Ein vor-Ort-Bericht aus der Türkei nach dem Putschversuch, wo die Kurden nun einer beschleunigten Repression gegenüberstehen.
Anfang diesen Monats, als Barış Barıştıran, Rundfunkleiter bei Özgür Gün TV seine Kollegen das Studio abbauen sieht, sagte er mir, dass es nie einfach war in der Türkei einen kurdischen Nachrichtensender zu führen, nie war es aber so hart wie jetzt. „In den 1990er Jahren würden sie unser Gebäude bombardieren, uns schikanieren, aber sie würden unseren Sender nicht schließen. Wir würden eine Strafe bekommen, das war’s“, sagte er. Vor einer Woche erhielt Barıştıran eine Nachricht vom Satellitenanbieter, dass sie damit aufhören werden Özgür Gün TV auszustrahlen, den Sender von einem nationalen zu einem lokalen zu degradieren, der auf Festnetz angewiesen sein wird. Da die Zuschauerzahlen so verringert wurden, stiegen Werbetreibende aus den Verträgen aus. Barıştıran ist nicht mehr in der Lage, die Miete für das Fernsehstudio zu bezahlen und muss nun umziehen. „Dreißig Minuten bevor sie das Satellitensignal ausgesetzt haben, haben sie uns es mitgeteilt. Es war einfach nur eine politische Entscheidung von ganz oben“.
Özgür Gün TV hat in der einen oder anderen Form seit 1995 von Diyarbakır, der größten mehrheitlich-kurdischen Stadt gesendet. Wie auch die anderen kurdischen Medien, wurde auch dieser Sender mit einer Reihe von Hindernissen bei seiner Berichterstattung konfrontiert. Der Sender wurde dafür bestraft, dass er Interviews mit kurdischen Politikern ausgestrahlt hatte, Telekommunikationsbehörden haben ihm die Website und die Kanäle der sozialen Medien gesperrt. Im Oktober 2015 hielt ein Beamter der Kriminalpolizei einem Reporter seine Waffe an den Kopf, als dieser von den Militäroperationen in Silvan berichtete. Auch das war nichts neues für die kurdischen Journalisten. Was wirklich wichtig war, war dass die Crew ihre Berichterstattung fortsetzen konnte. „Wie man heute sehen kann, ist das leider nicht mehr der Fall“, sagte Barıştıran, als seine Arbeiter die Weltkarte von der Wand nehmen, die auf die Verbundplatte gedruckt war und kurz davor noch als Hintergrund für das Nachrichtenstudio gedient hatte.
Die Nachwirkungen des Putsches
Die Schließung von Sendern wie Özgür Gün TV ist ein Teil einer großen Welle an Repressionen von Seiten der Regierung seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli. Innerhalb der letzten zwei Monate wurden 43.000 Menschen verhaftet, 100.000 Angestellte wurden wegen angeblicher Verbindungen zu dem in den USA sich befindlichen Prediger Fethullah Gülen, der für den Putsch verantwortlich gemacht wird, von den Gehaltslisten der Regierung gestrichen. Ein nationaler Ausnahmezustand bleibt weiterhin in Kraft, der es der Regierung erlaubt Menschen für 30 Tage festzusetzen ohne Anklage. Behörden haben den Ausnahmezustand genutzt um Dekrete umzusetzen, die 120 Journalisten in Haft brachten und mehr als 100 Sender zu schließen, die angeblich terroristische Propaganda verbreitet haben.
