Die Rheinmetall AG ist einer der mächtigsten Rüstungskonzerne der Welt. Finanzstark. Mit einem globalen Geflecht von Konzernstandorten. Bestens vernetzt in die Politik. Die aktuelle Zuspitzung geopolitischer Veränderungen rückt den Konzern, der historisch eine Schlüsselrolle in der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie spielte, an der Seite des Kanzlers in die Öffentlichkeit. Der ehemalige Redakteur der antifaschistischen Wochenzeitung „Die Tat“, Fred Schumacher, hat sich aus aktuellem Anlass die historischen und aktuellen Entwicklungen bei Rheinmetall etwas genauer angesehen und eine informative Flugschrift vorgelegt.
Darin wird gleich zu Beginn deutlich: Gerade die Rheinmetall AG ist ein gutes Beispiel, um die Märchen der Bundesregierung von der völlig unterfinanzierten Bundeswehr ins rechte Licht zu rücken. So haben die deutschen Streitkräfte in jedem Haushaltsjahr kontinuierlich mehr Geld bekommen. 2024 verbuchten sie mit 85,47 Milliarden Euro sogar eine Rekordzuwendung. Wer angesichts dieser Ausgaben von unterfinanzierten Bundeswehrkasernen spricht, lügt oder verschweigt, wohin die Gelder tatsächlich geflossen sind.
Gleichzeitig macht das Protegieren dieses Konzerns durch die Bundesregierung deutlich, wo die politischen Prioritäten in der Zeitenwende liegen: „Die Bundesregierung hat u.a. 105 Leopard-II-Panzer bei Rheinmetall bestellt. Ein Panzer kostet ca. 27,8 Millionen Euro. Eine neue Grundschule in meinem Wahlkreis kostet 25 Millionen Euro. Das ist gut für Rheinmetall, aber schlecht für Schülerinnen und Schüler“, schreibt die Linke-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch in ihrem Vorwort.
Firmengeschichte Rheinmetalls
Um die komplexe Rolle, die Rheinmetall im aktuellen Aufrüstungsgeflecht spielt, zu erfassen, muss ein Blick auf die Geschichte des Konzerns, aber auch auf sein Agieren in der Gegenwart geworfen werden. Denn dass ein Unternehmen, das in den dreißiger und vierziger Jahren aufs Engste mit dem deutschen Faschismus verflochten war, heute nicht das industrielle Schmuddelkind ist, sondern zur wirtschaftlichen Elite der Bundesrepublik gehört, wirft viele Fragen auf – nicht zuletzt deshalb, weil der Rüstungskonzern den größten Auftrag seiner Firmengeschichte nicht unter Hitler, sondern 90 Jahre später im Juni 2024 von einer rot-grün-gelben Bundesregierung bekommen hat.
Ein Blick in die Firmengeschichte Rheinmetalls zeigt deutlich, dass sich der Konzern von Anbeginn durch eine ausgeprägte Bereitschaft auszeichnete, an Tod und Zerstörung verdienen zu wollen. Diese Bereitschaft beschränkte sich nicht allein auf die Produktion von Rüstungsgütern, deren Export in Kriegs- und Krisengebiete hohe Profite abwarf. Nein, insbesondere in der Zeit des Faschismus umfasste dieses Profitinteresse auch das Einverständnis mit zerschlagenen Gewerkschaftsstrukturen und der Aufhebung von Arbeitsschutzrechten. Denn nur so war es möglich, dass durch den Einsatz von in jeder Hinsicht entrechteten Zwangsarbeitern, die Profite ins Unermessliche hochgetrieben werden konnten.
Nicht zufällig also suchte das Führungspersonal des Konzerns von Anfang an die Nähe zu Regierungsvertretern der Regierung Hitlers. So gehörten diverse Vorstandsmitglieder zum Freundeskreis des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, zu dem nur handverlesene, bedingungslos dem Nationalsozialismus ergebene Persönlichkeiten eingeladen wurden. Egal ob Aufsichtsratsmitglieder oder leitende Direktoren – alle waren sie seit Beginn Mitglieder der NSDAP, teilweise auch der SS. Auf diese Weise war der Konzern aktiv an der Planung der Angriffskriege des Deutschen Reiches beteiligt.
Und so ist es auch kein Zufall, dass die Liste der Konzentrationslager – egal ob Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Groß-Rosen, Neuengamme oder Sachsenhausen – aus denen Rheinmetall Häftlinge als Zwangsarbeiter bezog, lang ist. Die Geschichten von völlig entrechteten, ausgehungerten und unter widrigsten Bedingungen lebenden Menschen, die in den deutschen Rüstungsschmieden den Konzernen zu Extraprofiten und großem Reichtum verhalfen, sind bekannt. Bei Rheinmetall sind sie besonders grausam: Sie reichen von Zwangsarbeitern, die bei Fliegeralarm auf freier Fläche ausharren mussten und tausendfach starben, bis hin zum Umgang mit schwangeren und deren Neugeborenen. Damit die Mütter nach der Niederkunft schnellstmöglich in den Zwangsarbeiter-Produktionsprozess zurückgeführt werden konnten, verblieben die Kinder in den Baracken, viele von ihnen starben an Vernachlässigung.
