Fokus. Gebrauchswert. Glaubwürdigkeit. Ein Plädoyer für eine andere politische Praxis in der Linken

By DIE LINKE, Flickr, licensed under CC BY 2.0 (cropped).

Globale Krisen. Planlose Regierungen. Abstiegsängste. All das liefert den Nährboden für den Aufstieg rechter Ideologien. Und die Linke? Sie zeigt vor allem Haltung. Das ist zwar richtig. Aber Haltung ist keine politische Strategie. Der Kampf für eine linke Hegemonie gelingt nicht ohne eine andere politische Praxis.

Die Welt ist im Wandel. Auf globaler Ebene schreitet die Klimakrise voran, geopolitische Spannungen entladen sich zu neuen Kriegen. Gleichzeitig zerbröckelt die Schimäre der Aufstiegsgesellschaft. Viele Menschen haben Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg. Sie fürchten, zu Verlierern der gesellschaftlichen Umbrüche zu werden – und das nicht zu unrecht. Jahrzehntelang haben neoliberale Regierungen gezeigt, dass sie unfähig sind, soziale Politik zu machen und die alltäglichen Probleme zu lösen: Die öffentliche Infrastruktur ist marode, die Mieten steigen, die Reallöhne sinken für viele, das Rentenniveau reicht kaum für das Leben, Industriebetriebe stehen vor der Abwanderung. Während private Vermögen immer weiter anwachsen, verarmt die öffentliche Hand. Viele Kommunen bewegen sich am Rande der Handlungsfähigkeit. All das ist der Nährboden für Parteien, die ein Zurück in eine vermeintlich rosige Vergangenheit versprechen: ohne Klimakrise, ohne Migration, dafür mit Verbrennermotoren und Frauen am Herd.  Die Lüge der Vergangenheit überdeckt die Herausforderungen für die Zukunft. 

Und Die Linke? Sie ist aktuell eine Partei mit Klassenpotenzial, aber ohne Klassenbasis. Auf dem Weg, von jetzt auf gleich die ganze Welt zum Guten zu verändern, hat sie vergessen, die Leute mitzunehmen, die verständliche Sorgen vor Veränderung haben. Das ist fatal: Denn linke Parteien können immer dann “progressive” Veränderungen durchsetzen, wenn sie das Vertrauen einer breiten Masse der arbeitenden Klasse genießen. Die Linke hat dieses Vertrauen verloren. Symptomatisch dafür ist, dass bei der Landtagswahl in Brandenburg nur noch drei Prozent der Menschen mit schlechter wirtschaftlicher Situation die Linke, aber 48 Prozent die AfD gewählt haben. Die Reaktion der Linken auf diese gesellschaftliche Entwicklung: Sie zeigt Haltung. Haltung gegen den Rechtsruck, Haltung gegen fehlenden Klimaschutz, Haltung gegen den Angriff auf das Asylrecht. Das ist zwar alles richtig, aber Haltung ist keine politische Strategie. Eine politische Strategie muss einen Weg aufzeigen, wie man eine Machtbasis aufbaut und Mehrheiten für ein politisches Ziel organisiert. 

Es wäre ein fataler Fehler, in der aktuellen Situation der Linken eine programmatische Debatte ins Zentrum zu rücken. Linke Themen liegen auf der Straße. Soziale Sicherheit – bezahlbare Mieten, gute Renten und Löhne, gute Pflege, bezahlbare Lebensmittel – spielen für viele Menschen eine zentrale Rolle. Das Problem ist aber: Die Leute verbinden das immer weniger mit der Linken und sie trauen ihr erst recht nicht zu, reale Veränderungen zu bewirken. Das ist auch ein Ausdruck davon, dass viele Menschen den Glauben an reale Umverteilung verloren haben. Nicht zu unrecht: Die herrschende Politik hat vor den Interessen des Kapitals weitestgehend kapituliert.  So wurde die Oben-Unten-Konfliktachse in der gesellschaftlichen Debatte zunehmend durch eine Wir-Sie-Konfliktachse ersetzt. Geflüchtete werden zu Sündenböcken aller Probleme. Dem eine andere Erzählung entgegenzusetzen, ist kein Spaziergang, sondern ein langer Marsch. Einer ohne Abkürzung. Es geht um eine andere politische Praxis. Eine erfolgversprechende Strategie muss dabei mindestens drei zentrale Punkte erfüllen: Fokus. Gebrauchswert. Glaubwürdigkeit. 

