Corona-Grundeinkommen: gute Idee oder Irrweg?

Für Millionen Menschen brechen in der Corona-Krise die Einkommen weg. Besonders hart trifft es viele Minijobberinnen, Minijobber, Solo-Selbstständige, Kleinunternehmer und Kleinunternehmerinnen. Sie haben oft ohnehin niedrige Einkommen und brauchen jeden Euro für ihren Lebensunterhalt. Kurzarbeitergeld oder auch Arbeitslosengeld gibt es für sie aber nicht, weil sie nicht in der Arbeitslosenversicherung sind.

Die in den staatlichen Rettungspaketen zur Verfügung gestellten Gelder – für Solo-Selbstständige gibt es bis 9.000, für Kleinunternehmer bis zehn Beschäftigte bis 15.000 Euro nicht rückzuzahlende Zuschüsse und gegebenenfalls weitere Kredite – dienen der Deckung von Betriebskosten, nicht dem Lebensunterhalt, und sie reichen oft auch nicht weit.

Für den Lebensunterhalt werden die Menschen auf Hartz IV verwiesen. Das ist nicht viel, und es muss beantragt werden. Aber sie bekommen es in der Krise immerhin ohne enge Prüfung des Vermögens und der Angemessenheit der Wohnung, also zu günstigeren Bedingungen als die bisherigen Empfängerinnen und Empfänger der Grundsicherung. Eigene und Partnereinkommen werden aber weiterhin angerechnet. Viele Selbstständige und die meisten Minijobber haben deshalb nichts davon, dasselbe gilt für viele Rentnerinnen und Rentner, die mit Minijobs ihre Rente aufbessern. Studierende haben ebenfalls keinen Anspruch. Die Lage der Ärmsten wird außerdem dadurch verschlechtert, dass viele Tafeln nicht mehr arbeiten, und Flaschen zum Sammeln gibt es auch kaum noch. Dennoch hat die berechtigte Forderung nach einem Corona-Zuschuss für die Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung nur mäßige Unterstützung.

Forderungen nach einem Corona-BGE

Größere öffentliche Resonanz haben Forderungen und Petitionen, die als Hilfsmaßnahme in der Corona-Krise ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) für die Dauer der Krise oder für drei oder sechs Monate fordern. So haben über 400.000 Menschen die Petition der selbstständigen Modedesignerin mit fünf Angestellten Tonia Merz gezeichnet. Sie artikulieren vor allem die Probleme von „unzähligen Selbstständigen, Kreativen, Musikern, Künstlern, Veranstaltern und Überlebenskünstlern“ und fordern: „Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 800-1200 € pro Person für 6 Monate. Schnell, unbürokratisch, zeitlich begrenzt. DAS würde den sozialen Absturz Tausender verhindern und gleichzeitig die Kaufkraft im Land erhalten. (…) Eine bessere Möglichkeit, das Konzept Grundeinkommen zu testen, gibt es nicht – in der Krise liegt die grösste Chance.“ Das klingt zunächst einleuchtend.

Doch es ist wichtig, etwas kritischer nachzudenken und ein paar Fragen zu stellen: Warum sollen als Maßnahme gegen die Krise alle unterschiedslos ein solches bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) bekommen, obwohl für viele, zum Glück die Mehrheit der Beschäftigten, die Einkommen überhaupt nicht ausfallen, sondern weiter laufen wie bisher? Viele haben sogar mehr Geld als sonst, weil Urlaube ausfallen und auch andere Gelegenheiten, Geld auszugeben, weniger geworden sind.

Die Mehrzahl der Beschäftigten, die Corona-bedingt nicht oder nur eingeschränkt ihrer Erwerbsarbeit nachgehen können, bekommen Kurzarbeitergeld, mindestens 60 Prozent, bei Eltern 67 Prozent des ausfallenden Nettoeinkommens. In nicht wenigen Fällen wird es aufgrund von Tarifverträgen auf höhere Sätze aufgestockt. Das ist für die meisten mehr als ein BGE bringen würde. Für viele ist es aber zu wenig und reicht nicht, um die Ausgaben zu decken, selbst wenn es höher als ein BGE wäre, etwa weil die Wohnung teuer ist oder Kredite laufen. Für viele ist es aber auch weniger als das geforderte BGE. Doch wäre es nicht viel naheliegender und gerechter, und diese Forderung finde ich wirklich wichtig, dass das Kurzarbeitergeld mindestens für alle Geringverdienenden verbindlich auf 90 Prozent aufgestockt wird, und dass es insgesamt erhöht wird?

