Eines Tages brach in einem Wald ein Feuer aus. Die Tiere flohen aus dem Wald. Als sie an einen Bach kamen, blieben sie stehen und fühlten sich hilflos. Sie beklagten ihre Verluste. Nur ein kleiner Kolibri wollte das Feuer löschen. Er tauchte im Bach, nahm Wasser auf und spritzte es auf die Flammen. Immer wieder flog er zum Bach und tat dies. Die anderen Tiere schauten ungläubig zu und versuchten, ihn zu entmutigen. Doch der Kolibri flog weiter. Schließlich rief eines der Tiere spöttisch: „Was glaubst du, was du da tust?“ Der Kolibri antwortete: „Ich tue, was ich kann.“
Diese Geschichte vom Kolibri und dem Feuer ist aktuell im Netz viral gegangen, nachdem der spanische Fußballtrainer Pep Guardiola sie im Hinblick auf den Krieg im Gazastreifen erneut erzählt hat. Die Geschichte ist in vielen Kulturen ein Symbol für die wichtige Bedeutung individueller Initiativen in Krisenzeiten. Solche Initiativen, durch die normale Menschen einen größeren Beitrag geleistet haben, um Krisen zu beenden oder auf humanitäre Lagen aufmerksam zu machen, gab es nicht nur im Märchenwald, sondern auch im echten Leben – auch in Europa.
So starteten schwedische Hafenarbeiter in den 1990er Jahren eine Solidaritätsinitiative, um die während des Bosnienkriegs belagerte Stadt Sarajevo zu unterstützen. Auch wenn es sich dabei nicht um eine direkte maritime Aktion handelte, stellte diese Initiative einen starken symbolischen Schritt im Rahmen der internationalen Arbeitersolidarität dar.
Damit wollten sie gegen die Aggression protestieren und Druck auf die internationale Gemeinschaft ausüben, damit diese eingreift. Dieser Schritt war Teil einer umfassenderen Solidaritätskampagne, die von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) und anderen europäischen Gewerkschaften organisiert wurde. Durch diese Initiative wurde die Notlage der Zivilbevölkerung in Sarajevo in den Fokus der Medien und der europäischen Öffentlichkeit gerückt. Zudem führte sie zu einem erhöhten Druck auf die europäischen Regierungen, sich wirksamer in den Konflikt einzuschalten – sei es durch Sanktionen oder die Unterstützung von Hilfsmaßnahmen.
Von Sarajevo nach Gaza
Von Sarajevo bis nach Gaza gab und gibt es viele solche zivilen Initiativen, die versuchen, auf die humanitäre Lage in Kriegsgebieten aufmerksam zu machen – Madleen ist der jüngste Versuch.
Am 1. Juni 2025 brach die „Madleen” vom Hafen in Catania Richtung Gaza auf. Die „Madleen” war ein Schiff der „Freedom Flotilla Coalition”, das sich auf humanitärer Mission in Richtung Gaza befand. Ihr Ziel war es, auf die humanitäre Situation im Gazastreifen hinzuweisen und Hilfsgüter dorthin zu bringen.
An Bord befanden sich insgesamt zwölf Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Ländern: Rima Hassan, französische Abgeordnete, Greta Thunberg, Klimaaktivistin, Yasmin Acar, deutsche Aktivistin, Pascal Moreiras, französischer Aktivist, Sergio Toribio, Mitglied der Meeresschutzorganisation „Sea Shepherd”, sowie Marco van Rijn, niederländischer Student der Schiffsbauingenieurwissenschaften. Außerdem waren der französische Arzt Abbé André, die französische Aktivistin Riva Viard, der türkische Aktivist und Journalist Shuaib Ordu sowie der französische Aktivist Sergio Toribio von der Meeresschutzorganisation „Sea Shepherd” an Bord. Der Name „Madleen” wurde ausgewählt, um an die erste und einzige Fischerin Gazas im Jahr 2014 zu erinnern. Die Palästinenserin Madleen Kulab hat bereits während der Fahrt mit den Aktivistinnen Kontakt aufgenommen.
Aufgrund der aktuellen Lage in Gaza, die mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober begonnen hat, leidet die palästinensische Bevölkerung im Küstenstreifen auch unter einer humanitären Krise. Seit März verhindert die israelische Regierung die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen. Viele Menschen sind vom Hunger bedroht und einige sind nach palästinensischen Angaben bereits an Hunger gestorben. Zwar hat die israelische Regierung gemeinsam mit den USA ein neues Verteilungssystem für humanitäre Hilfe eingerichtet. Dieses scheint jedoch nach mehr als zwei Wochen nicht zu funktionieren. An Verteilpunkten wurde auf Menschen geschossen, Hilfe wurde teilweise gestohlen und das Verteilen blieb an vielen Tagen aus.
Die Aktivistinnen an Bord der „Madleen” wollten mit ihrer Initiative auf diese Missstände aufmerksam machen. Sie wollen zeigen, dass nicht nur die Politik in ihren Ländern dafür verantwortlich ist, dies zu beenden, sondern dass jeder Mensch die humanitäre Verantwortung hat, dies zu verhindern. Sie wollen vermitteln, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Beitrag, versuchen muss, dies zu verhindern.
Der Versuch scheiterte kurz vor dem Küstenstreifen, was aufgrund der aktuellen Seeblockade des Gazastreifens zu erwarten war. Aber es war trotz vieler Kritik in den Medien und der Politik wert. Denn diese Initiative konnte ihr Ziel erreichen. In Amsterdam, Stockholm, Paris und Berlin gingen viele Menschen auf die Straße, um ihre Solidarität mit Madleen und Gaza auszudrücken. Sie wollten auch weiterhin Druck auf die eigenen Regierungen ausüben, damit diese wirksamer arbeiten und die humanitäre Krise im Gazastreifen beenden.
Das Schweigen gebrochen
Madleen hat Gaza zwar nicht erreicht. Aber sie hat das Schweigen gebrochen und gezeigt, dass wir alle von dem, was dort geschieht, betroffen sind. Auch wenn wir geografisch weit von diesem Teil der Welt entfernt sind. Sie hat bestätigt, dass wir alle etwas tun können, um das Leid der Menschen in Gaza und woanders zu beenden. Madleen hat das Schweigen gebrochen und wer das tut, muss das Echo hören – genauso wie damals in Sarajevo sollte es heute in Gaza sein.
Madleen ist daher kein „Selfie-Schiff“, sondern der Kolibri, der versucht, den brennenden Wald zu retten, obwohl er weiß, dass er dafür zu klein ist. Doch Madleen und der Kolibri zeigen, dass es Mut braucht, um etwas zu ändern, egal, wie klein oder groß man ist. Wie der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish einst sagte: „Die Spuren der Schmetterlinge sind nicht sichtbar.” Sie verschwinden jedoch nicht. Und die kleine „Madleen“ könnte eine Bewegung der Solidarität auslösen – auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die sich in den vergangenen 18 Monaten davon ferngehalten hat. Jetzt braucht es den Mut, das Schweigen zu brechen und Solidarität mit anderen Menschen, unabhängig von ihrem Hintergrund, ihrer Religion oder ihrer Volkszugehörigkeit, zu zeigen.
Denn Madleen, der Kolibri und der Schmetterling haben uns gezeigt, dass Gaza zu nah an uns ist.