Mosambik – „Die Situation ist angespannt und ungewiss“

Nachdem die Regierungspartei FRELIMO die Wahlen in Mosambik im Oktober 2024 mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, kam es zu landesweiten Protesten, die bis heute andauern. Trotz der Manipulationsvorwürfe bestätigte das Verfassungsgericht im Januar den Sieg der Partei, welche seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 an der Macht ist. Der Oppositionsführer Venâncio Mondlane rief kürzlich zu einer 100-tägigen Pause der Proteste auf. Wir haben mit Fredson Guilengue, Programmmanager im Südafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, über die politische und wirtschaftliche Lage in Mosambik und den Stand der Proteste gesprochen.

etos.media: Angesichts all der politischen Ereignisse der letzten Wochen in Mosambik, könntest du einen Überblick über die aktuelle politische Situation im Land geben?

Fredson Guilengue: Die politische Situation in Mosambik kann als angespannt bezeichnet werden. Der Konflikt, der aus den Wahlergebnissen des letzten Jahres hervorging, besteht noch immer. Er ist noch nicht gelöst. Vielleicht sollte ich etwas Hintergrundwissen über Mosambik und die mosambikanischen Wahlen oder das Mehrparteiensystem geben. Ich bin mir nicht sicher, wie viel dir über Mosambik und seine Geschichte bekannt ist.

Von 1975 bis 1990, im Grunde bis 1994, war Mosambik ein Einparteienstaat, der von der FRELIMO regiert wurde. Zwischen 1976 und 1992 herrschte im Land ein Bürgerkrieg, in dem eine der Forderungen, die später von der RENAMO, der Guerillabewegung, erhoben wurden, die Einführung oder Abschaffung des Einparteienstaates war. Und das wurde in die Verfassung von 1990 aufgenommen. Seit 1994 werden in Mosambik also Wahlen abgehalten. Aber keine der bisher abgehaltenen Wahlen – es waren die siebten, wenn ich mich nicht irre, allgemeinen Wahlen – wurde als frei, fair und transparent angesehen.

Also das ist der Slogan der mosambikanischen Wahlbehörde. Denn es gab immer wieder Anfechtungen wegen Betrugs, der der regierenden FRELIMO zugute kommt. Denn die Regierungspartei in Mosambik, in diesem Fall die FRELIMO, kontrolliert den Staat. Und sie kontrolliert auch die Institutionen, die für die Organisation der Wahlen zuständig sind. Und letztes Jahr, während der Wahlen, gab es wieder sehr ernste Betrugsvorwürfe, welche dann später vom mosambikanischen Verfassungsrat oder dem Verfassungsgericht zurückgewiesen wurden. Aber auch der Verfassungsrat dient nach Auffassung der Oppositionsparteien und der meisten Mosambikaner den Interessen der regierenden FRELIMO, da er von dieser kontrolliert wird. Und es gab viele Fälle, in denen diese Behauptungen aufgestellt wurden und – ich werde nicht sagen, dass sie bewiesen sind – aber zumindest wahrnehmbar.

Weil sich die Opposition, angeführt von einem Mann namens Venâncio Mondlane und der Partei, die ihn unterstützte – er war ein Präsidentschaftskandidat – letztes Jahr weigerte, die Ergebnisse der Wahlen zu akzeptieren, initiierten sie eine Welle von Demonstrationen gegen die Wahlergebnisse. Aber der Staat hat auf diese Forderungen und Demonstrationen der Opposition und eines großen Teils der mosambikanischen Bevölkerung mit Gewalt reagiert. Bislang haben mehr als 300 Menschen ihr Leben verloren und Tausende sitzen im Gefängnis. Und es gibt weitere Tausende von Verletzten. Für den Moment also, hat Venâncio Mondlane, der diese Demonstrationen anführt, um eine Pause von 100 Tagen gebeten, um zu sehen, ob der neu gewählte Präsident der FRELIMO auf seine Forderungen eingeht. Das ist im Grunde genommen die derzeitige Situation – angespannt und ungewiss.

etos.media: Und „auf seine Forderungen eingehen“, was bedeutet das?

Fredson Guilengue: Als die Proteste begannen, ging es um das, was sie als Wahlwahrheit [electoral truth] bezeichneten. In dem Sinne, dass nicht die FRELIMO als Gewinner der Wahlen angesehen wird, sondern PODEMOS, die Partei, die Venâncio unterstützt hat, und auch Venâncio als Gewinner der Präsidentschaftswahlen. Das war der Beginn der Demonstrationen. Dies wurde jedoch von der FRELIMO nicht akzeptiert. Und die Ergebnisse wurden mit einigen kleinen Änderungen vom Verfassungsrat bestätigt. Da der Verfassungsrat die letzte Instanz in Mosambik ist, kann man danach rechtlich nichts mehr tun. Nachdem die Opposition also erkannt hat, dass der Kampf um die Änderung der Wahlergebnisse nicht das erwartete Ergebnis bringt, hat sie ihre Forderungen geändert und konzentriert sich jetzt beispielsweise auf die Entschädigung der Familien, die bei den Demonstrationen ihre Angehörigen verloren haben, oder auf die Freilassung von etwa 5.000 Menschen, die verhaftet wurden. Und auch finanzielle Entschädigung derjenigen, die verletzt wurden usw.