Auch für die anderen Gruppen, die durch die Krise ihr Einkommen verlieren, wären zielgerichtete Maßnahmen zum Ausgleich dieser Einkommensausfälle doch viel sinnvoller. Die bisherigen kurzfristig umgesetzten Programme zeigen, dass das schnell und unbürokratisch möglich wäre. In vielen Fällen müssten und könnten die Hilfen auch höher ausfallen als ein gefordertes BGE für alle. In etlichen Fällen gibt es auch solche Hilfen. Überhaupt wäre ein BGE keine Rettung für die vielen Selbstständigen und Kleinunternehmen, die vor der Pleite stehen, weil ihre Einnahmen ausfallen, sie aber weiter diverse laufende Kosten, Mieten usw. zahlen müssen. Es wäre aber zu befürchten, dass wenn es ein BGE gäbe, dieses als Argument dienen würde, dass darüber hinaus gehende Hilfen unnötig wären. Zugleich wäre ein gezielter Einkommensausgleich für diejenigen, die ihn brauchen, ökonomisch sinnvoller, um nach der Krise wieder loszulegen zu können, und weitaus weniger teuer, weil viel weniger Menschen als die gesamte Bevölkerung ihn bekommen würden.

Unklarheiten und Fehlinformationen

Vielen, die die Forderung nach einem BGE unterstützen, ist auch gar nicht klar, was damit tatsächlich gemeint ist. Viele verstehen darunter, dass allen Menschen, die es brauchen, weil sie kein anderes hinreichendes Einkommen haben, ein Grundeinkommen gewährleistet werden soll, ohne weitere Bedingungen und Anforderungen an sie zu stellen. Dass es die ganze Bevölkerung bekommen soll, auch die überwiegende Mehrzahl der Menschen, die es überhaupt nicht brauchen, weil sie genug Einkommen haben, ist vielen nicht klar. Dabei sind das Problem nicht die paar Tausend Superreichen oder auch paar Tunderttausend wirklich Reichen, sondern die insgesamt gut 70 Millionen, die das betrifft. Denn diese große Zahl führt dazu, dass für ein BGE exorbitante Summen ausgegeben werden müssten, während weiterhin und in den kommenden Jahren verschärft Geld für wirklich dringende öffentliche und soziale Aufgaben fehlen wird.

Das Problem der Unklarheit, um was es überhaupt geht, wird durch falsche irreführende Meldungen in Massen- und Onlinemedien oder im Rahmen der Kampagnen verstärkt. So verbreiteten im April einige Zeitungen und eine Kampagnenmail von wemove.eu das Gerücht, die spanische Regierung plane die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Viele BGE-Anhängerinnen und -Anhänger griffen dies gleich begeistert als vermeintlichen Beleg dafür auf, dass ein BGE praktisch möglich sei, wenn es nur gewollt wäre. Dabei hätte etwas kritisches Nachdenken und Rechnen aufgrund der teils in den gleichen Artikeln mitgelieferten Informationen über die geschätzten Ausgaben oder minimale Kenntnis über die Finanzprobleme des spanischen Staates gleich klar gemacht, dass es dabei nicht um ein BGE für alle gehen könnte.

Tatsächlich geplant ist eine bedarfsabhängige Mindestabsicherung. Also etwas ähnliches, wie es das als Grundsicherung mit Hartz IV in Deutschland schon lange gibt, möglicherweise weniger sanktionsbelegt, dafür aber noch deutlich niedriger, maximal 500 Euro. Bei geschätzt sechs Milliarden Euro Kosten im Jahr für etwa 3 Millionen begünstigte Menschen (bei 47 Millionen Einwohnern) wären das durchschnittlich knapp 170 Euro im Monat pro Person. Ähnliches gilt für das Grundeinkommen, das in Italien 2019 eingeführt worden ist, oder für den mittlerweile abgebrochenen Versuch in Finnland. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle in einer Gesellschaft, gar in auch nur annähernd existenzsichernder Höhe, war keiner der Vorstöße und gibt oder gab es auch bisher nirgendwo, und wird es auch absehbar nicht geben.