Fokus: Viele Menschen bekunden, sie wissen nicht, wofür die Linke steht. Das braucht nicht zu verwundern. Zentrale Identifikationspunkte wie der Kampf gegen die Agenda 2010, für den Mindestlohn und gegen den Afghanistankrieg sind weggebrochen. Die Partei hat es nicht geschafft, sich neue Alleinstellungsmerkmale zu erarbeiten. Stattdessen hat sie zu viel Energie in eher alltagsferne Fragen von Postwachstum und bedingungslosem Grundeinkommen gesteckt. Dabei bedeutet eine Fokussierung nicht den Ausschluss von Themen oder Debatten. Sie bedeutet aber, dass man begrenzte Ressourcen bündelt und punktuell anfängt, den öffentlichen Diskurs zu verschieben, um ein größeres Ziel zu verfolgen. Das kann nur funktionieren, wenn man sich auf Kernthemen fokussiert. Neben der Friedenspolitik und dem Kampf für soziale Sicherheit drängt sich ein Thema ganz besonders auf: Die Wohnungspolitik. Denn: Nirgends sonst zeigen sich die Konfliktlinien zwischen Oben und Unten so klar wie bei der Verteilung von Wohnraum, einem existenziellen und begrenzten Gut. Gleichzeitig gibt der neoliberale Mainstream keine Antwort auf diese Krise. Ein klares Bekenntnis zu einem Mietendeckel, zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne und zu einer Stärkung des öffentlichen Wohnungsbaus wird daher nur von der Linken kommen.

Zudem lässt sich die Wohnungspolitik mit einem konkreten Gebrauchswert verbinden. Denn gute Forderungen sind das Eine, reale Wirkungsmacht das Andere. Die Zeiten, in denen die Linke Wut und Frust als Protestpartei kanalisieren konnte, sind vorbei. Eine größere Bedeutung kommt daher der Wirkung und Verankerung vor Ort zu. Dort, wo Politik sonst nicht stattfindet, Menschen vereinzeln und der Nährboden für rückwärtsgewandte Ideologien daher besonders groß ist. Die Linke kann hier zum Ansprechpartner für Probleme werden und diesen Stimmen in den Parlamenten und Medien Gehör verschaffen. Sie kann helfen, Kämpfe vor Ort zu organisieren und Solidarität, Wirkungsmacht und Klassenbewusstsein damit greifbar zu machen. Insbesondere in der Organisation von Mieterinnen im Kampf gegen Verdrängung und hohe Heizkosten konnte die Linke in den letzten Monaten deutschlandweit Erfolge verbuchen. Aber egal ob Kampagnen vor Ort oder bundesweit. Entscheidend ist: Wir machen nicht nur Medienkampagnen. Wir machen Kampagnen, um zu gewinnen. Gute Reden im Parlament reichen dafür nicht aus. Wenn wir einen Mietendeckel fordern, dann wollen wir den auch erkämpfen. Wenn wir die Steuerprivilegien von Konzernen beschneiden wollen, reichen ein paar Fotos vor Konzernzentralen nicht aus. Was es braucht, sind Kontinuität und Energie. Wir können nicht jede Woche eine andere Sau durch die Presse jagen. Es braucht einen Gegensatz zur aufgeregten Hyperpolitik der anderen Parteien, um den Diskurs Schritt für Schritt zu verschieben. 

Der dritte Punkt ist die Glaubwürdigkeit. Viele Menschen nehmen Politiker als abgehoben und weltfremd wahr. Sie haben recht. Wer mit dicken Diäten versorgt wird, sich vom Fahrdienst durch Berlin kutschieren lässt und sich jeden Abend von Lobbyisten auf die Schulter klopfen lässt, hat mit den Problemen und der Lebensrealität der Mehrheit nichts mehr zu tun.  Das Beispiel der KPÖ zeigt uns, wie man dem durch die Begrenzung der eigenen Gehälter und einen Fokus auf konkrete Politik vor Ort entgegenwirken kann. Es ist eine politische Praxis, die vor Entfremdung schützt, Karrierepolitiker außen vor hält und stattdessen die Menschen in den Vordergrund rückt, um die es eigentlich geht.  Es ist eine politische Praxis, die von den etablierten Parteien abgrenzt und Die Linke zu einer glaubwürdigen Stimme für Viele machen kann. 

Fokus. Gebrauchswert. Glaubwürdigkeit. Drei Schritte zu einer politischen Praxis, um die Linke aufzubauen. Sie sind das Grundgerüst, um auch für die großen Fragen unserer Zeit wirkmächtig sein zu können. Denn: Die globalen Herausforderungen sind riesig, aber die Grundlage für unsere Arbeit legt die Verankerung und das Vertrauen der Menschen vor Ort. Hier können wir dauerhaft Klasseninteressen organisieren und  Mehrheiten für unsere, für eine andere, Politik gewinnen. Hier können wir zeigen, dass wir es ernst meinen mit unserem Anspruch, für eine andere Gesellschaft zu kämpfen. Für Solidarität, Freiheit und Gleichheit. Für eine Demokratie, in der Politiker sich nicht die Taschen vollstopfen, Rassismus geächtet wird, niemand für den Klimaschutz frieren muss und jeder für seine Lebensleistung ordentlich entlohnt wird. All das ist aber kein Sprint, sondern ein Marathon.

Ein Beitrag von Theo Glauch, Mitglied im Landesvorstand der Linken in Bayern. Auf dem bevorstehenden Parteitag in Halle kandidiert er für den Parteivorstand.

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