Der schwarz-rote Koalitionsvertrag steht massiv in der Kritik: Er bedeutet sozialer Stillstand, bindet sich politisch an die rechte Regierung Israels und stellt Migration und Flucht primär als Bedrohung dar. Doch das sind längst nicht alle Kritikpunkte. Der Chaos Computer Club (CCC) warnt eindringlich vor den geplanten digitalpolitischen Maßnahmen und warnt vor einer Unterwerfung unter den Überwachungskapitalismus.
Während die wenigen sozialen Fortschritte – wie die geplante Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro oder Steuererleichterungen für untere und mittlere Einkommen – von Merz bereits öffentlich angegriffen und angezweifelt werden, wird zugleich massiv in militärische Aufrüstung investiert. Parallel dazu sieht der Koalitionsvertrag tiefgreifende Eingriffe in digitale Grundrechte vor, insbesondere in die informationelle Selbstbestimmung.
So heißt es vom CCC: „Die angehende Regierung wirft ohne Not ein Konzept über Bord, das uns bisher vor den widerlichsten Auswirkungen des Überwachungskapitalismus noch einigermaßen Schutz bieten konnte.“ Gemeint ist damit insbesondere das bisherige Festhalten an datenschutzrechtlichen Grundprinzipien.
Schritte Richtung Massenüberwachung
Die vorgesehenen Maßnahmen erscheinen wie ein Wunschzettel autoritärer Überwachungsfanatiker. Künftig sollen anlasslos sämtliche IP-Adressen und Portnummern aller Bürgerinnen und Bürger für einen Zeitraum von drei Monaten gespeichert werden. Damit würde ein Prinzip aufgegeben, das bisher in Deutschland galt: der Schutz vor anlassloser Massenüberwachung. Entgegen vielfacher rechtlicher und gesellschaftlicher Bedenken wird hier der Weg freigemacht für eine dauerhafte digitale Erfassung der gesamten Bevölkerung.
Ebenso besorgniserregend ist die geplante Einführung des sogenannten „biometrischen Abgleichs“, eine Umschreibung Richtung Massenüberwachung. Der Vertrag sieht vor, dass biometrische Daten mit öffentlich zugänglichen Informationen aus dem Internet abgeglichen werden dürfen – explizit auch unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Laut CCC ist unklar, um welche Merkmale es sich handelt: Gesichtserkennung, Stimmanalyse, Gangverhalten, Iris-Scans oder gar genetische Merkmale. Dies wird ergänzt um die sogenannte „biometrischen Fernidentifizierung“. Eine Technik, die es erlaubt, Personen aus der Ferne – etwa per Kamera oder Mikrofon – automatisiert zu identifizieren, ohne dass diese davon etwas mitbekommen. Damit würde flächendeckende Echtzeitüberwachung möglich und Datenschutz zur Makulatur.
Doch das sind nicht die einzigen Maßnahmen, die gefährliche Schritte Richtung Massenüberwachung gehen: Die Einführung automatisierter Kennzeichenerfassungssysteme würde es ermöglichen, Fahrzeugbewegungen deutschlandweit zu dokumentieren, eine Praxis, die von Datenschützern eindeutig abgelehnt wird. Auch die Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird vorangetrieben und als Mittel der Kriminalitätsbekämpfung verkauft – ein Ansatz, der in der Vergangenheit zwar zu vielen Daten, aber wenigen Erfolgen führte.
Diktaturbesteck – schlüsselfertig und maßgeschneidert
Der CCC warnt daher in scharfen Worten vor den Auswirkungen des Koalitionsvertrags: „Dieser Koalitionsvertragsentwurf zeigt, dass die schwafeligen Worthülsen der ‚Souveränität‘ bei der ‚Digitalisierung‘ bloße Augenwischerei sind. Diese soll es offensichtlich nur noch für US-amerikanische Techkonzerne geben: Mit dem Mantra, uns zu einer ‚KI-Nation‘ zu mutieren, sinkt die Koalition vor den neuen Maschinen-Gutsherren schon vorsorglich auf die Knie, mit Schattengeheimdiensten wie Palantir inklusive. In der Folge liefert das Papier ein Diktaturbesteck, schlüsselfertig und maßgeschneidert. Die Folgeregierung leckt sich schon die repressionsfreudigen Klauen.“
Diese „Folgeregierung“ meint eine mögliche Regierungsbeteiligung der AfD – angesichts aktueller Umfragewerte ein zunehmend realistisches Szenario. Die Kombination aus digitaler Überwachungsinfrastruktur und einer Regierungsbeteiligung einer in Teilen faschistischen Partei ist ein Alptraum für Demokratie und Grundrechte. In Anbetracht dieser Gefahren fordert der Chaos Computer Club alle SPD-Mitglieder auf, im Mitgliederentscheid gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen.