Sudan: Sturz des Diktators, die Proteste gehen weiter

By M. Saleh, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0 (edited).

Seit Wochen drängen im Sudan Menschen auf die Straße. Nach 30 Jahren an der Macht stürzte gestern schließlich das Militär den Diktator Omar Al-Bashir und setzte eine militärische Übergangsregierung ein. Die Demonstranten fühlen sich um ihre Revolution betrogen und protestieren weiter.

Nach 16-wöchigen Protesten wurde in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Sudan Präsident Omar Al-Bashir, der das Land seit 30 Jahren regiert, vom Militär seines Amtes enthoben und festgenommen. General Awad Ibn Auf, vormals Al-Bashirs Vize, erklärte sich zum Übergangspräsidenten auf zwei Jahre, in denen Wahlen vorbereitet werden sollen. Das Parlament wurde aufgelöst und die Verfassung von 2005 außer Kraft gesetzt. Die Demonstranten geben sich mit dieser Lösung nicht zufrieden und fühlen sich um die Früchte ihrer Revolution betrogen. Ihre Proteste mit der Forderung einer zivilen Übergangsregierung werden unbeirrbar fortgeführt.

Der Konflikt im Sudan

Nach Jahrzehnten eines vielschichtigen Bürgerkriegs spaltete sich 2011 mit Rückendeckung der USA der überwiegend christliche Süden des Landes vom überwiegend muslimischen Norden ab und wurde damit zum jüngsten Land der Weltgemeinschaft. Die Interessen der USA drehten sich bei dieser Sezession hauptsächlich um die reichen Ölvorkommen des Landes. Insbesondere Hillary Clinton spielte hierbei als US-Außenministerin eine schändliche Rolle unter anderem im Kontext der Rekrutierung von Kindersoldaten.

Die Wirtschaft des westafrikanischen Landes mit einer Bevölkerung von knapp 40 Millionen ist höchstgradig abhängig vom Erdöl. Bis zu 90 Prozent der Exporte entfallen auf die Ölproduktion. Die Hauptvorkommen liegen im Muglad- und im Melut-Becken – die sich beide im Südsudan befinden. Nach der Abspaltung 2011 fielen, wie zu erwarten, die Finanzen der Regierung in Khartum im Norden ins Bodenlose, die in der Folge drei Viertel ihrer Öleinnahmen verlor. Eine Wirtschaftskrise brach sich Bahn, der Sudanesische Pfund wurde stark abgewertet, eine massive Inflation grassierte. Hinzu kamen die berühmtberüchtigten „Strukturanpassungsprogramme“ des IWF, der die Regierung nötigte, Subventionen auf Getreide und Strom einzustellen. Die Preise auf Grundnahrungsmittel stiegen exorbitant.

Das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Foto The Vulture and the Little Girl ging als Sinnbild für die Krise im Sudan ins Weltbewusstsein ein. By Source (WP:NFCC#4), published under a fair-use license.

Arabischer Frühling 2.0

In einer Wiederbelebung der Arab-Spring-Proteste von 2011 gingen im Dezember vergangenen Jahres die Leute in weiten Teilen des Landes erneut auf die Straßen. Getragen werden die Demonstrationen aus breiten Teilen der Zivilgesellschaft, an vorderster Front maßgeblich auch von Frauen- und Jugendorganisationen. Auslöser der jüngsten Proteste war ein Anheben der Brotpreise seitens der Regierung, die mehr als verdreifacht wurden. Was als Proteste gegen die ökonomische Misere begann, entwickelte sich rasch zu einem Aufbegehren gegen Präsident Omar Al-Bashir und dessen korrupte politische und militärische Kaste.

Die Proteste wurden zusehends blutiger, Polizei und Spezialkräfte gingen mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vor. Es gab erste Tote, bis heute mehrere Dutzend. Als Reaktion steckten Demonstranten Polizeireviere in Brand, später auch das Hauptquartier von Al-Bashirs Nationaler Kongresspartei, NCP. Ende Februar verhängte Al-Bashir den Ausnahmezustand, löste die nationale sowie regionale Regierungen auf und ersetzte diese durch Militärräte. Am vergangenen Wochenende kam es daraufhin zu Massenprotesten, die Al-Bashir durch Polizei und Spezialkräfte niederschlagen wollte. In einer bemerkenswerten Zäsur schlugen sich weite Teile des Militärs auf die Seite der Demonstranten und beschützten diese vor den Loyalisten des Regimes.

In der Nacht auf Donnerstag wurde Al-Bashir schließlich vom Militär gestürzt. Verteidigungsminister General Awad Ibn Auf erklärte sich zum Interimspräsidenten, rief für zwei Jahre eine militärische Übergangsregierung aus und verhaftete den Präsidenten. Die 30-jährige Herrschaft Al-Bashirs ist Geschichte.

Al-Bashir wird mit internationalem Haftbefehl gesucht

Omar Al-Bashir regierte den Sudan für 30 Jahre mit eiserner Faust und wird für seine Verbrechen mit internationalem Haftbefehl gesucht. By 2nd Class Jesse B. Awalt, U.S. Navy, Wikimedia Commons, published under public domain.

