder schlecht befinden, entsprach aber 2006 den Kräfteverhältnissen, die keine revolutionären Maßnahmen oder gar eine sozialistische Revolution begünstigten. Insofern war dies eine kluge Strategie von Daniel Ortega. Tatsache ist jedoch, dass die Regierung Ortega seitdem einen Drahtseilakt vollführen musste. Sie konnte mit finanzieller Unterstützung aus Venezuela eine fortschrittliche Sozialpolitik in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Lebensmittelhilfe für Arme betreiben, ohne damit die Profitrate der Unternehmer zu belasten. Tatsache ist ebenfalls, dass Nikaraguas Wirtschaft schneller wuchs als die in den Nachbarstaaten. Am meisten profitierten die Landarbeiter, diese gehören derzeit zu den treuesten Unterstützern der Regierung, und sie haben sich während der Krisenmonate vehement gegen die Konterrevolution gewehrt.

Obwohl sich die FSLN an die Abmachung mit der lokalen Bourgeoise hielt, ist das Imperium im Norden nicht mehr bereit, linke Regierungen zu tolerieren. Das hat diverse Gründe; in Nikaragua ist es insbesondere das Kanalbau-Projekt, in Venezuela und Bolivien sind es die Rohstoffe und vor allem der Fakt, dass linke Regierungen ihren nationalen Interessen und nicht denen der USA folgen. Deshalb sollen sie aus dem Weg geräumt werden. Seit langem schon fließen enorme Geldmengen in eine von den USA geschaffene Zivilgesellschaft, um die linke Regierung abzuwählen. Das mißlang, und Ortega wurde mit mehr als 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt, was zeigt, dass die FSLN weiterhin eine Massenbasis hat. Auch jetzt noch, nach drei Monaten Sturmlauf der Konterrevolution, konnte sie trotz der vorangegangenen blutigen Auseinandersetzungen die Massen zur Feier des Jahrestages der Revolution am 19. Juli auf die Straße bringen. Das zeigt, auch jetzt hat die FSLN weiterhin eine mobilisierende Kraft. Und nach anfänglicher Desorientierung nimmt diese Kampf- und Mobilisierungskraft der FSLN wieder zu. Die Konterrevolution wurde in der bewaffneten Auseinandersetzung besiegt.

Die Auswirkungen der Kämpfe der vergangenen Monate in Nikaragua waren verheerend. Sie hinterließen über 450 Tote. Die bewaffneten Formationen der Konterrevolution waren vor allem Drogenbanden, die Unterstützung aus ganz Mittelamerika erhielten. In Nikaragua konnten sie nie richtig Fuß fassen, denn die Regierung bekämpfte sie recht erfolgreich. Die Situation ist zu komplex um sich von hier aus ein Urteil darüber zu bilden  wer für die Heftigkeit dieser Auseinandersetzungen verantwortlich gewesen ist. In der BRD sind es vielfach Menschen, die sich selbst als links bezeichnen, die der Regierung von Daniel Ortega die Schuld für die hohe Anzahl an Toten zuschieben. Ohne Zweifel es hat Tote auf Grund polizeilicher Repression gegeben, jedoch auch solche, die in Folge von Gewaltakten starben, die von den Gegendemonstranten ausgegangen waren. Etliche Demonstranten waren mit Feuerwaffen ausgerüstet. Davon zeugen auch die vielen Opfer, welche die Polizei zu beklagen hat. Der größte Teil der Opfer geht aber auf die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf den Straßen zurück. Diese begannen mit der bestialischen Ermordung von Mitgliedern der FSLN vor laufender Kamera. Büros der FSLN wurden von einem politischen rechten Mob abgefackelt, und daraufhin bewaffneten sich auch die Sandinisten.