Klassenkampf statt BGE

Grundsätzlich gelten die diversen Argumente, die gegen ein BGE sprechen, auch für ein Corona-Krisen-BGE. Warum sollte die große Mehrheit der Bevölkerung dieses Geld bekommen, obwohl sie es überhaupt nicht braucht? Warum sollten alle gleich viel bekommen, egal wie hoch ihre Wohn- und anderen Kosten sind? Warum sollte ein gigantisches Umverteilungskarussell in Gang gesetzt werden, bei dem der Mehrheit der Menschen ein BGE in die eine Tasche hineingesteckt und es zugleich aus der anderen Tasche über exorbitant höhere Abgaben wieder herausgezogen würde? Denn entgegen den Behauptungen von BGE-Anhängerinnen und -Anhängern würden höhere Steuern der Reichen und auf Kapital und Finanztransaktionen niemals ausreichen, die riesigen Umverteilungsvolumina aufzubringen, die jedenfalls für ein soziales BGE nötig wären.

Realistischer wären lediglich neoliberale Varianten, die damit den bestehenden Sozialstaat weitestgehend schleifen und andere Einkommen, auch Löhne, mit dem BGE verrechnen wollen. Das würde aber für die Stellung der Lohnabhängigen wie der sozial besonders Schutzbedürftigen wesentlich verschlechtern, statt verbessern. Auch das ist aber sehr unwahrscheinlich, weil die bestehenden Sozialversicherungen nicht so einfach abzuschaffen sind. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir im Kapitalismus leben und dass es um Klassenkampf und gesellschaftspolitische Kräfteverhältnisse geht. Wie realistisch ist die Vorstellung, die BGE-Bewegung können ein soziales Traum-BGE durchsetzen, das zumindest zu nennenswerten Teilen zu Lasten des Kapitals aufgebracht wird, wenn wir es nicht einmal schaffen, breit mehrheitsfähige Forderungen nach Verbesserungen im Gesundheitswesen und der Pflege oder im Bildungswesen durchzusetzen und weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche zu verhindern?

In letzter Zeit gibt es auch zunehmend Missverständnisse über die sogenannte Modern Monetary Theorie (MMT – moderne Geldtheorie). Es stimmt, dass theoretisch, wenn es die rechtlichen – aber real gültigen – Beschränkungen dafür nicht gäbe, und wenn die außenwirtschaftlichen Bedingungen es erlauben, der Staat beziehungsweise die Zentralbank die Ausgaben einfach durch Geldschöpfung finanzieren könnte. Das ist jedoch eine technische Betrachtung, die faktisch die Möglichkeit massiv erhöhter öffentlicher Kreditaufnahme für Zukunftsinvestitionen oder Antikrisenprogramme aufzeigt. Das könnte auch „Helikoptergeld“ sein, also einfach Geldbeträge an die Bevölkerung zu verteilen. Ein dauerhaftes BGE könnte man damit aber nicht finanzieren, ohne schnell in Hyperinflation und Verfall des Währungswerts abzurutschen. Da ein BGE Produktion und Angebote nicht erhöhen würde, müsste die so verteilte zusätzliche Kaufkraft anderswo durch massiv erhöhte Steuern wieder abgezogen werden. Und auch ein einmaliges Helikopter-BGE oder Krisen-BGE für einige Monate wäre keineswegs eine gute Idee, bloß weil es theoretisch möglich wäre. Praktisch-politisch ist es hierzulande ohnehin völlig unrealistisch.

Im Endeffekt bleibt es dabei: Alle Einkommen beruhen letztlich auf Wertschöpfung durch Erwerbsarbeit. Sozialleistungen und auch ein BGE müssen letztlich immer aus dem Volkseinkommen aufgebracht werden, also den Löhnen einerseits, Gewinnen und Vermögenseinkommen andererseits. Daran würden weder Geldschöpfung noch beispielsweise eine Wertschöpfungsabgabe/Maschinensteuer etwas ändern (letzteres wäre nur eine veränderte Bemessungsgrundlage). Ein BGE wäre eine Geldleistung und würde vollständig darauf beruhen, dass die kapitalistische Warenproduktion weiterläuft. Nur was die Erwerbsarbeit produziert, könnte man für ein BGE auch kaufen. Wegbrechende Erwerbsarbeit und Wirtschaftsleistung würden auch die ökonomische Basis für ein BGE immer weiter schmälern. Die Forderungen nach einem BGE ignorieren oder missachten die zentrale Bedeutung der Arbeit, insbesondere der Erwerbsarbeit.

