Die Liberalen und die rechte Gefahr

Martin Heidegger. Früher bekennender und aktiver Nationalsozialist, heute an der Bergischen Universität Wuppertal mit einem nach ihm benannten Institut geehrt. (Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg W 134 Nr. 023740f / Fotograf: Willy Pragher, CC BY 4.0)

Anmerkungen zu Daniel-Pascal Zorns Artikel „Zu stoßen was fällt“ in der Weltbühne Nummer 1 von Mai 2025 (Berliner Verlag GmbH)

In der im Frühjahr wieder aufgelegten Monatszeitschrift Weltbühne nennen die beiden Herausgeber die Tradition des Blattes „zu gleichen Teilen (…) links und bürgerlich“.

Links ist Thomas Fasbender, bis vor wenigen Tagen einer der beiden Verantwortlichen, nicht. Der Verlag wies vor kurzem den vielfachen Vorwurf der „rechten Mogelpackung“ zurück. Aber: „Inwieweit Autoren mit Denkansätzen der intellektuellen Rechten in der Weltbühne vertreten sein können oder nicht, ist eine wichtige Diskussion, die wir engagiert führen.“

Lechts und rinks statt rechts und links, wieder eine Debatte in falschen Gegensätzen.

Ich möchte auf den Beitrag „Zu stoßen was fällt“ von Daniel-Pascal Zorn eingehen. Er ist (unter anderem) einer der drei Autoren von „Mit Rechten reden“ (Stuttgart 2017) und Berufsphilosoph an der Bergischen Universität Wuppertal. Per Leo, Mitautor von „Mit Rechten reden“, wurde gerade Nachfolger von Fasbender bei Weltbühne…

Zorn beschäftigt sich in der Weltbühne mit dem – von ihm diagnostiziertem – Machtkampf zwischen den Liberalen und den Rechten in den Ländern des Westens.

Der erste Teil analysiert die globale Lage und ist eine Mischung aus sterilem Politologensprech und Tagesthemen-Kommentar. Wir tauchen ein in die simple Welt der von Zorn zitierten deutschen talking heads Herfried Münkler und Carlo Masala und finden ganz viel Realismus. Zum Beispiel: „Die internationalen Bündnisse sind brüchig geworden. Es regiert der Eigennutz vor dem Idealismus“, „die westliche Werteordnung [als] die Berufung auf Freiheit und Menschenrechte “ und so weiter.

Praktischerweise kann Zorn sich mit diesem Artikel in den Pulk der deutschen Israelfreund*innen und/oder Totschweiger*innen einreihen, der seit einigen Wochen plötzlich, nach anderthalb Jahren, den Völkermord und den Bruch des Menschen- und des internationalen Rechts benennen kann. Allerdings ist seine Kritik sehr vorsichtig, mensch weiß ja nie… Biden hat nur „weggeschaut“, Europa lässt Trump machen und hat deshalb die „Glaubwürdigkeit der westlichen Werteordnung pulverisiert“.

Das stimmt so nicht, denn ohne die politische, ökonomische und militärische Unterstützung Israels durch die USA wäre dieses seit 686 Tagen und Nächten verübte, weltgeschichtliche Verbrechen unmöglich gewesen.

Und bereits am 11. Oktober 2023, drei Tage nach Beginn der Blockade und der Bombardierungen, haben Bidens Berater*innen das Vorgehen der israelischen Armee als Kriegsverbrechen eingestuft! 

Die berüchtigten genozidalen Äußerungen von Netanjahu, Galant, Herzog und vielen anderen stammen aus den ersten Tagen nach dem 7. Oktober, und werden immer wieder erneuert.

Mit seinen lauen Distanzierungen bleibt Zorn also weiter nahe bei den schrecklichen Freunden Israels.

