„Make Freedom Ring“: Klassische Musik für Menschenrechte in Palästina

Johannes König - Foto: Stephan Höck

Am vergangenen Dienstag fand in München ein Solidaritätskonzert für die Menschen in Gaza statt. Organisiert wurde es von dem Kollektiv „Make Freedom Ring“, wir haben mit einem der Organisatoren und beteiligten Künstler Johannes König über die Idee und das Ziel hinter dem Konzert gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Ihr habt in München ein klassisches Konzert für Gaza organisiert, wie kam es dazu?

Johannes König: Vor unserem Benefizkonzert in München haben schon ähnliche Konzerte in London, Manchester und Berlin stattgefunden. Diese wurden organisiert vom Kollektiv „Make Freedom Ring“, das u. a. Michael Barenboim, Violinprofessor der Barenboim-Said Akademie und Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra (in dem israelische und palästinensische Musiker*innen gemeinsam spielen), initiiert hat. „Make Freedom Ring“ versteht sich als loses Netzwerk vor allem von Musiker*innen, aber auch anderen Kunstschaffenden, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf die aktuelle humanitäre Katastrophe in Gaza hinzuweisen und mittels Benefizkonzerten für unterschiedliche Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen Geld zu sammeln. Ich habe über soziale Medien davon erfahren und war von diesem Engagement beeindruckt. So war die Idee für mich naheliegend, mich bei den Kolleg*innen von „Make Freedom Ring“ zu melden mit dem Wunsch, auch in München so ein Konzert zu veranstalten. Es hat sich schnell ein Kern Münchner Musiker*innen gebildet, um diese Idee in die Tat umzusetzen. Durch unsere musikalischen Netzwerke konnten wir eine Reihe sehr renommierter Künstler*innen dafür gewinnen: Professor*innen der Hochschule für Musik und Theater München, Preisträger*innen internationaler Musikwettbewerbe und Mitglieder Münchner Orchester haben dieses Konzert gemeinsam mit einem stilistisch abwechslungsreichen Programm gestaltet. Durch meinen persönlichen Freund Kerem Schamberger, der bei medico international als Referent für Flucht und Migration arbeitet, kam die Kooperation mit medico zustande. Im Konzert hatten wir ca. 400 Besucher*innen und haben knapp 10.000 € eingespielt.

Die Freiheitsliebe: Was wollt ihr mit dem Konzert erreichen?

Johannes König: Die Motivation für die musikalische Mitwirkung am Konzert ist durchaus individuell unterschiedlich. Deswegen kann ich diese Frage nicht im Namen aller 17 Mitwirkenden beantworten. Gemeinsamer Nenner ist auf jeden Fall die Unterstützung der Spendenkampagne von medico, „Nothilfe für Gaza“. Für alle von uns war der humanitäre Gedanke entscheidend, der uns zur Teilnahme an diesem Konzert bewogen hat. Für mich persönlich ist darüber hinaus der politische Kontext der humanitären Fragen auch sehr wichtig. Ich möchte mich daher auch an die Seite all derer stellen, die einen Waffenstillstand fordern und ein Ende der Besatzung als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in der Region. Mittlerweile sind in Gaza bereits über 40.000 Menschen getötet worden und die Lebensgrundlage von zwei Millionen ist zerstört. Es ist richtig, Hilfe zu organisieren, aber genauso wichtig ist es, den politischen Druck aufzubauen, dass dieser Krieg endlich endet. Unsere Möglichkeiten als Musiker*innen sind da natürlich begrenzt. Aber so ein Abend kollektiver Solidarität ist trotzdem sehr ermutigend. Überschattet ist dieses schöne Erlebnis mittlerweile von einem Brandanschlag auf das Palästina-Unicamp, der sich zwei Tage Tage nach unserem Konzert ereignete und als antipalästinensisch-rassistisch und rechtsterroristisch eingeordnet werden muss. Viele der Aktiven vom Protestcamp waren übrigens auch in unserem Konzert zu Besuch. Zum Glück ging diese potentiell tödliche Attacke aber glimpflich aus und niemand wurde verletzt.

Die Freiheitsliebe: Bei euch trat auch ein Redner auf, was hat er berichtet? Wie habt ihr das mit der Musik verbunden?

Johannes König: Tsafrir Cohen, der Geschäftsführer von medico international, sprach über den Horror in Gaza und die Zusammenarbeit von medico mit seinen Partnerorganisationen in der Region: Die israelischen Physicians for Human Rights, also Ärzte für Menschenrechte, beschäftigen sich mit Menschenrechtsverletzungen in israelischen Gefängnissen, waren an der Versorgung der Überlebenden des Hamas-Angriffs am 7. Oktober beteiligt und arbeiten mit palästinensischen Gesundheitsorganisationen zusammen wie etwa Palestinian Medical Relief Society, einer anderen Partnerorganisation von medico, deren Zentrum in Jabalia vollständig zerstört wurde. Die Feministinnen von Culture and Free Thought Association machen Nothilfe in Flüchtlingslagern. Die humanitäre Arbeit dieser und weiterer Partner von medico vor Ort wird durch die Bedingungen, die der Krieg geschaffen hat, massiv erschwert oder unmöglicht gemacht. Im Zentrum von Tsafrirs Rede stand jedoch der universalistische Menschenrechtsbegriff. Dabei bezog er sich auf den Ansatz der Philosophin Hannah Arendt. In der Zeit Arendts waren Millionen von Geflüchteten in der Folge des Zweiten Weltkriegs und der NS-Zeit plötzlich staatenlos geworden. Aus dieser Situation heraus entwickelte Arendt das Konzept „Das Recht, Rechte zu haben“. Dies bedeutet das Recht auf Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft. Erst wenn diese Grundvoraussetzung – also eine Staatsbürgerschaft – erfüllt ist, können dem Individuum die weiteren Rechte garantiert werden. Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten und den Flüchtlingslagern sind seit Jahrzehnten staatenlos. Ein eigener Staat wird ihnen verweigert und die israelische Staatsbürgerschaft verwehrt. Ohne dieses grundlegende Recht bleiben andere Rechte – wie etwas das auf Gesundheit – unerfüllt. Doch Tsafrirs Rede war noch sehr viel mehr. Es lohnt sich, diese in Gänze bei medico nachzuhören.

