Der französische Schriftsteller, Philosoph und Nobelpreisträger Albert Camus war eine der wichtigsten öffentlichen Stimmen im Frankreich der Nachkriegszeit. Sein Leben wurde durch viele Widersprüche und Zweifel geprägt und formte so auch sein literarisches Lebenswerk. Olivier Todd hat den Versuch unternommen, all dies in einer Biographie einzufangen.
Beim Schreiben einer Biographie lauern jedem Schriftsteller zwei Gefahren auf: die der Fraternisierung und jene der Verobjektivierung. Denn zum einen bringt die detaillierte Recherche über das Leben einer Person eben jene auch dem Autor näher und zum anderen ist eine Biographie, die lediglich als weiterer Blick vor die Stirn konzipiert wird, wenig aufschlussreicher als ein umfassender Wikipedia-Artikel. Nimmt man sich demzufolge die Darstellung eines kompletten Lebens vor, so liegt die Herausforderung in dem sich hieraus ergebenen Balanceakt zwischen Nähe und Distanz, Innen und Außen. Der französische Journalist Olivier Todd (unter anderem BBC, Nouvel Observateur) hat sich dennoch besagter Aufgabe angenommen und eine Biographie-Variante über den französischen Philosophen Albert Camus verfasst.
Philosophen? Ganz so eindeutig, wie heutzutage kolportiert, ist es nicht. Hierfür exemplarisch ist, dass der Franko-Algerier am 7. November 1913 in einer Stadt mit zwei Namen geboren wurde. Denn die an der algerischen Mittelmeerküste liegende Stadt Dréan hieß zum Zeitpunkt von Camus‘ Geburt noch Mondovi und war Teil der Kolonie Französisch-Algerien. Heimat und die Liebe zu Natur und Meer nahmen im Leben des Sohnes einer armen französisch-spanischen Arbeiterfamilie deshalb früh eine bestimmende Rolle ein und prägten sowohl sein Wirken als auch sein Werk. Der Blick von außen auf seine tiefe Verbundenheit zur Landschaft Algeriens und seiner Menschen wird dabei oftmals durch den Umstand getrübt, dass Camus als Teil der weißen Herrscherschicht ein Fremder unter Fremden gewesen zu sein scheint. Doch was heißt an dieser Stelle Herrscherschicht? Als Sohn von sogenannten Pieds-noirs (alte Bezeichnung für französische Siedler in Algerien), bescherten ihm die Früchte der repressiven Kolonialpolitik ebenso wenig ein erträgliches Leben wie den Arbeitern des französischen Mutterlandes. Nur durch den besonderen Einsatz einzelner Lehrer war ihm eine höhere Bildung, bis hin zum Diplôme d’études supérieures in Philosophie, möglich.
Anstatt sich jedoch in end- und farblosen Ausführungen über Camus‘ Zeit in der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und der Resistance zu ergehen, zeigt uns Todd einen Mann, der sein Privatleben stets verdunkeln wollte, nur um dann umso entschlossener nach vorn zu drängen und zu den Fragen seiner Zeit Stellung zu beziehen. Insbesondere das Theater wird als zweite große Liebe des Schriftstellers herausgearbeitet, die erste ist wohl unmöglich zu benennen. Er teilte sein Herz fortwährend mit mehreren Geliebten, die Philosophie bildete eher den Subtext seiner Erstanliegen. Denn sein Schaffen als Autor wirft unzählige philosophische Fragen auf und lässt sich dennoch nur schwer einer der großen Denkschulen zuordnen. Die Koexistenz von semi-lyrischen Essaysammlungen wie Hochzeit des Lichts und Heimkehr nach Tipasa mit Erzählungen und Aufsätzen wie Der Fremde, Der Mensch in der Revolte und Der Fall spiegelt nur zu gut wider, wie es in ihrem Verfasser ausgesehen haben mag. Olivier Todd gelingt es in beeindruckender Weise darzustellen, wie Camus seine Mitmenschen und ihre Konflikte wahrnahm, ohne sich jedoch seine Betrachtungsweise zu eigen zu machen. Gerade das ausbleibende Versprechen, den Dargestellten ganz zu verstehen, lässt dem Leser genug Freiraum, um Camus und seine Widersprüche selbständig ergründen zu können. Warum ein erklärter Freund der Freiheit eine ambivalente Position zum europäischen Kolonialismus einnahm, wo ihn seine Freund- und Feindschaften prägten und wie letztendlich doch alles zusammenhängt.
Und so erfährt man nur so viel über Albert Camus, dass man am Ende alles weiß.
„Aber auch heute noch sehe ich nicht ein, was die Zwecklosigkeit meinem Widerspruch anhaben könnte; wohl aber fühle ich, um was sie ihn bereichert.“ – Die Wüste.
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