Die Istanbul-Konvention: Ein europäisches Abkommen zum Schutz vor Gewalt an Frauen

Seit einem Jahr ist sie auch in Deutschland in Kraft: die Istanbul-Konvention. Benannt nach dem Ort der Erstunterzeichnung, ist dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ die wichtigste Konvention zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt.

Deutschland gehörte 2011 zu den Erstunterzeichnern, seit dem 1. Februar 2018 ist sie hier geltendes Recht. Bis auf Russland und Aserbeidschan haben inzwischen alle 47 Mitgliedsstaaten des Europarats die Konvention unterzeichnet, von 33 Ländern wurde sie inzwischen auch ratifiziert. Die Konvention erkennt an, dass Gewalt an Frauen und Mädchen eine Menschenrechtsverletzung ist und verpflichtet die Staaten zur Bekämpfung von Gewalt und ihren Ursachen. Wie notwendig eine solche Konvention ist, zeigt sich mit einem Blick auf das Ausmaß der Gewalt an Frauen in Europa: Jede dritte Frau in Europa ist zumindest einmal in ihrem erwachsenen Leben von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen, so das Ergebnis der Grundrechtsagentur der Europäischen Union durchgeführten repräsentativen Untersuchung (Link: https://fra.europa.eu/de/publication/2014/gewalt-gegen-frauen-eine-eu-weite-erhebung-ergebnisse-auf-einen-blick). Das sind ungefähr 62 Millionen Frauen. 86 % der befragten Frauen berichteten, selbst die schwerste Gewalterfahrungen durch den Partner nicht angezeigt zu haben, nur 14 % erstatteten eine Anzeige. Die Studie zeigt also ein Ausmaß an Gewalt, das oft im Verborgenen bleibt und in den offiziellen Kriminalitätsstatistiken nicht auftaucht – oft, weil der eigene Partner oder Ex-Partner der Täter ist.

Auch in Deutschland zeigen Dunkelfeldstudien ein ähnliches Ausmaß insbesondere von häuslicher Gewalt. Aus diesem Grund legt die Konvention einen Schwerpunkt auf das Thema häusliche Gewalt, ohne jedoch dabei andere Gewaltformen wie weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, sexuelle Gewalt und Belästigung oder Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisation zu vernachlässigen.

Bevor Deutschland die Konvention unterzeichnen konnte, musste erst nationales Recht entsprechend umgesetzt werden. Dies war mit ein Grund für die Reform des „Vergewaltigungsparagrafen“ in 2016, dessen Strafnorm nicht den Vorgaben der Konvention entsprach. Dass Deutschland die Konvention nun ratifiziert hat, ist allerdings kein Grund, sich nun zurückzulegen. Alle Staaten, und somit auch Deutschland, sind dazu aufgefordert und verpflichtet, die Artikel der Konvention umzusetzen. Dies ist durchaus als ein permanenter Prozess zu verstehen – insbesondere gibt es viel Handlungsbedarf, bis ein gewisser Status Quo erreicht ist. Die Länder tun also gut daran, die Konvention ernst zu nehmen und als Handlungsauftrag zu verstehen. Ein unabhängiges Kontrollgremium, genannt Grevio, besucht regelmäßig die Länder und kontrolliert die Einhaltung der Konvention. Für Deutschland steht das erste Berichtsverfahren 2020 an. Nicht mehr viel Zeit also, um zumindest mit der strukturellen Umsetzung begonnen zu haben. 

Umsetzung in Deutschland stockt

Die Konvention stellt in den ersten Artikeln Rahmenbedingungen auf, die jedes Land zur Überwachung der Konvention aufstellen soll. So sieht die Konvention verpflichtend vor, dass Koordinierungsstellen auf Bundes- und auf Landesebene geschaffen werden. Auch die Gründung einer unabhängigen Monitoringstelle sowie umfangreiche Forschung und Datensammlungen sind vorgegeben.

Deutschland, das sich ja gerne mit damit brüstet, Menschenrechte zu achten und zu schützen, hat von alldem bisher noch nichts umgesetzt. Wie eine jüngst veröffentlichte Kleine Anfrage (Link:  http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/078/1907816.pdf) von mir aufzeigte, hat die Bunderegierung keine Pläne für die Gründung einer Koordinierungsstelle oder einer davon unabhängigen Monitoringstelle. Nicht überraschend existiert auch kein Aktionsplan zur systematischen Umsetzung der Konvention. Finanzielle Mittel stehen für diese Vorhaben nicht zur Verfügung.

Etwas weniger desolat ist die Umsetzung bei der konkreten Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen, aber auch hier erfüllt die Bundesregierung nicht die Vorhaben der Konvention. Zwar ist es als positiv anzusehen, dass in den nächsten Jahren durch das Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ bekannte Lücken im Hilfesystem geschlossen werden sollen. Mit den Geldern wird jedoch nicht die grundsätzliche Finanzierung des Hilfesystems auf solide Füße gestellt, da die Finanzierung der Beratungsstellen und der Frauenhäuser damit nicht gewährleistet wird. Um die Vorgaben der Konvention bei der Anzahl der Frauenhausplätze zu erfüllen, muss Deutschland deutlich mehr Frauenhausplätze schaffen.

Spezielle Zielgruppen nicht im Blick

Auch mangelt es an Schutz und Hilfe für spezielle Zielgruppen. So sind zum Beispiel für ältere oder obdachlose Frauen keine speziellen Projekte oder Hilfsmaßnahmen geplant. Auch das Problem der digitalen Gewalt scheint die Regierung noch nicht als Problem erkannt zu haben. Gelder für die Aufstockung von Beratungskapazitäten in den Beratungsstellen scheinen zumindest nicht eingeplant zu sein.

Den Schutz vor Gewalt für geflüchtete Frauen vernachlässigt die Bundesregierung ebenfalls. Für geflüchtete Frauen und LSBTIQ*, die sich in Landeserstaufnahmeeinrichtungen befinden, gibt es keine verbindlichen Vorgaben für die Vorgehensweise und keine Präventions- oder Interventionskonzepte bei geschlechterspezifischer Gewalt. Eine unabhängige Beschwerdestelle, durch die Betroffene schnell und effektiv Schutz bekommen könnten, soll in Landeserstaufnahmeeinrichtungen ebenfalls nicht eingeführt werden.

Um effektiven Schutz vor Gewalt zu gewährleisten, reicht es aber nicht aus, unter entsprechende Menschenrechtsabkommen die Unterschrift zu setzen. Die Bundesregierung muss Geld in die Hand nehmen, um alle Vorgaben der Konvention zu erfüllen. Diesen Menschenrechtsschutz muss sich Deutschland leisten, ob die Regierung will oder nicht.

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