Auf jeden Fall stellt die Resolution des Forums von São Paulo vom 17.07.2018 fest: „Die Todesfälle, die von rechten Medien manipuliert worden sind, die sie als ein Produkt von Massakern darstellen, die von den Behörden verübt wurden, obwohl sie in Wirklichkeit das Ergebnis von bewaffneten Konfrontationen waren, die von der faschistischen Rechten provoziert wurden, wie die Tatsache zeigt, dass es eine ähnliche Menge an toten Zivilisten aus den oppositionellen Reihen und aus den sandinistischen Reihen gegeben hat, wie von den Experten der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) anerkannt. Während die IACHR (interamerikanische Menschenrechtskommission) – trotz ihrer offenkundigen Voreingenommenheit gegenüber der Regierung – ihrerseits zugeben musste, dass es keine Folterpraktiken gegen die von der Nationalpolizei inhaftierten Personen gab, was im Gegensatz zu den Aktionen der Putschisten gegen in ihre Hände gefallene Sandinisten steht. Als Konsequenz unterstützen wir die Fortsetzung der Ermittlungen und die Aufklärung aller begangenen Verbrechen, sowie die Bestrafung der Verantwortlichen. In diesem Zusammenhang betonen wir die Rolle, die die Wahrheitskommission spielen muss. Bevor gewisse Linke die sandinistische Revolution wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen verurteilen, sollten sie von allen politischen Lagern in Nikaragua eine Aufklärung der Umstände und der Bestrafung der Verantwortlichen fordern.“

Manche linken Kritiker des Sandinismus, die aus einem ehemaligen Teil der Nikaragua-Solidaritätsbewegung kommen, sehen in den „linken Verteidigern“ des Systems Ortega eine politische Katastrophe, so dass linke, fortschrittliche, sozialistische Politik schon wieder mit staatlicher Unterdrückung, mit paramilitärischem Terror, mit Mord und Totschlag in Verbindung gebracht wird. „Das Schlimme ist jedoch, dass es auch diverse Kräfte der Linken selbst gibt, die die Gewaltmaßnahmen Ortegas im Namen der sozialen Gerechtigkeit verharmlosen, akzeptieren und rechtfertigen“. (Mathias Schindler)

Eine solche Kritik lässt sich flink vom bequemen Sessel des nordeuropäischen „sozialistischen“ Philisters aus formulieren, der die lateinamerikanische Realität mit der europäischen  Messlatte misst. Auch sind diese linken Kreise sehr von den Debatten unter den Mittelschichten in Lateinamerika inspiriert. Tatsache ist, und das war Gegenstand einer langen Debatte unter den Parteien der lateinamerikanischen Linken auf dem diesjährigen Treffen des Forums von São Paulo, dass wir es heute in Lateinamerika mit einer sich zunehmend radikalisierenden rechten Oligarchie zu tun haben. Diese Repression gegen links nimmt in Lateinamerika zu. Es ist Konsens unter den Rechten, dass der Linken für immer der Weg an die Regierung versperrt werden soll und die vorhandenen linken Regierungen von der Macht verdrängt werden müssen. Hierbei ist man auch bereit, einen Bürgerkrieg loszutreten. Was sollte denn nun eine Regierungslinke in einer solchen Situation tun? Ein Verzicht auf die Macht linker Regierungen hieße nicht, dass sie danach in einem normalen demokratischen Prozess landen würden. Nach dem Machtverlust fängt die Repression an. Die konsequente Umsetzung neoliberaler Politik in Lateinamerika wird nur mittels Gewalt durchzusetzen sein, und das heißt Repression gegen fortschrittliche Bewegungen und schließlich deren Liquidierung. In einer solchen Situation kann die Linke nicht kampflos das Feld räumen. Sie muss um die Macht kämpfen. In Europa sind Regierungswechsel nicht mit solchen Tragödien verknüpft. Der Regierungswechsel von der Sozialdemokratie oder Rot-Grün zur CDU ist mit wenig Veränderungen verknüpft; in Lateinamerika dagegen wäre der Regierungswechsel in Venezuela oder Nikaragua immer eine Konterrevolution. Selbst in Nikaragua, wo die Strukturveränderungen nicht sehr tief gegangen sind, würde ein Regierungswechsel eine Konterrevolution auch in sozialer Hinsicht  bedeuten.

Heißt das, dass der Zweck die Mittel heiligen würde? Nein, auch eine linke Regierung muss Menschenrechte respektieren, sofern dies in Bürgerkriegssituationen in der Gänze überhaupt möglich ist. Auch in einer Bürgerkriegssituation müssen die staatlichen Organe rechtsstaatlich handeln. Es darf keine Folter an Gefangenen ausgeübt werden. Es darf keine Exekutionen geben. Aber eine linke Regierung hat das Recht, sich zu verteidigen, wenn der Gegner einen Bürgerkrieg beginnen sollte. Nicht friedliche Demonstrationen stellen eine Bürgerkriegssituation dar, sondern das Schießen mit Feuerwaffen aus einer Demonstration heraus, um den Konflikt zu eskalieren. Das ist in Venezuela, in Syrien und jetzt in Nikaragua geschehen. Solche Ereignisse sind von langer Hand orchestriert.

