Bergoglio wählte den päpstlichen Namen seines bewunderten Franz von Assisi (il poverello d’Assis) und rief unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst aus: „Wie sehr wünsche ich mir eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen“. Eine Formulierung, die eine Anspielung auf den Geist der Armut der ersten Christen und auf die Ideale sozialer Gerechtigkeit von Monsignore Romero ist, der vor drei Jahrzehnten sagte: „Die Aufgabe der Kirche ist es, sich mit den Armen zu identifizieren“.
Franziskus begann sein Pontifikat unter dem Zeichen der „Franziskusmania“, einem soziologischen Phänomen, das es einem zuvor unbekannten Mann im Machtgefüge des Vatikans ermöglichte, zum Jugendidol zu werden, einen Wandel einzuleiten und Gläubigen, die von Verwirrung und Enttäuschung erfüllt waren, neue Hoffnung und Zuversicht zu schenken.
Die schwerwiegenden Imageschäden der katholischen Kirche, hervorgerufen durch erschütternde Missbrauchsskandale, illegale Machenschaften der Vatikanbank und Intrigen innerhalb der römischen Kurie (bekannt als „Vatileaks“), führten dazu, dass die Kirche in Zustände wie im 13. Jahrhundert zurückgeworfen wurde, in denen die Ideen des Franz von Assisi wieder an Aktualität gewannen.
Die überraschende Wahl Bergoglios
Der unerwartete Rücktritt Benedikts XVI. ebnete den Weg für einen Kandidaten, der von den Vatikanexperten als „unglaubwürdig“ ausgeschlossen worden war – eine Fehleinschätzung, die aus ihrer eigenen intellektuellen Kurzsichtigkeit resultierte und die seine frühere Favoritenrolle im Konklave 2005 ignorierte, als er mit Unterstützung von Kardinal Martini fast gewählt worden wäre. Damals bat Bergoglio selbst die übrigen Kardinäle, ihn nicht zu wählen, was den Weg für Ratzingers Wahl freimachte.
Am 13.03.2013 wurde schließlich erstmals in der Geschichte ein argentinischer Jesuit mit italienischen Wurzeln zum Papst gewählt – ein unerwarteter Erfolg über den vermeintlichen Favoriten Angelo Scola. Ausschlaggebend waren die internen Spaltungen unter den konservativen Kräften, die zuvor Benedikt XVI. gestützt hatten, sowie die Ablehnung Scolas durch die nicht-europäischen Kardinäle wegen des „Vatileaks“-Skandals.
Ein eigener apologetischer Stil
Franziskus führte einen völlig neuen apologetischen Stil ein, der sich deutlich von dem seiner Vorgänger unterschied. Er vermenschlichte das Papsttum durch seine gütige Ausstrahlung und seine Gesten der Nähe und Freundschaft. Dieses Bild verbreitete sich weltweit bereits bei seinem ersten Auftritt auf dem Balkon des Petersplatzes – Ausdruck seiner pastoralen Erfahrung als emeritierter Kardinal von Buenos Aires. Er legte das starre, fast mystische Erscheinungsbild des Papsttums ab.
Wie bereits erwähnt, wählte Bergoglio den Namen seines Vorbilds Franz von Assisi und bekräftigte mit dem Wunsch nach einer armen Kirche seinen Bezug zur Armut der frühen Christen und zu den Idealen der sozialen Gerechtigkeit von Òscar Romero, der vor drei Jahrzehnten sagte: „Die Aufgabe der Kirche ist es, sich mit den Armen zu identifizieren.“
Es war auch ein Hoffnungszeichen für all jene, die weiterhin an die Möglichkeit von Utopien glauben – besonders in Lateinamerika, aber auch weltweit. Dies zeigte sich in seinem persönlichen Einsatz für Migranten, seine Anprangerung von Missbrauch und seine Bemühungen um friedliche Lösungen in den Konflikten USA–Kuba und Palästina–Israel.
Franziskus und das vatikanische Establishment
Um Wright Mills in seinem Buch „The Power Elite“ (1956) zu paraphrasieren, wäre das vatikanische Establishment „die Elitegruppe, die sich aus dem Zusammenschluss der europäisch orientierten Lobby, der kurialen Lobby, der Freimaurerlobby und der Homosexuellenlobby zusammensetzt“, – ein Machtgefüge im Schatten, dem die letzten Päpste ausgeliefert waren. Diesem Netz wird auch ein „virtueller Staatsstreich“ zugeschrieben, der in den Tiefen des Vatikans seinen Anfang nahm und mit dem mysteriösen Tod Johannes Pauls I. endete.
