Der Kollaps des US-amerikanischen Bankengiganten Lehman Brothers vor einem Jahrzent stand am Anfang eines gigantischen Zusammenbruchs, für den wir noch heute zahlen sollen.
Diesen Monat vor zehn Jahren brach das gesamte Bankensystem fast zusammen – und zerschlug das Mantra der Politiker, dass der Kapitalismus für alle Menschen Verbesserungen schaffe. Lehman Brothers, die weltweit viertgrößte Investmentbank, meldete am 15. September 2008 den Bankrott an. Experten des rechten politischen Spektrums meinten, hier zeige sich, dass das System funktioniere, denn Manager, die schlechte Entscheidungen getroffen hätten, würden ja somit bestraft. Die Politiker, Bankmanager und Vorstände, die die Weltwirtschaft leiten, starrten in den Abgrund.
Innerhalb weniger Wochen meinte der damalige US-Präsident George W. Bush: „Das könnte das Ende sein“. Schon bald setzten die Regierungen alles daran, die Verantwortlichen mit jeglich möglicher Hilfe zu unterstützen. Die Vorstände von Lehman Brothers waren Gauner, die mittels „aggressiver Buchführung“ das Ausmaß ihrer Schuldenprobleme vertuschten. Der Untergang ihrer Bank lässt sich aber nicht einzig und allein auf habgierige oder kurzsichtige Bankdirektoren zurückführen.
Im Mai 2008 hatte Alan Greenspan erklärt: „Das Schlimmste an dieser Finanzkrise ist vorbei oder wird sehr bald überstanden sein“. Greenspan war der frühere Vorstand der US-amerikanischen Notenbank. Seit den 1980er Jahren war er als Vorreiter für die Liberalisierung der Finanzmärkte eingetreten. Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers äußerte er, er sei „sehr bestürzt“ einen „Fehler“ in seiner Ideologie der freien Marktwirtschaft gefunden zu haben.
Lehman Brothers Aufstieg war dadurch entstanden, dass sie im Epizentrum eines Finanzbooms mit Schulden spekulierten. Schon 2007 hatte es mit der Hypothekenkrise, hervorgerufen durch den Handel mit minderwertigen Hypotheken, erste Anzeichen gegeben. Banken liehen sich große Mengen Geld auf den internationalen Geldmärkten. Sie nutzten diese Ressourcen zur Finanzierung minderwertiger Hypotheken, die sie armen Menschen zur Verfügung stellten, obwohl diese keinerlei Möglichkeiten hatten, die Hypotheken jemals zurück zu zahlen.
Nachdem diese Hypotheken verkauft waren, blieben die Hypotheken nicht bei der Bank, die die Verträge abgeschlossen hatte, vielmehr wurden Tausende davon zusammengefasst in einem Verfahren namens „Securisation“. Diese Hypothekenbündel wurden dann als Finanzinstrumente mit fantasiereichen Namen vermarktet, wie „kollateralisierte Schuldobligationen“ und „hypothekengesicherte Wertpapiere“. Durch den Verkauf dieser komplexen Pakete an Investoren hatten die Banken eine neue Möglichkeit gefunden, kurzfristig Geld zu beschaffen, welches in langfristigere Hypotheken investiert werden konnte.
Die Blase explodiert
Die Banken machten große Geschäfte, denn für jede weiterverkaufte Hypothek nahmen sie Gebühren ein. Zu Beginn der Kreditkrise 2007 hatte der Hypothekenmarkt einen Wert von 7,6 Billionen Euro. Die Probleme auf dem Hypothekenmarkt waren Symptome der Explosion einer viel größeren Finanzblase.
Kredite erlauben dem Kapitalismus ins scheinbar Unendliche zu wachsen. Aber wenn es zur Krise kommt, schlägt diese umso härter zu, je mehr auf Kredite vertraut wurde. Die Finanzmärkte stellen Kapitalisten Geld zur Verfügung, welches sie für langfristige Investitionen brauchen, aber nicht aus den eigenen Profiten erwirtschaftet haben. Kapitalisten stellen Anleihen aus, also gigantische Schuldscheine, mit dem Versprechen, dass diese aus zukünftigen Profiten bezahlt werden.