Man sagt uns, dass die Protestbewegung in Nikaragua eine fortschrittliche Bewegung sei. Das ist sie mitnichten. Sie ist von den USA und zum Teil von deutschen Parteienstiftungen finanziert worden. Gerade die Studenten haben sich mit den rechtesten Kreisen der US Elite verbündet, so auch mit den konterrevolutionären kubanischen „Gusanos“ aus Miami. Sie ließen sich mit den einschlägig bekannten US-Kubanern ablichten und tingelten durch die imperialen Medien.

Flankiert wird der Propagandafeldzug einer angeblich progressiven Protestbewegung durch die MRS (Bewegung der Sandinistischen Erneuerung); diese Bewegung bildete innerhalb der FSLN den sozialdemokratischen Flügel und sie brach mit der FSLN nicht aus einer linken Position heraus. Heute erhalten diese Ex-Sandinisten Geld von Frau Albright und der CIA aus den USA. Sie sind immer wieder Stargäste in den politischen Sendungen der US-Medien, und sie fühlen sch dabei wohl und sind stolz, dort auftreten zu dürfen. Sie sind heute der intellektuell bewaffnete Arm der nikaraguanischen Oligarchie und haben sich mit den rechtesten Parteien verbündet.

Unsererseits erwarten wir, dass die Sandinisten aus dieser Krise lern en, sich für eine partizipative Demokratie öffnen und mehr Sozialismus wagen. Das werden sie angesichts der Aufkündigung des Paktes seitens der nikaraguanischen Bourgeoisie auch tun müssen. Entsprechend dem venezolanischen Drehbuch ist als nächstes der Wirtschaftsboykott sowohl von außen als auch von innen zu erwarten. Durch Aushungern soll die Bevölkerung mürbe gemacht werden und so gegen die Sandinisten aufgebracht werden. Partizipative Demokratie und Übernahme von Betrieben werden notwenig sein, um diesen bevorstehenden Wirtschaftsboykott abzuwehren. Gerade die Bauern und die Ärmsten unter ihnen – die Landlosen – müssen besonders angesprochen und begünstigt werden durch eine radikale Politik der Umverteilung von Ländereien, um so die ökonomische Macht der Oligarchie zu brechen.

Alles in allem kann man diesen Text mit dem Aufruf der linken Parteien Lateinamerikas abschließen: „Wir rufen alle fortschrittlichen und revolutionären Kräfte der Welt dazu auf, die Solidarität mit dem Kampf des Brudervolkes in Nikaragua für die Wiederherstellung des Friedens angesichts der kriminellen destabilisierenden Versuche der Oligarchie und der proimperialistischen Rechten zu stärken, die uns allen Linken weltweit Schaden zufügen.“.

Das Volk Nikaraguas will Frieden! ¡No pasaran!

Harri Grünberg aus Havanna, Kuba.

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Eine Antwort

  1. ein artikel wie aus einer dkp- oder mlpd-Zeitung! in nicaragua gab es nie Sozialismus. Ortega, der von seiner eigenen tochter der vergewaltigung beschuldigt wird, setzt seit Jahrzehnten die Politik befreundeter Kapitalisten um sowie ein von der kirche gefordertes striktes abtreibungsverbot: linke politk? zu der angebl. konterrev. Fraktion der Sandinisten gehörte auch der integre Ernesto kardinal. nun ließ Ortega hunderte von Studenten bei Demonstrationen erschießen. es wäre redlicher, dies als die verbrechen des modernen stalinismus zu markieren. Ortega &co. selbst repräsentieren bereits die konterrevolution, vor der Grünberg schützen will. natürlich kann es noch schlimmer kommen. aber deswegen verteidigt man keine vermutlich kleineren übel, die auch schon ziemlich große übel sind (DAS ist sozialdemokratisch!) sondern kämpft für etwas grundlegend neues.

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