Albino Luciani (Johannes Paul I.) hatte sich zum Ziel gesetzt, die Leitlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen, die seit Beginn vom konservativen Establishment sabotiert wurden. Dazu musste er jedoch zuerst die vatikanischen Strukturen von den destruktiven Einflüssen dieser Lobbygruppen säubern.
Bergoglio dagegen, ausgestattet mit einem „franziskanischen Herzen und einem jesuitischen Verstand“, ignorierte das Motto des Jesuitenordensgründers Ignatius von Loyola: „In Krisenzeiten ist Veränderung schlecht“ und machte sich lieber ein Zitat zu eigen, das Franz von Assisi zugeschrieben wird: „Beginne mit dem Notwendigen, dann tue das Mögliche – und plötzlich wirst du das Unmögliche tun.“
So begann er – nach der Verhaftung von Monsignore Nunzio Scarano wegen Betrug und Korruption – mit der Umstrukturierung der Vatikanbank, die er seiner direkten Kontrolle unterstellte. Um die Transparenz zu erhöhen, unterzeichnete die vatikanische Finanzaufsicht ein Abkommen mit der italienischen Zentralbank zum Austausch von Informationen.
Franziskus und die Kirche in Lateinamerika
In Lateinamerika erlebten wir in den letzten beiden Jahrzehnten das starke Aufkommen evangelikaler Kirchen (von der vatikanischen Hierarchie teils als Sekten oder Kulte bezeichnet), die in den 1980er Jahren mit Unterstützung der USA entstanden. Klares Ziel war es, die römisch-katholische Kirche als dominierende Glaubensgemeinschaft zu verdrängen. Das Resultat ist eine neue geistige Landkarte im „Hinterhof der USA“, mit eigenständig geprägten lateinamerikanischen evangelikalen Kirchen. Der Unterschied zur katholischen Kirche liegt weniger in der Lehre, sondern in der pastoralen Praxis und Struktur: evangelikale Bewegungen sind horizontal organisiert, während die katholische Kirche hierarchisch aufgebaut ist.
Diese horizontale Struktur hat zur größeren Nähe zum Volk geführt, während die katholische Kirche vielfach als Teil der herrschenden Eliten wahrgenommen wird – mit Ausnahmen der ALBA-Staaten. Trotz der anerkannten sozialen Arbeit vieler katholischer Priester kam es zu einer massiven Abwanderung von Gläubigen zu den evangelikalen Kirchen, vor allem zu Pfingstgemeinden, die rund 75 % der evangelikalen Gläubigen in Lateinamerika und der Karibik ausmachen.
Laut dem französischen CNRS stellen Evangelikale heute etwa 25 % aller Christen weltweit – über 560 Millionen Menschen, davon 107 Millionen in Lateinamerika und der Karibik. Guatemala ist das Paradebeispiel für diese neue religiöse Landschaft: Dort sind 50 % der Bevölkerung evangelikal. Papst Franziskus misst daher der geistigen Überwachung Lateinamerikas große Bedeutung bei, um den massiven Verlust von Gläubigen aufzuhalten. Dafür muss er die bereits entstehenden Reformbewegungen in der lateinamerikanischen Kirche unterstützen, wenn er eine Versteinerung der katholischen Kirche verhindern will.
Ein Schlüssel zur Reform wird sein, dass nationale Kirchen, Laien und Frauen eine immer wichtigere Rolle in der Führung kirchlicher Belange einnehmen. Dazu ist es notwendig, dass die einst allmächtige südamerikanische katholische Hierarchie Macht abgibt und Verantwortung an die Basisstrukturen delegiert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Franziskus in die Geschichte eingehen wird, für seinen Kampf gegen das vatikanische Establishment, sein unbestreitbares Charisma und seinen revolutionären Stil, der sich in einem eigenen apologetischen Ansatz widerspiegelt: geprägt von der Abkehr von Förmlichkeiten und seiner Volksnähe. Der Höhepunkt seines Pontifikats könnte der Bruch mit dem eurozentrischen Kirchenbild und der Aufstieg einer dezentralisierten, „zentrifugalen“ Kirche sein.
Dieser Beitrag von Germán Gorraiz López (Analyst) erschien im spanischen Original in El Ciudadano. Übersetzung von Robert Kohl Parra