Im offenen Brief von ÄrztInnen an die SPD-Bundestagsfraktion heißt es: „Für die Frauengesundheit war dies ein schwarzer Tag. Für uns alle ist eine Illusion verschwunden, mit Ihnen zusammen die Versorgungslage in Bezug auf reproduktive Rechte in der Bundesrepublik endlich zu verbessern“. Bezuggenommen wird auf das nicht vorhandene Rückgrat der SPD im Kontext der Streichung des §219a StGB. Die SPD-Fraktion plante ursprünglich ebenso wie LINKE und Grüne einen Antrag zur Streichung des Paragraphen einzubringen, machte aber für die Union einen Rückzieher. Eine parlamentarische Mehrheit und die Streichung des Straftatbestands waren zum Greifen nah.
Paragraph 219a StGB bestraft „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ mit Gefängnis- oder Geldstrafe. Beim Straftatbestand handelt es sich um eine Norm aus dem Faschismus. Bekanntheit erhielt er nun, weil eine Ärztin auf ihrer Webseite Schwangerschaftsabbrüche anbietet und im November 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000€ verurteilt wurde. Neben zahlreichen feministischen Initiativen und Organisationen wie dem Deutschen Juristinnenbund solidarisierten sich viele mit der Ärztin Kristina Hänel und leisteten neben Öffentlichkeitsarbeit auch praktische Unterstützung. Dies war Voraussetzung für die politische Bewegung im Bundestag. Auch fordern nun fünf Landesregierungen die Abschaffung des Paragraphen.
Denunziation durch Reaktionäre
Selbsternannte LebensschützerInnen nutzen den Paragraphen 219a StGB, um ÄrztInnen anzuzeigen, die trotz des Verbots öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anbieten: Die Zahl der Ermittlungsverfahren stieg zuletzt von 14 im Jahr 2014 auf 35 im Jahr 2016. Auch Hänel wurde von christlichen FundamentalistInnen angezeigt.
Anti-Feminismus und tradierte Rollenzuschreibungen sind neben Rassismus ein weiterer gemeinsamer Nenner der neuen und alten Rechten.
Im Kern geht es um Selbstbestimmung, die Stärkung der Rechte von Frauen und bezüglich §219a StGB um das Informationsrecht der PatientInnen. Alle Menschen haben formal das Recht, frei und unabhängig über ihre Körper, ihre sexuelle Identität und ihre Fortpflanzung zu entscheiden. Nun sind Recht und Realität oft nicht deckungsgleich, sondern hängen von gesellschaftspolitischen Zuständen und Entwicklungen ab. Es kommt hinzu, dass die Rechtslage durch §218ff. bereits verheerend ist.
Zudem geht es darum, ob es einem autoritären neoliberalen und rechten Block gelingt, die Deutungshoheit über Ursachen gesellschaftlicher Schieflagen zu erlangen oder ob es gelingt, Kämpfe für Selbstbestimmung und gegen Armut in einem breiten sozialen Projekt zusammenzuführen. Die Zusammenhänge müssen dann deutlich gemacht und politisiert werden.
Herrschaft über Körper ist eine zentrale und historische Erfahrung von Frauen, die sich vielförmig ausdrückt – auch in Gesetzen. Körper von Frauen sind immer wieder Anknüpfungspunkt konservativer und fundamentalistischer Politik. Es ist eine unheilige Allianz und gefährliche Melange, die den Karren der radikalen FundamentalistInnen antreibt Die AfD ist klarer Teil der Anti-Choice-Bewegung.
Tabuisierung ist lebensgefährlich
Es gibt keinen umfassenden Überblick, wo Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland vorgenommen werden können, dafür aber zahlreiche Barrieren für betroffene Frauen. Hinzu kommt, dass immer weniger ÄrztInnen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Es fehlt an Nachwuchs und im Medizinstudium an der Lehre zu Methoden und Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch.
Die Tabuisierung und Bevormundung gefährdet Gesundheit und Leben von Frauen. Das grausame Bild des Bügels als Symbol für gefährliche selbstvorgenommene Schwangerschaftsabbrüche in einer Notsituation und ohne medizinischen Beistand darf für die Forderung nach Streichung der Straftatbestände nur als Mahnung fortbestehen, nicht als alternatives Instrument zu ärztlichen Eingriffen.