Dieser Blick in die Geschichte zeigt: Die Profite der Firma Rheinmetall beruhen bis heute auf der Ausbeutung, dem Elend und dem Tod anderer. Und es wird deutlich, die Kooperation des Rüstungskonzerns mit dem deutschen Faschismus funktionierte, weil die Expansionspläne Hitlers mit dem Konzerninteresse zusammenfielen.
Quasi-Amnesie in der Nachkriegszeit
Darüber hinaus ist wichtig: Die Aufstiegsgeschichte des Konzerns nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs begann mit den geringen Strafen nach Kriegsende für ehemalige Vorstandsmitglieder. Zum Teil erhielten sie noch hohe Abfindungen oder gelangten wieder schnell in die alten Führungspositionen. „Wären die von den Alliierten im 1945er Potsdamer Abkommen festgelegten Bestimmungen zur Entnazifizierung und Entmilitarisierung Deutschlands konsequent angewendet worden, wäre der Rheinmetallkonzern heute nicht mehr existent“, schreibt Schumacher.
Der strafrechtlichen Quasi-Amnesie folgte ein schnelles und unbürokratisches Ausstellen der Arbeitserlaubnis. Bereits im August 1950 war es der Rheinmetall-Borsig AG gestattet, in ihrem Stammwerk I in Düsseldorf-Derendorf die Produktion aufzunehmen. Zunächst konzentrierte sich das Management auf den Aufbau ziviler Produktionslinien wie zum Beispiel Baumaschinen. Als die Bundesrepublik Deutschland allerdings Schritt für Schritt ins westliche Militär- und Rüstungsbündnis eingegliedert wurde, änderte sich das Produktportfolio.
In den darauffolgenden Jahrzehnten folgten riesige, milliardenschwere Rüstungsaufträge, die auch deshalb zustande kamen, weil Rheinmetall systematisch den Kontakt zu politisch Handelnden, aber auch in militärische Kreise suchte. Es war nicht nur Rheinmetall, aber eben auch Rheinmetall, wo ehemalige hohe Offiziere nach ihrer militärischen Laufbahn anheuerten.
Aufrüstung, Schmiergelder, illegale Waffengeschäfte
In dieser Zeit gingen Waffen und Kriegsgerät in alle Welt. Nicht zufällig exportierte Rheinmetall in die schlimmsten Diktaturen der 1970er Jahre – nach Chile, Äthiopien, den Iran, Marokko, Pakistan, Portugal, Angola, Guinea-Bissau, Mosambik, Saudi-Arabien, Argentinien, Südafrika und Malaysia. Nicht zufällig deshalb, weil sie hier am dringlichsten „gebraucht“ wurden. Die Rüstungskontrollgesetze, die zum damaligen Zeitpunkt den Export von Waffen in Krisengebiete untersagten, standen diesen Geschäften im Wege und mussten umgangen werden. Für Ausfuhrgenehmigungen flossen daher umfangreiche Schmiergeldzahlungen, wie wir aus den Korruptionsskandalen der 1990er Jahre wissen. Dabei handelte es sich nicht um ein individuelles und schon gar nicht ein einmaliges Fehlverhalten, vielmehr wurden die Rüstungsdeals zum Teil mit Rückendeckung der Bundesregierung und des Bundesnachrichtendienstes abgewickelt.
Diese Waffenexporte waren es schließlich, die die Bundesrepublik in den 1980er Jahren zu den weltweit führenden Ländern auf diesem Gebiet machten. Und Rheinmetall sicherte sich mittels einer „durchgängig gepflegten Zusammenarbeit mit Politikern“ ein ordentliches Stück vom Kuchen. So wechselte der ehemalige Generalsekretär der FDP just in dem Moment als Vorstandsberater zu Rheinmetall, als die Verhandlungen des Konzerns zur Übernahme der Marinesparte von Thyssen-Krupp stattfanden, was den Konzern zum größten deutschen Rüstungskonzern machte.
Schumacher weist darauf hin: Es waren nicht allein die Personalwechsel aus der Politik in die Wirtschaft, die Rheinmetall im Nachkriegsdeutschland stark gemacht hatten, obwohl das Unternehmen wegen seiner Nazi-Kriegsverbrechen aufs Schwerste belastet war. Es war vielmehr die Mitarbeit in diversen Lobbyorganisationen wie beispielsweise im Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV), die dem Unternehmen kontinuierlich Einfluss gewährte. Wenig verwunderlich also, dass der Präsident des Verbandes ausgerechnet Armin Pappberger ist, Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall. Noch immer wird hier in einem regelmäßigen strategischen Industriedialog die Zusammenarbeit zwischen Politik und Rüstungsindustrie gefestigt.
