Die Notstandshilfe wird abgeschafft. Mit dem „Arbeitslosengeld Neu“ wird eine Versicherungsleistung zur Almose und dazu kommen 12-Stunden-Tag und Steuergeschenke für Unternehmen. Linkswende jetzt beleuchtet, was Schwarz-Blau für eine „ganz normale“ Familie bedeutet.
Wir nennen ihn Karl. Karl hat über 35 Jahre lang gearbeitet, ist 50 Jahre plus und kürzlich wurde sein Betrieb geschlossen. Plötzlich arbeitslos – ein Schock, aber eigentlich sollte er für diesen Fall abgesichert sein, hat er doch 35 Jahre lang Sozialbeiträge geleistet.
Er schreibt zwar Bewerbungen, aber große Hoffnungen auf einen Job macht er sich nicht, in seinem Alter und mit seinen Bandscheiben – egal wie viele Bewerbungen er schreiben wird. Bei älteren oder gesundheitlich eingeschränkten Arbeitslosen ist jeder Zweite langzeitarbeitslos. Und dann hat die Regierung noch die „Aktion 20.000“, das Beschäftigungsprogramm für Ältere, ersatzlos gestrichen.
Arbeitslosengeld Neu
Karl bekommt zwar noch Arbeitslosengeld in Höhe von 55 Prozent seines bisherigen Netto-Einkommens, aber diese Leistung wird mit der Dauer des Bezugs sinken. Er schreibt fleißig Bewerbungen, ansonsten wird ihm vielleicht die Arbeitslose gekürzt. Er schreibt auch an Unternehmen, die weit von seinem Heimatort entfernt liegen, denn die Regierung hat die zumutbare Wegzeit zu einem möglichen Job von zwei auf zweieinhalb Stunden ausgeweitet.
Nach einigen Monaten in Arbeitslosigkeit muss sich Karl auch in Branchen bewerben, in denen er keine Erfahrung hat, denn der Berufsschutz wurde „in Richtung stärkerer Arbeitsanreize“ gelockert. Aber eigentlich ist das egal, denn einen Job findet Karl ohnehin nicht mehr. Nur für seine jungen ehemaligen Kollegen ist es fatal, dass Qualifikationen nicht mehr wichtig sind. Dank Lohndumping gewinnt der Billigste. Karl hofft nur, dass er nicht krank wird, sonst wird vielleicht sein Arbeitslosengeld nach 20 Wochen nicht verlängert.
Aus für Notstandshilfe
Spätestens nach einem Jahr kommen noch dunklere Zeiten auf Karl zu. Bisher hätte er nach dem Arbeitslosengeld Anspruch auf Notstandshilfe gehabt. Sie hätte 92 Prozent seines Arbeitslosengeldes betragen und wäre ihm ohne Zeitlimit bis zur Pension gewährt worden. Das ist zwar nicht viel, aber immerhin eine Versicherungsleistung, für die er Jahrzehnte lang Beiträge bezahlt hat und die ihm „zusteht“.
Rund vier von fünf Notstandshilfe-Bezieher bekommen maximal die Höhe der Mindestsicherung – inklusive der Familienleistungen für Partner und Kinder. Und er hätte vielleicht geringfügig eine Kleinigkeit dazu verdienen können. Aber dieser Weg ist ihm nun wegen Schwarz-Blau versperrt.
Mindestsicherung
Karl bleibt nichts anderes übrig, als um Mindestsicherung anzusuchen. Dazu müsste er eventuell sein Auto verkaufen – das macht es sicher nicht leichter, auf dem Land einen Job zu bekommen. Danach muss er seinen Notgroschen auf dem Sparbuch auf 4.189 Euro reduzieren, bevor er Geld bekommen würde. Wie bezahlt Karl die Reparatur seines Autos, sofern es ihm nicht weggenommen wurde? Auch seinen Bausparer muss er auflösen – das war’s mit guter Pflege im hohen Alter. Seine Frau darf ebenfalls nichts besitzen und nichts verdienen.
Nach einem halben Jahr trägt sich der Staat ins Grundbuch ein. Sein Eigenheim – in Jahrzehnten Arbeit abbezahlt – kann Karl nicht mehr an seine Tochter vererben. Und das obwohl Bundeskanzler Sebastian Kurz propagiert, dass Eigentum der beste Schutz vor Altersarmut ist. Tatsache ist: Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, wird de facto enteignet oder muss zwangsveräußern! Und wenn Karl das Haus gleich verkauft? Dann besäße er wieder über 4.189 Euro und hat keinen Anspruch auf Mindestsicherung.
