Neues von den Hausbesetzern

Auch wenn in Bochum die Mieten noch vergleichsweise günstig sind, haben in der Herner Straße einige AktivistInnen ein leerstehendes Haus besetzt, um gegen den Leerstand, die explodierenden Mieten, und den Mangel an Wohnraum zu protestieren. In diesem Projekt geht es nicht nur um Protest gegen sozial völlig untragbare Zustände in Deutschland, es geht eigentlich um mehr: Es geht um sozial gerechte Umverteilung, vor allem bedürftigen Menschen gegenüber, die von bezahlbarem Wohnen in Stadtnähe immer weiter ausgeschlossen werden. Dieses Thema wird bei den Bochumer HausbesetzerInnen nun neu angestoßen. 

Neuigkeiten aus dem besetzten Haus

Am Freitag, den 26.5 fand in dem besetzten Haus in der Herner Straße 131 gegen 19 Uhr eine Podiumsdiskussion statt, bei der es darum ging, wie es mit dem Projekt weitergehen sollte. Die Aktivistinnen und Aktivisten in der Hernerstr. 131 waren angetreten, ein zu wenig diskutiertes Problem in Angriff zu nehmen, nämlich dem Mangel an Wohnraum bei gleichzeitigem Leerstand. Seit mehr als einer Woche ist das Haus jetzt besetzt, laut Pressesprecherin stand die Besitzerin Kontaktanfragen ablehnend gegenüber. Außerdem seien vor allem in Großstädten die Mieten viel zu hoch. Das alles waren Gründe für die Besetzung, nun wurde diskutiert, wie es denn weiter gehen soll. Bei der Diskussion waren knapp über 300 Menschen anwesend, die Bänke waren alle besetzt und dutzende Aktivist*innen mussten auf dem Boden Platz nehmen, auch der Rasen sowie die umliegenden Fenster waren voller neugieriger Menschen.

Gegen 10 nach 7 begann die Diskussion dann, die Moderatorin ergriff das Mikrofon und bat die Teilnehmer, sich vorzustellen. Eingeladen waren sechs Redner, zuerst stellte sich ein Martin Krämer von der Initiative Stadt für alle vor, der über die Initiative und ihre Ziele erzählte. Ihm und der Initiative gehe es um die Schaffung von Wohnraum und später auch einer besseren Infrastruktur, die das soziale Klima der Stadt verbessern solle. Als nächstes meldete sich Prof. Dr. Arian Schiffer-Nassiere von der Evangelischen Hochschule Bochum vor, der in der Vorstellungsrunde über den Widerspruch zwischen der internationalen Stellung der Bundesrepublik und der wachsenden Armut in ihr sprach. Der Politikwissenschaftler sagte, er wolle nicht nur bezahlbaren Wohnraum, er wolle Wohnraum der nicht die Geschäftsgrundlage von Besitzenden ist, also gemeinnützig organisierten Wohnraum. Ihm ginge es darum, den Kapitalismus anzugreifen und nicht nur für eine Verbesserung der Wohnsituation einzustehen.

Der nächste in der Runde war Tarek Alaows, den ich bereits länger kenne und das erste mal bei einem Protestcamp für Geflüchtete am Bochumer Rathaus kennenlernte. Alaows, Sprecher des Vereins „Refugee Strike Bochum“, vertrat den Standpunkt, dass es neben der insgesamt schlechten Situation für wenig zahlungskräftige Wohnungssuchende auch Diskriminierung gegen Geflüchtete von Seiten der Vermieter*innen gäbe. Diese weigerten sich oft, Wohnungen an Geflüchtete zu vermieten. Er sprach außerdem über seine Erfahrungen bei einem Protestcamp am Rathaus im Jahr 2016. Ein Vertreter der Straßenzeitschrift und des Vereins Bodo e.V. war ebenfalls anwesend. Der Mann namens Sebastian Pütter beklagte ebenfalls die Korrelation von Leerstand, hohen Mieten und Wohnungsmangel. Um diesen Widerspruch zu verdeutlichen, sagte er außerdem, dass in Dortmund kaum freie Wohnungen verfügbar seien, weshalb viele Leute von Bodo e.V. empfohlen würde, stattdessen in Bochum zu suchen. Er berichtete außerdem, dass die Stadt ihrer Pflicht, Wohnungslosen ein Obdach zu gewähren, nicht nachkommen würde und erzählte von seinen Erfahrungen mit den Betroffenen.

