Matschig und kalt ist es am vergangenen Mittwoch im Hambacher Forst. Auf einem durchweichten Pfad betritt man den Wald, seitlich vorbei an einem Wall aus Ăsten und Zweigen. Man schlittert mehr, als dass man geht. FĂźnfzig Meter weiter passiert man einen knietiefen Graben, der den Weg quer durchschneidet, und schlängelt sich anschlieĂend an einem weiteren Wall aus HolzstĂźcken und Reisig vorbei.
Hier kommt so leicht kein Fahrzeug mehr in den alten Wald, dessen Existenz bereits seit dem Mittelalter urkundlich belegt ist. Ein naturnaher âMaiglĂśckchen-Stieleichen-Hainbuchenwaldâ. GroĂe alte Bäume unter deren Dach die nächste Generation Wald natĂźrlich heranwächst und ein Waldboden, der nicht aussieht wie frisch gefegt. Das liegen gebliebene Holz ist Lebensraum fĂźr Pilze und Insekten. Hier ist gleich eine ganze Reihe seltener oder geschĂźtzter Arten zu Hause, wie z.B. die Bechsteinfledermaus, die Haselmaus, der Springfrosch und der Mittelspecht. UnĂźbersehbar aber auch die Wunden, die fĂźnf Jahre Kampf fĂźr seine Rettung dem Hambacher Forst zugefĂźgt haben. Eine Lichtung, wo vor wenigen Jahren noch hohe Bäume standen. Wo Waldbesetzer ihre Baumhäuser gebaut hatten, lieĂ RWE sie vertreiben und die Bäume roden.
RWE, der Name steht fĂźr das drohende Ende des alten Waldes. Der Energieriese aus Essen betreibt im Rheinischen Braunkohlerevier drei groĂe Tagebaue: Inden, Garzweiler und Hambach. Hier werden seit Jahrzehnten ganze Ortschaften umgesiedelt, Grundwasser bis in Tiefen von mehr als 500 Metern abgepumpt und der Boden aufgerissen, damit riesige Schaufelradbagger Braunkohle fĂśrdern kĂśnnen, die dann mit vielen Kilometer langen FĂśrderbändern und einer betriebseigenen Eisenbahn in derzeit drei GroĂkraftwerke transportiert und verbrannt wird. Diese drei, Neurath, NiederauĂem und Weisweiler, belegen die Plätze zwei bis fĂźnf auf der Liste der grĂśĂten CO2-Schleudern Europas. Ihre Namen sind Synonyme fĂźr Klimaerwärmung.
Um ihren unersättlichen Braunkohlehunger zu stillen, frisst sich der Tagebau jedes Jahr von Norden her weiter in den Wald. Zwischen Oktober und Februar ist Rodungssaison und RWE fällt mehr als 8.000 Ăźber 150 Jahre alte, wertvolle Bäume. So geht das schon seit vielen Jahren und von ursprĂźnglich 5.500 Hektar sind heute noch gerade mal ein Zehntel des Hambacher Forstes Ăźbrig. Dieses Jahr war der Konzern spät dran. Erst die Klimakonferenz, die ein Vorgehen gegen die Waldbesetzerinnen und Waldbesetzer im Vorfeld politisch unmĂśglich machte. Dann kam dem Energieriesen noch ein einstweiliges partielles Rodungsverbot des Verwaltungsgerichts KĂśln dazwischen, so dass RWE sein ZerstĂśrungswerk erst nach dem Urteil vom vorvergangenen Freitag (24.11.) wirklich beginnen konnte. Doch gerade erst mit groĂem Polizeiaufgebot gestartet, war am Dienstag schon wieder alles vorĂźbergehend vorbei. Das Oberverwaltungsgericht MĂźnster (OVG) verpflichtete auf Betreiben des BUND NRW das Land Nordrhein-Westfalen vorläufig sicherzustellen, dass RWE von weiteren Rodungs- und AbholzungsmaĂnahmen im Hambacher Forst absieht. Dies sei zur Vermeidung âirreversibler Zuständeâ erforderlich. Seit Dienstag, 28. November 18:00 Uhr, schweigen die Kettensägen.
