Harry Potter Antifaschist?

By Reilly Brown, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 3.0 (cropped).

J.K. Rowlings Geschichte des „Jungen, der überlebte“ hat eine ganze Generation von Leser:innen beeinflusst und wurde gleichzeitig ein gigantisches Medienphänomen – sowie eine Merchandising-Goldmine. Der Artikel ist der Versuch einer kurzen, übersichtlichen Analyse zu den Aspekten Ethnie/Herkunft, Klasse, Rassismus, Politik, Religion, Geschlecht und Identität, um eine Antwort auf die Ausgangsfrage zu finden:

Ist die Harry-Potter-Reihe ein Musterbeispiel von anspruchsvoller antifaschistischer Jugendliteratur?#


Dazu folgt der Artikel der folgenden Struktur:

  1. Chronik der Ereignisse und zeitliche Einordnung
  2. Einführung in den Faschismus-Begriff
  3. Einführung in den Widerstand
  4. Analyse – Querschnitt durch Hogwarts
  5. Fazit

1. Chronik der Ereignisse und zeitliche Einordnung

In der folgenden Tabelle werden Ereignisse der Harry-Potter-Welt realen historischen Ereignissen gegenübergestellt. Mögliche Parallelen und/oder Analogien sind, wenn nicht anders angegeben, reine Interpretation. Jedoch hat die Autorin eine Vorliebe für gedankliche Verbindungen von historischen Geschehnissen und den fiktiven Geschehnissen der magischen Welt.

2. Einführung in den Faschismus-Begriff

Der Faschismus ist eine politische Bewegung aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, die in Italien entstand. Sie vertrat rechtsextremes, rassistisches und nationalistisches Gedankengut. Die faschistische Partei übernahm unter dem Einsatz von Gewalt, Terror und Manipulation die Macht im Staat. Der Führer der Faschisten war Benito Mussolini. Er forderte unbedingten Gehorsam der Mitglieder der Partei und insgesamt mussten sich seine Anhänger:innen, aber auch die restlichen Menschen des Landes, den Ideen des Faschismus unterwerfen. Mussolini und seine obersten Gefolgsleute bestimmten, was die Menschen taten und was sie zu denken hatten.

Das Äquivalent der Faschisten in der Harry-Potter-Buchreihe sind die sogenannten „Todesser.“ Sie sind die Anhänger:innen von Lord Voldemort, der eine der Hitler-Figuren der Reihe ist. Das Wort „Todesser“ ist aus dem Englischen „Deatheaters“ übersetzt. Etymologisch stammt das Wort vom Begriff „Beefeaters“, das heißt „Fleischesser“, ab. So hießen die Leibgardisten, die früher dem englischen König beschützten und diesem dienten. Wegen dieser wichtigen Aufgabe bekamen sie öfter Fleisch zu essen als der Rest des Volkes. „Eater“ bedeutet ursprünglich einfach dasselbe wie „servant“, also „Diener“.

Die Gruppe der Todesser besteht hauptsächlich aus radikalen und extremistischen Hexen und Zauberern, die unter anderem an die Reinheit des Blutes glauben. Sie erheben sich damit über jene, die – ihrer Meinung nach – nicht reinen Blutes sind, vor allem aber über die „Muggel“. Als „Muggel“ werden nicht-magische Menschen bezeichnet. Ein bei den Todessern etabliertes Schimpfwort ist „Schlammblut.“ Es bezieht sich auf die Abstammung einer Hexe oder eines Zauberers von Muggeln und zielt damit auf die Abwertung von Personen aufgrund ihrer Abstammung ab.

Die Todesser nutzen physische, psychische und magische Gewalt, schwarze Magie und verüben Mord- und Terroranschläge. Sie sind Lord Voldemorts Elitetruppe, ähnlich der SS oder SA im Nazi-Regime. Charakteristisch sind die schwarzen Umhänge, die Maskierung und eine entsprechende Tätowierung am linken Unterarm. Das einheitliche uniformierte Auftreten und die Tätowierung sind Merkmale, die die Gemeinsamkeiten mit der SS beziehungsweise der SA unterstreichen.

Lord Voldemort gilt als Anführer der Todesser. Sein bürgerlicher Name lautet (im Deutschen) Tom Vorlost Riddle. Anders als das Ideal, welches er vertritt, ist er ein sogenanntes Halbblut (das heißt, seine Mutter ist Hexe, sein Vater Muggel). Diese Information ist allerdings geheim. Er ist der dunkle Antagonist des Helden Harry Potter. Er gilt als einer der schrecklichsten und mächtigsten schwarzen Magier aller Zeiten und wird im selben Atemzug mit Gellert Grindelwald genannt, welcher die erste und ursprüngliche Hitler-Figur ist (siehe Kapitel 2). Ohne durch sofortigen Umsturz oder offiziell die Herrschaft zu ergreifen, kann Voldemort eine immer mächtiger werdende Terrororganisation im Untergrund aufbauen, die auch vor Landesgrenzen keinen Halt macht.

