Heute, am 22. Januar 2021 wird in New York Geschichte geschrieben und Deutschland ist nicht dabei. Nachdem am 22. Oktober 2020 der fünfzigste Staat den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) ratifiziert hat, tritt dieses Vertragswerk, für dessen Verwirklichung die internationale Initiative ICAN 2017 den Friedensnobelpreis erhielt, in Kraft – zunächst für diejenigen Länder, die ihm bis dahin beigetreten sind. Deutschland gehört nicht dazu.
Die Bundesregierung rechtfertigt ihre Blockadehaltung mit fadenscheinigen Argumenten. Der Behauptung, dass ein Beitritt zu dem Vertrag mit einer NATO-Mitgliedschaft unvereinbar sei, widersprechen unter anderem die ehemaligen NATO-Generalsekretäre Javier Solana und Willi Claes, die sich in einem offenen Brief gemeinsam mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und 53 ehemaligen Staats- und Regierungschefs, Außen- und Militärministern an die Regierungen westlicher Staaten gerichtet haben, um sie zum Beitritt zu dem Vertrag aufzufordern. Sie schreiben unter anderem: „Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen bildet die Grundlage für eine sicherere Welt, die frei von dieser ultimativen Bedrohung ist. Wir müssen uns dem Verbot zuwenden und daran arbeiten, andere dafür zu gewinnen. Es gibt keine Heilung für den Atomkrieg. Prävention ist unsere einzige Chance.“
Dagegen argumentiert die Bundesregierung, dass ein Verbot, das nur von Staaten getragen werde, die ohnehin auf Atomwaffen verzichten, aber von den Atomwaffenmächten abgelehnt wird, kein wirksamer Beitrag für das von ihr laut Koalitionsvertrag verfolgte Ziel einer „nuklearwaffenfreien Welt“ sei. Absurder geht es nicht mehr: Hätte die Bundesregierung diese Haltung auch bei anderen Verbotsverträgen so eingenommen, hätte es niemals völkerrechtlich verbindliche Abkommen zum Verbot von biologischen und chemischen Waffen oder Landminen und Streubomben gegeben. Allein die Existenz dieser Verträge schafft ja eine rechtliche und moralische Norm und erhöht den Druck auf Staaten, die eigentlich nicht auf diese Waffensysteme verzichten wollen – und das umso stärker, je mehr Staaten und vor allem je mehr wichtige Staaten sich diesen Abkommen anschließen. Deutschland ist ein wichtiges Land. Außenpolitische Verantwortung, die die Bundesregierung in Sonntagsreden gerne beschwört, bedeutet eben nicht, in blinder Gefolgschaft zu den Atommächten USA, Frankreich und Großbritannien an der Drohung mit maximaler Vernichtung bis hin zur Selbstvernichtung der Menschheit festzuhalten, sondern mutig voranzugehen auf dem Weg zur Überwindung dieser unendlichen Gefahr für alle Menschen.
Weiterhin behauptet die Bundesregierung, der TPNW sei ein schlechter Vertrag, da er bei seinen Überprüfungsregeln hinter die Standards des Atomwaffensperrvertrags (NPT) zurückfalle und dieses wichtige Vertragswerk schwäche, dem 191 Staaten der Welt beigetreten sind (außer Indien, Israel und Pakistan, Nordkorea ist 2003 ausgetreten, Südsudan noch nicht beigetreten). Tatsächlich aber ist der TPNW eine Reaktion der Länder des Globalen Südens und neutraler Länder der Nordhalbkugel auf die mangelnde Bereitschaft der Atomwaffenstaaten, ihre Verpflichtung aus dem NPT zur umfassenden Abrüstung von Atomwaffen voranzutreiben. Im Gegenteil: Die Atomwaffenstaaten rüsten auf, modernisieren ihre Arsenale, machen sie schlagkräftiger und einsatzbereiter. Das erhöht die Gefahr eines Atomkriegs, unter dessen Folgen nicht nur die beteiligten Staaten zu leiden hätten, sondern die gesamte Menschheit. Der NPT wird ebenfalls unterlaufen und delegitimiert durch die „nukleare Teilhabe“ in der NATO, die die Nicht-Atomwaffenstaaten Türkei, Italien, Belgien, die Niederlande und Deutschland in den Einsatz von US-Atomwaffen einbindet, indem US-Atomwaffen in den jeweiligen Ländern stationiert sind und die jeweiligen Armeen mit den Trägersystemen den Einsatz von Atombomben für den Kriegsfall trainieren.
Bundesregierung verweigert sich
Die aktuelle Bundesregierung und allen voran SPD-Außenminister Heiko Maas wollen, anders als der Bundestag 2010 mit einem Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen beschlossen hat, unbedingt an dieser nuklearen Teilhabe festhalten. Dafür führt sie nicht nur sicherheitspolitische Argumente ins Feld, sondern vor allem bündnispolitische: Die vier Jahre der Trump-Administration hätten das transatlantische Verhältnis bereits so schwer zerrüttet, dass nun jede weitere Unbotmäßigkeit zu vermeiden sei. Außerdem sei Frankreich der wichtigste Partner in der EU und den will man auf keinen Fall verärgern, indem man Druck erzeugt, die Atomkriegsoption aufzugeben. Deswegen will die Bundesregierung noch nicht einmal, wie das einige SPD-Abgeordnete vorschlagen, einen Beobachterstatus beim TPNW einnehmen. Nicht zu vergessen, dass immer wieder einzelne Unionspolitiker sogar den Wunsch nach deutschen Atomwaffen artikulieren. Wir wissen ja, dass solche gezielten Tabubrüche meist dazu dienen, die Stimmung in der Öffentlichkeit zu testen.
Tatsache ist, dass die Atomwaffen, mit denen die Bundeswehr in Büchel im Rahmen der nuklearen Teilhabe den Atomkrieg übt, nicht mehr als eine symbolische Funktion in der NATO-Atomkriegsstrategie haben. Ein Beitritt Deutschlands zum TPNW würde nicht einmal die atomare Erstschlagsfähigkeit der NATO beeinträchtigen. Trotzdem wäre es ein bedeutsamer Schritt zu einer atomwaffenfreien Welt.
Das bedeutet: Der Druck auf die Bundesregierung muss von unten wachsen. Bereits heute haben über 100 Städte, Gemeinden und Landkreise den ICAN-Städteappell unterschrieben, darunter alle 16 Landeshauptstädte beziehungsweise Stadtstaaten. 547 Abgeordnete, darunter 167 Bundestagsabgeordnete haben sich dem Abgeordnetenappel für das Atomwaffenverbot angeschlossen, darunter selbstverständlich alle 69 Abgeordneten der Linksfraktion.
In den kommenden Wochen und Monaten wird die Friedensbewegung dafür werben, dass es noch deutlich mehr werden. Und im Bundestagswahlkampf müssen sich die Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien darauf gefasst machen, dass sie gefragt werden: „Wie hältst du es mit dem Atomwaffenverbot?“
Denn, was verboten gehört, muss auch verboten werden!
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