Krise der Autoindustrie: Zeit für Spurwechsel

Diego Delso, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Seit vielen Monaten zeichnet sich ab, dass sich die Automobilindustrie in einer Abwärtsspirale befindet. Die Aufkündigung der seit 1994 immer wieder fortgeschriebenen Beschäftigungssicherung und die faktische Ankündigung von Werksschließungen sind Kampfansagen des VW-Managements an die VW-Beschäftigten. Es ist davon auszugehen, dass diese Eskalationsbereitschaft des VW-Managements in den anderen Autokonzernen Schule macht und dort das Management zu einer noch härteren Gangart ermutigt.

Für alle, die diesen Kurs ablehnen, stellt sich die Aufgabe, deutlich zu machen, worin unsere Alternative besteht. Wir lehnen die Antriebswende aus ökologischer Sicht als unzureichend und aus Sicht der Beschäftigungssicherung als kontraproduktiv ab. Alle Gedankenspiele über eine Rückkehr zum Verbrennungsmotor sind brandgefährlich und absolut unverantwortlich.

In der sich derzeit zuspitzenden Situation ist es notwendig, unsere eigene Alternative einer radikalen Mobilitätswende weg vom Auto hin zu Bus, Straßenbahn, Fahrrad und Bahn weiter zu konkretisieren und zu popularisieren, damit wir damit in einer breiteren Öffentlichkeit Gehör finden. Es geht aber auch darum, in den Belegschaften, die jetzt um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, mit konkreten und potenziell wirkungsvollen Vorschlägen interventionsfähig zu werden. Der folgende Text ist ein Versuch, in diese Richtung zu wirken.

Es wäre zu wünschen, dass er einen Anstoß zu weiteren, vertiefenden Analysen und zur Konkretisierung der von uns verfolgten Alternative gibt.

Automobilindustrie rutscht immer tiefer in die Krise

Die Lage der deutschen Automobilindustrie ist alarmierend: Inzwischen sind nicht nur die Zulieferer, sondern auch die Hersteller betroffen. Zum einen kämpft die deutsche Autoindustrie mit der Absatzflaute auf ihrem wichtigsten Markt China. BMW verkaufte in der Volksrepublik im ersten Halbjahr rund vier Prozent weniger Autos, schlug sich damit aber noch besser als die Konkurrenten Volkswagen und Mercedes-Benz.

Vor allem die Nachfrage nach Elektroautos ist eingebrochen. Im März gingen die Neuzulassungen von Elektroautos um 29 Prozent zurück. Konstantin Gall von Ernest & Young kommt zu dem Schluss: „Die Party in der Autoindustrie ist vorbei“. Er prophezeit Sparmaßnahmen auf breiter Front. Doch die sind längst im Gange.

Ford schließt sein Werk in Saarlouis und kürzt in Köln. Das trifft auch Sachsen, wo das VW-Werk in Zwickau derzeit besorgniserregend unterausgelastet ist. Im VW-Werk Zwickau sollen noch im August mehr als 1000 Beschäftigte entlassen werden. Langfristig müssen alle 9400 Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze bangen. Im Jahr 2023 wird die Auslastung bei Mercedes in Sindelfingen nur noch 44 Prozent betragen. An den Mercedes-Standorten Rastatt, Bremen und Düsseldorf liegt sie bei 69 Prozent. Mit der Ankündigung des VW-Vorstands Anfang September hat die Entwicklung eine neue Qualität erreicht: Volkswagen schließt im Rahmen seines Sparkurses erstmals Werksschließungen und Entlassungen in Deutschland nicht mehr aus. Gleichzeitig kündigte das Management die seit 1994 immer wieder verlängerte Beschäftigungsgarantie bis 2029 auf – ein Tabubruch und eine neue Eskalationsstufe des VW-Managements.

Tesla im Rückwärtsgang

Tesla hat im ersten Quartal 2024 8,5 Prozent weniger Autos ausgeliefert als im Vorjahreszeitraum. Grund ist die schwächelnde Nachfrage nach Elektroautos und dass die Konkurrenz, vor allem aus China, aufgeholt hat. Der Innovationsvorsprung von Tesla schrumpft. Für das US-Unternehmen ist das eine gefährliche Entwicklung. Tesla lebt bis heute von den fantastischen Visionen seines Firmenchefs Elon Musk. Die Aktie erreichte immer neue Rekordhöhen und ermöglichte es Musk, mit den Einnahmen aus Aktienverkäufen immer mehr Autos und Fabriken zu bauen. Doch damit ist es vorerst vorbei. Seit Jahresbeginn hat die Tesla-Aktie fast 40 Prozent an Wert verloren. Es scheint, als ob das Prinzip Musk an seine Grenzen stößt, als ob die Investoren langsam den Glauben an die Fähigkeiten des Tesla-Machers verlieren. Weil die Verkäufe zuletzt deutlich schlechter liefen als erwartet, soll nun ein weltweiter Personalabbau die Kosten um zehn Prozent senken. In Grünheide will Tesla 400 feste Stellen streichen. Bislang hat Tesla in Grünheide bereits 300 der rund 2.000 Leiharbeiter entlassen.

