Jetzt oder nie! Polizeigesetz stoppen!

By Raimond Spekking, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0 (edited by Jakob Reimann, JusticeNow!).

Nächste Woche ist es auch in Niedersachsen so weit: der Gesetzentwurf zum niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) soll durch den Landtag gepeitscht werden. Der Kampf gegen das NPOG hat eine breite zivilgesellschaftliche Protestbewegung ausgelöst, die seit einem Jahr Widerstand gegen die Vorhaben der Landesregierung aus SPD und CDU leistet. Dem Bündnis Nein zum niedersächsischen Polizeigesetz noNPOG gehören circa 130 Gruppen, Organisationen, Parteien und Gewerkschaften an. Bisher wurden zwei Großdemos und unzählige kleine Aktionen veranstaltet. Am Samstag wird in Hannover die dritte Großdemonstration stattfinden, um den Protest gegen die autoritäre Maßnahme auf die Straße zu tragen.

Ein Gastbeitrag von Daphne Weber.

Was bisher passiert ist

15.000 Menschen auf der ersten Demo im September und 6.000 auf der zweiten im Dezember 2018 konnten den Termin zur Verabschiedung des Gesetzes mehrfach verschieben. Zuletzt waren die Zustände bei der Landesregierung vollends chaotisiert: SPD und CDU konnten sich nicht mal mehr auf einen Zeitraum einigen. Nun soll das Gesetz aber durchgestimmt werden. Die Landesregierung setzt auf die Schwäche der oppositionellen Parteien, die mit dem EU-Wahlkampf beschäftigt sind. So soll die Mobilisierung erschwert werden.

Trotz Überarbeitung der aktuellen Fassung des Gesetzentwurfs bleiben Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit – die auch vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst (GBD) geäußert werden. Die Liste der geplanten Maßnahmen bleibt eine erschreckende Gruselsammlung:

Es sind 35 (statt wie vorher 74) Tage präventiver Gewahrsam möglich, Schleierfahndungen als verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Videoüberwachung mit technischen Geräten am Körper der Polizistinnen und Polizistenund dazu soll die gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Autokennzeichen über weite Streckenabschnitte gelegt werden, sie sogenannte Section Control. Diese vier Maßnahmen sind auch die Hauptkritikpunkte des GBD.

Hinzu kommen fragwürdige Legitimation von Spionage in privaten Chats durch Telekommunikationsüberwachung, Meldeauflagen, Kontaktverbote, Überwachung von Wohnungen… All diese Maßnahmen werden mit einer viel zu niedrigen Eingriffsschwelle möglich gemacht, die mit Wortkonstruktionen wie „dringende Gefahr“ oder „konkrete Wahrscheinlichkeit“ gestützt wird. Was genau eine „dringende Gefahr“ ist und wie der entscheidende Beamte das ‚erfühlt‘ bleibt schleierhaft und ebenfalls einer der Hauptkritikpunkte des GBD.
Somit legitimiert das niedersächsische Polizeigesetz insgesamt weitgehende Eingriffe in Privatsphäre, Freiheit und informationelle Selbstbestimmung von Personen, wenn die Polizei nur vermutet, dass sie eine Straftat begehen könnten.

Jeder kann verdächtig sein – besonders Menschen, die rassifiziert werden

So kann potentiell jeder und jede verdächtig sein. Ob man plötzlich öfter eine Moschee besucht, sich für das Klima und gegen den Kapitalismus engagiert, wenn man zufällig an der falschen Stelle auf einer Demonstration ist – jeder und jede kann ins Visier der Polizei geraten.

Ist man verdächtig, liegt die Beweislast bei einem selbst. Man muss beweisen, dass man unschuldig ist – eine skandalöse Verdrehung von Rechtsstaatlichkeit. Eigentlich müssen Bürgerinnen und Bürger vom Zugriff des Staates geschützt werden und nicht umgekehrt.

Wir befürchten, dass die im NPOG vorgesehenen verdachtsunabhängigen Personenkontrollen rassistisch praktiziert werden werden. Schon jetzt ist es für schwarze oder arabisch aussehende Menschen Alltag, öfter von der Polizei kontrolliert zu werden. Wir wissen, dass unsere Gesellschaft von rassistischen Strukturen und rassistischem Denken durchzogen ist. Es ist unsere Aufgabe dagegen zu arbeiten und nicht Instrumente zu schaffen, die rassistische Praktiken der Sicherheitsorgane erleichtern. Auch Polizistinnen und Polizisten sind nicht vor Rassismus gefeit, im Gegenteil. In letzter Zeit häufen sich die Berichte über rassistische Gewalt vonseiten der Polizei. Whistleblower decken extrem rassistische, linken-feindliche und rechte Strukturen auf. Nicht zuletzt lassen uns der NSU und die Drohungen des NSU 2.0 an der konsequenten Aufarbeitung rechter Strukturen in der Polizei zweifeln.

Unabhängige Beschwerdestellen wären dringend vonnöten, um Polizeigewalt egal welcher Art zu melden. Unabhängige Ermittlerinnen und Ermittler müssten eingesetzt werden, sodass nicht Beamte gegen Beamte ermitteln, die sich, durch Corpsgeist zusammengeschweißt, gegenseitig decken.

Es gibt einige Baustellen, wenn man dieses Land sicherer machen will. Es gibt viele Fragen, die sich gute Sicherheitspolitik stellen muss und es gibt gute Antworten.

Das geplante niedersächsische Polizeigesetz ist keines davon. Es ist eine überflüssige, verfassungswidrige, grundrechtsfeindliche Maßnahme, die dazu noch von der AfD beklatscht wird – ein guter Gradmesser dafür, ob ein Regierungsvorhaben kompletter Schwachsinn ist.

Das Bündnis lehnt daher aus allen summierten Gründen das NPOG rigoros ab. Miniaturverbesserungen sind nicht zielführend und bleiben ein Kniefall der Landesregierung vor rechten Kräften im Land. Wir werden am 11. Mai in Hannover auf die Straße gehen und unseren Protest zum Ausdruck bringen. Und auch danach werden wir nicht aufhören, Polizeigewalt, Überwachung und Kriminalisierung sozialer Proteste zu skandalisieren. Wir streiten für gute, präventive und menschliche Sicherheitspolitik, gegen Aufrüstung und Repression – auch und ganz ausdrücklich im Sinne der Polizistinnen und Polizisten. Denn auch sie sollten vor einem Gesetz geschützt werden, das ihnen Befugnisse aufbürdet, die sie gar nicht gerecht ausführen können.

Daphne Weber vertritt DIE LINKE. Niedersachsen im Bündnis gegen das Polizeigesetz und ist Mitglied des Landesvorstands der Partei in Niedersachsen.

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