Al-Bashir werden im weiterhin anhaltenden Darfur-Konflikt schwerste Verbrechen vorgeworfen. Seit 2003 wütet in der Darfur-Region im Westen des Landes ein bewaffneter Konflikt, bei dem Rebellen-Gruppen gegen das sudanesische Militär kämpfen und für ein Ende der Unterdrückung und Marginalisierung der überwiegend schwarzafrikanischen Bevölkerungsteile eintreten. Zwischen 300.000 und 600.000 Menschen wurden hierbei bislang getötet, zwischen 2 und 3 Millionen zu Flüchtlingen im eigenen Land. Amnesty International wirft den Regierungstruppen unter anderem Einsatz von chemischen Kampfstoffen vor.

Seit 2009 wird der gestern gestürzte Al-Bashir wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Darfur per Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag gesucht; seit 2010 auch wegen Völkermordes. Gestern verkündete die selbsternannte militärische Übergangsregierung, Al-Bashir werde „an einem sicheren Ort“ festgehalten und versicherte heute, sie werde Al-Bashir nicht ausliefern, sondern vor sudanesischen Gerichten anklagen. So oder so ist es wahrscheinlich, dass sich der Diktator früher oder später für seine Verbrechen in Darfur verantworten muss.

Verrat an der Revolution

Der selbsternannte Übergangspräsident General Awad Ibn Auf will den Sudan zwei Jahre lang unter einer Militärregierung führen. By Sudan News Agency, Twitter, published under public domain.

Zwar ist der gestrige Sturz des Diktators ein großer historischer Erfolg für die Demonstranten, doch machte sich schnell Unmut breit angesichts der Chuzpe des Generals Awad Ibn Auf, der sich – bis vorgestern noch Al-Bashirs Verteidigungsminister und Vizepräsident – zum Kopf der Revolution aufspielt und sich selbst zum Übergangspräsidenten erklärt hat. Zur Erinnerung: Auch als sich Al-Bashir 1989 an die Macht putschte, erklärte er sich zum Übergangspräsidenten des Landes.

Hafiz Mohamed, Direktor der Menschenrechts-NGO Justice Africa, spricht daher vollkommen zutreffend von einer „Palastrevolution“, bei der zwar der Kopf abgeschlagen und ein neuer aufgesetzt wurde, sich jedoch nichts am korrupten System ändert. Auch Sara Abdelgalil, die Sprecherin der Gewerkschaftsorganisation SPA, der treibenden Kraft der Proteste der letzten 16 Wochen, spricht gegenüber der Deutschen Welle von einem „Recycling der alten Mitglieder des Regimes“ und kündigt wie eine Vielzahl weiterer Gruppen der Zivilgesellschaft ein Fortführen der Proteste an. In der Nacht zum Freitag widersetzten sich Zehntausende der verhängten Ausgangssperre und schlugen vor dem Verteidigungsministerium in Khartum Protestcamps auf. Sie treten friedlich und mit Nachdruck für ihren Standpunkt ein, sich nicht mit einer militärischen Übergangsregierung zufriedenzugeben.

Neue Ära, neue Nation!“, hallt es durch die Straßen Khartums.

Der Weg in eine friedliche Zukunft

Die Demonstranten formulieren dabei klare Forderungen: Eine zivile Interimsregierung soll zeitnah, jedoch keineswegs überstürzt Wahlen organisieren und bis dahin die Verwaltung des Landes übernehmen. Diese Vertretung solle aus Experten, unabhängigen Technokraten und Personen der Zivilgesellschaft bestehen. Eine Kooperation mit dem Militär wird selbst von den progressivsten Gruppen keinesfalls ausgeschlossen – es sollen „lediglich“ die korrupten Generäle rund um Ibn Auf abtreten. Weite Teile des Militärs befinden sich ohnehin bereits auf Seiten der Demonstranten und sind aufgerufen, die Übergangsprozesse zu beschützen und zu begleiten – nicht zu dominieren.

Am Nachmittag streckte das Militär gewissermaßen seine Hand zu den Demonstranten aus. „Wir haben keine Ambitionen, die Zügel der Macht in Händen zu halten“, erklärt General Abidin. Die ökonomische und politische Zukunft des Landes liege in Händen der sudanesischen Bevölkerung. Derart beschwichtigende Worte sind keineswegs selbstverständlich, droht angesichts der blutigen Vergangenheit des Landes stets auch eine militärische Eskalation. Regionale wie westliche Experten sind sich hingegen weitestgehend einig, dass ein Aufflammen der Gewalt oder gar ein Bürgerkrieg mehr als unwahrscheinlich sind.

Den Menschen im Sudan ist es zu wünschen, dass sie mit friedlichen Protesten ihr Ziel der Absetzung von General Ibn Auf und damit eines zivil geleiteten Übergangsprozesses erreichen werden – und neben Tunesien im Sudan mit einiger Verspätung die zweite Erfolgsgeschichte des Arabischen Frühlings schreiben können.

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