Migration – Zwischen Abschottung und Entrechtung

Bild von Mark Hemmings auf Pixabay

Im ersten Teil der Reihe zu Migration und Klasse ging es um Globalisierung von oben, im zweiten um Globalisierung von unten. Nun soll dies zusammengeführt werden und eine verbindende Perspektive geschaffen werden.

Die Visavergabe, die nach „erwünschten“ Migranten wie hochqualifizierten Arbeitern oder Geschäftsleuten einerseits und nach „unerwünschten“ unterscheidet und die Abschiebung letzterer begründen soll, steht im Kontrast zu den vielen objektiven Möglichkeiten im Kapitalismus. Mauern, Zäune, Stacheldraht und Wachtürme an den Grenzen des Schengenraums, der Einsatz von Drohnen, Satelliten, Herzschlagdetektoren oder Infrarotkameras – das alles ist Ausdruck einer Migrationspolitik, die seit jeher Migration begrüßte, wenn es ökonomisch notwendig war und mit allen Mitteln unterband, wenn sie aus Sicht des Kapitals nutzlos war. Die Kosten der EU für die Sicherung der Grenzen beliefen sich zwischen 2003 und 2013 auf 225 Millionen Euro. Hinzu kommen die Ausgaben für den Aufbau von Frontex (Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache), die 2005 noch bei sechs Millionen Euro lagen und bis 2021 auf 1,6 Milliarden Euro ansteigen sollen. Ihre Mitarbeiterzahl soll von 1.500 auf künftig 10.000 steigen.

Wem es gestattet ist, sich eine neue Perspektive aufzubauen, ist mit zahlreichen Benachteiligungen in der Arbeitswelt konfrontiert. Denn der Arbeitsmarktzugang ist vom richtigen Aufenthaltstitel abhängig. Während für Zugezogene aus EU-Ländern die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit Anwendung findet, müssen Geflüchtete aus Nicht-EU-Ländern auf die Bearbeitung ihres Asylantrages warten und dürfen währenddessen nur eingeschränkt arbeiten. Dementsprechend verläuft ihre Integration in den Arbeitsmarkt nur schleppend: „Ein Jahr nach dem Zuzug sind im Schnitt nur 18 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert, nach fünf Jahren sind es 50 Prozent und erst nach knapp 13 Jahren sind 70 Prozent der Geflüchteten erwerbstätig.“ (Flüchtlinge und andere Migranten am deutschen Arbeitsmarkt: Der Stand im September 2015. Aktueller Bericht 14/2015. S.10.)

Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben sie zudem statistisch die niedrigsten Löhne. Auch zehn Jahre nach Ankunft beträgt ihr monatliches Durchschnittseinkommen in der Regel nicht mehr als 1.500 Euro. Sie gehören damit zu den am schlechtesten entlohnten Gruppen am deutschen Arbeitsmarkt. Im ersten Zuzugsjahr liegt ihr monatliches Durchschnittseinkommen 400 Euro unter dem anderer Migrantengruppen und selbst nach 15 Jahren beträgt dieser Abstand noch 300 Euro. Gleichzeitig übertragen sich Armut und Benachteiligung in die nächste Generation wie eine Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung zeigt. Demnach sind 26,7 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland armutsgefährdet, unter denjenigen ohne sind es 12,5 Prozent. Prekarität, Ausgrenzung und Migration stehen also in einem direkten Zusammenhang.

Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und schlechtere Chancen im Bildungssystem, die durch die PISA-Studie dokumentiert wurden, gehen mit rassistischen Anfeindungen im Alltag einher. Sie spielen eine Schlüsselrolle in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und stehen im direkten Zusammenhang mit einem Wirtschaftssystem, das seine Praxis der Abschottung legitimieren muss. Rassistische Stimmungsmache soll die gesellschaftliche Akzeptanz des Abschottungssystems sicherstellen. Sie verhindert Empörungen über den schleichenden Abbau von Grundrechten, die zunehmende Überwachung und die Kostenexplosionen im Bereich der Grenzsicherung.

Corona

Die Corona-Pandemie hat die beschriebenen Benachteiligungen von Migranten ausgeleuchtet. Laut einer aktuellen Studie der OECD sind sie überproportional von den negativen Auswirkungen der Pandemie betroffen. Aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Anstellung in Pflege, Einzelhandel und Lieferindustrie, aber auch wegen beengterer Wohnverhältnisse stecken sie sich überproportional mit COVID-19 an. Hinzu kommt: Migranten arbeiten ebenfalls überdurchschnittlich in der Gastronomie, im Hotelgewerbe, im Tourismus und damit in eben den Bereichen, in denen die Arbeitsbedingungen besonders prekär sind. Durch den hohen Anteil an Befristungen sind sie häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. (Siehe dazu: What is the Impact of the COVID-19 Pandemie on immigrants and their children?, 19. Oktober 2020.)

Die Corona-Pandemie hat überall auf der Welt die sozialen und politischen Widersprüche verschärft. Es gibt soziale Notlagen, Einkommensausfälle, Betriebsschließungen und Massenentlassungen, Sie treffen alle Beschäftigten, egal woher sie kommen. Corona zeigt zudem einmal mehr die Unfähigkeit der Herrschenden, den Menschen weltweit eine Perspektive jenseits von Klimakollaps, autoritärer Politik und sozialer Krise anzubieten. Für die Linke wird es darauf ankommen, diese Entwicklungen als Klassenfragen zu betrachten, die Rolle der Arbeiterklasse zu stärken und den Organisierungsprozess der gesamten Klasse zu unterstützen.

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