Trumps illegaler Mord am iranischen General Qassem Soleimani brachten die Welt so nahe an einen katastrophalen US-Iran-Krieg wie seit der Islamischen Revolution von 1979 nicht. Im Zuge des Soleimani-Mords verfielen viele in der globalen anti-imperialistischen Bewegung einmal mehr infantilen Dichotomien und glorifizierten den brutalen iranischen General zu ihrem „anti-imperialistischen Helden“ – wie wir es immer wieder auch im Kontext von Russland, Syrien und Iran beobachten können.
„Bist du vertraut mit General Soleimani?“, fragt Radiomoderator Hugh Hewitt im September 2015 den bekannten Trash-TV-Star und Immobilienerben, der in seinem gescheiterten Geschäftsleben ganze sechs Male Insolvenz anmeldete und sich nun aufs höchste Amt im Staate bewirbt. Kurze Pause. „Ja“, zögerlich, halb fragend, und weiter: „Ich, ich. Mach weiter, gib mir was, sag mir was.“ Hewitt: „Er ist der Anführer der Quds Forces.“ Darauf der verunsicherte Trash-TV-Star: „Ja, okay, richtig. Nebenbei bemerkt, denke ich, dass die Kurden von uns miserabel behandelt wurden.“ Hewitt grätscht dazwischen: „Nein, nicht die Kurden, die Quds Forces. Die iranischen Revolutionsgarden, die Quds Forces. Die bösen Jungs.“
Vier Jahre und drei Monate später befehligt der Celebrity-Star am 3. Januar 2020 einen Drohnenschlag auf den Baghdad International Airport und tötet neben einem hochrangigen irakischen Kommandeur und acht weiteren Militärs eben jenen iranischen General Qassem Soleimani – höchster Militär im Land, der nach Revolutionsführer Ali Khamenei als zweitmächtigster Mann im Iran galt. US-Präsident Trump beordert die Reaper-Drohne von seinem Golfplatz aus und als das Pentagon den Luftschlag schließlich offiziell bestätigte, war die Behörde mit einem 700-Milliarden-Dollar-Budget nicht in der Lage, in ihrem Statement den Namen von Soleimanis Revolutionsgarden richtig aufzuschreiben (das „I“ in IRGC steht für „Islamic“, nicht „Iranian“). Trump verbreitete im Anschluss an den Mord die absurde Lüge, Soleimani plante, vier US-Botschaften „in die Luft zu sprengen“ (US-Verteidigungsminister Mark Esper erklärte hingegen kleinlaut, es gab keinerlei Hinweise für die Behauptungen des Präsidenten) und die noch absurdere Lüge, Soleimani „war direkt oder indirekt verantwortlich für den Tod von Millionen von Menschen“ – nach dem Zweiten Weltkrieg hat vermutlich außer Mao, Stalin und mehrere US-Präsidenten überhaupt keine Person mehr „Millionen von Menschen“ getötet. Und US-Vizepräsident Mike Pence legte George W. Bushs Lügenmärchen, Saddam hätte bei den Anschlägen am 11. September 2001 mit der Al-Qaida konspiriert, neu auf, indem er dasselbe über Soleimani behauptete.
Diese anekdotische Zusammenstellung allein um einen einzigen US-Militärschlag illustriert exemplarisch, dass hier eine maximal Nahost-inkompetente Regierung am Werk ist, die ihre Inkompetenz mit den plumpesten aller Lügen zu verdecken sucht. Durch diese Regierung steht die Welt so nahe am Abgrund eines möglichen US-Iran-Krieges wie zu keinem anderen Zeitpunkt in 41 Jahren Spannung beider Erzfeinde.
