Mittlerweile wird das Ausmaß der Verwüstungen und Zerstörungen durch die Überschwemmungen von Tag zu Tag deutlicher. Die Überschwemmungen waren die Folge eines isolierten Tiefdruckgebietes, das die Meteorologen als DANA (isoliertes Tiefdruckgebiet auf hohem Niveau) bezeichnen und das im Volksmund als „Cold Drop“ („Kalter Regen“) bekannt ist. Das Wetterphänomen ist in Spanien unter dem Namen DANA bekannt. Es steht für „depresión aislada en niveles altos“ und bedeutet in etwa „isoliertes Tiefdruckgebiet in großer Höhe“. Dabei wird feuchtkalte Luft eines Tiefdruckgebietes über das warme Mittelmeer geschoben. Diese starken Temperaturunterschiede führen zu heftigen Regenfällen und Gewittern, da die warme, mit Wasserdampf gesättigte Luft schnell aufsteigt und sich riesige, schwere Wolken bilden, die wie gefüllte Wasserballons plötzlich platzen. Die vom ungewöhnlich warmen Mittelmeer gesättigte Luft staut sich, und immer wieder kommt es an den gleichen Stellen zu neuen Gewittern.
Neoliberale Ignoranz und profitorientierte Rücksichtslosigkeit.
Offensichtlich haben die Behörden bei diesem Unwetter nicht mit der Entschlossenheit und Schnelligkeit reagiert, die angesichts der realen Bedrohung erforderlich gewesen wäre. Extreme Wetterereignisse lassen sich zwar nicht vermeiden, aber die Folgen für die Menschen hängen nicht zuletzt davon ab, wie die Verantwortlichen auf die Katastrophe reagieren.
Die Region Valencia wird traditionell von der rechtsgerichteten PP regiert. Die Partei hat enge Verbindungen zu lokalen Bauunternehmern, die in Grundstücks- und Bauspekulation sowie Massentourismus verwickelt sind. Über einen langen Zeitraum wurden überschwemmungsgefährdete Gebiete bebaut, wobei der Profit vor allen anderen Überlegungen stand. Jahrelang geschah nichts, bis es eines Tages zur Katastrophe kam. Die Flutkatastrophe von Valencia ist ein Beispiel dafür, was ideologisch motivierte Ignoranz und profitorientierte Rücksichtslosigkeit anrichten können. Erschwerend kommt hinzu, dass im Zuge des neoliberalen Sparwahns am Sozialstaat und an der Infrastruktur als eine der ersten Sparmaßnahmen der aktuellen Regionalregierung von Carlos Mazón die Notfalleinheit (UVE) aufgelöst wurde, die die Reaktionsfähigkeit des Katastrophenschutzes bei Überschwemmungen, Winterstürmen, Erdbeben oder Waldbränden verbessern sollte.
Diese Mischung aus mangelnder Vorbereitung, Unterschätzung der drohenden Gefahren und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen war einer der Hauptgründe für die verheerenden Auswirkungen der Unwetter. Viele Bürger*innen machen – zu Recht – die konservative PP-Regierung für die Tragödie mitverantwortlich. Am Samstag, den 9. November protestierten rund 130.000 Menschen in Valencia gegen die ihrer Meinung nach zu langsam anlaufende Hilfe und die zu späten Warnungen. Zwanzig soziale und gewerkschaftliche Organisationen riefen dazu auf, vor das Gebäude der Regionalregierung zu ziehen und diese für das desaströse Katastrophenmanagement zur Rechenschaft zu ziehen. Symbolisch schrieben die Demonstranten mit Schlamm „Mazón, treten Sie zurück“ an das Rathaus der Stadt. Auf Plakaten war zu lesen: „Weniger Stierkämpfe, mehr zivile Nothilfe!
Apokalyptische Zustände
Der „kalte Regen“ traf die Region Valencia im tragischen Oktober 2024 mit extremer Wucht. Was die Zahl der Todesopfer und das Ausmaß der Zerstörung betrifft, übertrifft die Katastrophe von Ende Oktober alle bisherigen Überschwemmungen in der Region im letzten Jahrhundert.
