Es ist an der Zeit mit dem weit verbreiteten Klischee aufzuräumen, die Kommunalpolitik sei langweilig. Ich weiß nicht in welcher Stadt oder Gemeinde ihr lebt, aber dort wo ich her komme, rockt die Kommunalpolitik. Statt nur über Müll und Parkplatzgebühren zu beschließen, organisieren wir Kundgebungen, blockieren viel befahrene Straßen oder solidarisieren uns auch mal mit Wohnungsbesetzer_innen wenn die Mehrheit im Gemeinderat beim Wohnungsbau lieber auf den freien Markt setzt, statt selbst aktiv zu werden, von Luigi Pantisano.
Als Linke wollen wir die Welt verändern, mindestens. Den Kapitalismus abschaffen, Frieden herstellen und Rassismus bekämpfen sowieso. Da liegt es nahe sich in der Bundespolitik zu engagieren. Bei mir war es auch so. Der Weg ging vom Manifest der Kommunistischen Partei, über Reden von Gregor Gysi zu meiner ersten Friedensdemo gegen den Krieg im Irak. Die wenigsten lassen sich für Abfallwirtschaft, Temporeduzierung vor Schulen oder einem Zweckentfremdungsverbot begeistern. Was ist also dran an der Kommunalpolitik und warum solltet Ihr Euch schleunigst bei Euch vor Ort engagieren?
In der Kommunalpolitik geht es darum, den Grundsatz „global denken, lokal handeln“ in praktische politische Arbeit zu übersetzen und das jeden Tag und bei allen denkbaren Themen. Das beginnt schon auf der kleinsten lokalen Ebene. In Nachbarschaftsinitiativen und Vereinen, Bezirksräten, Stadtparlamenten und in themenbezogenen lokalen Bürgerinitiativen. Immer dann, wenn es bei Euch vor Ort etwas zu entscheiden gibt, dann stell Euch die Frage welche Auswirkungen die jeweilige Entscheidung für die Welt hat. Sei es für das Klima, den Frieden oder für ganz grundlegende soziale Entwicklungen. Ihr werdet feststellen, dass jede Entscheidung in einem globalen Zusammenhang steht und wir unserer Verantwortung für die Welt in der Kommunalpolitik sehr wohl gerecht werden können.
Die Möglichkeiten des Engagements in der Kommunalpolitik sind vielfältig. Von der parlamentarischen Arbeit in einem Gemeinderat oder Stadtparlament über die Gründung und Mitarbeit in einer außerparlamentarischen Initiative ist alles möglich. Als Linke, Sozialisten_innen und Marxist_innen sollten wir die parlamentarische Arbeit immer mit außerparlamentarischen Aktivitäten kombinieren. Beides macht Spaß und kann zur Umsetzung unserer politischen Ziele führen. Ganz egal wie viele Sitze ihr mit eurer Gruppe oder Fraktion in einem Stadtparlament oder Gemeinderat habt, könnt ihr mit der Bewegung von Menschen, die auf der Straße gemeinsam mit euch für ein Anliegen streiten, oft ganze Berge versetzen.
In der parlamentarischen Praxis in der Kommune kommt auch einiges an konkreter Arbeit auf euch zu. Als Stadträte müsst Ihr an vielen Sitzungen teilnehmen. Erst seit ich im Gemeinderat sitze, ist mir die Bedeutung des Wortes „Sitzungen“ so richtig bewusst geworden. Ihr müsst euch auf viele Sitzungen einstellen und ihr müsst Stunden über Stunden einfach sitzen. Im Vorfeld von Sitzungen wird von Euch verlangt tonnenweise Verwaltungsunterlagen zu wälzen. Und in den Sitzungen selbst dürft Ihr Euch die Reden der politischen Mitstreiter_innen der anderen Parteien anhören, die sich oft gern selbst reden hören. Nach der vierten oder fünften Sitzung merkt ihr dann, dass sich die Argumente ständig wiederholen.
Ziel dieser Reden ist es meistens, mit einem Satz in der Lokalpresse erwähnt zu werden, sofern diese bei Sitzungen überhaupt anwesend ist. Richtig, es geht nicht darum, die anderen vor einer Abstimmung mit guten Argumenten zu überzeugen und um Mehrheiten zu ringen. Die Abstimmungsergebnisse stehen in 99% der Fälle leider schon vorher fest. Die bürgerlichen Parteien, von CDU, FDP über SPD bis zu den Grünen klüngeln Entscheidungen jeweils unter sich aus. Es gibt auf kommunaler Ebene zwar selten „Regierungskoalitionen“, aber sehr wohl Mehrheitsbündnisse.
