Der Front National in Frankreich – Ein Extremismus der Mitte

Foto: Blandine Le Cain - flickr.com - CC BY 2.0 some rights reserved.

Verfolgt man die aktuelle politische Debatte in Frankreich kann einem Angst und Bange werden. Sämtliche Themen, die der Front National schon seit Jahren in die öffentliche Debatte einbringen möchte, scheinen mit einem Schlag vom gesamten politischen Spektrum vertreten zu werden. Rassistische Angstkampagnen gegen Zuwanderung sind an der Tagessordnung. Außerdem werden bornierter Nationalismus, aber auch neoliberale Wirtschaftspolitiken, sowohl von Regierungsseite als auch der bürgerlichen Opposition lautstark vertreten. Dagegen wirken die Versuche aus dem linksliberalen Spektrum der Gesellschaft, die Ursache allen Übels im „Faschismus“ des FN zu suchen ziemlich hilflos, denn mehr als ein moralisierender Appell, der wirklich die gesellschaftlichen Ursachen des Erfolges nicht zu verstehen versucht, ist. Doch gerade dieses zu tun, muss die Aufgabe und Zielsetzung linker Akteure sein.

Was es also bedarf ist ein emotionsloserer, materialistischerer Blick auf die französische Geschichte. Dieser macht relativ schnell deutlich, dass die „Umtriebe“ des Front National und seiner ihm ideologisch verbunden Organisationen eher die Regel, als die Ausnahme sind.
Grund dafür sind hegemoniepolitische Erwägungen der gesellschaftlichen Eliten, die seit jeher das kleine (bäuerliche) Eigentum förderten und pflegten und somit eine sichere konterrevolutionäre Basis schufen. Dies sorgte dafür, dass entgegen der Entwicklung in anderen bürgerlichen Staaten, wie Großbritannien oder den Deutschen Staaten, starke präkapitalistisch geprägte Bauern- und Handwerkermillieus ökonomisch bestimmend blieben.

Die Stärke dieser „alten Mittelklasse“ war schließlich dafür mitverantwortlich, dass die Transformation vom Agrar- zum Industriekapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts schleppend und nur oberflächlich von statten ging. Ideologische Führer dieser Gegenbewegung waren in besonderem Maße Maurice Barrès und Charles Maurras, die mit ihren Schriften und Aktionen einen ethnisch definierten Nationalismus begründeten.

Barrès und Maurras – Die Intellektuellen des „ Rechtsnationalismus“

Barrès, ging davon aus, dass das Individuum versinkt, um in der Familie, der Rasse und der Nation aufzugehen. Das nationale Kollektiv war nach seiner Sicht durch die Verwurzelung in der Erde und den Toten vorrausgegangener Generationen begründet. Daher hatte nach Barres der Mensch keinen Willen, eine andere Welt als die seiner Vorfahren zu schaffen, denn Wesen könnten nur solche Früchte hervorbringen wie sie in alle Ewigkeiten durch ihre Wurzeln erzeugt werden. Das Barrès sich mit damit vor allem an die Bauernschaft richtete ist offensichtlich. Für ihn waren sie die Träger der Tradition. Die „Unveränderten Menschen“, für die die Ackerscholle, die ohne Seele scheint, voll von Vergangenheit ist, und deren Erzählungen Ströme von Ideen in Gang setzten“. Das Ideal, von den Früchten seiner Hände Arbeit leben zu können- unterstützt von Frau und Kindern- und somit unabhängig zu sein, von Lohnarbeit oder der Unterordnung unter einen Unternehmer oder Vorgesetzten, wie es in der aufkommenden Industrie üblich war, forcierte bei Akteuren, wie Barrès noch einmal die Verklärung der präindustriellen Struktur des frühen 19. Jahrhunderts.

Da Frankreich aber bereits zu diesem Zeitpunkt ganz massiv von der Wirtschaftskrise, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ganz Europa erfasst hatte, betroffen war, hatten viele kleine Bauern, deren ökonomische Probleme noch durch die herrschende Freihandelspolitik verschärft wurde, bereits ihre Existenz aufgegeben und waren in die Städte abgewandert und zu „Entwurzelten“ geworden. Für diese Menschen war die alte, idyllische Welt des 19. Jahrhunderts Vergangenheit und es brach ein neues Zeitalter an: Das der städtischen Massengesellschaft! Für einen Theoretiker, wie Barrès musste dieser ökonomisch und gesellschaftlich unkontrollierbare Vorgang so klein wie möglich gehalten werden. Deshalb suchte er nach Möglichkeiten, die neu entstehenden Massen in seinem Sinne zu lenken. So plädierte er dafür den Antisemitismus und Rassismus zum zentralen Thema der nationalistischen Agitation aufzuwerten, den dem durch die Industrialisierung in seiner sozialen Stellung gefährdeten Kleinbürgertum, wie auch der Arbeiterschaft könne der Jude durch seine unheilbare Abscheu gegen ehrliche Arbeit und Leistung, die ihn deshalb zum Wucherer und Händler mit Menschen mache als „gemeinsamer Feind“ dienen, wie er meinte.