Ganze Dörfer versanken nach heftigen Regenfällen in reißenden Fluten. Straßen verwandelten sich in reißende Ströme, die für die Menschen zur Todesfalle wurden. Wassermassen strömten in Keller und Erdgeschosse der Häuser und rissen Autos, Menschen und alles mit sich. Die Folgen für die Einwohner*innen der betroffenen Städte und Gemeinden sind verheerend: Garagen voller Leichen, Menschen in Autos eingeschlossen, auf den Straßen zu Haufen gespült – einige von ihnen mögen die erste Flut überlebt haben, sind aber in den folgenden Tagen aufgrund mangelnder Hilfe gestorben. Viele berichten von toten Verwandten, Nachbarn und Fremden, die in den Häusern und auf den Straßen verwesen. Was sie schildern, gleicht einer Apokalypse.
Regierung: chaotisch, unfähig, verantwortungslos
Der Bayerische Rundfunk schätzt die Zahl der Opfer am 12.11.2024 auf über 220 Tote. Eine Woche nach den schweren Regenfällen, die die Katastrophe auslösten, war noch immer keine Hilfe für die betroffene Bevölkerung angekommen. Strom, fließendes Wasser und das Mobilfunknetz waren noch nicht wiederhergestellt. Straßen waren vielerorts noch immer unterbrochen oder unzugänglich. Die Bilder und Berichte über die Tragödie, die Zehntausende von Menschen getroffen hat, sind erschütternd.
Je mehr Informationen verfügbar werden, desto deutlicher wird, dass die Behörden nicht mit der Umsicht, Entschlossenheit und Schnelligkeit gehandelt haben, die angesichts der vorhersehbaren Katastrophe erforderlich gewesen wäre. Die Regionalregierung von Valencia hat die Bevölkerung zu spät vor den möglichen Folgen der starken Regenfälle gewarnt. Am 29. Oktober hatte der staatliche Wetterdienst AEMET bereits um 7.30 Uhr wegen eines herannahenden Unwetters Alarmstufe Rot ausgelöst. Um 11.50 Uhr folgte eine Hochwasserwarnung der Wasserbehörde der Region. Um 13 Uhr verkündete Regionalpräsident Mazón, dass das Schlimmste überstanden sei. Erst zwischen 20 und 21 Uhr wurde schließlich das SMS-Warnsystem aktiviert, als die Überschwemmungen bereits in vollem Gange waren. Der Regionalregierung wird auch mangelnde Koordination zwischen den Sicherheitsdiensten vorgeworfen, was zu Verzögerungen bei der Bereitstellung dringend benötigter Hilfe führte. Hinzu kommt die Weigerung der Regionalregierung, die Hilfe von Feuerwehrleuten aus anderen autonomen Regionen anzunehmen, die bereits zur Unterstützung bereit standen.
Unternehmer: Gewinne wichtiger als Menschenleben
Verschiedene Unternehmen in der Region übten offenbar Druck auf die Regierung aus. Wirtschaftliche Interessen waren für die Unternehmer wichtiger als der Schutz der Bevölkerung oder der bei ihnen beschäftigten Arbeiter*innen. Es ging ihnen darum, die normalen wirtschaftlichen Aktivitäten um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Sie übten Druck auf die Regierung aus, nicht die höchste Alarmstufe auszurufen. Sie zwangen ihre Beschäftigten, trotz Unwetterwarnungen zu arbeiten. Es gibt mehrere Fälle von Arbeiter*innen, denen gesagt wurde, sie sollten die Arbeit nicht früher verlassen. Einige saßen dann an ihrem Arbeitsplatz fest (in einer IKEA-Filiale, im Ford-Werk in Almussafes, im Bonaire Einkaufszentrum usw.). Die Arbeiter*innen des Bonaire-Einkaufszentrums beklagten, dass sie das Einkaufszentrum nicht vorzeitig verlassen durften, als der Wasserspiegel zu steigen begann. Hunderte von Arbeiter*innen und Kund*innen saßen über Nacht fest und konnten das Einkaufszentrum nicht verlassen. Andere wurden auf dem Heimweg von den Fluten überrascht und hätten gerettet werden können, wenn sie ihre Arbeit früher verlassen hätten. Mehrere Arbeiter wurden in einem Supermarkt eingeschlossen und ertranken. Einige Firmen bestanden sogar darauf, dass die Arbeiter*innen trotz Starkregenwarnung zur Arbeit kamen. Die Arbeiter*innen von Intidex (einer der größten Fast-Fashion-Firmen in Spanien) bekamen die Warnungen nicht mit, weil sie ihre Mobiltelefone während der Arbeit nicht benutzen durften. Der Weg zur Arbeit endete für viele tödlich. Viele starben in ihren Fahrzeugen auf dem Weg zur oder von der Arbeit.
