2. Mai 1933: Faschistischer Sturm auf die Gewerkschaftshäuser

Ein SA-Trupp bewacht den Eingang eines geschlossenen Gewerkschaftshauses. (Berlin, 2. Mai 1933)

Der 2. Mai ist und bleibt ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Gewerkschaften. Er steht für den Sturm auf die Gewerkschaftshäuser durch faschistische SA-Truppen und die Verfolgung, Verschleppung und brutale Ermordung zehntausender Gewerkschafter. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Krisensituation, die auch heute mit einem politischen Rechtsruck einhergeht, sollten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter einen Blick für die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in Geschichte und Gegenwart entwickeln. Denn das Agieren freier Gewerkschaften und die Inanspruchnahme des Streikrechts sind keine in Stein gegossenen, immerwährenden Rechte, sondern Momentaufnahmen im ständigen Aushandlungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit.

Wenn wir über den 2. Mai reden, gehört zur Wahrheit aber leider auch: Die gewerkschaftliche Gegenwehr gegen die SA blieb weitestgehend aus. Die Arbeiterbewegung wurde kampflos niedergerungen. Während am 30. Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme durch die Nazis, tausende Arbeiter intuitiv vor die Gewerkschaftshäuser zogen, um diese vor faschistischen Übergriffen zu schützen, blieb am 2. Mai 1933 der Kampf gegen den Faschismus weitestgehend aus. Der Grund: Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) gab in den Wochen zuvor eine falsche Orientierung in die Mitgliedschaft und signalisierte eine Anpassungsbereitschaft an die Nazis bis an den Rand der Selbstaufgabe. So gab es Gespräche mit Vertretern der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) über eine Einheitsgewerkschaft. Und als der ADGB am 1. Mai 1933 seine Mitglieder zur Teilnahme am „Tag der nationalen Arbeit“ aufrief, wurden an den Gewerkschaftshäusern schwarz-rotweiße Flaggen aufgezogen. Gleichzeitig bereitete die Propaganda von der Volksgemeinschaft die Zerschlagung der Gewerkschaften als überflüssige Klassenorganisationen argumentativ vor.

Die Unterwerfungsstrategie des ADGB war mehr als die Folge einer Fehleinschätzung. Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts sahen die Gewerkschaften im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ihre Rolle zunehmend als Hüterin der Gesamtwirtschaft. Bereits 1914 hatten sie beschlossen, für die Dauer des Krieges auf Streiks zu verzichten. In den 1920er Jahren folgten tarifierte Arbeitszeitverlängerungen.

Diese Praxis war das Ergebnis einer gewerkschaftlichen Debatte, in der die Führung des ADGB davon ausging, dass es jenseits des Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit vor allem ein wirtschaftliches Gesamtinteresse gäbe, dem die Interessen der Lohnabhängigen untergeordnet werden müssten. Die Folge war die Ausrichtung der Gewerkschaften als partnerschaftlich orientierter wirtschaftlicher Interessenverband. Gleichzeitig ging der ADGB davon aus, sich mit dem faschistischen Regime arrangieren zu können – solange die Arbeitsbeziehungen auf der betrieblichen Ebene geregelt werden könnten, wurden die gesellschaftlichen Auswirkungen des Regimes ausgeblendet. Mit dieser Strategie sollten die Gewerkschaften als legale Organisationen erhalten werden. In dieser Logik bekam die Unterwerfung unter den Faschismus eine Folgerichtigkeit.

Die gesamte Dramatik für diese Orientierung zeigte sich in der Folge. Der Faschismus unter Hitler lies keinerlei Spielraum für gewerkschaftliche Umverteilungskämpfe. Er war vielmehr das Instrument, um den Klassenzusammenhalt einer kämpferischen Arbeiterbewegung zu zerschlagen. In den darauffolgenden Jahren zeigte sich: Eine Gesellschaft ohne Gewerkschaften ist eine Gesellschaft, in der abhängig Beschäftigte rechtlos sind. Lohnabhängige wurden in einen Zustand der erzwungenen Vereinzelung gedrängt. Tarifverträge wurden in Tarifordnungen überführt. Diese wurden ohne Möglichkeit zum Widerspruch verkündet. Die Löhne sanken. Die Arbeitszeiten stiegen auf bis zu 70 Stunden pro Woche. Die Kapitulation der Arbeiterbewegung ausgerechnet vor einem solchen System gehört daher zu ihren größten Tragödien.

Die Entwicklung zeigt, dass sich Gewerkschaften schwächen, wenn sie sich auf die betriebliche Ebene zurückziehen und die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse aus dem Blick verlieren. Das permanente Bestreben der Unternehmer, den Lohn auf ein physisches Existenzminimum zu drücken und den Arbeitstag auf ein physisches Maximum auszudehnen, erfordert die betrieblichen Auseinandersetzungen ebenso wie die offensive Wahrnehmung des gesellschaftspolitischen Mandats. Das gilt ganz besonders in Krisen- und Kriegszeiten. Vor allem Kriege drängen Gewerkschaften in Widerspruchssituationen: Sie erschweren die gesellschaftliche Umverteilung. Gleichzeitig erhöht die mediale Berichterstattung den Druck zur Zustimmung zum Krieg. Der Blick in die Geschichte zeigt: Gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit entsteht aus der Frage, in wessen Interesse politische Entscheidungen getroffen, Krisenauswirkungen bearbeitet oder Kriege geführt werden.

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