Ebenfalls tat sich Barres als Befürworter für Maßnahmen hervor, die die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte nach Frankreich unterbinden sollten, um die französischen Arbeiter vor der lohndrückenden Konkurrenz der Zugewanderten zu bewahren, denn es müsse so sein, dass „in Frankreich der Franzose immer auf dem Ersten Platz“ stehe, wie er es formulierte. Die Empfindung der nationalen Solidarität sei nur durch den Hass auf den Nachbarn zu erreichen. Denn wen man wolle, dass die Arbeiter in die nationale Gemeinschaft integriert wurden, dürfe die Rede vom Vaterland für die unteren sozialen Schichten nicht nur mit Belastungen und zu erfüllenden Diensten verbunden sein. Die „Preference nationale“ war geboren.

Charles Maurras, der zweite wichtige Akteur und politischer Kopf der Organisation „Action française“, die um der Jahrhundertwende bis in die 1930iger Jahre existierte, forderte sogar ganz offen eine Rückkehr zur Monarchie, da das pre- revolutionäre Frankreich stabil gewesen sei und den notwendigen Schutz nach außen gewährleistet habe.

Doch dazu musste man sich der inneren Feinde entledigen. Die sogenannten „Vier Konföderierten Staaten“, wie Maurras sie nannte. Gemeint waren Juden, Protestanten, Freimaurer („die Liberalen“) und „Fremde“, die sich eines „bedingten Patriotismus“ schuldig gemacht hätten da ihre „Liebe zu Frankreich“ nicht absolut sei. Dieses Bündnis aus Intellektuellen und Migranten hatte sich gegen Frankreich verschworen, saß aber an den „Schalthebeln der Macht wie Maurras meinte und war dafür verantwortlich, dass Frankreichs Stärke und Handlungsfähigkeit in der Welt bedroht war. Ähnliche Worte benutzt heute der bekannte Fernsehjournalist und Buchautor Eric Zemmour, der mit seinem Buch „ Der Selbstmord Frankreichs“ Verkaufsrekorde erzielt hatte, wenn er schon wieder eine „Verschwörung“ hinter den Kulissen der Macht sieht. Diesmal sind die 68er Schuld, die Schwule, Lesben und maghrebinische Migranten an die Macht gebracht hätten.

Da die sozial- und wirtschaftspolitische Seite bei ideengeschichtlichen Debatten meist vergessen wird, sei darauf hingewiesen, dass neben „antimonopolistischer“ Rhetorik gegen das Groß –und Finanzkapital (besonders das jüdische) eine strikte Ablehung von staatlicher Sozial- oder Umverteilungspolitik einherging. Natürlich wurde auch die junge Arbeiterbewegung verbal und politisch bekämpft.

Denn sie hatte Frankreich in den Zustand der Anarchie“ versetzt. Denn nach Meinung nach Meinung von Paul Déroulède, Gefolgsmann von Barrés, Anti- Kommunarde von 1871 und Chef einer Schlägertruppe um die Jahrhundertwende, kämpfte die Arbeiterklasse nicht länger für die legitime Verbesserung ihrer Lage, sondern für das Recht auf Faulheit, für die Zerstörung und das Verschwinden des Eigentümers, für die Vernichtung aller Profite und damit letztendlich auch für die „Zerstörung individuellen Wohlstandes, denn die illusionäre Vorstellung, das „jeder zur selben Zeit gesellschaftlich aufsteigen könne, und nicht wie bisher einer nach dem Anderen“, führe zum „allgemeinen Ruin“ (vgl. Soucy 1986; S.2).

Die „neuen Mittelschichten“- Die Angst vor dem sozialen Abstieg und die neurliche Verklärung des Individualismus

Obwohl bis 1945 zehntausende Menschen Mitglieder von paramilitärischen Verbänden wie der „ligue des patriotes“ oder der Action „française“ waren negiert die französische Geschichtsschreibung bis heute die (phasenweise) Zentralität faschistoiden Denkens in der französischen Gesellschaft. Ja, mehr noch: Man verklärt diese Denker und Organisationen zu antikonformistischen „sozial deklassierten“ Außenseitern, deren Organisationen gegen das Establishment und gegen das (kapitalistische) System gewesen seien, was wiederum als Grundlage der Charakterisierung des Front national als „Unterschichtenbewegung“ herhalten muss.