Eskalation am Persischen Golf
In den letzten Wochen konnten wir in Nahost wie im Labor unterm Mikroskop beobachten, wie politisch-militärische Eskalationsspiralen funktionieren, wie sich ihre Dynamiken und Effekte gegenseitig bedingen und wiederum potenzieren (an anderer Stelle schrieb ich ausführlich zu diesem Themenkomplex). Allein seit Mai 2019 verlegte die Trump-Regierung nach Angaben von Verteidigungsminister Esper 14.000 Soldatinnen und Soldaten in den Großraum Nahost und diskutiert die Entsendung 14.000 weiterer Truppen. Seit Ende Oktober feuerten vom Iran unterstützte schiitische Milizen im Irak in mindestens elf Angriffen Dutzende Raketen auf irakische Militärbasen ab, in denen auch US-Truppen stationiert sind, um über dieses permanente Bedrohungsszenario das US-Militär zum Rückzug aus der gesamten Region zu zwingen. Dabei kamen glücklicherweise nie Personen zu Schaden – bis zum 28. Dezember 2019. Quellen aus der US-Regierung gaben an, dass bei einem Angriff mit 30 Raketen auf die K-1 Air Base nahe Kirkuk ein ungenannter US-amerikanischer „defense contractor“ (was entweder ein ziviler Mitarbeiter einer Rüstungsfirma oder ein Söldner sein kann, beides wird in der englischsprachigen Presse gleich bezeichnet) getötet wurde und sechs Personen verletzt wurden. Die US-Regierung beschuldigte die aus Teheran unterstützte Kataib Hezbollah, hinter den Angriffen zu stehen, die die Vorwürfe jedoch zurückwies. Als Vergeltung bombardierte Washington daraufhin fünf Basen der Kataib Hezbollah in Syrien und Irak – und tötete dabei 25 Kämpfer, 55 weitere wurden verletzt.
In Trauer um ihre getöteten Kämpfer versammelten sich Tausende Anhänger der Kataib Hezbollah in der hochmilitarisierten Green Zone in Bagdad und zogen vor die US-amerikanische Botschaft – mit einer Fläche der Größe des Vatikans und 16.000 permanenten Angestellten die größte US-Botschaft der Welt und damit nicht die Botschaft einer befreundeten Nation, sondern das Drehkreuz des US-Imperialismus in Nahost. Der Trauermarsch wurde rasch zu einem Angriff auf die US-Botschaft selbst, deren Mauern teils in Brand gesteckt wurden und die von einigen Demonstrierenden gestürmt wurde. Irakische und US-Sicherheitskräfte feuerten Blendgranaten und Tränengas und vertrieben so die Leute aus der Botschaft. Es gab mehrere Dutzend Verletzte, jedoch keine Toten. Am nächsten Tag zogen die Demonstrierenden auf Befehl der Kataib-Hezbollah-Führung ab. Als Reaktion auf den Angriff auf die Botschaft befehligte Donald Trump den eingangs beschriebenen Drohnenschlag in Bagdad, bei dem neben neun weiteren iranischen und irakischen Militärs General Qassem Soleimani getötet wurde. Es ist kompliziert, treffende Äquivalente für Soleimanis Rolle im iranischen Staatsapparat zu finden. Die Quds Forces, die er anführte, sind eine Mischung aus Auslandsgeheimdienst und Eliteeinheiten, er galt als höchster Befehlshaber und darüber hinaus als zweitmächtigster Mann im Iran. Seine Hinrichtung – die ohne Zweifel völkerrechtswidrig war – käme damit dem Szenario gleich, als würde der Iran CIA-Chefin Gina Haspel, Pentagon-Chef Mark Esper oder US-Vizepräsident Mike Pence per Drohne töten. Trumps Drohnenangriff auf Soleimani kann kaum anders als eine Kriegserklärung an den Iran interpretiert werden. Das irakische Parlament reagierte auf die Tötung mit einer vom irakischen Premier Abdul-Mahdi eingebrachten Resolution, die die Regierung auffordert, die rund 5.000 US-Truppen im Land auszuweisen. Präsident Trump – arrogant und weltfremd wie üblich – drohte dem Irak, „wir werden sie mit Sanktionen überziehen, wie sie nie zuvor erlebt haben“, sollten die Truppen ausgewiesen werden. Diese würden „die Sanktionen gegen den Iran fast schon zahm aussehen lassen“ – neben illegalen Militärschlägen sind hirnrissige Sanktionen das einzige Tool im außenpolitischen Werkzeugkasten des US-Präsidenten.