Lehman Brothers waren Mittelsmänner im Kasino der Weltbankenwirtschaft. Lehman Brothers arbeitete als Clearinghouse, eine Verrechnungsstelle auf dem Anleihenmarkt, wo hunderttausende dieser Finanzinstrumente von Bankern und Investoren gehandelt wurden. Die anderen Banker verließen sich darauf, dass Lehman Brothers sie darüber informierte, wer wem was schuldete, oder welche Institutionen welchen Risiken ausgesetzt waren. Als Lehman Brothers den Bankrott anmeldete, kam das gesamte System ins Stocken. Banken und Investoren wussten jetzt nicht mehr, welche individuellen Banken zukünftig in Schwierigkeiten geraten und als nächstes Hilfe brauchen würden. RBS im Vereinigten Königreich, die Bank mit der weltweit größten Bilanz, stand nur wenige Stunden vor dem Kollaps. [Sowie die Commerzbank in Deutschland ebenso a.d.R.]
150 Jahre vor der Kreditkrise von 2007 beschrieb der Revolutionär Karl Marx wie Blasen im Bankengeschäft entstehen und platzen. Er erläuterte, wie der Kapitalismus ständig Phasen von Boom und Krise durchläuft. Wenn das System zusammenbricht, werden Schwaden von Kapital zerstört und Finanzinstitutionen mit in den Untergang gezogen.
Regierungen, die die Wunder des freien Kapitalmarktes gelobt hatten, schritten ein, um einige dieser Institutionen zu retten. Bush in den USA und New Labour im Vereinigten Königreich waren gezwungen, einige der größten Verstaatlichungen der Weltgeschichte einzuleiten und den Banken mit Milliarden an Rettungsgeldern unter die Arme zu greifen.
Die Zentralbanken reduzierten die Zinssätze drastisch – die Kosten der Kredite – und begannen einen Prozess namens Quantitative Lockerung (QE). QE pumpte mehr Kredite in die Wirtschaft, indem die Zentralbanken im Rahmen der Bankenrettung den Banken mehr Geld zur Verfügung stellten.
Damit war das Problem jedoch nur kurzfristig gelöst
Die Profite des Finanzsektors basieren auf Produktionskapital. Das bedeutet, dass die Grenzen des Wachstums im Kapitalismus davon bestimmt werden, was in der Realwirtschaft geschieht. Und im Vorfeld des Bankenzusammenbruchs litt die Realwirtschaft an einer langfristigen Krise der Profitabilität. Deswegen hatten Kapitalisten auch in die Finanzmärkte statt in die Realwirtschaft investiert, denn kurzfristig hatten Banker und Reiche hier größere Gewinnchancen. Die Kluft zwischen dem realwirtschaftlichen Wert und dem Wachstum des Bankensektors brachte die Blase schließlich zum Platzen.
Ein ähnlicher Prozess spielt sich derzeit wieder in der globalen Wirtschaft ab. Der US-amerikanische Dow Jones Aktienindex ist seit 2008 um 350 Prozent angestiegen, aber die Wirtschaft nur um ca. 15 Prozent. Die Reaktion der Regierungen auf die Kreditkrise heizte einen neuen Boom in billigen Krediten an. Barclays kaufte die profitablen Teile von Lehman Brothers auf und führte viele der Geschäftsmethoden weiter. Der Bankenzusammenbruch zeigt die Irrationalität eines Systems auf, welches sich auf die Maximierung von Profiten gründet. Die einzige Lösung der verheerenden Wirkungen der kapitalistischen Krisen ist eine sozialistische Wirtschaft, die sozialen Bedarf deckt, nicht privaten Profit schafft.
Die Krise zerstörte das Leben vieler Arbeitnehmer während Banker mit millionenschweren Boni entlassen wurden, wurde gleichzeitig das Leben von Millionen von Erwerbstätigen zerstört. Weltweit wurde der Lebensstandard zurückgeworfen, in manchen Fällen, z.B. in Griechenland, um Jahrzehnte. Soziale Dienstleistungen wurden weltweit zurückgefahren, bis dahingehend, dass viele Menschen aufgrund fehlender Dienstleistungen zu früh starben.
