„Palästinensische Menschen können von Hikel nichts erwarten“ – im Gespräch mit Ahmed Abed

Am Mittwoch, den 15. Oktober, erteilte Martin Hikel (SPD) Tzvika Brot, dem Bürgermeister der israelischen Stadt Bat Yams, im  Neuköllner Kommunalparlament das Wort ohne jede Abstimmung mit den anderen Parteien. Was auf den ersten Blick wie eine protokollarische Kleinigkeit wirken mag, sprengte die Sitzung. Denn die Fraktion der Neuköllner Linken und die Fraktionschefin der Grünen, Samira Tanana mit palästinensischen Wurzeln, sehen hierin eine gezielte Provokation des SPD-Landesvorsitzenden: Einem Likud-Mitglied aus der Partei Benjamin Netanyahus wie Tzvika Brot ausgerechnet, während des Genozids in Gaza und eskalierender ethnischer Säuberung in der Westbank, in Neukölln das Wort zu erteilen, verhöhnt in den Augen vieler die Zehntausenden Palästinenser der Stadt immerhin die größte palästinensische Diaspora Europas, unter ihnen viele, die Angehörige in Gaza und der Westbank verloren haben und immer noch bangen. Der palästinensisch-deutsche Fraktionsvorsitzende der Linken Neukölln Ahmed Abed wurde sogar aus der laufenden Sitzung ausgeschlossen. Mit ihm sprachen wir über die wiederholte Provokation gegen Muslime und Palästinenser durch Martin Hikel.

etos.media: Sie sind seit 2016 Teil der Linksfraktion in Neukölln. Erzählen Sie uns über Ihre Eindrücke und Erfahrungen. Was macht die Kommunalpolitik bzw. Bezirkspolitik so wichtig? 

Ahmed Abed: Als Bezirkspolitiker von Neukölln ist es meine Aufgabe die Verwaltung des Bezirks zu kontrollieren und Anlaufstelle für die sozialen Probleme der Bewohner*innen zu sein. Was die Bundes- und Landespolitik entscheidet wirkt sich im Bezirk konkret und unmittelbar aus, z.B. wenn es mehr Geld für Rüstung, aber weniger für die sozialen Nöte der Menschen gibt oder Mietwucher. Wir prangern die Missstände an und konfrontieren die verantwortlichen Parteien. In der Kommunalpolitik ist mensch einfach sehr nah an den Menschen dran. 

etos.media: In Neukölln lebt die größte Palästinensische Diaspora außerhalb des Nahen Osten- wie geht es diesen Menschen nach dem 7. Oktober? 

Ahmed Abed: Die schrecklichen Auswirkungen des israelischen Völkermords in Gaza sind kaum in Worte zu fassen. Hunderttausende Tote und Verletzte, darunter 70% Frauen und Kinder. Vor zwei Wochen rechnete jede palästinensische Familie in Deutschland noch jeden Moment damit, dass wieder ein Kind, eine Schwangere oder Geschwister der eigenen Familie von Israel ermordet wird. Die Waffenruhe hat zwar etwas Erleichterung gebracht. Sie ist aber derart fragil und die Situation in Gaza ist extrem schlecht. Unter der rechtsradikalen Regierung Netanjahus hat auch die Gewalt in der Westbank einen neuen Höhepunkt erreicht. 

etos.media: Sie wurden kürzlich von einer BVV Sitzung ausgeschlossen. Schildern Sie uns mit Ihren Worten – was ist geschehen? 

Ahmed Abed: Eine Woche vor der BVV-Sitzung wurde vom SPD-Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, eine Delegation aus Bat Yam angekündigt. Ich fragte ihn dort bereits, wer kommen wird und ob er den Likud-Bürgermeister fragen wird, was er zum Völkermord in Gaza zu sagen hat. Der Bürgermeister watschte die Frage damit ab, dass es einfach nicht das Thema des Treffens sei. Dann überrumpelten uns Martin Hikel und der CDU-Vorsteher des Bezirksparlaments Karsten Schulze eine Stunde vor Beginn der BVV damit, dass der führende Likud-Politiker, enger Netanjahu-Vertraue und Bürgermeister von Bat Yam – Tzvika Brot das sogenannte „Wort des Bürgermeisters“ anstelle von Martin Hikel sprechen wird. Die Linksfraktion protestierte energisch gegen diese Ehrerbietung für den Likud-Politiker, dessen Partei für den Völkermord verantwortlich ist und dessen Premierminister Benjamin Netanjahu ein gesuchter Kriegsverbrecher ist. Martin Hikel und Karsten Schulze setzten sich sogar über das Bezirksverwaltungsgesetz hinweg, dass niemand anderem als dem Bezirksbürgermeister erlaubt das „Wort des Bürgermeisters“ zu ergreifen. Statt schlicht dem Gesetz zu folgen und vor allem ein Zeichen gegen den Völkermord zu setzen, wurde ich nach meinem Protest des Saales verwiesen. Zehn Polizisten und ein BKA-Personenschützer umringten mich daraufhin, obwohl dort ein Unterstützer des Völkermords redete und der Bürgermeister als auch der Vorsteher eindeutig das Gesetz brachen. Als ich nach langer Diskussion wieder reinkam, lief Tzvika Brot etwas entfernt an mir vorbei und ich bezeichnete ihn als Völkermord-Unterstützer, u.a. weil er mit seiner Partei Likud für den Tod tausender unschuldiger Kinder verantwortlich ist. Ich rief ihm zu, dass er in Neukölln nicht willkommen ist, weil seine Partei für den Völkermord in Gaza verantwortlich ist. Er blieb stehen und versuchte sich zu verteidigen. Als er merkte, dass er zu weit weg ist und ich ihn nicht verstehen konnte, wendete er sich zu seinen mitgebrachten Journalisten und sprach  zu ihnen. 

