German Angst: Jan Fleischhauer und die Furcht vor der solidarischen Gesellschaft nach der Krise

Von der Hoffnung auf ein zeitnahes Ende der Pandemie, die Ende letzten Jahres angesichts der beginnenden Impfkampagnen zu spüren war, ist zumindest in Deutschland wenig übrig. Steigende Todeszahlen, trotz Lockdown nur langsam sinkende Infektionsraten und zahlreiche Probleme bei der Impfkampagne haben die Kritik am Krisenmanagment der Bundesregierung in den letzten Wochen lauter werden lassen.

Es wundert nicht, dass in dieser Situation der aus dem linksliberalen Lager heraus initiierte Aufruf „Zero Covid“ und die darin enthaltene Forderung nach einem „solidarischen, europäischen Lockdown“ zwecks drastischer Reduzierung der Neuinfektionen für Aufsehen gesorgt hat.

Dass es aus sozialistischer Perspektive einiges am Aufruf zu kritisieren gibt, beweist die seit der Veröffentlichung des Aufrufs stattfindende Debatte innerhalb der linken Szene, die sich in zahlreichen Beiträgen, allen voran in der Monatszeitschrift ak – analyse & kritik, niedergeschlagen hat. Bei aller Kritik an der Realisierbarkeit sowie dem fehlenden demokratischen Charakter des von „Zero Covid“ vorgeschlagenen „harten Lockdown“ muss jedoch betont werden, dass es durchaus als Erfolg gelten kann, dass erstmals eine linke Position diskutiert wird, die den staatlichen Lockdown, der individuelles Verhalten in den Fokus nimmt, aber die Produktion weitestgehend unangetastet lässt, in Frage stellt. Auch die bisher beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, allen voran die Heimarbeit, die für zahlreiche mehrheitlich geringverdienende Personen keine Lösung darstellt, sowie die Tatsache, dass Profitinteressen eine gerechte und schnelle Verteilung der weltweit benötigten Impfstoffe verhindern, werden von den Initiatorinnen und Initiatoren des Aufrufs vollkommen zurecht harsch kritisiert. Lobenswert ist auch, dass tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen gefordert werden, um Probleme, beispielsweise im Gesundheitssystem, zu beheben, die in der derzeitigen Krisensituation deutlicher als bereits zuvor zu Tage getreten sind.

Kritik des bürgerlichen Lager

Letzteres hat in den bürgerlichen Medien, die sich angesichts von mittlerweile fast 90.000 Unterstützerinnen und Unterstützern ebenfalls mit dem Aufruf der „Zero Covid“-Initiative auseinandersetzen, mitunter zu den typischen liberal-konservativen Abwehrreflexen geführt. An die Spitze derjenigen, die allem Anschein nach eine mögliche solidarische Gesellschaft nach der Pandemie mehr fürchten als das tödliche Virus, hat sich Jan Fleischhauer mit einem Artikel im „Focus“ gestellt. Darin bezeichnet Deutschlands bekanntester konservativer Provokateur den Aufruf als Offenbarungserklärung der „autoritären deutschen Linken“. Fleischhauer beschränkt sich in seiner Kritik vollkommen auf die möglichen wirtschaftlichen Implikationen der Forderungen von „Zero Covid“. Während also innerhalb des linken Lagers kritisch mit dem Aufruf umgegangen und auf die möglichen problematischen Folgen eines harten Lockdowns für Demokratie und Gesellschaft hingewiesen wird, sorgt sich Fleischhauer in erster Linie um das Schicksal des deutschen Unternehmers. Wie schön, dass sich Neoliberale nach wie vor ihrer Prioritäten bewusst sind. Doch auch die Zukunft bereitet Fleischhauer Sorgen, vor allem eine postpandemische Gesellschaft, in der „die Eigentumsgarantie nur noch begrenzt gilt und die Profitlogik ausgehebelt ist“. Für den konservativen Brandstifter natürlich ein Schreckensszenario.

Hinter all der Polemik blitzt bei Fleischhauer, wie derzeit bei so vielen anderen liberalen und konservativen Meinungsmachern, die nackte Angst hervor. Schon seit Beginn der Pandemie beobachten sie mit Argwohn, wie angesichts der wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Krise Forderungen nach einer Abkehr von der bisher hegemonialen neoliberalen Gouvernementalität laut werden. „Zero Covid“ ist für sie nun endgültig zu viel.

Zumindest eines hat der Aufruf also bewirkt: Die herrschende Klasse und ihre kleinbürgerlichen Apolegeten blasen zum Angriff. Jeglicher Versuch, solidarisch aus der Krise hervorzugehen, soll im Keim erstickt werden. Angesichts dieser Tatsache sollte die Linke ihre akademischen Debatten über „Zero Covid“ ruhen lassen und ebenfalls in die Offensive gehen. Denn bei aller berechtigten Kritik hat der Aufruf das Potential, als Ausgangspunkt nicht nur für die Entwicklung einer revolutionären Antwort auf die Pandemie, sondern auch auf den neoliberalen Status quo zu dienen, welche die Perspektive einer solidarischen Gesellschaft aufrechterhält.

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