Die Verbindung mit der Musik? Wir hatten bei diesem Konzert nicht den Anspruch, dass jeder musikalische Programmpunkt in einem Zusammenhang mit dem politischen Thema stehen muss. Vielmehr wollten wir ein Programm gestalten, das vielfältig und abwechslungsreich ist, das dem Publikum Vergnügen bereitet und es motiviert, im Anschluss an das Konzert noch einmal zu spenden. Aber natürlich gab es im Rahmen des Programms auch Momente, in denen Schmerz und Leid musikalisch ausgedrückt wurden und man unwillkürlich an Gaza denken musste. Für mich war es besonders eindrücklich, die Arie aus der Bachkantate BWV 205 zu hören, die mit folgenden Textzeilen endet: Ach, so sage, kannst du sehn, / Wie die Blätter von den Zweigen / Sich betrübt zur Erde beugen, / Um ihr Elend abzuneigen, / Das an ihnen soll geschehn.

Die Freiheitsliebe: Ihr kritisiert auch, dass pro-palästinensische Stimmen und Künstler zensiert werden. Wo seht ihr in der Kunst Zensur?

Johannes König: Leider gibt es da viele Beispiele: Zensur in der Kunst findet statt, wenn Ausstellungen von jüdischen Künstler*innen wie Candice Breitz oder Elias und Gideon Mendel wegen ihrer kritischen Perspektive auf den Krieg abgesagt werden. Wenn Lesungen des syrisch-palästinensischen Poeten Ghayath Almadhoun verhindert werden, wenn Ausstellungen der palästinensischen Künstlerin Jumana Manna kurzfristig abgesagt werden. Übrigens müsste man nicht mal die politischen Einstellungen all derer teilen, um das problematisch zu finden. Denn es geht um die Kunstfreiheit, die im Grundgesetz garantiert wird. Die vielfach angeführte „deutsche Staatsraison“ gerät nicht nur mit den universellen Menschenrechten, die auch für Palästinenser*innen gelten müssen, in Widerspruch, sondern auch mit den demokratischen Grundrechten in Deutschland. Auch unser Benefizkonzert war im Vorfeld von Angriffen betroffen, von Stimmen, die die Absage unseres Konzerts forderten. Dazu kam es aber nicht. Ich bin froh, dass die evangelische Kirche, in der unser Konzert stattfand, unser humanitäres Anliegen unterstützt und auch, als der politische Druck gegen unser Konzert aufgebaut wurde, standhaft blieb. Unsere Pfarrerin, die zu Beginn des Konzerts ein interreligiöses Friedensgebet gesprochen hat, ließ sich in einer Zeitung folgendermaßen zitieren: Der Wunsch nach Frieden und die Erschütterung über das Leid der Menschen in diesem Konflikt – auf beiden Seiten der Grenzen – verbindet uns als Christ*innen mit der Veranstaltung. 

Die Freiheitsliebe: Neben der Zensur kritisiert ihr auch das Schweigen großer Teile der Kunst- und Kulturszene. Woran liegt dieses Schweigen?

Johannes König: Ich würde nicht der gesamten Kunst- und Kulturszene ein Schweigen vorwerfen. Im Gegenteil: Gerade in den Bildenden Künsten setzt man sich viel mit dem Thema Israel/Palästina auseinander. Anders hingegen empfinde ich die klassische Musikindustrie, die sich insgesamt politisch eher zurückhält und manchmal zu einem elitären Denken neigt. Ich glaube, das liegt zum einen daran, dass die klassische Musikwelt kein Spiegel der Gesellschaft ist, sondern nur in einem bestimmten privilegierten, tendenziell konservativen Milieu stattfindet, das wenig divers und patriarchal geprägt ist. Zum anderen liegt das Schweigen auch an dem speziellen Nahost-Diskurs in Deutschland, der alle, die auch nur geringfügig von der „Staatsraison“ abweichen, unter Antisemitismusverdacht stellt. Andererseits haben wir klassischen Musiker*innen auch eine Tradition, die uns im Kampf um demokratische Rechte bestärkt. Ich denke da etwa an den Revolutionär Beethoven, dessen Werk anti-elitär, aufsässig und grenzüberschreitend war. Beethoven war ein Anhänger der Demokratiebewegung und seine populäre neunte Sinfonie eine eindringliche Kampfansage an die alte Gesellschaftsordnung. Deswegen würde ich auch über das Thema Nahost hinaus anregen, dass sich klassische Künstler*innen mehr mit Menschenrechten auseinandersetzen. Der US-amerikanische Sänger und Bürgerrechtler Paul Robeson, dessen Zitat den Namen unseres Kollektivs inspiriert hat, hat es so ausgedrückt: Through my singing and acting and speaking, I want to make freedom ring. Maybe I can touch people’s hearts better than I can their minds, with the common struggle of the common man.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch

Johannes König ist Musiker in München und war gemeinsam mit u. a. Kristin von der Goltz (Professorin HMT München) Organisator des Münchner „Make Freedom Ring“-Benefizkonzerts.

Das nächste Konzert des Kollektivs findet am 24. September 2024 im Kühlhaus Berlin statt. Mehr Infos hier: makefreedomring.co.uk

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