Gleich beginnt die Fußball Europameisterschaft in Frankreich mit dem Spiel zwischen dem Gastgeber und Rumänien. Bei mir kann keine echte Fußballbegeisterung aufkommen, dabei bin ich ein echter Fußballfan. Ich denke viel eher an die ganzen Streikenden Frankreichs, die Aktivist*innen, die auf den großen Plätzen demonstrieren und feiern. Und an den Front National, der gegen alle Menschen hetzt, die nicht in ihr Weltbild passen.
Ich hab den Fernseher an, um vielleicht doch das Spiel zu schauen, aber je länger das „Vorspiel“ dauert, umso weniger habe ich lust: Nichts dokumentiert besser das Zusammenstreichen von freiheitlichen Rechten, als die „Sicherheitskontrollen“ bei der EM. Immerhin ist auf Oliver Welke verlass: Er erwähnt die politischen „Probleme“ und ich hoffe er wird noch frecher. Das ZDF thematisiert in seiner Berichterstattung bisher den Rassismus, den Front National, die Streiks und viele weitere Probleme, die das Land zur Zeit hat – erstaunlich.
Ich hoffe darauf, dass die Streikenden so gut es geht die EM stören. Die Pilotenvereinigung hat einen Streik angekündigt. Der Öffentliche Nahverkehr ist nur unter Vorbehalt nutzbar, auch wenn zur Zeit die Metro in Paris fahren soll. Die CGT, eine von Frankreichs größten Gewerkschaften, hatte nicht angekündigt die Streiks während der EM zu beenden, im Gegenteil. Kleinere Gewerkschaften haben verkündet sich den Streiks anzuschließen, die Frankreich seit Wochen in ihrem Bann halten.
Während Oliver Welke, bekannt aus der heute Show, in seiner Talkrunde in Paris sitzt, reden die Anwesenden Gäste natürlich auch über die Streiks und Rassismus. Marius Trésor, einer der Gäste in der Runde und ehemaliger französischer Nationalspieler, erklärt vor laufender Kamera, alle Menschen die jetzt streiken und demonstrieren seien Verrückte und bekloppt. Sie würden ein tolles Fest kaputt machen und „Leuten nachlaufen.“ Ich finde, hier hat Marius ein wenig die Tatsachen verdreht. Nicht die Streikenden laufen jemandem Blind nach, diese haben reflektiert wofür sie sich einsetzen wollen: Gegen Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerung, gegen den gläsernen Bürger und einige von ihnen gegen den Kapitalismus per se. Die eigentlichen Lemminge sind ein Großteil der Fans, die unreflektiert zu den Public Viewings laufen und in die Stadien gehen. Das heißt nicht, dass keiner dabei ist der seine Handlungen nicht reflektieren würde, aber das Verhältnis ist proportional umgekehrt, als es Marius benannt hat.
Und trotz massiver Polizeigewalt gehen die Menschen auf die Straße und lassen sich vom Staat der Wirtschaftseliten nicht einschüchtern. Diese Massenproteste könnten, so sagen etliche Analysten und Intellektuelle, die sozialdemokratische Regierung stürzen.
Eines dürfen wir nicht vergessen: In ganz Europa werden ständig widerliche Gesetze während sportlicher Großereignisse verabschiedet, damit man bloß nicht zwischen den „Schland-Rufen“ über wichtiges nachdenkt. Dieses Jahr soll in Deutschland das sogenannte Gesetz zur Bundesfernstraßengesellschaft während der EM verabschiedet werden. Klingt wenig spannend, ist es aber: Denn durch die „Ausgliederung“ der Autobahnen in die Gesellschaft öffnet die deutsche Bundesregierung der Privatisierung Tür und Tor. „Fällt während der EM die erste Entscheidung zur Autobahnprivatisierung?“, fragt daher ein Bündnis aus Gewerkschaften und NGOs. Das könnte nur ein Vorgeschmack auf den Klassenkampf von oben sein, der uns wiedermal erwartet. Ich bin daher eher von den Streiks begeistert und ein Fan des Klassenkampfes von unten und wenn ich die Fußballspiele während der EM schaue hoffe ich dabei, dass der Strom jeden Moment ausfallen könnte, weil gestreikt wird.
In diesem Sinne, Prost, viva la Confédération générale du travail!