3. Einführung in den Widerstand

Im Kampf gegen Voldemorts erste und zweite Schreckensherrschaft befindet sich eine kleine Widerstandsgruppe, die auf klassische Mittel des Guerillakampfs setzt: Der Orden des Phönix. Der Orden des Phönix (im Original: Order of the Phoenix) ist die einzig bekannte magische Vereinigung, die gegen Voldemort und seine Todesser kämpft. Sie wurde von Albus Dumbledore gegründet. Der ursprüngliche Orden bestand aus der (Groß-)Elterngeneration der Protagonist:innen – den Eltern von Harry Potter, Ron Weasley und anderen Charakteren. Als Voldemort im Juni 1995 zurückkehrt, ruft Albus Dumbledore den Orden innerhalb einer Stunde wieder ins Leben. Dieser gilt als zweiter Orden.

Damit verbunden ist die Widerstandsgruppe „Dumbledores Armee“ (im Original: Dumbledore‘s Army). Diese entstand um Harry Potter und seinen Begleiter:innen in deren fünften Schuljahr (fünftes Buch) und besteht, anders als der Orden des Phönix, nur aus minderjährigen Hexen und Zauberern. Das ist nötig, weil sich der Charakter „Dolores Umbridge“, die die neue Fachlehrkraft für das Fach „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ darauf beschränkt, ausschließlich Theorie zu lehren, während sich Voldemort bereits wieder im Untergrund damit beschäftigt, seine Todesser neu zu rekrutieren. Da Umbridge und die Leitung des Zaubereiministeriums die Befürchtung hatten, dass Albus Dumbledore, Schulleiter von Hogwarts bis zu seinem Tod, eine Privatarmee wehrhafter, martialischer Schülerinnen und Schüler gegen das Zaubereiministerium aufbauen wolle.

Motiviert von Hermine Granger und Ron Weasley nehmen zunächst eine Klassengröße an Schülerinnen und Schülern teil und erlernen dort Verteidigungszauber gegen die immer größer werdende, wiederkommende Bedrohung durch Voldemort und seine Todesser. Sie gründen die geheime Gruppe, die sich den ironisch gemeinten Namen Dumbledores Armee, in Kurzform „D.A.“ gibt, und nehmen somit Bezug auf die Vorwürfe des Ministeriums ihrem Schulleiter gegenüber. Sie sind hauptsächlich in und um Hogwarts im Widerstand und auch in Aktionen aktiv und sind in der Schlacht von Hogwarts Teil des Widerstands. Beide Orden und auch die DA arbeiten unter anderem mit einem Piratensender, der als einziges Medium über die rassistischen Übergriffe Voldemorts berichtet. Allgemein benutzen die Widerstandsgruppen Techniken des Guerilla- und Untergrundkampfs: Etablierung einer wehrhaften Untergrundorganisation zur Ermächtigung von besonders verletzlichen oder betroffenen Gruppen zur (Selbst-)Verteidigung gegen die faschistischen Gruppen und der neoliberalen Regierung, die diese ermöglicht hat. Insgesamt gibt es hier also Parallelen zu berühmten Widerstandsgruppen, die man aus der Zeit des Naziregimes kennt, wie die Weiße Rose, die Swingjugend, die Edelweißpiraten, die Sozialistische Jugend Deutschlands oder die Widerstandsgruppe Schwarze Scharen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die drei Hauptdarsteller:innen der Potter-Filmreihe im Juli 2011 in London: Daniel Radcliffe (Harry), Emma Watson (Hermine) und Rupert Grint (Ron). By Ilona Higgins, Flickr, licensed under CC BY-SA 2.0.

4. Analyse – Querschnitt durch Hogwarts

In der wissenschaftlichen Debatte ist das Thema um den „berühmtesten Zauberer der Welt“ ein breit und gut erforschtes Gebiet. Die Wissenschaftler:innen Gupta und Rangwala haben sich unter anderem mit den Aspekten von Ethnie und Klasse beschäftigt. Sie sagen, dass die Harry-Potter-Reihe die realen Herrschaftsverhältnisse nicht nur widerspiegle, sondern auch reproduziere, zum Beispiel gibt es trotz Magie Lohnarbeit, den Handel mit Geld sowie Armut und Kapitalismus. Die marxistische Klassentheorie zeigt sich im Gesellschaftsmodell und ist – theoretisch – sogar auf die Häuserverteilung im Schulsystem anwendbar: Hufflepuff steht für die Arbeiter:innenklasse, Gryffindor repräsentiert die untere bürgerliche Mittelklasse (Kleinbürgertum), Ravenclaw beheimatet die akademische Mittelklasse und Slytherin ist das Haus der Oberschicht und Aristokratie.