Die von der Flut mitgerissenen Fahrzeuge blockierten viele Straßen – was den Zugang zu den am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen lange Zeit erschwerte. Es ist kein Zufall, dass überall in der Region Graffiti mit dem Slogan „Eure Profite, unsere Toten“ zu sehen waren.
Vermeidbares Leid
Natürlich lassen sich extreme Wetterereignisse nicht verhindern. Aber man kann ihre verheerenden Auswirkungen mildern, indem man ihre Entwicklung antizipiert, Notfallpläne erstellt und Maßnahmen ergreift und dafür ausreichend personelle und materielle Ressourcen bereitstellt. Ein Beispiel, das zeigt, dass die Auswirkungen des „kalten Regens“ weitaus geringer gewesen wären, wenn er nicht so schlecht gemanagt worden wäre, ist das der Universität von València. Sie beschloss am 28. Oktober angesichts der Wetterwarnungen, die Vorlesungen ausfallen zu lassen. Später, am 29. Oktober, als die Alarmstufe Rot ausgerufen wurde, beschloss sie, alle Aktivitäten abzusagen, was Tausende von Reisen verhinderte.
Die Skrupellosigkeit der Klimaleugner
Die Klimakrise und die globale Erwärmung führen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer Zunahme und Intensivierung dieser extremen Wetterereignisse, wobei der Mittelmeerraum eine der am stärksten gefährdeten Regionen ist. Die Regierung der Region Valencia hat dies stets vehement bestritten. Vox spricht von „Umweltfanatismus“ und die Partido Popular macht sich diese Sichtweise weitgehend zu eigen. Für eine solche Leugnung offensichtlicher Probleme gibt es historische Vorbilder. Im Bereich der öffentlichen Gesundheit kennen wir solche Praktiken von der Tabakindustrie. Die Tabakindustrie hat lange systematisch und wider besseres Wissen die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Rauchens geleugnet. Sie hat systematisch Zweifel an der Schädlichkeit des Rauchens gesät. Weil „Lungenkrebs natürlich vorkommt“, wurden Präventionsmaßnahmen verzögert und die Industrie konnte weiterhin von ihrem Geschäft profitieren, indem sie diese Zweifel säte.
„Das Volk rettet das Volk“.
Wie bei fast jeder Katastrophe kam auch hier das Beste im Menschen zum Vorschein. Die Region erlebte eine Welle des Mitgefühls und der Solidarität mit den Betroffenen. Tausende von Arbeiter*innen meldeten sich freiwillig, zogen sich Gummistiefel an, nahmen Eimer und Besen und liefen zu Fuß in die betroffenen Städte. Sie begannen, sich spontan zu organisieren, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Sie befreiten die Häuser der Menschen vom Schlamm, räumten Hindernisse von den Straßen, entleerten Tiefgaragen und Keller und versorgten die Betroffenen mit Wasser, Lebensmitteln und dem Nötigsten.
Überwältigend ist aber auch die Hilfe der über 15.000 Freiwilligen. Die Supermärkte waren in den ersten Tagen oft leer. Nicht nur wegen der vielen Hamsterkäufe, sondern vor allem, weil so viele Menschen Lebensmittel zu einer der zahlreichen Abgabestellen in der Stadt brachten. Es wurde Geld gespendet und für die Betroffenen gekocht. Tausende machten sich auf den Weg in die Dörfer, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Ganze Kolonnen waren mit Besen und Gummistiefeln auf dem Weg in die Dörfer, um Essen zu bringen und beim Aufräumen zu helfen. Immer wieder liest und hört man den Satz: „El pueblo salva el pueblo“ (Das Volk rettet das Volk). Dies sind Lektionen für das Leben in kritischen Zeiten und sicherlich auch für die Zeit nach der Rückkehr zur Normalität: zu lernen, diese Solidarität des Volkes in einen Kampf für eine demokratische, auf Gleichheit basierende Gesellschaft umzuwandeln, in der das Leben und die Fürsorge mehr zählen als die Profite einiger weniger.
Ein Beitrag von Paul Michel (Netzwerk Ökosozialismus)