Während die Mehrzahl der Journalisten und Nachrichtenorganisationen direkt oder indirekt mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht wurden, wurden die meisten Medienhäuser von Kurden geführt, viele davon verachten Gülen als Rassisten und haben überhaupt keine Verbindungen zu seinen Anhängern. Zahlreiche Linke und Investigativjournalisten gehörten auch zu denjenigen, die dem scharfen Vorgehen zum Opfer gefallen sind. Das zeigt, dass die ursprünglichen Säuberungsversuche jenseits des Kreises der mutmaßlichen Putschisten von statten gehen und die Opposition so weitreichend trifft. Die Vorgänge alternative Nachrichtendienste verstummen zu lassen, kommen zu einer besonders aufgeregten Zeit für die Türkei, einem Land, in dem die Mainstreammedien von der Regierung geführt werden und Journalisten nur so angestellt blieben, indem sie sich selbst zensieren. Die am besten informierten Bürger verlassen sich auf ihre Twitter feeds im Bezug auf uneingeschränkte Nachrichten, aber das harte Vorgehen jetzt auf kurdisch-geprägte und Oppositionsmedien generell schränkt den Zugang zu Informationen nochmals enorm ein. Medienrechtler sagen, dass der Zustand der freien Meinungsäußerung in der Türkei nie bedrohter war als nun.
Der Bruch im Friedensprozess
Ungefähr 20 Millionen Kurden leben in der Türkei, das ist etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Sie wurden unterdrückt und marginalisiert seit der Staatsgründung, sogar am Lehren ihrer eigenen Sprache gehindert bis in die 2000er Jahre. Als 1984 die Kurdische Arbeiterpartei PKK nicht mehr länger zuschauen wollte, wie Kurden als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden, starteten sie einen bewaffneten Kampf für Autonomie. Der Staat antwortete mit Gewalt, und so eskalierte der Konflikt zu einem vollausgebildeten Krieg, der in den letzten Jahrzehnten mehr als 40.000 Leben gekostet hat. Ein Friedensprozess, der den Krieg überwinden sollte, begann 2013 und verbesserte die Bedingungen nur kurzzeitig. Die Verhandlungen brachen im Juli 2015 ganz zusammen, als Militäraktionen und dauerhafte Ausgehsperren für die mehrheitlich von Kurden bewohnten Städte im Südosten des Landes beschlossen wurden.
Erol Önderoğlu, der türkische Vertreter der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, sagte, dass die von der Regierungspartei AKP gestarteten Angriffe auf kurdische Medien genau während der wiederaufgeflammten Kämpfe ausgeführt wurden. Nachdem der Friedensprozess gescheitert war, „hielt der [türkische] Staat einen Gipfel ab zusammen mit den Chefredaktionen der Mainstreammedien, um klare rote Linien zu ziehen und sie zu warnen, ‚wer nicht für uns ist, ist gegen uns‘ „, so Önderoğlu. Die Mainstreamsender sind verpflichtet die Linie der Regierung strikt einzuhalten, was die Berichterstattung zu den Militäroperationen angeht. Kurdische und andere oppositionelle Sender berichteten weiter aus den Kriegsgebieten, Geschichten zu erzählen, die das Gegenteil zu den regierungsfreundlichen Medien darstellen. Önderoğlu berichtet, dass die Regierung sich anstellte eine solche Berichterstattung weiter einzuschränken, alles mit der Behauptung es würde den Kampf gegen kurdischen Milizen untergraben. Die AKP habe in den Monaten seit des versuchten Putsches ihre Repression weiter erhöht.
„Das Hauptziel ist, alle sozialen Beziehungen der kurdischen politischen Organisationen zu zerschlagen“, sagte mir Önderoğlu. „Um einen humanitären Ansatz bezüglich einer Humanisierung der Kurden zu verhindern, will der Staat die Opposition als reinen kurdischen Terrorismus darstellen und nicht über die Ursachen der Kurdenfrage sprechen, oder diese als soziales Problem sehen“. Eren Keskin, Co-Herausgeberin der kürzlich zerschlagenen Zeitung Özgür Gündem zeigt sich besorgt darüber, dass die Attacken auf kurdische Sender auch ihre Fähigkeit einschränken wird, weiter vom türkischen Militärengagement im Syrienkrieg zu berichten. Am 4. September drangen türkische Panzer auf syrisches Gebiet ein, um ISIS-Kämpfer zu vertreiben und die Bewegungen kurdischen Milizen zu stoppen, die eine ganze Reihe von Erfolgen gegen ISIS in diesem Gebiet vorzuweisen hatten.
