„Das Klima der Gewalt“ – Gaza: wie fossile Energie, Kolonialismus und Genozid miteinander verwoben sind

Gaza - Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 2.0 (cropped)

Die Sonne über Gaza ist rot vom Rauch der Bomben. Über 37 Millionen Tonnen Trümmer liegen dort, verseucht mit Asbest, Chemikalien und Schwermetallen. Zwei Drittel der Ackerflächen sind zerstört, das Wasser blockiert, siebzig Prozent der Bäume entwurzelt. In Gaza stirbt nicht nur eine Bevölkerung, es stirbt das Land, das sie ernährt hat. Diese Zerstörung ist kein Kollateralschaden, sie ist Strategie.

Denn wer ein Volk vernichten will, zerstört zuerst seine Lebensgrundlagen. Bomben treffen nicht nur Menschen, sie treffen Böden, Flüsse, Samen, die Idee von Zukunft selbst. Der Genozid in Gaza ist auch ein Genozid gegen die Natur, ein Ökozid. Und beide sind keine Zufälle, sondern Ausdruck eines Systems, das auf fossiler Energie, kolonialer Ausbeutung und imperialer Gewalt beruht. Dieselben Kräfte, die Gletscher schmelzen und Regenwälder brennen lassen, treiben auch die Vernichtung in Gaza an. Die Klimakrise ist kein anderes Problem, sie ist Teil derselben Geschichte.

Klimagerechtigkeit heißt in diesem Zusammenhang nicht nur, Emissionen zu senken, sondern alle Leben gleichermaßen zu schützen. Sie ist die Vision einer Zukunft, in der kein Mensch als entbehrlich gilt, in der wir nicht nur die schlimmsten Auswirkungen der Krise aufhalten, sondern die materiellen Grundlagen des Lebens für alle verbessern.

In diesem Artikel geht es um genau diese Verflechtungen: um Öko-Apartheid und ökologische Kriegsführung, um Kolonialismus und fossilen Kapitalismus, um Genozid und Ökozid und darum, welcher Verantwortung die deutsche Klimabewegung jetzt nachkommen muss.

Öko-Apartheid – Wenn Natur zur Waffe wird

Besatzung bedeutet Kontrolle, über Menschen, aber auch über ihre Lebensgrundlagen. In Palästina heißt das: Jemand anderes entscheidet über dein Wasser, deinen Strom, dein Land, deinen Zugang zum Meer. Israel bestimmt, wer atmen darf, wer fischen darf, wer pflanzen darf. In keinem anderen Teil der Welt wird so deutlich, dass Umweltfragen immer Machtfragen sind.

Seit Jahrzehnten wird die Natur Palästinas zur Waffe gemacht. Olivenhaine, das Herzstück der palästinensischen Kultur und Wirtschaft, werden entwurzelt, abgebrannt, durchzogen von Straßen und Mauern, die nur Siedler:innen passieren dürfen. Was früher Wurzeln schlug, wird jetzt als Sicherheitsrisiko markiert. An vielen Stellen pflanzt Israel stattdessen nicht-native Kiefern, um die zerstörten Dörfer zu überdecken. Diese Monokulturen brennen leicht und verdrängen die einheimischen Arten, sie sind Teil eines ökologischen Kolonialismus, der nicht nur Land, sondern auch Erinnerung auslöscht. Wer Bäume pflanzt, kann doch nicht gewaltvoll sein, so lautet das Greenwashing der Besatzungsmacht.

Im August 2025 wurde die letzte palästinensische Saatgutbank in Hebron zerstört, sie bewahrte über siebzig Sorten indigener Samen auf, genetisches Erbe, das sich über Generationen an Klima und Böden angepasst hatte. Mit ihrer Vernichtung verschwindet nicht nur Biodiversität, sondern auch ein Stück kultureller Selbstbestimmung.

Die israelische Kontrolle über Wasser ist ebenso tiefgreifend. Die meisten Brunnen, Quellen und Aquifere liegen heute hinter Mauern oder unter Militärschutz. Während israelische Siedlungen Swimmingpools füllen, verbrauchen palästinensische Gemeinden teils weniger als fünfzig Liter Wasser pro Kopf am Tag – ein Bruchteil des von der WHO empfohlenen Minimums. In den letzten Jahren hat die zunehmende Hitze den Wassermangel verschärft, doch die Blockade bleibt. Wasserknappheit wird so zu einem politischen Werkzeug: eine Form von Öko-Apartheid, in der das Klima nicht der Feind ist, sondern der Kontext, in dem Ungleichheit zur Überlebensfrage wird.