Vielmehr zeigt, sich dass die alten klassischen Werte der „Rechtsnationalismus“ (Ordnung, Autorität, Ungleichheit) ihre stärkste Zustimmung in den aufstiegsorientierten Millieus der (unteren) Mittelschicht finden. Auch der Großteil der Aktiven des FN und seiner Vorfeldorganisationen gehört diesen an. Offensichtlich ist die Existenz einer breiten Mittelschicht auch heute noch maßgeblich dafür verantwortlich, dass extrem rechtes nationalistisches Denken für eine breite Gruppe der Gesellschaft anknüpfungsfähig ist. Was unmittelbar damit zusammenhängt, dass das heutige Krisenempfinden für die Mitglieder dieser Millieus mit der gleichen positiven Übersteigerung des „Individualismus“ und dem Erfolg der eigenen Leistung, die zum „Aufstieg zum Eigentum“ (also dem Erwerb des eigenen Hauses),wie es seit den 70er Jahren wieder verstärkt postuliert wird und für den FN zentrales Bestandteil der Programmatik ist Gleichzeitig ist der Anteil derjenigen, die sich selbstständig machen und somit zu kleinen Unternehmer werden, viel höher als in z.B. Deutschland. Die notwendige Zentralität des Kleinunternehmers und ihrer sozialkonservativen Moralvorstellungen für die französische Ökonomie wird vom Front National ebenfalls am entschiedensten befürwortet. Betrachtet man ein wenig genauer, welche Worte die Partei dazu in ihren Wahlmanifesten wählt, fällt auf, dass ein „nationalliberaler“ Kapitalismus vom FN gefordert wird. Deshalb ist auch die aggressive Rhetorik des FN in Wirklichkeit kein Ausdruck von Stärke, sondern sie ist Ausdruck Befürchtung der kleinen Eigentümer, und ihrer Mitarbeiter, seien sie Unternehmer seien sie Hausbesitzer, von der neuerlichen Welle eines deregulierten, transnationalen Kapitalismus „an die Wand gedrückt“ zu werden und die der FN geschickt versucht aufzunehmen und davon zu profitieren.

Sie verlangen nach staatlicher Regulierung ausländischer Konkurrenz und nach Sanktionierung der angebliche durch den Sozialstaat verhätschelten Leistungsverweigerer am unteren Ende der Gesellschaft, da sie an der Idee des individualistischen, starken Einzelkämpfers festhalten, in der alles Erreichte das Ergebnis des eigenen Talents und der eigenen Kreativität ist. Sie Die oftmals schon rechten Grundeinstellungen der in der Privatwirtschaft arbeitenden „Mittelschichten“ führen in der aktuellen Krisensituation zu einer weiteren Rechtsentwicklung dieser Fraktionen der „classe moyenne“. Gleichzeitig führt diese widersprüchliche Zustimmung zum Neoliberalismus zu einer deutlich höheren Mobilisierbarkeit dieser „Mittelschichtsangehörigen“ bei, als sie bei den Bewohnern „Sozialen Brennpunkte“ anzutreffen wäre. Nicht umsonst sind es die eher wohlhabenderen Einfamilienhauswohnsiedlungen an den Rändern der Großstädte die die höchsten Ergebnisse für den FN aufweisen.

Die politische Aufgabe der französischen Linken besteht also nicht darin, diese rechten Wähler zu umgarnen sondern den „alten linken“ Werten wieder Leben einzuhauchen. Was umso schwerer ist in Zeiten, da die alte fordistisch geprägte und Arbeiterklasse auf dramatische Weise fragmentiert darniederliegt.

Sebastian Chwala, Autor des vor wenigen Wochen erschienen Buchs „Der Front National – Geschichte, Programm, Politik und Wähler“

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4 Antworten

  1. „Sowohl die Regierung Sarkozy als auch die von Hollande haben nicht im Sinne einer groesseren Gruppe der franzoesischen Bevoelkerung regiert. Jetzt werden die etablierten Parteien die Rechnung serviert kriegen.“

    Was freilich nicht an der (ideologischen) Einstellung der Parteien liegt. Ob Christlich-Konservativ oder „Sozialistisch“ (pseudosozialdemokratisch) macht da keinen Unterschied. Und genauso wenig wird eine nationalistisch-rassistische Partei einen Unterschied machen. Oder sind Sie wirklich so naiv zu glauben, der FN würde in Frankreich irgendetwas zur Verbesserung der Lage der Bevölkerung beitragen?
    Das einzige was er kann ist die Menschen zu spalten, indem er Probleme auf bestimmte Gruppen innerhalb der Bevölkerung projeziert. Und auf die „Schwachen“ lässt sich immer besonders gut einschlagen. Dazu die Anti-EU Rhetorik: Probleme auf einen äußeren „Feind“ projezieren. Auch nicht besonders einfallsreich. Wirklich an die Wurzeln gehen will von denen doch gar keiner aber für viele Franzosen scheint es ja auszureichen einfache Lösungen anzubieten. Aber davon ab; wenn man erstmal an der Regierung ist, werden alle Versprechungen so oder so verpuffen. [Alles auch so auf Deutschland übertragbar.]

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