Das sind also die Forderungen, so wie die Situation jetzt aussieht. Aber natürlich geht es bei diesen Demonstrationen auf der Straße nicht nur um die politische Lage und die Wahlen. Sie erstrecken sich auch auf Themen wie Lebenshaltungskosten, die Beseitigung der sogenannten illegalen Mautstellen im Land, den Zugang zu Bildung, Beteiligung an den Vorteilen, die sich aus den natürlichen Ressourcen des Landes ergeben, die Verbesserung der Situation in den öffentlichen Krankenhäusern und auch die Zahlung der Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst, die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und so weiter. Es handelt sich also nicht nur um eine politische Bewegung, die nur politische Forderungen stellt, es erstreckt sich auch auf soziale und wirtschaftliche Aspekte Mosambiks.

etos.media: Die Opposition ist jetzt also in einer 100-tägigen Demonstrationspause. Was ist der Status der Proteste? Sind die Demonstrationen vorerst beendet oder gehen die Menschen weiter auf die Straße?

Fredson Guilengue: Trotz der von Mondlane angekündigten Pause gab es einige sporadische – oder lass uns nicht das Wort sporadisch nutzen, da es die Wirkung von dem, was passiert, herunterspielt – es gab einige Demonstrationen hier und da. Menschen blockieren die Straßen, zahlen keine Mautgebühren, brennen Mautstellen nieder, verweigern die Autorität des Staates, der neuen Regierung, und so weiter. Es gibt also diese 100-tägige Pause, aber das Volk hat die neue Regierung der FRELIMO nicht als legitime Regierung akzeptiert.

etos.media: Du hast erwähnt, dass es viele wirtschaftliche Faktoren gibt, die die Demonstranten mobilisieren. Hast du einen Einblick, wie sich die Zivilgesellschaft in Mosambik bei diesen Protesten oder auf anderen Wegen organisiert, um ihre Anliegen durchzusetzen?

Fredson Guilengue: Um nochmal auf die wirtschaftlichen Faktoren zurück zu kommen, ich denke, es ist sehr wichtig, diese zu betrachten. Denn in den letzten zehn Jahren hat sich die Armut in Mosambik verdoppelt. Und die multidimensionale Armut in Mosambik liegt bei 90 Prozent. Das ist enorm. Betrachtet man die städtische Armut in Mosambik, so hat sie ebenfalls dramatisch zugenommen. Dies wurde durch COVID-19 auch noch verschärft. Denn viele Menschen haben während COVID ihr Einkommen verloren, vor allem in den städtischen Gebieten. Dadurch hat sich die Situation weiter verschlimmert. Aber vor COVID wurde die finanzielle Situation Mosambiks auch durch einen der bekanntesten Korruptionsfälle, die das Land bisher erlebt hat, negativ beeinflusst. Bei dem wurden zwei Milliarden US-Dollar aus den Kassen der Regierung gestohlen. Dies veranlasste den IWF, die Weltbank und einige andere multilaterale Partner, ihre Unterstützung für Mosambik zurückzuziehen. Und Mosambik ist in hohem Maße auf finanzielle Hilfe von außen angewiesen.

Das ist die eine Seite, eine andere ist eine Reihe von Wirbelstürmen, die Mosambik getroffen haben. Eine Reihe von sehr starken Wirbelstürmen. Allein im Jahr 2019 hatten wir den Zyklon Idai und den Zyklon Kenneth. Diese beiden Wirbelstürme haben die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigt. Die wirtschaftliche Situation hat also auch viel dazu beigetragen, dass diese Bewegung im Land an Kraft gewonnen hat.

Das hat auch viel mit der Zivilgesellschaft zu tun, die in diesem speziellen Fall der Wahlen in Mosambik, aber auch in vielen anderen Fällen, sehr wichtige Arbeit geleistet hat. Die Aufdeckung von Korruption, aber auch den Wahlbetrug und die Gewalt. Sie haben zum Beispiel die Polizeibrutalität überwacht. Sie haben Wahlbetrug sehr genau beobachtet und Mosambik vor den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Sie haben also sehr, sehr gute Arbeit geleistet. Und ich würde sagen, dass die Demonstranten mit einer sehr starken Unterstützung der mosambikanischen Zivilgesellschaft rechnen können.

etos.media: Ich glaube, in Mosambik wurden kürzlich weitere Gasvorkommen entdeckt. Welche Rolle spielt die Entdeckung und Ausbeutung dieser Ressourcen für die politische und wirtschaftliche Situation? Steht sie im Zusammenhang mit den Protesten?

