Wie Frauen in Spanien die Gesellschaft verändern!

6 Millionen Frauen streikten in diesem Jahr am 8. März in Spanien und lähmten das gesamte Land. Sie haben damit Geschichte geschrieben und die letztjährige Mobilisierung sogar übertroffen. Diesmal streikten sie 24 Stunden im Bildungs- und Fürsorgebereich und nicht wie im letzten Jahr für 2 Stunden, sowie riefen zu einem Konsumverzicht auf, um auf die unsoziale und zerstörerische Wirtschaftsweise hinzuweisen und sich mit Frauen aus dem Globalen Süden zu solidarisieren. Sogar die großen etablierten Gewerkschaften unterstützten die feministische Bewegung und riefen zum Streik auf. Doch wie kam es dazu? Darüber haben wir mit der feministischen Aktivistin May R. Ayamonte geredet.

Das Interview wurde von Sergen Canoglu geführt und vom Spanischen ins Deutsche übersetzt:

Die Freiheitsliebe: Viele Menschen, insbesondere aktive Feministinnen aus Europa, sehen die unglaubliche Mobilisierungskraft der Frauenbewegung in Spanien als Vorbild, um gegen die Ungerechtigkeiten, derer Frauen ausgesetzt sind, zu kämpfen. Wie erklärst du dir die Erfolge?

May: Ich glaube, es gibt dazu zwei fundamentale Beweggründe: 2014 hatte die damalige PP-Regierung unter Mariano Rajoy versucht, das Abtreibungsgesetz massiv zu beschneiden und unser erkämpftes Recht der Abtreibung zu erschweren. Dieses Recht hat die damalige PSOE-Regierung auf Druck der großen Frauenbewegung aus den 80er Jahren legalisiert. Viele Frauen haben diesen Versuch der staatlichen Diskriminierung als Provokation erlebt und sich für ihre Selbstbestimmung letztendlich erfolgreich eingesetzt, da die PP unter dem Druck eingeknickt ist. Diese ganze Bewegung nannte man die „Tren de la libertad“ (Zug der Freiheit), welche letztendlich den Boden für massive Politisierung von Frauen und den zweiten Beweggrund gelegt haben, nämlich der Bildung vieler vor allem Frauenräume, geleitet von Frauen aus dem Studierenden- und Schülerinnenbereich. Ab diesem Zeitpunkt wurden jegliche Gewaltdelikte an Frauen mit starker Präsenz auf die Straße getragen, um die Behörden für entsprechende Aufklärung und Strafe unter Druck zu setzen. Und das nicht nur auf die Hauptstadt Madrid beschränkt, sondern auch auf jegliche Städte Spaniens ausgeweitet.

Die Freiheitsliebe: Wie bewertest du die Rolle der feministischen Bündnisse und der Gewerkschaften?

May: Die Bündnisse haben es geschafft, durch lokale Aktivitäten und überregionale Vernetzung Opfer sexualisierter Gewalt sichtbar zu machen. Es existiert gravierende patriarchale Gewalt an Frauen und diese sollte die Gesellschaft nicht ignorieren. Das Problem sind nicht nur die Gewaltakte, sondern auch unsere Justizinstitutionen. Nicht selten haben die Organe der Justiz Verbrecher geschützt oder sie mit niedrigen (zum Teil sogar gar keinen) Strafen davongehen lassen. Dadurch hat die feministische Bewegung auch eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen der Justiz entwickelt, die nicht wenig ein Überbleibsel aus der franquistischen Ära Spaniens bildet. Die Gewerkschaften, aber auch die sozialdemokratische PSOE, versuchen den Protest zu vereinnahmen und zu institutionalisieren. Letztes Jahr haben die großen Gewerkschaften CCOO und UGT nur zu einem zweistündigen Streik aufgerufen, während andere kleinere Basisgewerkschaften die Frauenbewegung durchgehend unterstützten. In diesem Jahr haben wir es geschafft, so stark zu mobilisieren, dass auch die großen Gewerkschaften zu einem 24-stündigen Streik aufriefen.

Die Freiheitsliebe: Findest du, dass die feministische Bewegung eine klassenpolitische und antikapitalistische Agenda fährt?

May: Vor den großen Mobilisierungen zum 8. März war sie nicht klassenpolitisch ausgerichtet. Dies hat sich in den letzten Jahren verändert und drückte sich in dem diesjährigen Aufruf auch entsprechend aus: Man erweiterte den Frauenstreik, um einen Aufruf zum Konsumverzicht mit der Ansage, dass diese Wirtschaftsweise unsozial ist. Besonders in den urbanen Räumen trägt sie einen antikapitalistischen Kern in sich. Die Bewegung hat sich definitiv in den letzten Jahren nach links radikalisiert, in der nicht weniger gefordert wird, als den Kapitalismus zu überwinden, da dieser eine Basis für das Patriarchat legt.

Die Freiheitsliebe: Was sind deine Erfahrungen in der Bewegung?

May: Ich war 2015 bereits in Huelva politisch aktiv bei Anticapitalistas, habe dann aber gemeinsam mit meiner besten Freundin aufgrund der mangelnden Politisierung in unserer Stadt einen feministischen und einzig für Frauen zugänglichen Raum gegründet, den wir Café Feminista genannt haben. Über die sozialen Medien und Flyer haben wir es geschafft, zum ersten Treffen 30 junge Frauen zu ermutigen. Nach mehreren Versammlungen und Aktionen habe ich dieses Konzept dann an die übrigen Basisgruppen von Anticapitalistas in Andalusien weitergegeben, damit auch in den dortigen Städten Frauen feministische Freiräume etablieren. Vor allem war das Anliegen des Cafés, junge Frauen zu erreichen, da für ältere Frauen bereits Strukturen bestanden. Seit meinem Umzug 2017 nach Granada wirke ich auch hier beim Café Feminista mit. Beispielsweise organisierten wir Proteste im Falle von sexualisierter Gewalt oder mobilisierten zum 8. März, um über die Gewaltdelikte hinaus auf die geschlechtsbezogenen Ungleichheiten hinzuweisen. In Granada nahmen durchschnittlich 100 Frauen bei unseren Versammlungen aus unterschiedlichsten feministischen Strömungen und Aktivitätsleveln teil.