Die Bundesregierung verteidigte mehrfach Trumps Vorgehen, schließlich sei die Exekution Soleimanis „eine Reaktion“, der „Aktionen des Iran zuvorgingen“, wie Regierungssprecher Steffen Seibert auf Nachfragen von Tilo Jung erklärt. Seibert führt aus: „Und das wissen wir alle hier im Raum, da gab es die Angriffe auf die Tanker in der Straße von Hormus, auf die saudischen Ölanlagen, die Angriffe auf die Koalitionstruppen in Irak, der Angriff auf die … US-Botschaft in Bagdad.“ Die Führung in Teheran mag tatsächlich hinter all diesen Aktionen stecken, auch mögen Seibert und seine Sprecherinnen-Entourage dies „wissen“, nur bleibt das marginale Problem, dass in keinem der Fälle eine iranische Täterschaft bewiesen ist. Zu den Angriffen auf die saudischen Ölanlagen in Churais und Abqaiq (der größten Ölverarbeitungsanlage der Welt, das Kronjuwel von Saudi Aramco) im September 2019 stellte UN-Generalsekretär António Guterres erst im Dezember einen UN-Bericht vor, der die Vorwürfe, der Iran sei der Täter, nicht erhärten konnte.
Es drängt sich die Frage auf: Wenn die Bundesregierung im Gegensatz zur UN über Beweise verfügen sollte, die den Iran als Täter hinter den für die globale Ölversorgung folgenschwersten Angriff aller Zeiten überführen – warum gibt sie den UN diese Beweise nicht einfach?
Ob einer Reaktion Teherans auf die Exekution seines höchsten Generals hielt die Welt Tage lang den Atem an, bis die Revolutionsgarden in der Nacht zum 8. Januar schließlich gut ein Dutzend Raketen auf zwei irakische Basen abfeuerten, die auch US-Truppen beherbergten. Es gab massive Zerstörungen am Boden, doch wurden keine Personen verletzt oder getötet, was einzig darauf zurückzuführen ist, dass die iranische Führung gut anderthalb Stunden vor Einschlagen der ersten Rakete das Büro des irakischen Premiers Adil Abdul-Mahdi über ihre Pläne informierte, so dass die US-Truppen genügend Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen. Teheran wollte die Lage nicht durch tote US-Soldaten weiter eskalieren, die Message war eine andere: Das iranische Raketenprogramm ist mittlerweile derart fortgeschritten und präzise, dass die Raketen über Hunderte Kilometer hinweg ausschließlich in das von US-Truppen genutzte Drittel der Ayn al Asad Air Base einschlugen.
Jede kann von der Regierung in Teheran natürlich halten, was sie will, nur sind persönliche Befindlichkeiten kein Maßstab internationaler Politik, deren höchste Maxime stets die Herstellung von Frieden sein sollte (oder doch zumindest die Verhinderung von Krieg). Die Trump-Regierung erging sich von Beginn an im Gegenteil. Bereits im Wahlkampf wetterte Kandidat Trump gegen den Iran und nannte den so wichtigen Iran-Nukleardeal „den schlechtesten Deal aller Zeiten“ (einzig, weil er auf seinem Cover einen fetten Obama-Stempel trug). Es folgten Provokationen und Säbelrasseln, bis Trump im Mai 2018 in seiner bislang größten Dummheit tatsächlich aus dem Deal ausstieg. Es folgten historische und völkerrechtswidrige Sanktionen und die „maximum pressure“-Politik Washingtons. In regelrechter Demütigung drängte das Weiße Haus Akteure wie Indien, Japan, Türkei, Europa und selbst China dazu, ihre Importe iranischen Öls auf Zero herunterzufahren, mit dem Ergebnis, dass Irans Ölexporte – und damit Teherans Lebensader – um fast 90 Prozent einbrachen. 2019 dann weitere Sanktionen, die ungeklärten Angriffe auf die Tanker in der Straße von Hormus und die saudischen Ölanlagen, die ungesetzliche Konfiszierung eines iranischen Tankers vor Gibraltar durch London und eines britischen vor den Küsten Irans sowie der Abschuss einer US-Drohne im Golf von Persien: Der inkompetente Narzisst im Weißen Haus setzte eine Abwärtsspirale in Gang, die uns direkt zur Exekution des zweitmächtigsten Mannes in Teheran und die Welt damit so nahe an einen offenen Krieg zwischen den USA und dem Iran führte wie zu keinem anderen Zeitpunkt seit der Islamischen Revolution 1979.