Fredson Guilengue: Ja, da gibt es einen Zusammenhang. Deshalb muss man Mosambik als ein Land betrachten, das sich in einer so genannten Polykrise befindet, also einer Kombination verschiedener Krisen, die alle miteinander verbunden sind. Da isnd zum einen die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise, die ich bereits erwähnt habe, die Abfolge von Wirbelstürmen, Dürren und so weiter. Zweitens haben wir die Krise der Korruption und die Krise der Illegitimität der Regierung. Aber wir haben auch den Extraktivismus, der einen militärischen Aufstand im Norden Mosambiks angeheizt hat.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die natürlichen Ressourcen und der Gedanke, dass Mosambik über riesige Rohstoffvorkommen verfügt, die eigentlich zur Verbesserung des Lebens der Menschen genutzt werden sollten, stattdessen aber zur Bereicherung der FRELIMO-Elite verwendet werden, eine zentrale Rolle bei diesen Demonstrationen spielen. Denn Venâncio wiederholt auch immer wieder, dass das Land zwar reich ist, aber nur eine kleine Anzahl von Personen, die mit der Regierungspartei verbunden sind, von diesen natürlichen Ressourcen profitiert. Das geht so weit, dass die Demonstranten auch Bergwerke niedergebrannt oder angegriffen haben, zumindest weiß ich von einem Bergwerk, dem Graphitabbau in Cap del Ligado, das von den Demonstranten angegriffen wurde. Die Leute sagen, dass diese Ressourcen nicht den Mosambikanern zugute kommen. Der Rohstoffextraktivismus ist also nicht nur für Venâncio, sondern auch für seine Anhänger ein zentrales Thema.

etos.media: Welche Reformen sind nach Ansicht der Menschen notwendig, um die Dinge zum Besseren zu wenden? Sowohl im Hinblick auf freie Wahlen als auch auf wirtschaftliche Probleme.

Fredson Guilengue: Es gibt eine Reihe von Forderungen. Zu den meisten gehört, das Land komplett umzugestalten. Es geht nicht nur um Reformen auf politischer Ebene oder darum, mehr Transparenz in die Institutionen zu bringen, die die Wahlprozesse in Mosambik regeln, sondern auch um Reformen auf Staats- und Regierungsebene. Zum Beispiel die Einschränkung der Macht des Präsidenten, eine stärkere Dezentralisierung des Landes und die Bekämpfung der Korruption, die Verbesserung der Qualität der Bildung, wie ich schon sagte, die Senkung der Lebenshaltungskosten, die Schaffung von Arbeitsplätzen und so weiter. Die Forderungen drehen sich also um eine Reihe von politischen und sozioökonomischen Themen.

etos.media: Aktuell läuft die 100-Tage-Pause, die die Opposition der Regierung gegeben hat, um zu sehen, wie sie auf ihre Forderungen eingeht. Aber die Führung von PODEMOS ist, denke ich, auch eine Art politische Elite. Sehen Sie irgendwelche Anzeichen dafür, dass die Elite irgendeiner Partei auf die Forderungen des Volkes eingehen wird?

Fredson Guilengue: Der neue Präsident hat, im Bestreben die Forderungen dieser Bewegung ein wenig zu entkräften, einige Reformen auf Regierungsebene vorgeschlagen. Er hat zum Beispiel die Notwendigkeit von stellvertretenden Ministern abgeschafft, um, ihm zufolge, mehr Ressourcen zu sparen, die in die Wirtschaft investiert werden können. Dies ist also eine der wichtigsten Änderungen, die er vorgeschlagen hat. Aber er erwähnte auch die Schaffung von mehr Dezentralisierung und den Vorschlag, gewählten Gouverneuren mehr Macht zuzuweisen. Er hat jedoch keine Änderungen erwähnt, die zu mehr Transparenz im Wahlprozess führen würden. Denn das größte Problem hier ist politisch.

Die FRELIMO will nicht akzeptieren, dass sie die Ansprüche des Volkes nicht mehr erfüllt und folglich nicht mehr rechtmäßig an der Macht ist. Dies ist das größte Problem Mosambiks. Das Land steht vor einem politischen Problem, nicht unbedingt vor einem rechtlichen oder wirtschaftlichen. Es ist vor allem ein politisches Problem, das seine Verzweigungen in die wirtschaftliche und soziale Ebene hat. Ich bezweifle daher, dass die derzeitige Regierung, die von der Mehrheit der Bevölkerung als illegitim empfunden wird, in der Lage sein wird, in Mosambik wesentliche Veränderungen herbeizuführen.

Dieser Beitrag ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

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