Wenn wir im Augenblick auf die Tageslage schauen, dann bekommen wir unweigerlich das Gefühl, dass wir durch einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge in eine Art Truman-Show gefallen sein müssen, in eine virtuelle Wirklichkeit, in der ein geistig unterbemittelter US-Präsident der einzige auf dem ganzen Planeten ist, der den häufig geäußerten Wunsch des türkischen Präsidenten, noch mehr Teile von Syrien unter seine Kontrolle zu bringen und einem Bevölkerungsaustausch zu unterziehen, nicht mitbekommen oder für einen Witz gehalten hat.
Ein Präsident, der dann den Kurdinnen und Kurden vorwirft, keine Unterstützung der USA verdient zu haben, denn immerhin seien sie bei der Landung in der Normandie 1945 auch nicht an der Seite der GIs gewesen. Anschließend schreibt er einen Brief an den türkischen Präsidenten, in welchem er ihm einen „guten Deal“ anbietet, denn schließlich habe er, der US-Präsident, „hart gearbeitet“, um manche seiner (des Türken) „Probleme zu lösen“. Und dieser wolle doch ebenso wenig verantwortlich für das Abschlachten von Tausenden Menschen sein wie jener für die Zerstörung der türkischen Wirtschaft. Last not least bedankt er sich bei den Italienern für Tausende Jahre guter Zusammenarbeit – in geschickter Ignoranz der wenig bekannten Tatsachen, dass es die USA erst seit dem 4. Juli 1776 gibt und die Italiener bei der Landung in der Normandie 1945 ja nun auch nicht unbedingt Seit‘ an Seite mit den US-Truppen marschiert sind. Parallel kommt heraus, dass es da noch ein paar Ungereimtheiten mit der Militärhilfe an die Ukraine gibt, die möglicherweise als Druckmittel eingesetzt wurde, um ukrainische Behörden dazu zu bringen, belastendes Material gegen die Familie eines potenziellen Gegenkandidaten dieses US-Präsidenten aufzubringen.
Nein, das ist kein irres Drehbuch einer verrückten Sience-Fiction-Serie, sondern die Realität der Weltpolitik im Jahr 2019. Wir alle sind Statistinnen und Statisten einer völlig durchgeknallten Inszenierung, die selbst wohlmeinende Kommentatorinnen nicht mehr sachlich kühl beschreiben können.
Dass dieser US-Präsident die Verfügungsmacht über etwa 6.185 Atomsprengköpfe hat, dass er vom Weltpostabkommen über das Klimaabkommen bis zum INF-Vertrag sämtliche bi- und multilateralen Vereinbarungen der USA mit anderen Ländern infrage stellt, bricht oder kündigt, wenn sie nicht zu 100% seinem Slogan „America first“ entsprechen, das muss bei uns allen die Alarmglocken läuten lassen. Wir erleben im Moment die Zerstörung aller Instrumente, die sich die Weltgesellschaft nach 1945 geschaffen hatte, um den Krieg zu ächten und politische Wege der Konfliktbeilegung zu finden. Es sind nicht in erster Linie China und Russland, die diese Instrumente zerstören, sondern die einzig verbliebene Weltmacht USA, die ökonomisch, politisch und moralisch ins Trudeln geraten ist.
Wie damit umgehen? Die Bundesregierung verfolgt die Strategie, sich möglichst wegzuducken, um nicht in den Strudel der politischen Ungeschicktheiten Trumps mit hinein gerissen zu werden. Gleichzeitig setzt sie gemeinsam mit Frankreich auf eine Militarisierung der EU, die als zweites Standbein neben der NATO künftig deutsche Wirtschaftsinteressen überall dort militärisch absichern soll, wo die NATO mangels US-Interessen nicht eingreifen will. Kanzlerin Merkel und Außenminister Maas treiben ein doppeltes Spiel: so beklagen sie zwar wortreich den jüngsten Einmarsch der Türkei in Nordsyrien, ohne ihn jedoch völkerrechtswidrig zu nennen. Sie stoppen die Genehmigung eines Teils der Rüstungsexporte in die Region, ohne jedoch die bereits genehmigten Waffen- und Munitionstransporte auszusetzen. Und letzten Endes überlassen sie Trump das Heft des Handelns, weil sie ihm, wenn überhaupt, nur homöopathisch leise widersprechen.
Was aus diesem Dilemma deutlich wird: Es ist nie gut, wenn jemand zu viel Macht hat. Weder innerhalb einer Gesellschaft, noch im Weltmaßstab. Die USA sind zu wichtig geworden, ihnen fehlt ein politisches und ökonomisches Korrektiv, das sie, egal unter welchem Präsidenten, zwingt, sich gemeinsamen Regeln zu unterwerfen und Verträge einzuhalten. Das Recht ist nur so stark, wie die Institutionen sind, die es auch gegenüber den Starken durchsetzen. Die Weltgesellschaft krankt im Kern daran, dass sie keine Durchsetzungsmacht gegenüber den Mächtigen hat. US-Kriegsverbrecher werden niemals nach denselben Maßstäben abgeurteilt wie diejenigen weniger bedeutender Länder. US-Vertragsbrüche führen nicht zu Sanktionen, sondern zum Zurückweichen des Rechts vor der Macht. Die liberale These, dass gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit die Kriegsgefahr verringere, muss angesichts der Weltlage als widerlegt angesehen werden. Wir brauchen eine Neubelebung des Völkerrechts und seiner Institutionen, wenn unsere Truman-Show nicht zur atomaren Apokalypse Now werden soll. Auch deswegen muss Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten.
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