Die Schule ist, wie auch oft in der Realität, mittelklasse-orientiert. Das kann man daran festmachen, dass es zur Anwendung von Magie jahrelanger theoretischer und praktischer Ausbildung, Trainings, sowie Abschlüsse und Zertifikate bedarf. Allerdings kann man auch einen gewissen grad an Diversität und sozialer Mobilität erkennen: Schüler:innen mit und ohne Migrationshintergrund sowie aus allen gesellschaftlichen Schichten oder Abstammungen, Religionen und so weiter gehen alle auf die gleiche, kostenlose Schule und bekommen die gleiche Bildung.

Auch Rassismus und Ethnie spielen eine Rolle in der Harry-Potter-Welt. So existiert zum Beispiel eine legale Form der Sklaverei: die Hauselfen. Die kleinen Geschöpfe werden von einem eigens dafür eingerichteten und zuständigen Amt, nämlich dem „Amt für die Neuzuteilung von Hauselfen“ einer bestimmten Familie als unbezahlte Haushaltsgehilfen zugewiesen. Meistens handelt sich dabei um alte, wohlhabendere Zaubererfamilien oder auch um Einrichtungen wie Hogwarts.

Allgemein stehen die Hauselfen am unteren Ende der eigens formulierten Nahrungskette. Das von Menschen geführte Zaubereiministerium verfasste eine Liste mit der Hierarchie der magischen Wesen, die auf teils sehr streitbare und rassistische Motive zurückgehen. So gehören Werwölfe zu den Tierwesen, während Vampire und Zentauren als „teilmenschlich“ klassifiziert werden. Die Konsequenz, die daraus gezogen wird, ist, dass je näher ein Wesen dem Menschen entspricht, also „anthropomorph“ ist, desto höher ist sein ihm zugewiesener sozialer Rang unter den Spezies, was konkret mehr oder weniger politische Einflussnahme im Gefüge der Macht bedeutet. Hinzukommt, dass es Anhänger:innen der Reinblutideologie gibt, die – wie in Kapitel 3 erwähnt – selbst innerhalb der menschlichen Spezies Hierarchien einführen.

Die Wissenschaftler:innen Heilman, Donaldson und Cordova argumentieren, dass die Harry-Potter-Reihe, wie die meisten jugendliterarischen Werke, Gender-Stereotype und die „heteronormative, hegemoniale weiße Männlichkeit“ reproduziere. Was heißt das konkret? Die Protagonist:innen sind hauptsächlich junge, weiße männliche Wesen. Weibliche Wesen können auch eine wichtige Rolle spielen beziehungsweise eine hohe Machtposition innehaben, wie etwa Hermine Granger, Professor McGonagall oder Bellatrix Lestrange, sind aber oft im Vergleich zu den männlichen Figuren schwächer oder weniger mächtig. Im „Stein der Weisen“ etwa ist Hermine essentiell für den Erfolg der Mission, dennoch heimst Harry Potter sich die Lorbeeren dafür ein. Weibliche Figuren werden sehr stereotyp dargestellt: überemotional, hohe Stimmen, mütterlich, zeigen Gruppenverhalten, Kichern, Tratsch oder übersexualisiert, wie die Veela-Wesen. Jedoch kann man auch erkennen, dass sich die soziale Rolle ändern kann. Konkret kann man das am Beispiel von Molly Weasley machen, die von der Mutter zur Kriegerin wird.

5. Fazit

Abschließend soll die Ausgangsfrage beantwortet werden, ob die Harry-Potter-Reihe ein Musterbeispiel von anspruchsvoller antifaschistischer Jugendliteratur ist. Ein mögliches Fazit könnte wie folgt lauten: Es gibt viele Parallelen, die man beim Lesen der Bücher ziehen kann, vor allem wenn man sie in den historischen Kontext einbettet und die Parallelen erkennt: Voldemorts Faschismus, die Reinblutideologie, der Widerstand, etc. Man kann also antifaschistische und gesellschaftskritische Elemente erkennen, jedoch ist die Buchreihe in ihrer Kritik weder konsequent noch weitreichend genug. Insgesamt aber bietet sie viel Stoff und eine gute Ausgangslage.


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