Auch ein Jurist war anwesend, Erich Eisel, laut eigener Aussage jahrelang Aktivist bei Occupy Bochum. Er störte sich ebenfalls an der Lage und beklagte, dass das bestehende Mietrecht immer weiter im Interesse der Besitzenden verändert wird und oft gegen die Interessen von Wohnungssuchenden und Mieter*innen ausgelegt wird. Das beinhalte, dass manche Teile des Mietrechtes auch einfach mal gar nicht angewendet werden würden, ergänzte er. Als allerletztes stellte sich Michael Wenzel vom Mieterverein Bochum vor, er positionierte sich ebenfalls klar für Mieter*innen und sagte, sein Verein wolle den Leerstand zum Thema machen. Die Stadt interessiere es kaum, was da vor sich gehe, führte er weiter aus. Über 7500 Wohneinheiten stünden leer, weswegen es besonders schlimm wäre, dass die Mieten gleichzeitig so hoch wären. So sah es kurz vor Anfang der Diskussion aus, später am Abend gab es dann kaum Platz mehr und die Zuschauer verteilten sich auf Plätze am Fenster sowie den Garten direkt neben dem Podium, der einiges an Platz bot.

Eine lebhafte Diskussion

Nach der kleinen Vorstellrunde, die schon einiges an Zeit in Anspruch nahm, fing die eigentliche Diskussion an, bei der es um Ursachen für und Vorgehensweisen gegen den Leerstand ging. Den Anfang machte Michael Wenzel, der den Standpunkt vertrat, dass die Privatisierungen von Sozialwohnungen vor einigen Jahren zu einer großen Konzentration von Mieteigentum in den  Händen von Investor*innen führte. Diese Konzentration von Besitz hätte zu einem starken Ungleichgewicht der Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Investor*innen geführt und ermöglicht, dass die Wohnungen ohne Sanierungen auf dem Markt landeten.  Desweiteren habe Hartz IV eine Rolle dabei gespielt, die Wohnungen sicher an Arme vermieten zu können.  Von dem Vertreter der Initiative Stadt für alle wurde der Fokus auf das Mietrecht gelegt, er kritisierte ebenfalls, dass Vermieter*innen immense Vorteile hätten, vor allem da neu vermietete Wohnungen dem Mietrecht nicht so stark unterlegen seien. Außerdem seien Wohnungen in Neubauten erheblich teurer und viele bisher existierende Wohnungen in schlechtem Zustand.  Außerdem, und das war wie ich finde einer der interessantesten Punkte, sprach er davon, dass mit solchen Situationen besser umgegangen werden könnte, würde es einen Leerstandsmelder geben.

Die Praxis von Vermieter*innen wurde von allen Diskussionsteilnehmern kritisiert. Es herrschte zudem Konsens darüber, dass sich daran etwas ändern müsste. Tarek Alaows konzentrierte sich auch in der hauptsächlichen Diskussion auf die sehr negativ empfundene Situation der Geflüchteten. Zwischen Flüchtlingen werde noch einmal unterschieden, sagte er. Flüchtlinge mit guter und schlechter Bleibeperspektive, wobei diese Unterscheidung als sehr subjektiv gilt. Während es für Flüchtlinge mit guten Bleibechancen eher schlecht aussehe, sei die Lage für Geflüchtete mit “schlechten Bleibechancen“ katastrophal. Ihm wurde unter anderem von Betrugsmaschen die durch Extra-Zahlungen von Geflüchteten an Makler*innen berichtet. Die Geflüchteten hätten außerdem absolut keine Möglichkeit, bei Nichterhalt eines Mietvertrages dagegen vorzugehen. Auch der Vertreter von Bodo e.V. beschrieb die Situation von Geflüchteten noch um einiges schlechter als es die allgemeine Situation von Wohnungssuchenden ohnehin schon ist. Konkret begründete er die Situation damit, dass die Leute zu resigniert seien und prangerte an, dass die Stadt in der Unterbringung von Obdachlosen ihren Aufgaben nicht nachkommen würde. Auch der Jurist von Occupy Bochum war dieser Auffassung.