Viel wurde über Soleimani geschrieben – dessen Namen die meisten genau wie der, der seinen Mord befahl, vorher wohl noch nie gehört hatten. Ich möchte mich einem Aspekt widmen, der kaum Erwähnung fand.
Die Heuchelei der globalen Linken
Viele in der weltweiten anti-imperialistischen Linken – und darüber hinaus in den Weiten des Internets – versuchen immer wieder, ihren bigotten Anti-Amerikanismus (den ich kategorisch ablehne) hinter einem vorgeschobenen Anti-Imperialismus (den ich mit aller Kraft unterstütze) zu verbergen: kaum weniger festgefahren in ihren eindimensionalen Narrativen und in ihrem ideologischen Schwarz-Weiß-Denken als jene, über die sie sich moralisch so gerne erheben. Und so kommt es dann, dass einige dieser Leute zwar vollkommen zu Recht die USA, Europa, Israel und die verbündeten Golfdiktaturen für ihre Kriegstreibereien in Nahost verurteilen – bei der vermeintlich „anti-imperialistischen“ Gegenseite jedoch jedes Verbrechen bis aufs Blut verteidigen. Wenn die USA Ende 2016 Mossul in Schutt und Asche legen und Krankenhäuser in die Luft sprengen, werden sie für diese Kriegsverbrechen zu Recht an den Pranger gestellt. Wenn Assad und Putin 500 Kilometer östlich in Aleppo exakt das Gleiche tun, adaptieren diese Leute das Washingtoner „War on Terror“-Narrativ und beteuern, russische Bomben hätten ausschließlich „Terroristen“ getötet und jedes bombardierte Krankenhaus sei ohnehin eine Lüge westlicher Medien. Als ich im Sommer 2017 akribisch dokumentierte, wie die USA zusammen mit kurdischen Gruppen schwere Kriegsverbrechen im syrischen Raqqa verübten, feierten diese Leute meinen Artikel (schließlich schlug ich auf „die Richtigen“ ein). Als ich dann kurz darauf vom Journalisten Areeb Ullah einen sachlichen Gastartikel mit wichtigen Augenzeugenberichten über Assads Offensive auf Ost-Ghouta veröffentlichte, erging von denselben Leuten ein Shitstorm über mich, wie ich ihn nicht für möglich hielt. Diese Leute haben keine universellen Werte, keine allgemeingültigen Maßstäbe, die sie an Verbrechen und Kriege gleichermaßen anlegen. Sie sind nicht gegen Krieg per se – es müssen eben nur die „richtigen“ Bomben auf die „richtigen“ Köpfe niedergehen.