Verschärfte Verteilungsauseinandersetzungen in Sicht

Aktuell scheint Geld keine Rolle zu spielen, wenn man sich die großangelegten Rettungspakete in der Corona-Krise anguckt. Doch in den Monaten und Jahren nach der akuten Krise werden die Verteilungskämpfe schärfer denn je losbrechen. Die Neoliberalen werden auf unsoziale Kürzungspolitik setzen, um die sinkenden Einnahmen auszugleichen und die stark gestiegene Verschuldung wieder abzubauen. Gewerkschaften, soziale Kräfte und Linke müssen dann klarmachen, dass ein sozial-ökologischer Umbau nötiger denn je und daher mehr statt weniger öffentliche Ausgaben zur Zukunftsgestaltung erforderlich sind. Diese müssen durch höhere Besteuerung hoher Einkommen und Gewinne sowie großer Vermögen und Erbschaften bezahlt werden. Die Verschuldung kann angesichts der niedriger als die Inflationsrate liegenden Zinsen langfristig stehen bleiben und ist sogar ein Gewinngeschäft für den Staat. Zum Abbau der Verschuldung ist eine Vermögensabgabe der Milliardäre und Multimillionäre unverzichtbar.

Das heißt aber auch: Wir haben nicht hunderte Milliarden Euro übrig, die mal einfach so mit der Gießkanne für ein BGE ausgeschüttet werden könnten und faktisch weitgehend verschwendet würden. Denn je höher die Ausgaben und neuen Schulden jetzt sind, desto heftiger werden anschließend die politischen Auseinandersetzungen sein. Der Sozialstaat wird ohnehin massiv von Steuerausfällen (in diesem Jahr 100 und den kommenden je über 50 Milliarden Euro, mindestens) und Mehrausgaben betroffen sein. Schon jetzt planen viele Kommunen Ausgabenkürzungen. Hilfen für die, die sie brauchen, und sozial-ökologischer Umbau sind sowohl in der Sache richtiger und wirksamer als auch politisch tragfähiger als ziellose Geldverteilung an alle. Wir brauchen breite Bündnisse und Mobilisierung für Forderungen, die konsensfähig und nicht im Gegenteil hoch umstritten wie ein BGE sind. Alleinerziehende, alte, kranke, besonders gefährdete und einkommensarme Menschen sowie Menschen mit Behinderung brauchen schnelle, unbürokratische Unterstützung! Eine aussichtslose und ziellose Kampagne für ein BGE hilft ihnen nicht.

Weitere Argumente zur Kritik der BGE-Forderungen siehe hier bei ver.di Wirtschaftspolitik oder auf meiner Seite: www.grundeinkommen-kritik.de

Die SL hat einen Flyer zur Kritik der Vorstellung eines Corona-BGE erstellt, der hier zum Download verfügbar ist oder gedruckt bestellt werden kann.

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Eine Antwort

  1. Wenn man die technologische Entwicklung und die Erfindung des Mikroprozessors gegen 1970 betrachtet, wurde freigesetzte Arbeitskraft stets durch einen anderen Wirtschaftsektor aufgefangen.
    Nur sind die Sektoren der Rohstoffgewinnung und Produktion mittlerweile größtenteils automatisiert, weshalb vermehrt Jobs im Dienstleistungssektor geschaffen werden.
    Allerdings gibt es vier Punkte, die diese Entwicklung stagnieren lassen.
    Punkt 1 ist die zunehmende Leistungsfähigkeit von KI’s im Dienstleistungssektor.
    Punkt 2 ist die Tatsache, das Maschinen und KI’s zwar Arbeit verrichten, aber nicht konsumieren.
    Punkt 3 ist der Zwang zum ständigem Einsatz der neusten Technologien, um konkurrenzfähig zu bleiben.
    Punkt 4 liegt darin, das der Mensch evolutionsgebunden und zu langsam ist, um mit Automatismen und KI’s auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren zu können.

    Um die Wirtschaftskreisläufe intakt zu halten, müßte der Konsum als Leistung anerkannt und eine Besteuerung der maschinellen Arbeit mit einer Entlohnung gleichgesetzt werden, die zusammen mit einer geringen Börsenumsatzsteuer und einem Abbau von bürokratischen Strukturen zur Finanzierung eines Grundeinkommens mit einem momentanen Geldwert von ca. 1200 Euro mehr als ausreichend sein sollte.
    Die wesentlich wichtigere Frage lautet, ob es ein neues Bildungssystem geben wird, das die Begriffe der „Arbeit“ und „Erwerbsarbeit“ im Bewusstsein der Masse wieder trennen kann, damit der Selbstwert eines Menschen nicht leidet.
    Meiner Meinung nach verrichtet jedes Elternteil durch die Erziehung oder ein erwerbsloser Trainer einer Jugendfussballmannschaft gesellschaftlich wichtige Arbeit, die auch entsprechend bezahlt werden muß.

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