Diese hinter verschlossenen Türen getroffenen „Kompromisse“ werden wie auf einem Flohmarkt verhandelt. Nach dem Prinzip: Stimmt ihr heute für unseren Antrag, stimmen wir morgen für euren. Kompromisse entstehen nicht entlang eines Themas sondern schlichtweg als Tauschgeschäft. Da kommen schon mal sehr gewagte Bündnisse zustande. Linke Kommunalpolitiker_innen müssen dieses undemokratische Vorgehen stören und wenn möglich durchbrechen. Diese wichtige oppositionelle Arbeit dürfen wir nicht den Rassisten auf der rechten Seite des Rats überlassen.
Die größte Falle im kommunalen Parlamentarismus verbirgt sich in den Sitzungsunterlagen, mit denen euch eine Verwaltung überschütten und gleichzeitig lähmen kann. Da kommen dann auch Themen wie Gullideckel und Müll auf Euch niedergeprasselt. Bürgermeister bestimmen die Tagesordnung einer Sitzung und somit auch die Themen, zu denen ihr euch verhalten müsst. Das kostet viel Zeit. Daher kleiner aber wichtiger Tipp für angehende Kommunalpolitiker_innen: Konzentriert euch auf die wesentlichen Themen, mit denen ihr im Wahlkampf und in euren Programmen angetreten seid. Es geht nicht darum, einer Verwaltung die Rechtschreibfehler in ihren Vorlagen zu korrigieren, sondern Unterlagen nach den relevanten Themen zu durchsuchen. Über die Gullideckel sollen sich lieber die anderen den Kopf zerbrechen.
Ein Thema mit dem ihr aktuell und sicher auch noch in den nächsten Jahren konfrontiert werdet ist die Mieten- und Wohnungspolitik. Den Kampf um bezahlbaren Wohnraum müssen wir auch ganz konkret auf kommunaler Ebene führen. Stellt euch also vor, ihr müsstet im Gemeinderat über den Abriss und den Neubau eines einzelnen Wohnhauses oder einer ganzen Nachbarschaft entscheiden. Wie geht ihr am besten vor?
Eure Aufgabe ist es im Vorfeld mit den bisherigen Mieter_innen zu sprechen, ihnen zuzuhören und sich dann dafür einzusetzen, dass ein Wohnhaus nicht abgerissen und auch nicht unnötig Luxussaniert wird. Ihr könnt Mieter_innen dabei unterstützen, dass sie nicht durch extreme Mieterhöhungen von bundesweit agierenden Immobilienhaien wie Vonovia vertrieben werden. Zu guter Letzt müsst ihr die Stimme der betroffenen Mieter_innen im Gemeinderat sein. Übt in euren Reden im Gemeinderat deutliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen, die durch einen Kapitalismus verursacht werden, dessen Ziel es ist auf dem Rücken von Mieter_innen für Anteilseigner und global agierende Unternehmen Milliardenprofite zu erzielen. Nutzt euer kommunalpolitisches Mandat für diejenigen, die in der Politik keine Stimme haben. Es geht nicht um euch, sondern um die Interessen der Menschen von denen ihr gewählt worden seid.
Ihr habt als Kommunalpolitiker_innen immer auch die Möglichkeit konkrete Anfragen und Anträge zu stellen und somit eigene Themen zu setzen. Wir können in Stuttgart neuerdings unsere Anträge auf die Tagesordnung erzwingen, ob es dem Oberbürgermeister passt oder nicht. Ihr könnt beispielsweise sogenannte Erhaltungssatzungen für Quartiere fordern – in denen die Vonovia, die Deutsche Wohnen oder ein anderer bundesweiter Immobilienhai Wohnungsbestände besitzt – damit es nicht zu Mieterhöhungen kommt und bestehenden Mieter_innen vertrieben werden. Wollen die anderen Fraktionen Eure Anträge ablehnen, was sehr wahrscheinlich ist, dann mobilisiert im Vorfeld die Mieter_innen selbst. Sucht Bündnispartner_innen bei Mieterinitiativen vor Ort, weist die Betroffenen auf stattfindende Sitzungen hin, organisiert vor den Sitzungen Kundgebungen und erzeugt damit Druck, um an den herrschenden Verhältnissen etwas zu verändern.