Imperialismus ist keine binäre Fragestellung, nach der heute Imperium X von Imperium Y abgelöst wird. Es ist ein schleichender Prozess, in dem die eine Weltmacht in Minischritten absteigt (USA), während die andere in Minischritten auf einem Gebiet nach dem anderen vorbeizieht (China) – wie beim Peak Oil ist auch der ungefähre Zeitpunkt des „Peak Power“ erst aus der zukünftigen Retrospektive bestimmbar. Und wenn ich selbst in der Zukunft das Chinesische Imperium (mit seinem Anhängsel Russland) für seine Aggression und Intervention in den Brennpunkten dieser Welt zerreißen werde, stehen diese Leute dann vermutlich auf der „Gegenseite“ und erklären mir immer noch, wie legitim dieses oder jenes chinesische oder russische Kriegsverbrechen doch sei. Leider erst in vielen Jahren wird sich dann offenbaren, dass diese Ewiggestrigen schon immer nur stumpfe Feinde der USA, nicht des US-Imperialismus waren und dass sie kein Problem mit Imperien haben, solange diese nur den richtigen, den roten Anstrich haben. Das ist weder anti-imperialistisch oder antimilitaristisch, noch auf irgendeine andere Weise emanzipatorisch oder progressiv – sondern einfach blanke Heuchelei.
Der Bogen zurück zum Iran: Viele Stimmen der globalen anti-imperialistischen Linken erhoben General Soleimani nach seiner Hinrichtung regelrecht zu einer Art iranischem Che Guevara, zu ihrem anti-imperialistischen Helden, der antrat, das US-Imperium zu stürzen. Die Journalistin Anya Parampil von der investigativen Website The Grayzone (die ich gerne lese) beschrieb Soleimani als „anti-imperialistischen Kämpfer, er führte die Achse des Widerstands gegen das Böse an, mit dem unsere Regierung und unser Militär und unser Imperium die Region überzogen haben“. Und ihr Kollege Ben Norton schrieb über Soleimani und den ebenfalls im Drohnenschlag getöteten Kataib-Hezbollah-Kommandeur al-Muhandis, beide seien „hochrangige Militärführer, die in ihren Ländern geliebt und für ihre Rolle in der Zerschlagung des IS als Kriegshelden angesehen wurden“. Beide Einwände sind im Kern zwar durchaus richtig: Soleimani – ebenso al-Muhandis und seine Kataib Hezbollah – waren zentrale Akteure im bewaffneten Widerstand gegen die US-Besatzung des Irak, die der illegalen Invasion des Landes 2003 folgte. Auch war Soleimani eine – wenn nicht gar die – wichtigste Person in der Bekämpfung des IS vor allem im Irak, doch auch in Syrien. Während die USA aus der Luft mit Mossul und Raqqa ganze Städte in Schutt und Asche legten, waren es im Irak Soleimanis Truppen, die den IS am Boden besiegten. All das ist richtig – nur warum von links diese Glorifizierung eines Militaristen? Jeder Militär, der Operationen außerhalb seiner Landesgrenzen leitet, hat Blut von Zivilistinnen an den Händen – wie können vermeintlich Linke auch nur irgendeinen General irgendeines Landes verteidigen und in den Himmel loben?