Strategiewechsel: NATO-Osterweiterung
Klar ist natürlich auch: Lobbyarbeit lohnt sich nur, wenn das Interesse der Lobbyisten mit der Strategie der Regierenden zusammenfällt. Schumacher verweist kenntnisreich auf die Funktion der RAND-Cooperation, einem 1948 gegründeten US-Thinktank. Dieser liefert Analysen und Prognosen, an denen sich die verschiedensten US-Regierungen in ihrer Militärpolitik orientieren, und entwickelte in den 2000er Jahren die theoretische Grundlage für eine gezielte Osterweiterung der NATO. Diese Strategie war erfolgreich, obwohl sie in krassem Gegensatz zu dem stand, was führende westliche Politiker vor der Auflösung des Warschauer Paktes der damaligen sowjetischen Führung versprochen hatten.
Mit der zunehmenden Orientierung auf eine NATO-Osterweiterung wuchs für Rheinmetall nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Möglichkeit internationaler Einbindung. Der Konzern begann Niederlassungen, Produktionsstandorte und Verbindungsbüros in den aufgenommenen NATO-Partnerländern aufzubauen. Erleichtert wurde dies auch durch einen Strategiewechsel bei BDSV und Bundesregierung, die eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Bündelung der Interessen von Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie in die Wege leiteten.
Schumacher arbeitet heraus, dass dafür die NIAG eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Bei der NIAG – NATO Industry Advisory Group – handelt es sich um eine 1968 gegründete Arbeitsgruppe unterhalb der Konferenz der Rüstungsdirektoren (CNAD). Sie setzt sich aus Industrievertretern der NATO-Mitgliedsstaaten zusammen und beschäftigt sich mit aktuellen und zukünftigen technologischen Trends, den Anforderungen für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung, dem Einfluss auf die Entwicklung von Systemanforderungen und mit der Netzwerkbildung von NATO und Industrie.
Schumacher weist völlig zurecht darauf hin, dass die Einbindung der Industrie in derartige Netzwerke eine einseitige Gewährung von Mitbestimmungsrechten für die Industrie darstellt – eine Mitbestimmung, die es für die Zivilgesellschaft nicht gibt. „Die Menschen der Zivilgesellschaft […] sind von jeglichem Dialog ausgeschlossen, obwohl sie es doch sind, die zum einen die Gelder für alle Aktivitäten der Organisation aufbringen und zum anderen mit ihrem Leben dafür büßen, wenn sie in ein für sie unkontrollierbares Desaster hineingeritten werden“, schreibt Schumacher auf den letzten Seiten des Büchleins.
Kenntnisreiche Flugschrift
Schumacher legt mit „Waffen für die Welt“ eine Flugschrift vor, die dem interessierten Leser auf nur 112 Seiten die Möglichkeit gibt, sich umfassend über die Verflechtungen von Rüstungsindustrie und Politik – und zwar über nahezu den gesamten Zeitraum der Nachkriegszeit – zu informieren. Kenntnisreich und mit vielen historischen und gegenwartsbezogenen Details rekonstruiert der Autor die widersprüchliche und für die Menschen in Europa verhängnisvolle Aufstiegsgeschichte Rheinmetalls.
Dabei merkt man dem Autor die Parteilichkeit an. Das Buch ist aus einer Perspektive geschrieben, die den Rüstungskonzern aus tiefstem Herzen ablehnt. Diese Perspektive scheint immer wieder sehr stark durch und ist von Zeit zu Zeit störend. Sie ist zudem unnötig, denn die Erzählung über den Konzern, die Zusammensetzung der Fakten, die Untermalung der Analyse mit Zahlen und Beispielen steht für sich. Etwas mehr sprachliche Zurückhaltung bei der politischen Haltung hätte dem Buch nicht geschadet und den Leser als politischen Souverän ernster genommen.
Dennoch: Schumacher legt mit „Waffen für die Welt“ ein detailreiches, wichtiges Buch über eine kontinuierliche, weitreichende Zusammenarbeit von Politik und Rüstungsindustrie vor. Dabei wird deutlich: Diese Zusammenarbeit gibt lediglich vor, es ginge dabei um Selbstverteidigung, den Schutz der Menschenrechte und die Stabilisierung der Demokratie. In Wahrheit geht es um Interessen. Und diese sind im Konflikt zwischen den Klassen nicht die Interessen der Beschäftigten, sondern die des Managements. Nicht zufällig also warnten in den letzten Tagen die Börsennews davor, den Ukraine-Krieg diplomatisch einzufrieren: Dies würde die Rheinmetall-Gewinne schmälern, hieß es. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Und die Aufrüstungslogik bleibt die gleiche wie vor 90 Jahren.
Fred Schumacher
« Waffen für die Welt. Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg »
Eulenspiegel Verlagsgruppe
2024, Berlin
112 Seiten
10 Euro