Etwa 700.000 israelische Siedler halten das Westjordanland besetzt. Ein völkerrechtswidriger Sachverhalt, der sogar von Vertretern israelischer Lobbyorganisationen in Deutschland nicht geleugnet wird. Manche verurteilen den Landraub sogar, allerdings meist nur in Nebensätzen.
Was die systematische Enteignung für die betroffene palästinensische Bevölkerung eigentlich bedeutet, geht weder aus Begriffen des Völkerrechts noch aus statistisch erfassten Zahlen hervor. Der Dokumentarfilm „No Other Land“ hilft, diese Wahrnehmungslücke zu schließen. Er dokumentiert über einen längeren Zeitraum den demokratischen Kampf einer Gruppe von Menschen, die sich ihrer Vertreibung widersetzen. Auch ihr Dorf in der Region Masafer Yatta soll demnächst dem Erdboden gleichgemacht werden. Etwa 40 Jahre zuvor hatte die israelische Regierung beschlossen, dass genau an dieser Stelle ein Truppenübungsplatz errichtet werden soll.
Vertreibung der Einheimischen
Die familiäre Verwurzelung vieler Einheimischer reicht Jahrhunderte zurück. Sie lassen sich daher nicht einfach so vertreiben, sondern kooperieren seit Jahrzehnten mit palästinensischen und jüdischen Menschenrechtsaktivisten. Zu ihnen gehört auch der jüdische Journalist Yuval Abraham, der 2019 in das Dorf kommt, um Verbrechen des israelischen Militärs zu dokumentieren. Im Dorf freundet er sich mit dem palästinensischen Aktivisten Basel Arda an, der schon in jungen Jahren begonnen hatte, mit seiner Videokamera die Zerstörungen und Menschenrechtsverletzungen in seinem Heimatdorf aufzuzeichnen. Die beiden Männer tun sich zusammen und versuchen, gemeinsam die Öffentlichkeit über das Geschehen vor Ort zu informieren – vier Jahre lang.
Ihre einzige „Waffe“ ist die Dokumentation in bewegten Bildern. Sie wollen festhalten, was geschieht, um möglichst viele Menschen für das Unrecht der Besatzungspraxis zu sensibilisieren. Wie kräftezehrend und ermüdend dieses Vorgehen ist, ist schon auf dem Filmcover festgehalten: Basel Arda liegt erschöpft auf kargem Boden. Im Hintergrund tritt ein Bulldozer den Heimweg an, nachdem er eine weitere Wohnstätte plattgemacht hat. Der junge Mann aber wird gleich wieder erwachen, seine Kamera zur Hand nehmen und das nächste Verbrechen dokumentieren. Atmosphärisch dringt die monotone Mechanik übermächtiger Bulldozer-Gewalt beklemmend durch den gesamten Film.
Mich überfiel allein beim Zuschauen ein Gefühl von Ohnmacht, das die Betroffenen beim Abriss ihrer Wohnhäuser umso schmerzlicher empfinden mussten. Kinder, Mütter und Väter werden dazu verdammt, die Zerstörung ihrer Heimstätten über sich ergehen zu lassen. Ihnen bleiben nur verzweifelte Appelle an die Moral der Söldner. „Warum tut ihr das? Was würdet ihr machen, wenn man das mit eurer Heimat machen würde?“, fragt eine Dorfbewohnerin verzweifelt einen israelischen Soldaten, der mit gleichgültiger Kälte erwidert, dass er lediglich das Gesetz ausführe.
Ihre einzige „Waffe“ ist die Dokumentation in bewegten Bildern. Sie wollen festhalten, was geschieht, um möglichst viele Menschen für das Unrecht der Besatzungspraxis zu sensibilisieren. Wie kräftezehrend und ermüdend dieses Vorgehen ist, ist schon auf dem Filmcover festgehalten. Basel Arda liegt erschöpft auf kargem Boden. Im Hintergrund tritt ein Bulldozer den Heimweg an, nachdem er eine weitere Wohnstätte plattgemacht hat. Der junge Mann aber wird gleich wieder erwachen, seine Kamera zur Hand nehmen und das nächste Verbrechen dokumentieren. Atmosphärisch dringt die monotone Mechanik übermächtiger Bulldozer-Gewalt beklemmend durch den gesamten Film.