May R. Ayamonte kann man auch auf Instagram folgen (spricht auf spanisch).

Die Freiheitsliebe: Du besitzt auch einen YouTube-Channel mit über 120.000 Abonnenten und bist Autorin verschiedener Bücher. Sprichst du auch dort über Feminismus und wie sind die Reaktionen, vor allem von der jüngeren Generation?

May: Ich versuche vor allem, mit einer leichten und verständlichen Sprache viele Menschen zu erreichen. Meine Bücher handeln häufig von sozialen Themen, in denen Frauen und Menschen aus der LGBT-Community die Akteure sind. Dabei versuche ich nicht, meine Vorstellung vom Feminismus zu erklären oder eine Richtlinie zu geben, sondern vor allem viele Menschen zum Nachdenken und Politisieren anzuregen. Das schaffe ich nur durch eine möglichst leichte Herangehensweise, was ich in den letzten Jahren erkannt habe.

Die Freiheitsliebe: Manche Kritiker behaupten, es gäbe aktuell nur einen Hype, sich als Feministin zu deklarieren, da sich nach dem 8. März viele wieder im gleichen Trott bewegen würden. Würdest du dem zustimmen?

May: Nein, dem stimme ich nicht zu. Natürlich organisieren sich viele danach nicht und das bleibt unsere Aufgabe und unser Hauptziel, aus dieser riesigen Menge an kämpferischen Frauen Aktivistinnen zu schaffen. Das scheitert häufig daran, dass einige nicht begreifen, wie wichtig es ist, sich auch nach einer solchen Demo zu organisieren. Wir müssen nun mal auch akzeptieren, dass dieses System es vielen Menschen aufgrund verschiedener Bedingungen erschwert, sich zu organisieren. Das sollten wir akzeptieren und daran tragen diejenigen auch keine Schuld. Wir sollten allerdings lernen, niedrigschwellig zu agieren und in der unmittelbaren Nachbarschaft anfangen. Die Sozialdemokraten zum Beispiel arbeiten so, während es die Linke leider nicht schafft.

Die Freiheitsliebe: Zum Aufstieg der extremen Rechten: Würdest du sagen VOX hat durch seine antifeministische Position als Gegenpol zu den Massenbewegungen dazugewonnen? Die rechtsliberale Ciudadanos spricht sogar, sie stünden für einen „liberalen Feminismus“.

May: Sie haben sicherlich vom antifeministischen Diskurs profitiert, ich würde jedoch den Ursprung ihres Aufstiegs woanders verorten. Sowohl die Ciudadanos, als auch die PP springen auf das feministische Boot auf, um Stimmen aus den feministischen Lagern zu holen. Die PP jedoch äußerst selten. Auch das Stimmenverhältnis hat sich verloren. Links wählen die Frauen und Rechts die Männer. Besonders die PSOE gewannen Stimmen von den Frauen.

Die Freiheitsliebe: Und warum gewinnt nicht Unidas Podemos von den Kämpfen?

May: Podemos gewinnt aus den Kämpfen, allerdings nur von den bereits organisierten Feministinnen. Einige gehen ja auch gar nicht wählen. Ich denke durch die internen Streitereien schaffen sie es nicht weiter, Interessierte anzuziehen. Währenddessen hingen in ganz Spanien Wahlwerbungen der PSOE, die lesbische Frauen abgebildeten hatten, mit dem Spruch „Ni una menos“ (Nicht eine [Frau] weniger).

8.3.19 – Granada

Die Freiheitsliebe: Zum Schluss die Frage: Was denkst du, waren die zentralen Erfolge der feministischen Bewegung?

May: Da gibt es einige. Unter anderem, dass Leute angesprochen worden sind, die sich vorher nie für Politik interessiert haben. Wir haben zu einer weiten Politisierung beigetragen. Die Zahlen der steigenden Teilnehmerinnen am Frauenkampftag sind natürlich auch beeindruckende Zahlen. Der 8. März in diesem Jahr verlief einen ganzen Tag lang und hat enorm ökonomischen Eindruck hinterlassen. Der Protest ging auch weiter und rief zu einem kollektiven Konsumverzicht und deckt damit neue Themenbereiche ab.

In den letzten Jahren haben wir auch einen enormen Anstieg an Organisierung zu verzeichnen, und das ist gut so und sollte weitergehen. Ganz besonders wichtig war auch das Sichtbarmachen von Gewaltdelikten. Keine Gewalt wird stillschweigend hingenommen. Vor ein paar Monaten hatte ein Professor der Uni Granada eine Studentin sexuell belästigt. Was kam danach? Die Uni war bis nach draußen voll von Menschen, die den Rauswurf gefordert haben. Auch haben wir es geschafft, Strafen für sexualisierte Gewalt stärker zu tadeln, da diese früher als Missbrauch und nicht als Gewalt bezeichnet wurde. Es bleibt jedoch noch einiges bestehen und wir kämpfen weiter und versuchen, viele Menschen zu organisieren, um die Verhältnisse zu verändern.

Die Freiheitsliebe: Vielen Dank fürs Interview!


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