Wäre nicht derzeit bereits so viel in den deutschen Medien bezüglich der Berichterstattung über Palästina/Israel ein Skandal, dann müsste den Medien spätestens in dieser Situation Ignoranz (im besten Fall) oder bewusste Manipulierung (im schlechtesten Fall) vorgeworfen werden. In der aktuellen Situation jedoch bleiben nur Kopfschütteln und das sich verfestigende Bewusstsein, dass Deutschland in eine autoritäre selbst-referenzielle Provinzialität abrutscht, die dazu dient das imaginierte Bild eines geläuterten moralisch aufrichtigen Akteurs aufrecht zu erhalten.
Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland
Doch worum geht es? Seit bald einem Jahr bereiten Abgeordnete der Ampel und der CDU/CSU Fraktion eine Petition „Nie wieder ist jetzt“ zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland vor. So weit, so sinnvoll und wichtig. Jedoch kann hinterfragt werden, ob nicht der Schutz aller Minderheiten berücksichtigt sein sollte. Eine geradezu grotesk naheliegende Idee in der aktuellen Bedrohung vor dem Faschismus im Nachfolgestaat des NS-Reichs mit seiner systematischen Verfolgung von Juden UND Sinti und Roma, Kommunisten, Mensch mit Behinderung, Schwulen/Lesben und allen anderen Menschen, die nicht dem Bild eines „guten Deutschen“ entsprachen.
Doch auch Inhalt und Prozess dieser Petition sind reichlich problematisch. Wie zu erwarten in der deutschen Politik des „Versöhnungstheaters“ wurde der Prozess von den üblichen Akteuren (Volker Beck, Deutsch-Israelische Gesellschaft und Co.) dafür vereinnahmt, die rechts-nationalistische Agenda à la Netanyahu zur Verteidigung israelischer Völkerrechtsverbrechen weiter umzusetzen. Deren Forderungen nach Kriminalisierung und gesellschaftlichem Ausschluss von Menschen, die nicht eins zu eins die deutsche „Staatsräson“ übernehmen, fanden sich sowohl im ersten Entwurf der Ampel-Fraktionen als auch im Entwurf von CDU/CSU wieder.
Ansätze dazu sind vor allem die Implementierung der IHRA-Definition von Antisemitismus als Regulierungsgrundlage für die Vergabe von Bundesmitteln sowie als Grundlage für die Rechtsauslegung des Kriminal-, Staatsangehörigkeits- und Asylrechts. Während führende Antisemitismusforscher, jüdische & palästinensische Gruppen und Rechtswissenschaftler die Definition kritisieren und Alternativen wie die Jerusalem Declaration vorschlagen, nützen die in Teilen rechts-extreme israelische Regierung und deren Unterstützer die IHRA Definition für die Verteidigung israelischer Völkerrechtsbrüche – wie die illegale Besatzung der West Bank und des Gaza Streifens – durch die Kriminalisierung deren Kritiker.
Anti-demokratischer Prozess und Inhalt der Petition trifft auf zivilgesellschaftlichen Widerstand
Als dann entschieden wurde, dass es einen überparteilichen Antrag geben sollte, um Einigkeit in der deutschen Aufarbeitung seiner Geschichte präsentieren zu können, begannen CDU/CSU, FDP und rechtskonservative Kräfte sowie Teile der SPD und Grünen die progressiven und linken Kräfte vor sich her zu treiben. So blieben auch im gemeinsamen Entwurf der vier Fraktionen viele der problematischen Aspekte weiter vorhanden.
Wie schon bei vorherigen Prozessen zum Thema Antisemitismus fanden auch zu dieser Petition die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und mit intransparenter Akteursbeteiligung statt. Bei Hintergrundgesprächen mit Politikern und politischen Stiftungen wurde jedoch deutlich, dass nur eine kleine Gruppe von (meist innenpolitischen) Abgeordneten in den Prozess involviert waren, viele relevante Abgeordnete nicht mal informiert waren und trotz teilweise großer Widerstände kein Beteiligter es wagte offen den Entwurf zu kritisieren.