Palästina ist das Beispiel einer Welt, in der Ökologie nicht schützt, sondern unterdrückt. Auf besetztem Land kann kein Klima gerecht sein – weil jedes Stück Erde, jeder Tropfen Wasser, jeder Atemzug politisch ist.

Ökozid in Gaza – Umweltzerstörung ist kein Kollateralschaden, es ist Strategie

Über 31 Millionen Tonnen CO2 wurden allein durch die Bombardierung Gazas von Israel verursacht, über 37 Millionen Tonnen Trümmer verseuchen das Land mit Asbest, Chemikalien und Schwermetallen. Mehr als ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche ist verwüstet, knapp zwei Drittel sind unbrauchbar. Ganze Ökosysteme, Böden, Bäume, Küsten, sind verloren. Die Bombardierungen zerstören Bewässerungssysteme, Saatgutlager und Wasseraufbereitungsanlagen; das Meer ist blockiert, die Luft toxisch. Ein Überleben wird fast unmöglich gemacht. Das nennt man Ökozid, die systematische Vernichtung von Umwelt und Lebensgrundlagen.

Solche Formen der ökologischen Kriegsführung sind kein palästinensisches Alleinstellungsmerkmal – sie haben Geschichte. Im Vietnamkrieg hieß es „Operation Ranch Hand“: Millionen Hektar Wald wurden von den USA mit Agent Orange, einem Entlaubungsmittel, zerstört. Im Ogoniland Nigerias verseucht der britische Ölkonzern Shell durch Öllecks und Gasfackeln Böden und Flüsse für Generationen. In Gaza sehen wir dieselbe Logik – dieselbe Bereitschaft, Leben und Natur für Macht zu opfern. Ökozid ist die extremste Form der Klimaungerechtigkeit, weil er das Recht auf Zukunft selbst vernichtet. Und er zeigt, was geschieht, wenn Kolonialismus und fossiler Kapitalismus aufeinandertreffen: Die Erde wird zur Waffe, und das Überleben zur politischen Entscheidung.

Kolonialismus & Rassismus – Wie Gewalt legitimiert wird, um fortzubestehen

Kolonialismus ist die Praxis, sich Land anzueignen und die Menschen, die darauf leben, zu unterwerfen. Er beginnt nicht mit Bomben, sondern mit einer Idee: dass manche Leben wertvoller sind als andere. Damit Kolonialismus funktioniert, braucht es Hierarchie – die Erfindung des „zivilisierten“ Menschen und des „minderwertigen“ Anderen. Diese Logik prägt bis heute unser globales Wirtschaftssystem.

Rassismus ist das Werkzeug, das diese Gewalt legitimiert. Denn wer Menschen als rückständig oder minderwertig sieht, empfindet weniger, wenn ihnen Land, Wasser oder Leben genommen wird. So wurde einst die Versklavung afrikanischer Menschenleben, die Ausbeutung Lateinamerikas und die Vernichtung indigener Völker gerechtfertigt – und so wird heute auch die Besatzung Palästinas rationalisiert.

Vom zerstörerischen Bauxitabbau in Jamaikas Cockpit Country bis zur Ölförderung durch Shell im Nigerdelta: Die massenhafte Ausbeutung fossiler Brennstoffe und Rohstoffe vergiftet Wasser, zerstört Wälder und vertreibt ganze Gemeinden. Diese Ressourcen fließen überwiegend in den Globalen Norden, wo eine kleine Elite von ihnen profitiert – ein direkter Transfer von Reichtum von 10 Milliarden Tonnen an Rohstoffen, vor allem aus ehemals kolonisierten Ländern des Globalen Südens, direkt zu uns, in den Globalen Norden.

Deshalb zeigen sich ehemals kolonisierte Länder wie Südafrika oder Irland, aber auch indigene Gemeinschaften in Nord- und Südamerika, besonders solidarisch mit Palästina: Ihre eigene koloniale Historie zeigt dieselben Strukturen der Unterdrückung. Immer ist es dieselbe Geschichte, jemand von außen kommt, besetzt Land, kontrolliert Ressourcen, entrechtet Menschen. Und immer ist es derselbe Wunsch, der bleibt: Selbstbestimmung, über das eigene Leben, das eigene Land, das eigene Wasser.

Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus sind keine getrennten Phänomene, sondern Ausdruck eines Systems, das Leben dem Profit unterordnet. Die Klimakrise ist nur seine neueste Bühne. Wer von Klimagerechtigkeit spricht, muss auch von dieser Geschichte sprechen, denn ohne ihre Aufarbeitung kann es keine echte Gerechtigkeit geben. Es ist die Blaupause der Machtstrukturen von Nationen, die wir heute sehen.

Militarismus: Wer profitiert vom Genozid?

Militarismus ist eine industrielle Fortsetzung des Kolonialismus. Er dient nicht nur der Verteidigung, sondern der Aufrechterhaltung von Kontrolle, über Menschen, über Rohstoffe, über Macht. Jede Bombe, die fällt, jede Waffe, die getestet wird, sichert nicht nur Territorien, sondern Kapitalströme. Krieg ist kein Ausnahmezustand mehr, sondern Geschäftsmodell.

Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis nennt dieses Zusammenspiel den „militärisch-industriellen Komplex“, ein Netzwerk aus Regierungen, Konzernen, Banken und Rüstungsindustrien, das mit Krieg Profite erzielt und gleichzeitig die Gewalt legitimiert, die es erzeugt. Es ist ein System, das mit jeder Eskalation wächst, mit jeder Krise neue Absatzmärkte findet, und dessen Energieverbrauch gigantisch ist. Militär und Krieg sind unter den größten fossilen Verbrauchern der Welt, doch sie bleiben von jeder Klimabilanz ausgenommen.

In Palästina zeigt sich diese Dynamik exemplarisch. Israel testet in Gaza seine Waffen, Drohnen und Überwachungssysteme, und verkauft sie danach als „battle-tested“ in alle Welt. Die Zerstörung wird zur Referenz, der Krieg zum Labor. Zwischen Januar 2021 und August 2024 haben über achthundert europäische Finanzinstitute und Banken in Unternehmen investiert, die in illegalen Siedlungen oder im fossilen Energiesektor aktiv sind – über 400 Milliarden Dollar an Krediten, Anleihen und Beteiligungen. Diese Geldströme verbinden die Bomben über Gaza direkt mit den Finanzzentren des globalen Nordens.

Militarismus ist die institutionalisierte Form des fossilen Denkens: Er lebt von der Vorstellung, dass Sicherheit nur durch Kontrolle entsteht. Doch wahre Sicherheit wächst nicht aus Mauern, Waffen und Drohnen – sie wächst aus Gerechtigkeit.

Fossiler Kapitalismus: Die Ökonomie der Gewalt

Fossiler Kapitalismus ist die treibende Kraft hinter all dem. Es ist ein Wirtschaftssystem, das Profit über Leben stellt. Damit es funktioniert, muss es wachsen – im globalen Durchschnitt um etwa 3 % pro Jahr. Das bedeutet, dass sich die Weltwirtschaft etwa alle 20 Jahre verdoppelt: mehr Produktion, mehr Energieverbrauch, mehr Emissionen. Dieses Wachstum ist keine Option, sondern Bedingung. Ohne es kollabiert das System.

Seit der industriellen Revolution beruht der Wohlstand des globalen Nordens auf der Verbrennung anderer Welten: auf der Ausbeutung kolonialisierter Länder, auf billigem Öl, auf gestohlenem Land, auf erzwungener Arbeit. Der fossile Kapitalismus ist der verlängerte Arm des Kolonialismus.

Er braucht ständig neue Quellen: neue Märkte, neue Bodenschätze, neue Kriege. Ohne Expansion, ohne Extraktion, ohne Unterwerfung bricht er zusammen. Deshalb sind Konflikte um Ressourcen nie nur regionale Auseinandersetzungen, sondern Teil einer globalen Infrastruktur des nie-endenden Wachstums.