Eine große Bedeutung in den von Herrn Eisler ausgeführten Erzählungen war das Grundgesetz. In Artikel 14 stehe nämlich, dass Eigentum verpflichte. Das bedeute laut dem Juristen, dass man es den Besitzenden auch zu bestimmten Zwecken entziehen könne. Nach Paragraph 123 des Strafgesetzbuches wäre die Besetzung Hausfriedensbruch, allerdings sei da der Wille der Eigentümer*innen ebenfalls einzubeziehen. Erfolge keinerlei Reaktion, läge ein Duldungsstraftatbestand vor. Er mahnte die Besetzer*innen außerdem und sprach das Thema Zwangsversteigerung an. Entgegen der häufig geäußerten Kritik würde die Zwangsversteigerung so oder so stattfinden und die Besetzung ändere am Wert nichts. Außerdem sei es möglich, den Termin zur Zwangsversteigerung aufzuheben und mit der Stadt in Verhandlungen zu treten, ergänzte er. Erich Eisler erwähnte ebenfalls die Möglichkeit, sich mit den neuen Besitzer*innen zu einigen. Allerdings lag eine andere Stimmung in Luft. Der Referent der Ev. Hochschule sagte beispielsweise, es dürfe nicht bei oberflächlicher Kritik an dem Verhalten der Besitzenden bleiben, es müsse darum gehen, das kapitalistische Wirtschaftssystem als solches anzugreifen, er betrieb ganz klar Grundsatzkritik.  Für Aussagen wie diese gab es immer sehr viel Applaus. Anfangen solle es ihm nach mit dem Wohnraum, für den im Durchschnitt 25% des Einkommens ausgegeben würden. Zusammengefasst ging es Arian Schiffer-Nassiere vor allem darum, die Wohnsituation für mehr zu nutzen, als nur Protest gegen die Wohnsituation.

Nachdem alle Teilnehmer ihre Standpunkte dargelegt hatten, begann die Diskussionsrunde. Die meisten Fragen und Statements drehten sich darum, wie man diese Form der Abhängigkeitsverhältnisse beseitigen könnte. Ins Gespräch kam auch das Genossenschaftsmodell, sowie die Idee, dass Wohnraum Staatseigentum sein sollte. Das Thema Flüchtlinge und deren Situation wurde im zweiten Teil der Diskussion noch einmal angesprochen genauso wie die internationale Perspektive, zum Beispiel fehlender bezahlbarer Wohnraum in anderen europäischen Staaten. Es ging zum Schluss aber auch um die nahe Zukunft des konkreten Projektes, so erkundigte sich ein Besucher nach dem Stand der Renovierung und der Existenz von AG’s, die es – wie erwidert wurde – bereits gäbe. Auf der Internetseite des Projektes finden sich bereits Berichte darüber. In diesem Zusammenhang wurde hinzugefügt, dass das Ladenlokal im Erdgeschoss des Hauses  bereits hergerichtet sei. Insgesamt standen bei der Diskussion konkrete Pläne darüber, wie das Haus später mal aussehen sollte, verständlicherweise im Hintergrund.

Wie es weitergehen soll

Das Ergebnis der Diskussion kann man wie folgt zusammen fassen: Die Situation ist für Mieter*innen äußerst schlecht, eine Besserung ist nicht in Sicht. Es könne nicht nur einfach darum gehen, dass dieses eine Haus in Hand der jetzigen Bewohnerinnen und Bewohner sowie Sympathisant*innen bleibt und bewohnbar gemacht wird.  Es müsse um die Frage gehen, wem die Häuser in denen wir alle leben, eigentlich gehören sollten. Und vor allem solle es nicht darum gehen, sich durch eine eventuelle Legalisierung zum Schweigen bringen zu lassen, wie der Referent der evangelischen Hochschule in seinem Schlusswort ganz treffend formulierte. Man kann wohl geteilter Meinung sein, wenn es darum geht wie hoch die Chance für den Fortbestand dieses Projektes ist, es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten sich nicht einfach zufrieden geben werden, selbst wenn die Mieten bezahlbarer würden. Es ginge hier um viel mehr.

Dies ist ein Gastbeitrag von David Hamacek.

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