Es schien, als würde die Petition flott durch den Bundestag geschleust werden und dabei, wie bei der BDS-Resolution, die Antisemitismusbekämpfung ohne größere öffentliche Diskussion weiter vor allem für die Instrumentalisierung von autoritären anti-demokratische Agenden dienen. Doch die im geheimen Prozess zwischen den Fraktionen unterdrückte Kritik brach sich dann in gesellschaftlichen Beiträgen Bahn. Ein Schwall von öffentlichen Artikeln und nicht-öffentlichen Briefen an Abgeordnete wandte sich gegen die Resolution. Beiträge lassen sich in allen größeren Medien finden: z.B. ZEIT, FAZ, neuesDeutschland, Deutschlandfunk, Spiegel und Süddeutschen Zeitung.
Deutsche Antisemitismusbekämpfung gefährdet Israelische Zivilgesellschaft
Und da die staatlichen Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger:innen und zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland und Palästina/Israel mittlerweile stark zusammenhängen, wurde die Petition zunehmend auch in Palästina/Israel mit Sorge beobachtet. Vermutlich auch wegen der ausbleibenden Reaktion der Bundestagsabgeordneten auf die anhaltende Kritik veröffentlichten 15 führende israelische NGOs ein Kritikschreiben, das der Petition einen repressiven Charakter und spaltende Wirkung vorwirft.
Ihre Kritik fokussiert sich im Wesentlichen auf die möglichen Auswirkungen der Petition, die über Deutschland hinausgehen und die Menschenrechtsarbeit in Israel und Palästina direkt beeinträchtigen würden. Die Autoren nennen als Grund dafür, „dass der Resolutionsentwurf Antisemitismus mit Kritik an Israel gleichsetzt“ und die Petition dadurch „instrumentalisiert werden würde, um die deutsche Finanzierung [ihrer] Menschenrechtsarbeit anzugreifen und einzuschränken.“
Dadurch zeigt sich erneut, dass sich Deutschland zum Handlanger der in Teilen rechts-extremen und völkerrechtswidrig agierenden israelische Regierung macht, indem legitime Kritik von jeglichen Akteuren inklusive der israelischen Zivilgesellschaft an Israels illegaler Besatzung und deren Artefakte unterdrückt wird. Dies sollte der deutschen Gesellschaft zu denken geben, wenn sie es ernst meint mit der Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit und dem drohenden Faschismus der Gegenwart.
Deutsche Medien ignorieren Kritik der Israelischen Zivilgesellschaft
Doch anstatt sich mit der Kritik der israelischen Zivilgesellschaft auseinanderzusetzen, ignorieren die deutsche Gesellschaft und allen voran die deutschen Medien das ganze lieber. Kein einziges großes Medium berichtet vom Kritikschreiben der israelischen Zivilgesellschaft, während den Sprechern des israelischen Militärs, dem die UN schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwirft, fast täglich in jeglichen deutschen Medien die Möglichkeit eingeräumt wird, deren – man muss es mittlerweile so nennen – Propaganda zu verbreiten. Lediglich „Internationale Politik und Gesellschaft“, eine Zeitschrift der Friedrich Ebert-Stiftung, veröffentlichte einen Gastbeitrag einer beteiligten israelischen NGO.
Er endet mit dem Satz „der Kampf gegen Antisemitismus sollte inklusiv und in einen universellen Kampf gegen Rassismus in jeglicher Form eingebettet werden“. Will sich Deutschland diesem Kampf ernsthaft weiterhin stellen, dann muss die Petition, die vermutlich am 9. November zur Abstimmung kommen soll, in ihrer jetzigen Version verhindert werden. Der Aufruf der israelischen Zivilgesellschaft ist nur ein weiterer Weckruf dafür. Denn auch die eigentliche Katastrophe, die sich gerade vor allem im Gaza Streifen abspielt, kann durch deren Verhinderung nicht abgewendet werden. Aber sollte die Petition so verabschiedet werden, steht der deutschen Komplizenschaft an Kriegsverbrechen und einem möglichen Völkermord in Gaza quasi nichts mehr im Wege.
Ein Beitrag von einem deutschen Mitarbeiter einer EZ-Organisation in Palästina, zuvor schrieb er einen Beitrag zur Einengung des Diskurses in Deutschland.