„Die Türkei kann nicht mit kurdischen Erfolgen oder einer Akzeptanz derselben im internationalen Umfeld umgehen“, sagt Keskin. „Sie wollen ihr Ansehen herabwürdigen und es gibt keinerlei Zweifel, dass die Schließung von Özgür Gündem mit den Ereignissen in Syrien zu tun hat“. Eine der führenden kurdischen Zeitungen, Özgür Gündem , wurde am 18. August geschlossen nachdem die Behörden die Istanbuler Zentrale stürmten, 20 Journalisten noch dort festnahmen, und sie als „Sprachrohr“ der PKK bezeichnete. Telefonisch teilte mir Keskin aus Istanbul mit, dass ihr Reisepass eingezogen wurde, maskierte Polizisten haben ihr Zuhause in Diyarbakır gestürmt, und dass sie einer lebenslangen Freiheitsstrafe entgegensieht, da sie Anführerin einer terroristischen Vereinigung sein soll.
Keskin ist international anerkannt als Menschenrechtsaktivistin und Anwältin, bekannt dafür, dass sie Opfer von sexueller Gewalt, die bei den türkischen Militäroperationen im Südosten begangen werden, vertritt. Sie betont, dass sie sich nicht als Journalistin sieht und die Rolle als Co-Herausgeberin nur annahm, da sie ihre Solidarität mit den ehemaligen Herausgebern demonstrieren wollte, die seit der Eröffnung 1992 teils selbst verhaftet oder ermordet wurden. „Özgür Gündem ist die einzige Zeitung, die schreibt, was wirklich in Kurdistan passiert“, merkt sie an. Als Teil der richterlichen Anweisung muss sich Keskin einmal in der Woche bei der lokalen Polizei vorstellen, um zu beweisen, dass sie sich in der Türkei aufhält, während man ihr den Prozess macht. „Indem sie mich anklagen, beabsichtigen sie zu zeigen, dass sie jeden anklagen können, den sie wollen, jeder der aufsteht, und sie brauchen nicht mal Beweise dafür“, so Keskin.
„Unsere Auszeichnung heißt Bestrafung“
Trotz des schwierigen Umfeldes füllen kurdische Journalisten weiterhin die Lücken, die durch die Verhaftungen entstanden sind. Ramadan Ölçen, Herausgeber der Azadiya Welat, eine der wenigen kurdischsprachigen Tageszeitungen, sagt, dass sogenannte Bürgerjournalisten ihre Smartphones dafür benutzen, Bilder und Videos zu machen und zuzusenden. „Es gibt zwei Seiten in diesem Krieg, eine sind die Kurden, die andere der Staat“, so Ölçen. „Der Staat hat Leute, die seine Botschaft übermitteln können, während die andere Seite weniger Ressourcen hat, so ist es unsere Verantwortung auch Kurden eine Stimme zu verleihen und sich auszudrücken“. Auch Azadiya Welat hat bislang schon Dutzende Reporter durch Verhaftungen verloren, seit es die Dekrete im Rahmen des Ausnahmezustandes gibt. Er spricht in seinem Büro in Diyarbakır und zeigt auf währenddessen auf, dass die vielen Portraits an der Wand die Journalisten würdigen, die während ihrer Arbeit bei der Zeitung getötet wurden. Seine Arbeit fortzusetzen, sagt er, heißt die Schuld zu begleichen, in der er sich für alle Märtyrer des kurdischen Journalismus zu stehen fühlt. „Wenn wir diese Art von Journalismus in einem anderen Teil der Welt machen würden, würden wir Auszeichnungen bekommen. Unsere Auszeichnung hier heißt Bestrafung“, so Ölçen.
