Tagtäglich werden Menschen dafür kriminalisiert, dass sie sich in Gefahr begeben und in Seenot geratene Menschen retten. Das ist grundfalsch, meint Leon Brülke
Während Güter weltweit über Meere, Flüsse und Ländergrenzen hinweg – ohne Probleme und unter Schutz von Staatsverträgen und Militär – transportiert werden, sterben täglich Menschen im Mittelmeer. Sie flüchten aufgrund von Krieg, politischer Verfolgung oder einfach nur, weil unsere Wirtschaftsweise ihre Lebensgrundlagen zerstört. Laut UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, ertranken 2019 bereits über 600 Menschen im Mittelmeer, wobei die Dunkelziffer noch deutlich höher sein dürfte. Somit bleibt das Mittelmeer auch im Jahr 2019 die tödlichste Grenze der Welt. Direkt vor der Haustür der EU, der Friedensnobelpreisträgerin 2012 sterben massenhaft Menschen und die Staaten Europas schauen seit mehr als vier Jahren zu. Was für die Menschen innerhalb Europas Sommer, Sonne, Sonnenschein bedeutet, bedeutet für die Menschen außerhalb Europas regelmäßig den Tod. Diese zwei Realitäten liegen keine 400 Kilometer entfernt voneinander.
Die Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten, ist ein Völkergewohnheitsrecht und im Seerecht eindeutig festgeschrieben. Doch die Staaten der EU weigern sich diese Pflicht wahrzunehmen und kriminalisieren auch noch diejenigen Nicht-Regierungs-Organisationen, die sich an Recht und Gesetz halten. Anstatt ein staatliches Seenotrettungsprogramm zu betreiben, fördert die EU das Bürgerkriegsland Libyen mit Summen im dreistelligen Millionenbereich und Know-How; Italien sogar mit zwölf Schiffen. Die Devise der Europäischen Union lautet Schutz der Grenzen vor Menschen statt Schutz der Menschen. Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, wurde in den letzten Jahren massiv ausgebaut, die mittlerweile ausgelaufenen Seemissionen Sophia und Triton hatten primär Schmuggel- und Schlepperbekämpfung zum Ziel. Menschen wurden während dieser Missionen eher rein zufällig gerettet. Die Staaten der EU weigern sich offensichtlich zu retten und lassen Menschen lieber ertrinken. In Hinblick auf einen Verteilungsschlüssel innerhalb der EU-Staaten gibt es seit Jahren politischer Stillstand.
Die europäische Union bietet nur etwa 2,3 Millionen von
weltweit 70 Millionen Geflüchteten Schutz. Dabei macht sich die deutsche
Regierung die Hände genauso blutig wie Italien, Malta oder Griechenland.
Bereits 2010 baten Italien und Griechenland Deutschland um Hilfe bei der
Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen. Deutschland verweigerte mit Verweis
auf die geltenden Dublin-Verordnungen diese Hilfe und lies die
Mittelmeer-Anrainer-Staaten im Regen stehen. Die Dublin-Verordnungen regeln,
dass Menschen in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, welches sie zuerst
betreten. Das ist natürlich vor allem für die Staaten praktisch, die keine
EU-Außengrenzen haben. Für Deutschland bedeutet dies, dass nur über die Nordsee
legal eingereist werden kann, um Asyl zu beantragen.
Poker mit Menschenleben
Die Situation auf dem Mittelmeer ist aktuell für die Seenotretter*innen schwierig und mühselig. Italien und Malta verwehren regelmäßig die Einfahrt in ihre Häfen und pokern mit dem Leben der auf hoher See geretteten Menschen im Kampf um Verantwortlichkeiten innerhalb der EU. Die Anfahrt der Schiffe in sichere Häfen wird in der Regel nur dann gewilligt, nachdem sich eine Allianz der Freiwilligen gefunden hat. Hierfür brauchen die Staaten der EU gut und gerne mal zwei Wochen, währenddessen sich die Lage auf den Rettungsschiffen, die nicht dazu ausgelegt sind, viele Menschen auf längerer Zeit unterzubringen, mit jedem Tag zuspitzt. Die geretteten Menschen schlafen in Container, auf dem Boden, haben kaum Platz und sind verzweifelt. Depressionen, Stress und Suizidgedanken verleiten die Menschen dazu, den Versuch zu wagen von den Schiffen der Seenotretter*innen, falls sie in Küstennähe sind, zu springen und an das europäische Festland zu schwimmen. Würde die mit EU-Bürger*innen geschehen, wäre der Medienaufschrei groß!
Dürfen die Seenotretter*innen die Menschen an Land bringen, werden die Schiffe in der Regel beschlagnahmt und müssen über den Rechtsweg wieder freigeklagt werden. Währenddessen sterben weiterhin Menschen im Mittelmeer aufgrund der Politik der sogenannten Mitte.
Sichere Häfen in Deutschland
Viele zivile Seenotrettungsorganisationen kommen aus Deutschland. Hier versucht die Seebrücke, eine Bewegung, die in Solidarität mit den zivilen Seenotretter*innen steht, seit 2018 die politischen Rahmenbedingungen von unten zu verändern. Mit Demonstrationen, Aktionen und Druck auf die Kommunen, Bundesländer und Bundesregierung wirkt die Seebrücke Stück für Stück dem gesellschaftlichen Rechtsruck in der Asylpolitik entgegen. Mittlerweile haben sich über 90 Kommunen zu sicheren Häfen für in Seenot gerettete Menschen ernannt und bieten dem Innenministerium an, diese in ihren Städten aufzunehmen. Für die Städte, die bereits sichere Häfen sind, stellt sich nun die Frage, wie aus der Absichtserklärung tatsächliche Politik wird. Asylpolitik ist Bundesangelegenheit und somit unter Kontrolle des nach rechts schielenden Innenministers Horst Seehofer. Der nächste Schritt muss es nun sein, die Bundesregierung, insbesondere das Innenministerium unter Druck zu setzen, da Kommunen nicht nur in der Asylpolitik von den Entscheidungen in Berlin abhängig sind, sondern auch im sozialen Wohnungsbau und bei der Aufnahme von Krediten. Es sind logischerweise auf lange Sicht die Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum, Klimagerechtigkeit und die Aufnahme von in Seenot geretteten Menschen zusammenzuführen, um nicht Menschen innerhalb der Städte gegeneinander auszuspielen, sondern gemeinsam mit allen Menschen in den Städten ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.
Der Beitrag erschien in gedruckter Form in der Critica
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