Damit die Verhältnisse vollends zum Tanzen kommen, ist es wichtig Bündnisse mit Bürger_innen und Initiativen zu bilden oder euch diesen anzuschließen. In Stuttgart hat sich aufgrund der völlig verfehlten Stuttgarter Wohnungs- und Mietenpolitik ein „Aktionsbündnis Recht auf Wohnen“ formiert. Mitglieder unserer Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS sind von Beginn an im Bündnis aktiv und leisten wichtige Aufbauarbeit. Im Aktionsbündnis beteiligen sich sowohl einzelne Bürger_innen als auch Vertreter_innen aus Mieterinitiativen und Gewerkschaften. Zur selben Zeit hat sich ein Kollektiv engagierter Bürger_innen gebildet, die nicht mehr nur tatenlos zuschauen wollten, wie immer mehr Wohnungen leer stehen oder an Investoren verkauft werden. Sie haben sogleich die Chance genutzt und im Anschluss an eine Demo des Aktionsbündnisses zwei leerstehende Wohnungen in Stuttgart besetzt. Zufällig standen auch Möbel an der Straße bereit, die von vielen Teilnehmer_innen der Demo in die Wohnungen getragen wurden.
Es ist gelungen diese beiden Wohnungen einen ganzen Monat lang zu besetzen. Wir waren als Stadträte von Beginn an solidarisch mit dem Besetzer_innenkollektiv und mit den beiden jungen Familien die in besetzten Wohnungen eingezogen sind. Auch Bundespolitiker_innen der Partei DIE LINKE haben das Ganze unterstützt und waren immer wieder vor Ort. Eine gute Kombination aus Kommunaler- und Bundespolitik. Unterstützung gab es vor allem aus der Nachbarschaft und auch von großen Teilen der städtischen Bevölkerung. Na gut, der Lobbyverein „Haus & Grund“ war nicht so happy. Und die Polizei auch nicht. Aber für diese beiden Organisationen machen wir ja auch nicht primär Politik. Die mediale Aufmerksamkeit zur Besetzung war riesig. ARD, ZDF und alle regionalen und lokalen Zeitungen haben wochenlang über den Wohnraummangel und Leerstand in Stuttgart diskutiert. Auf einmal war Kapitalismuskritik wieder angesagt und Enteignung von Wohnraum im allgemeinen Stadtgespräch. Wir waren über den gesamten Zeitraum der Besetzung die Stimme des Protests im Gemeinderat.
Und siehe da, auch die Verhältnisse im Gemeinderat sind ebenfalls ins Rutschen geraten. Anträge unserer Fraktionsgemeinschaft, die noch vor kurzem abgelehnt wurden, sind von den Anderen wieder aus der Schublade geholt und als ihre eigenen Anträge eingebracht worden. Plötzlich hatten wir eine Mehrheit um beispielsweise die turnusmäßig geplanten Mieterhöhungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft auszusetzen. Eine finanzielle Erleichterung für viele tausend Bewohner_innen. Der Gemeinderat hat dann auch unsere zwei Jahre alte Forderung beschlossen zusätzliche 150 Millionen Euro in den Wohnungsbau zu investieren und der Oberbürgermeister hat zuletzt die Landesregierung aufgefordert, ein Gesetz zu erlassen, dass es Kommunen ermöglicht leerstehenden Wohnraum per Zwang zu vermieten.
Die Tragweite und der Erfolg in der Kommunalpolitik bemisst sich aus linker Perspektive nicht nur daran, ob ihr eine zahlenmäßige Mehrheit in einem Gemeinderat besitzt, sondern vor allem ob ihr Menschen vor Ort in Bewegung versetzten könnt. Menschen, die für ihre Anliegen nicht nur aufstehen, sondern auch selbst aktiv und zu Bündnispartner_innen werden. Das ist bei vielen Themen und Projekten möglich. Wir haben in Stuttgart beispielsweise auch bei der ziemlich verrückten Idee, die Innenstadt zur autofreien Zone umzugestalten, mit der Gründung eines breiten Bündnisses ebenfalls Erfolg gehabt. Die Stuttgarter Innenstadt wird autofrei. Das ist aber eine ganz andere Geschichte.
2019 stehen Kommunalwahlen in vielen Bundesländern an. Also auf gehts, werdet aktiv in der Kommunalpolitik, bringt die Verhältnisse zum Tanzen und habt stets den Leitsatz „Global denken, lokal handeln vor Augen.“
Über den Autor:
39 Jahre / Architekt und Stadtplaner / Stadtrat in Stuttgart für das Bündnis SÖS – Stuttgart Ökologisch Sozial in der Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS / Mitglied im Aufsichtsrat der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SWSG / Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Bernd Riexinger, MdB und Parteivorsitzender DIE LINKE / Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit LV DIE LINKE Baden-Württemberg