Nevin Erdemir, Journalistin und Co-Vorsitzende der türkischen Organisation der Freien Journalisten erzählt, dass sie zweieinhalb Jahre im Gefängnis saß für ihre Arbeit und dass sie mehr Gerichtsprozesse hatte, als sie zählen könne. Einmal wurde sie festgenommen, weil sie Selahettin Demirtaş interviewte, den Vorsitzenden der linken, pro-kurdischen Demokratischen Volkspartei HDP. Ein anderes Mal bekam sie eine Strafe, weil sie in einer aufgezeichneten Pressekonferenz neben einem kurdischen Politiker stand. In ihrem letzten Gerichtsverfahren wurde sie für vier Tage festgenommen, weil sie mit einem Funkgerät im Auto in der Nähe von Mardin, einer Stadt im Südosten der Türkei, fuhr, sagt mir Erdemir. Die Behörden behaupteten, sie habe durch das Funkgerät eine Autobombe zünden wollen, dabei zitieren sie eine angebliche Quittung einer Terrorgruppe, die sie dafür bezahlt haben soll. Sie lacht, während sie von diesem Fall erzählt – solche Vorfälle seien mittlerweile normal geworden. „Ungeachtet dessen, wie angespannt und brutal die 90er Jahre waren, solche Verhaftungen wie heute gab es da nicht“, so Erdemir. „Der Staat hat keine Geduld, viele verschiedene Stimmen zuzulassen“.
Angesichts der Säuberungen durch die Nachwirkungen des Putsches, die sich überall in der kurdischen Gesellschaft breitmachen, wären unterschiedliche Stimmen aber so vonnöten. Gerade vor zwei Wochen sind 24 kurdische Bürgermeister durch nicht-gewählte Regierungstreuhänder ersetzt worden, 11.500 kurdische Erzieher wurden suspendiert, als das neue Schuljahr begann. Beide Gruppen wurden entlassen wegen angeblichen Verbindungen zur PKK. Währenddessen erwarten diesen Herbst Abgeordnete der HDP, der drittgrößten nationalen Oppositionspartei, hunderte von Gerichtsverfahren, nachdem das türkische Parlament für die Aufhebung ihrer Immunität votierten.
Aus der Asche auferstehen
Zurück in den Fernsehstudios von Özgür Gün TV möchte Barış Barıştıran etwas aus seinen Umständen in ein positives Licht rücken. Auch wenn der Sender umziehen werde, der Betrieb werde trotzdem weitergehen, vielleicht unter einem anderen Namen, aber so wie sie es immer gemacht haben. Ein kleineres Studio wird weniger Geld kosten, es wird ihnen helfen, die Strafen zu zahlen, die man dem Sender auferlegt hat. Seit der Friedensprozess nachließ, sagte Barıştıran, bekam er mehr als zehn Bescheide über Strafzahlungen, die jeweils 100.000 Türkische Lira ausmachten (ca. 30.000 € jeweils). Das typische Vergehen? Interviews mit kurdischen Abgeordneten senden, oder wie es einmal in einer Anklage hieß, „die unteilbare Einheit der Türkei herbeigeführt versucht zu haben“.
Unerschrocken führt Barıştıran an, die Redefreiheit der kurdischen Medien steht als Barometer dafür, wie die Menschenrechtslage in der Türkei insgesamt ist. Wenn die Kurden unterdrückt werden, sind auch alle anderen türkischen Bürger für ähnliche Praktiken anfällig. Aus dieser Sicht ist der Kampf für Medienfreiheit für die Kurden auch ein Kampf um Grundrechte auf einem ganz gesellschaftlichen Level. Am Ende, sagt Barıştıran, werde er sich durchsetzen.
„Wir kommen aus der Tradition aus der Asche aufzuerstehen, wir sind da schon mal durchgegangen und wir wissen, dass es hart wird“, meint Barıştıran. „Es wird immer unmöglicher bessere Tage für die Pressefreiheit in der Türkei sich vorzustellen, aber wir behalten die Hoffnung in uns. Wenn wir keine Hoffnung, warum sollten wir dem allem dann überhaupt widerstehen?“.
Dieser Artikel erschien am 17.09.2016 im Jacobin Magazine, geschrieben von Diego Cupolo, und aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Martín Dudenhöffer.