Mich überfiel allein beim Zuschauen ein Gefühl von Ohnmacht, das die Betroffenen beim Abriss ihrer Wohnhäuser umso schmerzlicher empfinden mussten. Kinder, Mütter und Väter werden dazu verdammt, die Zerstörung ihrer Heimstätten über sich ergehen zu lassen. Ihnen bleiben nur verzweifelte Appelle an die Moral der Söldner. „Warum tut ihr das? Was würdet ihr machen, wenn man das mit eurer Heimat machen würde?“, fragt eine Dorfbewohnerin verzweifelt einen israelischen Soldaten, der mit gleichgültiger Kälte erwidert, dass er lediglich das Gesetz ausführe.
Als am Ende auch noch die Schule erbarmungslos eingeebnet wird, scheint der letzte Funke des Widerstands ausgetreten. Die Schule war bisher nicht angetastet worden. Nicht etwa aus humanistischen Motiven, weil es sich um eine Bildungseinrichtung handelt. Denn Israel hätte formal das „Recht“ gehabt, sie einfach niederzureißen, schließlich war sie von den Dorfbewohnern ohne Baugenehmigung Israels errichtet worden, erzählt uns Basel, der zugleich auch Anführer des zivilen Widerstandes im Dorf geworden war.
Voller Stolz berichtet er in Rückblenden vom Engagement seines Vaters, der als junger Mann den bewaffneten Besatzern immer selbstbewusst die Stirn geboten hatte. Für seinen zivilen Ungehorsam war er mehrfach verhaftet worden. Seinem Einsatz und seiner Vernetzung mit kritischen friedensbewegten Journalisten und Aktivisten in Israel war es hauptsächlich zu verdanken, dass Tony Blair, der ehemalige Premierminister des Vereinigten Königreiches, 20 Jahre zuvor das Dorf besuchte. Sein Besuch trug dazu bei, den Bulldozer vorläufig zu stoppen. Dieses Ereignis markierte den bisher wohl größten Erfolg des Widerstandes in Masafa Yattar.
Basel will nun an die Erfolge seines Vaters anknüpfen. Zusammen mit seinem Freund Yuval versuchen sie Strategien zu entwickeln, um das Unrecht mit seinen immer brutaleren Zügen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sie erhoffen sich, dass sich vor allem auch die USA dieses Problems annehmen und Druck auf die israelische Regierung ausüben könnten.
Dokumentation der tagtäglichen Demütigung
Beide Aktivisten bleiben ihrem Anliegen treu und dokumentieren anschaulich, wie den Einheimischen Schritt für Schritt die Lebensgrundlagen entzogen werden. So beschließt die israelische Armee, dem Dorf den Stromgenerator zu entwenden. Dabei kommt es zu einem Handgemenge, bei dem Harun, Basels Schwager, vor den Augen seiner Mutter von einem israelischen Soldaten angeschossen wird. Harun überlebt schwerverletzt, doch nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus muss er als Querschnittsgelähmter in einer Höhlenwohnung gepflegt werden, da auch seine Heimstätte abgerissen wurde. Im Interview beklagt seine Mutter unter Tränen den unmenschlichen Umgang mit ihrem Sohn. Sie schildert auch dessen angeschlagenen Gesundheitszustand und wünscht sich, dass sich Gott seiner erbarme. Dieser Wunsch soll wenige Wochen darauf in Erfüllung gehen.
Diese Tragödie ist ihrerseits Anlass für eine neuen Anlauf von Protesten, die medial für Aufsehen sorgen. So berichtet auch ein israelischer TV-Sender von dem Vorfall. Basel ist der Anführer von ca. 50 Protestierenden und skandiert mit ihnen „Erhebt eure Stimme, erhebt eure Stimme!“ Den Protestverlauf veröffentlicht er per Livestream auf einer Internetplattform. Auf den selbstgebastelten Plakaten sind Sprüche wie „Gerechtigkeit für Harun!“ zu lesen. Von diesem Aufstand scheint das Militär nicht begeistert zu sein, berichtet Basel seinem Friedensfreund Yuval. Ein israelischer Soldat habe ihm gesteckt, dass er bald verhaftet werden solle. Als die Soldaten tatsächlich in der Nacht anrücken und nach Basel suchen, befindet sich dieser in einem sicheren Versteck und kann seiner Festnahme entgehen.