Zuliefererkrise hält an

In der Zulieferindustrie ist die Lage seit geraumer Zeit sehr kritisch. Bosch, Conti, ZF und Mahle – sie alle schließen Werke und bauen Personal ab. Beim Technologiekonzern ZF Friedrichshafen sollen bis zu 14.000 Stellen wegfallen. Das wäre fast ein Viertel der 54 000 Beschäftigten. Mehr als tausend sollen bei Bosch wegfallen. Der Scheinwerferspezialist Hella muss seine Jahresziele deutlich reduzieren, der renommierte Autositzhersteller Recaro ist insolvent. Continental will sich künftig nur noch auf das Reifengeschäft konzentrieren. Den Rest will der Konzern abspalten, weltweit sollen mehr als 7000 Stellen wegfallen. Auch die sächsische Zulieferindustrie steckt in der Krise. Bei GKN in Mosel, Lear in Eisenach und Magna in Roitzsch gehen hunderte Arbeitsplätze verloren. Viele weitere Unternehmen stehen vor existenziellen Problemen.

Falsche Strategie der Manager

Da sind zum einen die Überkapazitäten und der verschärfte Wettbewerb in der internationalen Automobilindustrie. Seit 2018 ist der Absatz rückläufig, in diesem Jahr 2024 gibt es einen regelrechten Absatzeinbruch bei dem Zukunftsprojekt E-Auto. Die Fabriken sind nicht annähernd ausgelastet bei einer Produktion von der Hälfte dessen, wozu die Fabriken und die Anlagen gebaut worden sind.1 1)

Die Ursachen für die Krise bei VW und den anderen deutschen Konzernen liegen nicht zuletzt in der Fehlplanung und Produktstrategie der Manager. Selbst nach dem Abgasskandal im September 2015 wollten die Autobosse am Verbrennungsmotor festhalten. Sie weigerten sich, die Weichen für eine Verkehrswende zu stellen und den Umbau der Produktion weg von Pkw und Lkw hin zu Bussen, Straßenbahnen und Zügen einzuleiten. Erst Ende 2018 kündigte VW an, auf Elektroautos umsteigen zu wollen. Durch ihr Zögern bei Elektroautos haben BMW, Daimler, Ford, Opel und VW die notwendigen Entwicklungen schlichtweg verschlafen und sind dadurch gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. „Verschärft wird die Krise durch eine falsche Produktpolitik der Autokonzerne, insbesondere von Volkswagen. Wenn es keinen Verbrenner unter 25.000 Euro und kein Elektro-Auto unter 40.000 Euro im Angebot gibt, kann man wohl kaum noch von „Volkswagen“ sprechen“ stellt Stefan Krull fest. VW, Mercedes und BMW setzten ganz auf das Geschäftsfeld „Premiumklasse“, das hochpreisige Segment, auf Luxusautos, weil sie mit immer größeren und teureren Autos hohe Gewinne zu erzielen hofften. Mercedes-Chef Ola Källenius kündigte an, man wolle sich nun ganz auf das margenträchtige Segment der teuren, überflüssigen und umweltschädlichen Luxuskarossen wie Maybach oder AMG konzentrieren. Die Schäden, die diese Straßenkreuzer an Mensch und Umwelt anrichten, sind für Kallenius kein Thema. Seine Kollegen bei BMW und Audi ticken ähnlich. Die Produktion von Kleinwagen, die auch für Menschen mit kleinem Geldbeutel erschwinglich sind, interessiert sie wenig. Auf dem chinesischen Massenmarkt für Elektroautos spielen die deutschen Konzerne schon heute kaum eine Rolle.

Roll Back für Verbrenner?

Im März sind die Neuzulassungen von Elektroautos um 29 Prozent eingebrochen. Auch hochpreisige Modelle verkaufen sich nicht wie erhofft. Entsprechend getrübt ist die Stimmung bei den deutschen Herstellern: Bei den Premiumherstellern Audi und Mercedes-Benz gingen die Auslieferungen deutlich zweistellig zurück, bei den Volumenherstellern VW und Opel um rund drei Prozent. Von den deutschen Konzernen konnten nur Porsche mit einem Plus von knapp 15 Prozent und BMW mit 0,6 Prozent zulegen.

Die einbrechende Nachfrage nach Elektroautos lässt nun auch im Topmanagement Zweifel am Ziel der Klimaneutralität aufkommen. In Deutschland bahnt sich eine klimapolitische Rolle rückwärts an. BMW-Chef Zipse will kein Datum für das Ende von Benzinern und Dieseln nennen und weiter in die Technologie investieren. Der Plan von Mercedes, ab 2030 nur noch Elektroantriebe anzubieten, ist vom Tisch. Daimler-Chef Källenius kündigte an, dass „wir auch unsere Hightech-Verbrenner auf dem neuesten Stand der Technik halten“. In der EU hat die deutsche Regierung durchgesetzt, dass das an sich geplante Aus für Verbrennungsmotoren bis 2035 aufgeweicht wird durch die Feststellung, dass es auch nach 2035 noch möglich sein soll, ausschließlich mit klimafreundlichen synthetischen Kraftstoffen betankte Verbrennerautos neu zuzulassen.