Bei Immobilien für den eigenen Wohnbedarf gibt es also eine hundertprozentige Erbschaftssteuer und bei Ersparnissen eine bis zu hundertprozentige Vermögenssteuer. Aber nur für Menschen in Notlagen. Die wirklich Reichen zahlen nach wie vor 0 Prozent. Soviel zum Plan von Kanzler Kurz, das System „treffsicherer“ zu machen, da es nicht die Aufgabe der Allgemeinheit sei, jemanden zu unterstützen, der Vermögen hat, aber nicht arbeiten geht.
Wohnen
Mit der nun zu zahlenden Miete ist Karls „Vermögen“ aber bald aufgebraucht – vor allem weil die schwarz-blaue Regierung die Lagezuschläge in Gründerzeitviertel eingeführt hat, was bis zu 60% höhere Mieten bedeutet. Der Verfassungsgerichtshof hat das bisher immer verhindert. Deshalb hilft Schwarz-Blau jetzt per Gesetz nach.
Wenn Karl dann noch am Leben ist, bekommt er vielleicht irgendwann die Bedarfsorientierte Mindestsicherung von 850 Euro (sofern sie bis dahin nicht auf die 365 Euro für Asylberechtigte gekürzt wurde). Sollte er dann einen Wohnzuschuss bekommen, verringert das, je nach Bundesland in dem Karl wohnt, die Höhe der Mindestsicherung. Bei Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wäre Karl das nicht passiert!
Wenn Karl eines Tages stirbt, darf er die Mietwohnung aber nicht mehr an seine Enkerl weitergegeben – auch das hat Schwarz-Blau verunmöglicht. Hätte Karl bloß noch die Eigentumswohnung, dann würden sich die Enkerl zumindest die staatlichen Gebühren (Grunderwerbssteuer, Grundbucheintragung und Pfandrechteintragung) sparen. Auf diese Einnahmen hat Schwarz-Blau nämlich verzichtet, um Wohnungseigentum günstiger zu machen.
Fragt sich nur, wer davon noch profitiert? Aber Maklergebühren, Notar- und Rechtsanwaltskosten hat die Regierung nicht angerührt. Während sich Schwarz-Blau für das Verschenken und Vererben von Eigentum ohne Einschränkungen stark macht, wird die Weitergabe von Mietwohnungen in der Familie erschwert.
Pension rückt in weite Ferne
Früher wäre Karl in Pension geschickt worden. Er wäre zwar mit Abschlägen gegangen, aber es wäre genug, um seinen Lebensstandard und seine Selbstachtung zu erhalten. Das geht jetzt nicht mehr:
Einerseits sieht das schwarz-blaue Regierungsprogramm die Prüfung einer Anrechnung von maximal zwei Jahren einer Teilpflichtversicherung (z.B. bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit) auf die Wartezeit zu vorzeitigen Alterspensionen (Korridor-, Schwerarbeitspension) vor. Andererseits wird Karl mit dem Arbeitslosengeld Neu aus dem Versicherungssystem (Arbeitslose) in die Mindestsicherung gedrängt. Damit fällt er aus der Pensionsversicherung und kann keine Teilpflichtversicherungszeiten mehr erwerben. Karl darf erst sehr viel später in Pension gehen und bekommt dann deutlich weniger.
Schwarz-Blau fördert Altersarmut, aber sicher keine höhere Erwerbsquote älterer Arbeiter
Karls Frau arbeitet ebenfalls seit Jahrzehnten, hat bereits gesundheitliche Probleme und muss kürzer treten. Ihr Lichtblick war die Altersteilzeit. Nun will Schwarz-Blau das Antrittsalter für die Altersteilzeit um 2 Jahre anheben. Abgesehen von den zwei Jahren, die sie jetzt länger als geplant Vollzeit arbeiten muss, hofft sie sehr, dass sie nicht das selbe Schicksal ereilt, wie Karl, und sie auch in der zusätzlichen Zeit noch einen Arbeitsplatz haben bzw. noch ausreichend arbeitsfähig sein wird.
Invaliditätspension
Denn mit der geplanten Abschaffung des Berufsschutzes wird auch das Invaliditätspensionsrecht verschärft. Wenn sie in ihrem seit Jahrzehnten ausgeübten Beruf arbeitsunfähig werden sollte, könnte der Staat – unabhängig von der bisherigen Tätigkeit – auf unqualifizierte Jobs in anderen Branchen verweisen, solange diese zumutbar sind. Dann besteht kein Anspruch auf eine Pension oder Rehageld.