Aus Basels Sicht beeinflussten die Proteste durchaus die israelischen Behörden, denn es gebe nun gefühlt seltener Räumungsaktionen. Es sind wohl diese kleinen Erfolgserlebnisse, die bei den Aktivisten neue Energien freisetzen.
Yuval dagegen ist weniger zufrieden mit der politischen Wirkung seiner Arbeit. Denn trotz der dokumentarisch festgehaltenen Beweise des Unrechts scheint sich die Welt kaum für die unterdrückten Palästinenser zu interessieren. Lediglich 2366 Personen hätten seine Artikel über Haruns Mutter gelesen, resümiert er resignierend in einem Dialog mit Basel. Sein Freund empfindet dessen Zielsetzungen als zu ambitioniert: „Du bist zu enthusiastisch. Es scheint, als würdest du die Besatzung in zehn Tagen beenden wollen. Gewöhn dich ans Scheitern!“
Trotz dieses kleinen Disputes machen Basel und Yuval weiter. Sie produzieren Videomaterial, dass die wachsende Schonungslosigkeit der Besatzungsmacht festhält. Nun geht es auch noch an die Grundversorgung: So wird ein Trinkbrunnen mit Beton versiegelt und die Wasserzufuhr abgeschnitten. Ein Dorfbewohner ruft ihnen verzweifelt entgegen: „Wasser ist ein Menschenrecht!“
Siedler- und Militärgewalt
Schließlich sehen wir Videoaufnahmen von bewaffneten radikalen Siedlern, die unter Geleitschutz der israelischer Soldaten Häuser der Dorfbewohner zerstören und auf einen Dorfbewohner schießen. Ein am Filmende eingeblendetes Dokument belegt, dass die Vertreibung der Dorfbewohner nicht einer militärischen Nutzung des Territoriums, sondern dem Siedlungsbau gedient haben soll.
Wer aus dem Film „No Other Land“ kommt, kann sich einem Gefühlsmix aus Resignation, Ohnmacht und Wut nur schwer erwehren. Menschenrechte für alle scheinen nur auf dem Papier zu gelten. Und kann ein den Menschenrechten verpflichteter Journalismus von Aktivisten überhaupt irgendeinen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen? Während der Film nach 95 min. endet, geht das von ihm gründlich dokumentierte Leiden von Menschen in unverminderter Weise weiter. Endlos?
Deutscher Diskurs
„No Other Land“ ist aus meiner Sicht dennoch ein Musterbeispiel für die Wirkmächtigkeit eingreifender politischer Kunst. Denn Basel und Yuval sind keine beobachtenden Regisseure, sondern politisch Handelnde mit einer klaren Strategie und Botschaft. Zumindest ihr unmittelbares Ziel, nämlich ein breites westliches Publikum zu erreichen und aufzurütteln, dürfte aufgegangen sein. Der Film hat u.a. den Preis des besten Dokumentarfilms auf der Berlinale erhalten und kann als solcher nicht mehr einfach ignoriert werden. Bei der Preisverleihung nahmen sie die Auszeichnung aber nicht nur brav und ergeben entgegen, sondern nutzten die Bühne zur eindringlichen Wiederholung ihrer friedenspolitischen Botschaft. Der Palästinenser Basel Arda betonte, wie schwer es ihm falle, den Preis anzunehmen, während fortgesetzt Zehntausende in seiner Heimat umkommen. Er forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Ob er aus Rücksicht vor der deutschen Staatsräson das verbotene G-Wort zur Beschreibung der israelischen Kriegsverbrechen dabei nicht aussprach, sei dahingestellt. Der jüdische Co-Regisseur Yuval Abraham hob in seiner Rede das im prämierten Film offengelegte Grundproblem, nämlich die rechtliche Ungleichbehandlung zwischen Juden und Palästinenser im besetzten Westjordanland, nochmals hervor: „Ich kann mich in diesem Land frei bewegen, wie ich will. Basel ist wie Millionen von Palästinensern im besetzten Westjordanland eingesperrt. Diese Situation der Apartheid zwischen uns, diese Situation der Ungleichheit, muss ein Ende haben!“ Wie folgerichtig sind die Statements dieser Künstler, denen die Veränderung der unerträglichen politischen Zustände im Westjordanland am Herzen liegt.