Auch BMW hält nach eigenen Angaben vorerst am Verbrennungsmotor fest, bei VW sieht es ähnlich aus. Der Ingolstädter Audi-Betriebsratschef Jörg Schlagbauer forderte auf einer Betriebsversammlung einen Kurswechsel hin zu mehr Verbrennern über den bisherigen Zeithorizont (2033) hinaus, um aus dem aktuellen „Krisenmodus“ herauszukommen.

Die Union will das für 2035 geplante Aus für Verbrenner kippen. Ursula von der Leyen erklärte im Juli 2024, eine „gezielte Änderung der Verordnung“ bezüglich des Verbrenner-Aus betreiben zu wollen.. Die FDP pocht weiter auf E-Fuels. Das Schlagwort von der angeblichen Technologieoffenheit ist eine Chiffre für das Festhalten an der alten Verbrennertechnologie.

Auf den ersten Blick mag es geradezu skurril erscheinen, dass in einer Zeit, in der sich Extremwetterlagen mit immer dramatischeren Folgen für Mensch und Umwelt häufen, ein bedeutender Industriezweig aus kurzfristigen Profitüberlegungen die offensichtlich verheerenden Folgen der eigenen Geschäftspolitik ignoriert. Nach dem Motto: Vorwärts in die Klimakatastrophe, mit den Glaubenssätzen und Techniken von gestern und den Modellgrößen und Stückzahlen von heute.

Elektroauto – keine Alternative

Der Jenaer Soziologieprofessor Klaus Dörre plädiert in einer Situation, in der die ursprünglichen Protagonisten einer „Antriebswende“ mit einem Rollback zum Verbrennungsmotor liebäugeln, dafür, die „Antriebswende“ zu verteidigen. Dem ist zu widersprechen

Schlecht für die Umwelt

Aus ökologischer Sicht sind Elektroautos zwar besser als Verbrennungsmotoren. Aber die Klimabilanz der Herstellung von E-Autos ist katastrophal. Elektroantriebe sind kein Weg, die Klimakatastrophe zu begrenzen. Elektroautos verbrennen im Betrieb zwar keine fossilen Rohstoffe. Doch ihre Ressourcenbilanz ist katastrophal. Die Förderung und Verarbeitung der seltenen Rohstoffe Graphit, Kobalt, Nickel, Neodym oder Lithium ist mit hohen CO2-Emissionen verbunden. Je größer die Batterie, desto größer die Umweltbelastung. Mit dem heutigen Strommix muss ein schweres E-SUV 130.000 km fahren, bis der „ökologische Rucksack“ abgetragen ist und die Klimavorteile eines E-Autos im Verkehr überhaupt relevant werden. Hinzu kommt, dass der Abbau der Batterierohstoffe die Abbaugebiete vergiftet und dramatische Folgen für die lokale Bevölkerung hat. Schon jetzt werden immer neue Minen erschlossen, der Einstieg in den besonders zerstörerischen Tiefseebergbau ist in Vorbereitung. Elektroautos sind keine Alternative zu Verbrennungsmotoren, ihre Massenproduktion bedeutet die Fortsetzung der ökologischen Verwüstung unseres Planeten.

Schlecht für Arbeitsplätze

Die „Antriebswende“ ist auch nicht gut für die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Zahlreiche Studien haben bereits gezeigt, dass für die Produktion eines Elektroautos deutlich weniger Arbeitskräfte benötigt werden als für ein Auto mit Verbrennungsmotor. Elektroautos haben deutlich weniger Bauteile als Verbrenner und benötigen daher deutlich weniger Produktionsaufwand. Der Verbrennungsmotor ist sehr komplex und besteht aus ca. 1000 Einzelteilen. Ein Elektromotor hingegen ist vergleichsweise einfach aufgebaut und besteht nur aus etwa 200 Teilen. Entsprechend weniger Arbeiter*innen werden für den Bau von Elektroautos benötigt. Bereits vor einigen Jahren gab es Studien, die den Verlust vieler Arbeitsplätze prognostizierten. Eine Studie des „Center for Automotive Research“ ging von einem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen aus, ein Beratergremium der Bundesregierung sogar von 400.000 Arbeitsplätzen.

Ein Beitrag von Paul Michel – aktiv im Netzwerkökosozialismus

Anmerkungen:

  1. Stefan Krull, erfolgreich für gute Arbeit im Nahverkehr, https://stephankrull.info/2024/04/30/erfolgreich-fuer-gute-arbeit-im-nahverkehr-wfz-tvn/ ↩︎

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