Wenigstens ist er nicht bei den „Profs against antisemism“ gelistet. Allein aus Wuppertal haben dort 13 Lehrende im Juli 2024 unterschrieben, um jegliche legitime Kritik an Israels Politik mit dem Antisemitismus-Vorwurf zu markieren und zu diskreditieren. Alles unter Führung von Professor Stefan Liebig, der auch gerne bei der rechten „Werteinitiative“ zu Gast ist…

Im zweiten Teil schreibt Zorn über die von ihm befürchtete rechte Revolution in der und gegen die bürgerlich-liberale Gesellschaft. Dabei wird es grundsätzlich: „Oft wird dann, weil eine Utopie eben nirgendwo verwirklicht werden kann, etwas Schlechtes daraus.“ Und auch ganz lyrisch: „Wut, Rache und Hass färben die Welt rot.“

Anscheinend geht es Zorn darum, rechtsoffene Lesende der Weltbühne zu warnen: „Das Chaos der Revolution ist (…) der Zusammenbruch der Zivilisation, ein Zustand der Rechtlosigkeit und des Bürgerkriegs.“

Bürgerliche Hölle oder faschistischer Alptraum, mehr gibt es also gar nicht?

„Der Mensch wurde daher nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigentum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde nicht vom Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit.“ Karl Marx schlußfolgert: „Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse auf den Menschen selbst… erst wenn der Mensch seine ‚forces propres‘ als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.“ (Karl Marx, zitiert nach Schleifstein, Josef: Einführung in das Studium von Marx, Engels und Lenin; Nachdruck der Ausgabe München, Beck, 1983, 4. Auflage; Essen 1995, Neue-Impulse-Verlag; S. 13)

Daniel-Pascal Zorn präsentiert diese Analyse: „… auf die Französische Revolution folgte[n] anderthalb Jahrhunderte Ringen um ein stabiles politisches System.“

Welche historische Schule soll das sein?

Anstatt über diese seltsame Periodisierung zu grübeln, sollte mensch besser Eric Hobsbawm lesen. Bei ihm folgt dem langen neunzehnten Jahrhundert (1780 – 1914) das kurze zwanzigste Jahrhundert (1914 – 1991), das Zeitalter der Extreme.

Hobsbawm stellt die Frage in den Raum, ob die Oktoberrevolution und damit die Sowjetunion nicht aus den Ideen der Aufklärung hervorgegangen sind. „… [die] verschiedenen Glaubensrichtungen und Postulate, auf die sich die moderne Gesellschaft gründete, seit die Modernen im frühen 18. Jahrhundert ihre berühmte Schlacht gegen die Alten gewonnen hatten, bei der es um jene rationalen und humanistischen Grundsätze ging, die der liberale Kapitalismus und der Kommunismus miteinander teilten und die schließlich auch deren kurze, aber entscheidende Allianz gegen den Faschismus – der diese Postulate bekämpfte – ermöglicht hatten.“ (Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme – Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München und Wien 1995, Carl Hanser Verlag, S. 25)

Dass der Liberalismus den Faschismus hervorgebracht hat, wird von Ishay Landa diskutiert: „Der Faschismus war das organische Ergebnis von Entwicklungen, die im Wesentlichen (…) innerhalb der liberalen Gesellschaft und Ideologie stattfanden. Es war ein extremer Versuch, die Krise des Liberalismus zu lösen, indem man seine inneren Widersprüche durchbricht, und die Bourgeoisie auf diese Weise vor sich selber zu retten.“ (Der Lehrling und sein Meister – Liberale Tradition und Faschismus; Berlin, 3. Auflage 2024, Karl Dietz Verlag, S. 17)

Hobsbawm hat 1994 ein dunkles Zeitalter vorhergesehen, und so ist es auch gekommen: „Wenn die Menschheit eine erkennbare Zukunft haben soll, dann kann sie nicht darin bestehen, dass wir die Vergangenheit oder Gegenwart lediglich fortschreiben. Wenn wir versuchen, das dritte Jahrtausend auf dieser Grundlage aufzubauen, werden wir scheitern. Und der Preis für dieses Scheitern, die Alternative zu einer umgewandelten Gesellschaft, ist Finsternis.“ (ebd: 720).

Es wäre schön, wenn unser Wuppertaler Feuilleton-Prominenter, anstatt auf drei Seiten mal eben die Weltgeschichte der Moderne zu erklären und sich in Andeutungen zu ergehen, einfach in seiner Universität umschauen würde.

Hier befindet sich seit 2013 eine Einrichtung, die eigentlich jeden Liberalen provozieren müsste.