Anders die Situation in Deutschland, wo bei nahezu jeder kritischen Äußerung an der Politik der derzeitigen ultranationalistischen Regierung Israels ebenfalls eine Art Bulldozer am Werk sind. Völlig unverständlich und realitätsfremd muss jedem Filmbesucher nicht die Skandalisierung des Skandals in einem aufrichtigen Dokumentarfilm und durch den öffentlichen Auftritt seiner Regisseure, sondern die Resolution „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ vorkommen, in der sie als Beispiel für „Antisemitismus“ herhalten sollen, welches „umfassend aufgearbeitet werden und Konsequenzen haben müsse“.
Da muss sich der aufmerksame Zuschauer verwundert die Augen reiben und fragen: Kann das jetzt wahr sein? Meinen wir hier denselben Film? Um es nochmal klarzumachen:
Ein jüdisch-israelischer Filmemacher spricht über die Kernaussage seines gerade preisgekrönten Films, die Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland. Und er benutzt dafür den Begriff der Apartheid, der auch von zahlreichen anerkannten Völkerrechtlern, Wissenschaftlern und Journalisten für die Lage der Palästinenser verwendet wird. Ohne auch nur einen eigenen Gedanken zu verschwenden, werfen sich deutsche Medienberichterstatter mit der ganzen Wucht ihrer Meinungsführerschaft auf ein Wort, wie die Aasgeier auf einen letzten Knochen, und versuchen daraus einen „Antisemitismus-Skandal“ herauszuschleudern?
Natürlich ist das Antisemitismus, brüllen selbsternannte Antisemitismusjäger, wie kann man denn von Apartheid in einer Demokratie sprechen? Habt ihr denn nicht die IHRA-Definition zur Kenntnis genommen, die auch in der Bundestagsresolution verwendet wird?
Ist das euer Ernst, möchten wir ihnen erwidern. Ihr wollt einen jüdischen Friedenskämpfer des Antisemitismus beschuldigen, weil er einen Begriff von eurer Worterkennungs- und Fahndungs-Liste für Antisemitismus benutzt hat? Soll Yuval Abraham bald Einreisverbot bekommen, soll „No Other Land“ auf den Index gesetzt werden? Und denkt ihr wirklich, dass mit dieser, sehr speziell deutschen, Art der Interpretation von „Antisemitismus“ irgendein einziges Leben im multiethnischen Nahen Osten oder gar der israelische Staat als solcher „geschützt“ werden kann?
Vor dem Hintergrund der Reaktionen deutscher Medien, israelischer Lobbyorganisationen und einiger demokratisch gewählter Politiker hinsichtlich der Verurteilung von Gallant, Netanjahu & Co. scheint in der Tat nichts mehr undenkbar. Die „Bulldozer der deutschen Staatsräson“ scheren sich nicht einmal um internationale Rechtsinstitutionen, die der weltweiten Durchsetzung von Menschenrechten verpflichtet sind. Was für eine Sackgasse!
Aufruf zum Handlen
Dennoch soll diese Rezension nicht überheblich oder zynisch enden. Denn „No Other Land“ wirft nicht nur Licht auf einen gesellschaftlichen Zustand, den es dringend zu überwinden gilt. Dieser Film ruft nach Aktivität, nach praktischem Handeln. Sie setzen ihrerseits Diskursräume voraus, in denen ehrlich benannt werden kann, was ist, denn nur so können politische Veränderungen eingefordert und eingeleitet werden.
Das Friedenspolitische Forum Oberhausen nimmt sich der Herausforderung an und möchte dazu beitragen, dass friedensbewegten Menschen aus Palästina und Israel Freiraum und Podium zum Austausch von Gedanken statt Vorurteilen angeboten wird. In Kooperation mit „Die Linke Oberhausen“ lädt es am 15. Januar 2025 zu einer Veranstaltung zum Thema „Gaza – wie weiter?“ ein. Podiumsgäste werden Georg Rashmawi aus Bonn (Palästinensische Gemeinde) und Alon Sahar aus Berlin (Israelis for Peace) sein. Beginn: 19 Uhr, Ort: Paroli-Treff (Elsässer Straße 20, 46045 Oberhausen).
Ein Artikel von Nico Grönke