In Gaza wird das besonders sichtbar. Nur wenige Wochen nach Beginn der Bombardierungen im Oktober 2023 vergab Israel zwölf neue Gaslizenzen im Mittelmeer, über sechzig Prozent dieser Förderzonen liegen in palästinensischen Gewässern. Internationale Konzerne wie Eni und Dana Petroleum sicherten sich dort Rechte auf fossile Vorkommen, während Chevron, als Hauptförderer israelischer Gasfelder, weiterhin Hunderte Millionen Dollar an Lizenzgebühren einbringt. Dieses Geld fließt direkt in Israels Kriegsbudget. Parallel dazu unterstützt Chevron die israelische Lobby für die EastMed-Pipeline, ein gigantisches fossiles Infrastrukturprojekt, das Erdgas aus den israelischen und zyprischen Offshore-Feldern nach Europa leiten soll, eine Pipeline, die sich durch das östliche Mittelmeer zieht, vorbei an Gebieten, deren Zugehörigkeit seit Jahren umstritten ist, darunter auch Gewässer, die nach internationalem Recht zur palästinensischen Wirtschaftszone gehören. Die Pipeline, finanziert und politisch gefördert von der EU, soll Europas Abhängigkeit von russischem Gas verringern und Israels Stellung als Energieexporteur festigen, auf Kosten des Klimas, der Umwelt und der palästinensischen Souveränität.

So schließt sich der Kreis: Fossile Energie treibt die Kriege an, und Kriege sichern fossile Profite. Das eine existiert nicht ohne das andere. Der fossile Kapitalismus ist das System, das Kolonialismus, Militarismus und Klimazerstörung miteinander verknüpft, ein System, das nicht zufällig zerstört, sondern weil Zerstörung seine Bedingung ist.

Befreiung als gemeinsame Zukunft

Klimagerechtigkeit ist kein Umweltprojekt, sie ist ein Befreiungsprojekt. Und Befreiung gibt es nicht auf besetztem Land. Wenn wir in Deutschland über Klimapolitik sprechen, dürfen wir nicht nur über Wärmepumpen, Lastenräder und CO₂-Reduktion reden, während wir gleichzeitig Waffen exportieren und fossile Profite verteidigen.

Und hier kommt der deutschen Klimabewegung eine besondere Rolle zu: Als Russland die Ukraine angriff, wurde die Verbindung zwischen Energieabhängigkeit und Krieg sofort erkannt. Folgerichtig forderte FridaysForFuture den Import-Stop von russischem Gas und es wurde von der deutschen Regierung, auch durch enormen Druck einer wachen Zivilgesellschaft, umgesetzt. Anders dagegen bei Gaza und Israel, wo solche Forderungen in Verbindung mit fossiler Kriegsführung und Deutschland als zweitgrößtem Waffenlieferanten bisher ausgeblieben sind. Daher prangert unter anderen die pakistanische Klimaaktivistin Ayisha Siddiqa an: „Die Jugend-Klimabewegung hat bei Gaza versagt.“

Doch im Fall Israels bleibt diese Konsequenz aus. Noch immer fließen Milliarden in Waffenlieferungen und fossile Kooperationen. Wer von echter Klimagerechtigkeit spricht, kann über Gaza nicht schweigen. Es geht Verantwortung zu übernehmen, für das, was in unserem Namen geschieht, und für das, was wir verändern können.

Klimagerechtigkeit bedeutet, Macht zu verschieben: von Konzernen zu Gemeinschaften, von Profit zu Leben. Sie heißt, Kämpfe miteinander zu verbinden, für Palästina, für das Klima, für ein Ende der Gewalt gegen Menschen und Natur.

Hoffnung ist dabei nicht passiv, sondern aktiv, sie liegt in der Solidarität zwischen Bewegungen, zwischen Orten, zwischen Menschen, die verstehen, dass Befreiung nur gemeinsam möglich ist, in Gaza, im Amazonas, in den Dörfern des Niger-Deltas, in den Straßen von Berlin.

Klimagerechtigkeit ist die Antwort auf die Gewalt eines Systems, das Leben verbrennt. Und vielleicht beginnt sie dort, wo wir aufhören, uns als Zuschauer:innen zu sehen und anfangen, uns als Teil einer gemeinsamen Geschichte zu begreifen.

Ein Beitrag von Louisa Schneider, sie ist gelernte Klimajournalistin, Moderatorin und Speakerin bei Protesten, Veranstaltungen und auf Social Media. Alles zu ihren aktuellen Projekten und Artikeln findet ihr auf: https://www.louisaschneider.info/

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