„Soleimani war ein Schlächter und ein Instrument iranischer Proxy-Gewalt, der Millionen Menschen in Iran, Irak, Syrien, Libanon, Jemen usw. terrorisierte“, schreibt die linke kurdische Akademikerin und Aktivistin Hawzhin Azeez vollkommen richtig in ihrem äußerst lesenswerten Appell mit dem treffenden Titel „No, anti-imperialists, Soleimani is not your hero“ auf ROAR Mag. Hawzhin weiter zur infantilen Dichotomie bezüglich Soleimani, die das Schubladendenken so vieler in der anti-imperialistischen Linken dominiert: „Auf der Empfängerseite der imperialistischen US-Kriegsmaschine zu stehen, macht einen nicht zum Anti-Imperialisten – am allerwenigsten, wenn man ein Agent eines mörderischen Regimes ist.“ Der letzte Punkt ist bedeutsam, da dieser Aspekt – auch in meiner eigenen Arbeit – nur allzu oft untergeht. Es ist richtig, dass die iranische Bevölkerung mehr Rechte genießt und über mehr Rückkopplungs- und Partizipationsmöglichkeiten verfügt als die Bevölkerungen in den protofaschistischen arabischen Golfmonarchien in Irans Nachbarschaft (jedenfalls kann ich mich im Gegensatz zu jenem in Teheran nicht an das letzte TV-Präsidentschafts-Duell in Riad erinnern), was nichts daran ändert, dass wir es im Iran mit einem brutalen, repressiven, übergriffigen Polizei- und Überwachungsstaat zu tun haben. Der hier kritisierte Typ von „Anti-Imperialisten“, missbilligt Hawzhin Azeez, verfügt über „keinerlei Rücksicht auf die alltägliche Realität des unterdrückten Lebens unter einer brutalen Diktatur [im Iran], die bei der Hinrichtung von Dissidenten, Künstlerinnen, Feministinnen und Menschenrechtsaktivistinnen nur von China übertroffen wird.“ Auch wenn diese Aspekte bei der Frage nach Krieg und Frieden aus einer antimilitaristischen Sicht keine Rolle spielen, dürfen sie nicht unter den Teppich gekehrt und müssen kommuniziert werden. Die Verhinderung von Krieg und der Kampf für soziale Rechte sind zwei verschiedene Baustellen, die sich nicht ausschließen, sondern an denen gleichzeitig gearbeitet werden muss.
Wenn ich in Artikeln das Säbelrasseln der US-Administration gegen die Regierung in Teheran verurteile, wurde mir von den borniertesten Stimmen nicht nur einmal vorgeworfen, ich würde es gutheißen und gar unterstützen, dass Schwule im Iran an Kränen aufgeknüpft würden. Nach dieser eindimensional-dichotomen Logik kann A immer nur zu B und niemals zu C führen. Wenn ich für die LGBTQ-Rechte im Iran bin, muss ich auch für einen von außen inszenierten Regime Change und US-Luftschläge auf Teheran sein. Wenn ich gegen Regime Change und Luftschläge bin, bin ich automatisch gegen all die iranischen Schwulen und Lesben. Die intellektuelle Armseligkeit dieser „Argumentation“ ist natürlich selbstevident: Warum können wir zwei Aspekte einer Geschichte nicht als genau das handhaben – als zwei Aspekte einer Geschichte, die sich einander weder negieren, noch zur Unwahrheit herabstufen?
„I can walk and chew gum at the same time“, heißt es im Englischen: Wir können, und müssen, uns bedingungslos mit den sozialen Kämpfen im Iran solidarisieren – etwa mit den mutigen Frauen, die 2018 massenhaft öffentlich ihren Hijab abnahmen, um so gegen die patriarchalen Zwänge ihrer Gesellschaft und ihres Regimes zu protestieren, oder mit den Massenprotesten vom Januar 2020 – und gleichzeitig die Kriegspropaganda und aggressive Eskalation der US-Regierung aufs Schärfste verurteilen, die zwar jedes Mal vorheuchelt, im Namen der unterdrückten Menschen gegen die Repression des iranischen Regimes zu agieren, am Ende jedoch das Leben ebenjener unterdrückten Menschen mit seinem kriegerischen Interventionismus in einen Alptraum verwandeln würde. Diese einfachen Zusammenhänge sollten unter aufgeklärten Menschen selbstverständlich sein, nur sind sie das leider nicht. Abschließend noch einmal die Aktivistin Hawzhin an die Adresse der „anti-imperialistischen“ Soleimani- und Teheran-Apologeten: „Die einzige Loyalität, die ihr haben solltet, ist jene für die einfachen Menschen im Iran, im Irak und in der weiteren Region. Es ist 2020, und es ist an der Zeit, diese Probleme in all ihrer Komplexität zu betrachten und dabei zu erkennen, dass mehrere Wahrheiten nebeneinander koexistieren können und dass eine vereinfachende Analyse nur denen dient, die hungrig nach Krieg sind.“
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