Die mehreren hundert Aktivistinnen und Aktivisten im Hambacher Forst sind daher am Mittwochmorgen wieder etwas optimistischer, nachdem sie sich schon auf die Räumung ihrer um die dreiĂig Baumhäuser in den von Abholzung bedrohten Teilen des Waldes vorbereitet hatten. Sie haben in der Nacht um ein Lagerfeuer auf dem stillgelegten TeilstĂźck der A4 gefeiert. Die Autobahn musste vor einigen Jahren zwischen der Anschlussstelle DĂźren und dem Kerpener Kreuz auf einer Länge von knapp 17 Kilometern verlegt werden. Der Tagebau kam ihr immer näher. Die alte Trasse liegt nun im Rodungsgebiet. Die Stimmung ist also recht gut in âGallienâ, einem von drei BaumhausdĂśrfern. Einige Baumretter leben hier schon seit mehreren Jahren, viele bleiben nur fĂźr wenige Wochen oder ein paar Tage. Manches Baumhaus hat einen Heizofen, eine SpĂźle und einen Gaskocher, einige erstrecken sich Ăźber bis zu drei Etagen. Trotzdem ist das Leben unter den Baumkronen nicht einfach. Es braucht schon eine starke Ăberzeugung um auf flieĂend Wasser und eine Dusche zu verzichten. In den kommenden Wochen ist wohl erst mal Zeit, zu Hause die Wäsche zu waschen und ein warmes Bad zu nehmen. Entschieden ist der Wettlauf zwischen Kohleausstieg und Kettensäge aber noch keinesfalls.
Die Energiewende in Deutschland stagniert, das Land hat seine CO2 Bilanz seit 2009 nicht mehr verbessert. Die Solarenergie ist weitgehend ausgebremst und auch der Ausbau der Windkraft wird behindert. Noch schlimmer ist die politische Lage in NRW. Hat es die alte rot-grĂźne Landesregierung schon nicht geschafft, den Braunkohleausstieg auf den Weg zu bringen, so fällt Schwarz-Gelb durch aktive Behinderung des Ausbaus erneuerbarer Energien auf. Ihr geplantes Abstandsgebot von 1.500 Metern zu Wohngebieten und die Beendigung der Privilegierung von Windrädern als Bauvorhaben im Wald, reduzieren die potentiellen Flächen fĂźr diese Anlagen um 80 Prozent. Dabei ist NRW im Klimaschutz ein Entwicklungsland. Im vergangenen Jahr wurde fast jede zweite Kilowattstunde des hier produzierten Stroms durch Braunkohleverstromung gewonnen, nur etwa ein Zehntel stammte aus regenerativen Quellen. Damit liegt man weit unter dem Bundesdurchschnitt von Ăźber 30 Prozent. Dies ist umso gravierender, da das Industrieland NRW fĂźr ein Drittel des bundesweiten CO2 AusstoĂes verantwortlich ist.
Wie es mit dem Hambacher Forst weiter geht, wird stark davon abhängen, wie breit der Widerstand gegen die Abholzung sein wird. Das Bewusstsein fĂźr die Notwendigkeit eines unverzĂźglichen Ausstiegs aus der Braunkohlewirtschaft wächst. Die Proteste auf den Klimacamps, bei den rote Linien Aktionen und den Grubenbesetzungen werden stärker. Auch die Baumretterinnen und -retter brauchen Solidarität und freuen sich Ăźber Besuch und UnterstĂźtzung. Wer sich einmal bei einem Waldspaziergang einen Ăberblick Ăźber den Forst und den Widerstand fĂźr seinen Erhalt verschaffen mĂśchte, hat am Sonntag, den 10. Dezember wieder Gelegenheit dazu.
Das OVG hat unterdessen am Freitag (01.12.) einen Vergleichsvorschlag unterbreitet: RWE soll bis zum 31. Dezember 2017 keine weiteren Abholzungs- und RodungsmaĂnahmen durchfĂźhren, während das Land NRW ein Sachverständigengutachten dazu einholt, ob die bewaldete Fläche mit Blick auf die Bechsteinfledermaus die Kriterien fĂźr ein FFH-Gebiet erfĂźllt. Die Parteien haben bis zum 15. Dezember Zeit um das Angebot anzunehmen. Wenn sie dies tun, dann herrscht bis Neujahr Frieden im Wald, tun sie es nicht, dann ist noch nicht absehbar, wann mit der Abholzung wieder begonnen wird.