Seehofer und die Folgen einer Enthemmung der Worte

Nach der Randale von Stuttgart erklärte der deutsche Heimatminister Horst Seehofer: Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten. Damit hat er nicht unrecht, doch die Kritik muss dabei vor allem Selbstkritik sein.

Seehofer zielte mit seiner Kritik auf einen satirischen Beitrag der freien Journalistin Hengameh Yaghoobifarah in der TAZ mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“ ab. Dieser erschien wenige Tage, bevor in Stuttgart infolge einer Polizeikontrolle Jugendliche Scheiben von Polizeiautos und Läden einschlugen und sich mit Polizisten prügelten.

Seehofer, jener Heimatminister, der dagegen war, den neofaschistischen Flügel in der AfD und die Jugendorganisation der Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, machte Hengameh nun indirekt für die Gewalt in Stuttgart verantwortlich und überlegte gar, sie dafür anzuzeigen.

Die Idee, die Journalistin vor Gericht zu bringen, ließ er erst fallen, als hunderte Künstlerinnen und Künstler einen Aufruf unterzeichneten, der die Pressefreiheit verteidigte und selbst die Bundeskanzlerin deutlich machte, dass sie von solchen Ideen ihres Ministers nichts halte. Sein Verständnis von Pressefreiheit erinnerte dabei mehr an Autokratien als einem Minister lieb sein kann, der sich selbst als Verteidiger von Demokratie und Meinungsfreiheit darstellt.

Enthemmung der Worte

Mindestens ähnlich schwer wie die Idee, eine Journalistin wegen einer Satire anzuzeigen, wirkt insbesondere in bürgerlichen Kreisen der Vorwurf der indirekten Mitschuld an den Eskalationen von Stuttgart. Er geht im Innenpolitischen Ausschuss des Bundestags sogar noch weiter und erklärt: „Aber ich habe nach Hanau und Halle gesagt, bei all diesen verwirrten Einzeltätern, die sich auf ihr eigenes Ich zurückziehen und irgendwann furchtbar zuschlagen: Solche Artikel lösen bei verwirrten Geistern möglicherweise auch Taten aus. Deshalb ist es für mich keine Bagatelle.“

Anstatt rassistischer Artikel, in denen Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete für alles Übel in Deutschland verantwortlich gemacht werden, nimmt Seehofer einen satirischen Beitrag über Rassismus als Beispiel dafür, wie Worte rassistische Gewalt kreieren können.

Migration als Mutter aller politischen Probleme

Wenn Seehofer meint, dass die Worte von Hengameh zu Gewalt beigetragen hätten, dann sollte sich der Innenminister doch vielleicht mal überlegen, was die Worte eines medial viel präsenteren und politisch einflussreicheren Innenministers auslösen können. Zitate, die als enthemmte Worte zu verstehen sind, gibt es von ihm genug. So erklärte er vor wenigen Jahren, „die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land. Das sage ich seit drei Jahren.“

Zur Mutter aller Probleme macht Seehofer, wen wundert es, nicht den Kapitalismus, aber auch nicht Armut, Krieg oder Verfolgung, die die maßgeblichen Ursachen von Migration und Flucht sind, sondern die Migration selbst. Wenn Menschen allerdings Seehofers Einschätzung teilen, dann ist der Gedanke nah, dass diese die Mutter aller Probleme auch beseitigen wollen. Wenn er mutmaßt, dass die Menschen wegen eines Satirebeitrags, den die wenigsten gelesen haben dürften, Gewalt ausüben, inwieweit stehen dann brennende Flüchtlingsheime im Zusammenhang mit der „Mutter aller Probleme“-Aussage des Innenministers?

Bis zur letzten Patrone?

Noch viel deutlicher als Aufruf zur Gewalt können Seehofers Worte aus dem Jahre 2011 verstanden werden, als er erklärte: „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone“. Während andere Äußerung Seehofers im Kontext von Flucht und Migration „lediglich“ seine Ablehnung verdeutlichen, ist bei diesem Zitat ein Bezug zur Gewalt gegen arme Migrantinnen und Migranten nahezu unmissverständlich vorhanden.

Denn wer fordert, dass die Sozialsysteme bis zur letzten Patrone verteidigt werden müssten, der legitimiert Gewalt gegen jene, denen eine Ausnutzung der Sozialsysteme unterstellt wird. Ein Innenminister, der bei einem linken Satirebeitrag von enthemmten Worten spricht und kausale Bezüge zu darauf folgenden Taten herstellt, der müsste beim Hinterfragen seiner eigenen Äußerungen und dem eigenen Einfluss eigentlich auf die Idee kommen, dass in diesem Fall nicht nur eine Anzeige richtig wäre, sondern auch ein Rücktritt von allen Ämtern und eine Entschuldigung bei all jenen, die er mit seinen Worten möglicherweise zum Ziel gemacht hat.

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