Vor allem Frauen und insgesamt Personen mit unterbrochenen Versicherungskarrieren sind mit der neuen Mindestpension schlechter dran.
Plötzlich „Sozialfall“
Schwarz-Blau bringt die „Sozialfälle“ in die Mitte der Gesellschaft. Der Staat sichert keine sozialen Risiken wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit mehr ab – Karl sei ja „selber schuld“. Bist du alt und wirst arbeitslos, bist du jung und dein befristeter Vertrag wird nicht verlängert, hast du einen Job, kannst aber keine 12 Stunden täglich arbeiten, weil du Kinder zuhause hast oder pflegebedürftige Eltern – Schwarz-Blau ist das egal.
Hilfe bekommen nur die, die gar nichts mehr haben. Oder ein Konzern sind: die Körperschaftssteuer wird reduziert, reiche Familien bekommen einen Steuerbonus für ihre Kinder und für Hotel-Granden wird die Umsatzsteuer gesenkt. Kurz und Strache wollen die Steuer- und Abgabenquote von rund 43 auf 40% senken, das sind 10 bis 12 Milliarden Euro (3% vom BIP). Dafür zahlen wird die „ganz normale“ Familie – wie die von Karl.
Dieser Beitrag von Judith Litschauer wurde zuerst veröffentlicht auf linkswende.org.
5 Antworten
Es braucht wieder eine echte Arbeiter-und Arbeitsbewegung…die ach so Linken ignorieren stetig, dass es für einen funktionierenden Sozialstaat Menschen mit einer motivierten Arbeitshaltung und Stolz auf ihre Arbeitsleistung braucht! Das Solidaritätsprinzip wird sich ueber kurz oder lang überleben, wenn man staendig nur auf die Rechte von Arbeitslosen pocht und dabei nicht auch deren Pflichten zum Gelingen eines sozialen Wohlfahrtstaats bedenkt. Ich persönlich kenne Faelle von Langzeitarbeitslosen ohne jegliche Verpflichtungen-Generation Erben sozusagen-die sich ungeniert vor anstrengenden Jobs drücken und lieber vom System leben…die Notstandshilfe wird zum Bestreiten des Lebensunterhalts verwendet, um ja nicht ererbtes Vermögen zu schmaelern…das ist die Pervertierung des Sozialstaats und sollte besser heute als morgen unterbunden werden!! Denn sonst kommen schlussendlich auch Haertefaelle, für die der Sozialstaat ursprünglich gedacht war „unter die Raeder“!!
Angesichts dessen, was an technischer Rationalisierung schon möglich ist und was an Arbeitszeitverkürzung möglich wäre wenn nicht die durch Staat und Kapital künstlich geschaffene sinnlose Arbeit (Marketing, Überwachung usw.) unsere Lebenszeit stehlen würde, fragt sich, warum „linke“ immer noch diesen Lohnarbeitsfetischismus der glücklichen Lohnsklaven aufrecht erhalten soll?
Die Gruppe krisis hat schon vor vielen Jahren ein „Manifest gegen die Arbeit“ geschrieben http://www.krisis.org/1999/manifest-gegen-die-arbeit/
Paul Lafargue schon vor über 100 Jahren!
Nachtrag: Zu den extrem sozialrassistischen Äußerungen im zweiten Teil sag ich lieber nix. Kann auch direkt von der ÖVP oder FPÖ kommen … ;-)
Danke für den Beitrag.
Im Regierungsprogramm steht übrigens auch dass nur noch maximal 2 Jahre Ersatzeiten a la Arbeitslosigkeit usw. an die Pension angerechnet werden sollen, was auch eine massive Ausweitung der Altersarmut bedeuten würde. Allerdings für „Altfälle“ dürfte sowieso einiges aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht durch gehen. Laut Verfassungsgerichtshof ist auch die Notstandshilfe ein „vermögenswertes Recht“ das unter den Schutz des Eigentums nach EMRK Zusatzprotokoll fällt …
Gute Frage: Ob endlich eine BREITERE Organisierung über die „üblichen Verdächtigen“ hinaus gelingt die auch breitere Bevölkerungsschichten anspricht.
http://www.aktive-arbeitslose.at/politik/schwarzblau_bringt_hartz_iv_sozialraub_und_verschaerfung_des_neoliberalen_zwangregimes.html