Das „Martin-Heidegger-Institut“ ist an die Bergische Universität Wuppertal angeschlossen, es ist das einzige Institut zu Ehren des Philosophen weltweit. Niemand hat es vor 2013 gewagt, den tief in den Faschismus verstrickten Philosophen und in der BRD als postfaschistischer Stichwortgeber präsenten Intellektuellen mit einer nach ihm benannten universitären Einrichtung zu ehren, gerade deshalb.

In einer großen Debatte hat Theodor W. Adorno den sterilen Heidegger-Sprech mit Pseudo-Tiefgang Mitte der sechziger Jahre thematisiert. Als Jargon der Eigentlichkeit benennt Adorno Sprache, die reaktionäre Inhalte transportiert und sie zugleich verbirgt, basierend auf der Philosophie Heideggers. „… der Jargon [ist] eine zeitgemäße Gestalt der Unwahrheit“ (Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, in: Gesammelte Schriften Band 6, Frankfurt/Main, 6. Auflage 2013, Suhrkamp, S. 526)

Es ist die Sprache der vormaligen Nazis, die in der postfaschistischen BRD herrschte.

Radikalere Kritik als Adorno formuliert Alfred J. Noll 2016: „Martin Heideggers Philosophie ist von jeher und durchgängig autoritär. Sein Denken ist stets undemokratisch, fortschrittsfeindlich, antimodern und gegen Aufklärung gerichtet. Heideggers Philosophie ist in beeindruckender Weise irrational und mystisch, und diese Philosophie ist in ihren Folgen entsetzlich (…) Durch die Veröffentlichung dieser Notizen [Schwarze Hefte] wird nicht nur in nicht hinwegzudispudierender Weise belegt, was schon bisher gewiss war, dass nämlich Martin Heidegger ein bekennender, aktiver Nationalsozialist war. Belegt und in erschreckender Weise vor Augen geführt ist nun auch, dass Heidegger stets Antisemit und durchgängig Faschist war (…) Damit ist in der Diskussion um das Werk von Heidegger eine Zäsur geschaffen.“ (Alfred J. Noll: Der rechte Werkmeister – Martin Heidegger nach den „Schwarzen Heften“, Köln 2016, Papyrossa Verlag, S. 11)

Ein pseudo-honoriges Institut zu gründen, um den berüchtigten Heidegger mit der Namensgebung zu ehren war falsch, und es schadet Wuppertals Ansehen.

Herr Dr. Zorn, hier ist das Schweigen zu brechen, denn sonst droht, wie Sie in der Weltbühne warnen, „der Zusammenbruch der Zivilisation, ein Zustand der Rechtlosigkeit und des Bürgerkriegs“ durch die Rechten.

Bitte treten Sie an der Bergischen Universität Wuppertal dem Komplex Heidegger, der Träger, Multiplikator und Ideologie der rechten Revolution ist, entgegen!

Nochmals, liebe Wuppertaler*innen, die Sache ist schlimm: „Ein solches Werk darf nicht weiter in den Regalen der philosophischen Bibliotheken stehen. Es gehört in die Bestände zur Geschichte des Nationalsozialismus.“ Emmanuel Faye, Philosoph und Historiker (zitiert nach: Noll 2016, S. 205)

Ein Beitrag von Sebastian Schröder, Soziologe

Dir gefällt der Artikel? Dann unterstütze doch unsere Arbeit, indem Du unseren unabhängigen Journalismus mit einer kleinen Spende per Überweisung oder Paypal stärkst. Oder indem Du Freunden, Familie, Feinden von diesem Artikel erzählst und der Freiheitsliebe auf Facebook oder Twitter folgst.

Zahlungsmethode auswählen
Persönliche Informationen

Spendensumme: 3,00€

Teilen:

Facebook
Twitter
Pinterest
LinkedIn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Freiheitsliebe Newsletter

Artikel und News direkt ins Postfach

Kein Spam, aktuell und informativ. Hinterlasse uns deine E-Mail, um regelmäßig Post von Freiheitsliebe zu erhalten.

Neuste Artikel

Abstimmung

Sollte Deutschland die Waffenlieferungen an Israel stoppen?

Ergebnis

Wird geladen ... Wird geladen ...

Dossiers

Weiterelesen

Ähnliche Artikel