Die Regierung Bush konnte Lehman Brothers nicht retten, denn das Ausmaß der notwendigen Rettung hätte die US-amerikanische Zentralbank in den Bankrott getrieben. Jedoch hatten westliche Regierungen schon Milliarden an Leistungen erbracht, bevor die Kreditkrise im Herbst 2007 zuschlug.
Im Vereinigten Königreich hatte die Regierung den Finanzmärkten 500 Milliarden britische Pfund zur Verfügung gestellt, in den USA 700 Milliarden [In Deutschland waren es mindestens 60 Milliarden Euro sowie Bürgschaften bis zu 480 Milliarden a.d.R.]. Um die Rettung der Finanzinstitute zu finanzieren und die Profitabilität wieder herzustellen, griffen Politiker und Direktoren zu den Austeritätsmaßnahmen, unter denen Arbeitnehmer bis heute zu leiden haben.
Die Kosten werden der Bevölkerung übertragen
Die Banken sind größer denn je und immer noch außer Kontrolle. Das Einzige, das Politiker und Banker aus der Krise gelernt haben, ist, wie die Kosten der Bevölkerung übertragen werden können. Statt das System zu reformieren oder die Grundvoraussetzungen zu hinterfragen, haben sie es einfach wieder instand gesetzt, und somit die Voraussetzungen für die nächsten Krisen geschaffen.
Im Vorlauf der Krise war es zu einer Flut an Krediten gekommen. Heutzutage ist es für den Verbraucher schwieriger geworden, Geld zu leihen, während die Schulden der Unternehmen angestiegen sind. Weltweit sind die Schulden sogar sehr steil angestiegen. Letztes Jahr war die weltweite Verschuldung mit 217 Prozent des Bruttosozialproduktes fast 40 Prozent höher als 2007.
Nach dem Kollaps von Lehman war die Idee viel im Gespräch, dass Banken, die „zu groß für den Bankrott“ [to big too fail a.d.R.] sind und riesige Schwaden des Finanzmarktes kontrollieren, aufgespalten werden sollten. Heute kontrollieren die fünf größten US-Banken 47 Prozent der Bankvermögen, verglichen mit 44 Prozent im Jahr 2007. Die größten 1 Prozent aller Anlagefonds – welche die Gelder von Spekulanten zusammenfassen, um Aktien und Wertpapiere zu kaufen – verfügen inzwischen über 45 Prozent aller Fonds des Sektors.
Verheerende Folgen
Ein Zusammenbruch einer dieser Institutionen wäre sogar noch verheerender als 2007. Vor zehn Jahren schrieb die Kommentatorin Gillian Tett:
„Die Investoren entdeckten die Welt der ‚Schattenbanken.“
Gillian Tett
Ihnen wurde bewusst, dass ein weitreichendes verstecktes Netzwerk undurchsichtiger Investitionsvehikel systemische Risiken birgt. Also versprachen die Aufsichten der Finanzmärkte, rigoros durchzugreifen. Ist die Schattenwirtschaft also geschrumpft? Nicht wirklich. Eine konservative Schätzung des Schatten-Bankensektors deutet daraufhin, dass er inzwischen 45 Billionen US-Dollar umfasst, 13 Prozent des globalen Geldvermögens, und seit 2010 von damals 28 Billionen US-Dollar auf den heutigen Wert von 45 Billionen angestiegen ist. Ein Durchgreifen auf die Banken hat lediglich dazu geführt, dass mehr Aktivitäten in die Schattenwirtschaft umgelagert wurde.“
Die ultragünstigen Zinssätze und die Geldflüsse an die Banken und multinationalen Konzerne bewahrten das System vor dem Kollaps. Aber diese Mittel werden das nächste Mal nicht zur Verfügung stehen. Zinssätze, die sich nur knapp über Null Prozent bewegen, können nicht viel weiter gedrosselt werden. Es wird für Politiker äußerst schwierig werden, weitere Zugeständnisse für die Reichen zu verlangen.
Erschienen Socialist Worker, 8. September 2018, Ausgabe 2621, übersetzt von Desiree S.