etos.media: Wie bewerten Sie das Handeln des Bezirksbürgermeisters Martin Hikel? Wie steht seine Politik zur palästinensischen Bevölkerung Neuköllns? 

Ahmed Abed: Migrantische Menschen, ganz besonders muslimische und palästinensische Menschen, können von Martin Hikel nichts erwarten. Er setzt sich sogar über die deutschen Gesetze hinweg, um zu zeigen, dass er an der Seite der israelischen Völkermörder steht, die Gaza und ihre Menschen zerstört haben und mit dem rechtsradikalen Kabinett Netanjahus die blutige Besiedlung in der Westbank und im Gazastreifen vorantreiben. Während er die Aussetzung der Städtepartnerschaft mit der russischen Stadt Puschkin wegen des Ukraine-Kriegs unterstützt hat, zeigt er hier seine Doppelmoral. Zur bitteren Wahrheit gehört, dass er die geschichtsfälschende und siedlerfreundliche Broschüre „Mythos#Israel1948“ des Vereins Masiyot mit voller Kraft unterstützt. Aber es passt zu einem gefährlichen Muster. Denn als ich ihn vor einigen Jahren fragte, warum er antimuslimischen Rassismus als „rethorische Figur“ abtat, antwortete er in einem seitenlangen Pamphlet sinngemäß, dass bei Verwendung des Begriffs und Anerkennung als grassierendes rassistisches Problem doch der Kampf gegen Antisemitismus gefährdet werde. Das sei der Grund, weshalb mensch nicht über „antimuslimischen Rassismus“ sprechen sollen. Diese Worte sind ein herber Schlag ins Gesicht aller betroffenen Menschen und all derjenigen, die für eine friedliche und antirassistische Gesellschaft eintreten. 

etos.media: Sehen Sie einen Anstieg oder eine Zunahme von antimuslimischen Rassismus und antipalästinensischen Rassismus in Berlin und insbesondere Neukölln? 

Ahmed Abed: Der Berliner Senat unter Kai Wegner (CDU) und Franziska Giffey (SPD) ist der größte Motor für antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus in Berlin. Aus diesem Grund wurden die Regierenden scharf von internationalen Beobachtern der UN und des Europarates kritisiert, die ein Ende der Gewalt auf den Straßen und ein Ende der Diskriminierung von Palästinenser*innen forderten. Dieser Senat hat sich jedoch dazu entschieden auf pure Gewalt und Macht zu setzen statt auf Dialog und Vermittlung, um sich schützend vor den Völkermord in Gaza und der weiteren Besiedlung der rechtsradikalen Regierung Netanjahus zu stellen. Sie mischten das Völkerrecht und stellen sich gegen die internationale Friedensordnung. 

etos.media: Was macht die Politik im Senat/auf Bezirksebene falsch und was muss geschehen, damit sich hier etwas ändert? Was ist ihre Vision?

Ahmed Abed: Der Berliner Senat sollte ein Senat für alle Menschen in Berlin sein und sich international für einen gerechten Frieden einsetzen. Dazu gehört die Anerkennung des Völkermords in Gaza und effektive Konsequenzen. Berlin sollte sich dafür einsetzen, dass israelische Politiker für den Völkermord, aber auch für die völkerrechtswidrige Besiedlung, bestraft werden. Der Handel mit Profiteuren des Völkermords und der Besatzung muss unterbunden werden. Bisher besteht jedoch praktisch Straffreiheit, obwohl Deutschland zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut verpflichtet ist. Und niemand sollte die Illusion haben, dass der Völkermord in Palästina zu Ende ist. Er geht nur langsamer voran, weil immernoch die Lebensgrundlage in Gaza zerstört wird und Menschen in Gaza und der Westbank tagtäglich ermordet werden. Entweder durch Schüsse oder durch den langsamen Tod, weil kaum Nahrung nach Gaza gelassen wird, ihre Häuser zerstört sind, sie obdachlos sind oder ihnen die notwendige medizinische Versorgung durch Israel verwehrt wird. Ohne Sanktionen wird Israel seine Politik jedoch nicht ändern. Dabei hat Berlin eine großartige Stadtgesellschaft, die sich nichts vormachen lässt und sieht wie der Senat versucht, die Gesellschaft zu spalten. Egal ob es um die Vergesellschaftung von großen Wohnungsbeständen oder der Forderung nach einem Ende des Völkermords geht. Wir stehen an der Seite der Menschen in Berlin. 

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